EG als Militärmacht?

Tagung in Köln: "Europa ohne Armeen"

von Christine Schweitzer

Über einhundert TeilnehmerInnen hatten sich vom 14.-16.12.90 zu der Tagung "Europa ohne Armeen" in Köln versammelt. Der Veranstalter, der "Bund für Soziale Verteidigung", hatte sich bei der Planung von der Idee leiten lassen, die "europäische Dimension" in die - wenigstens vordergründig - sich auf Einzelstaaten beziehenden Konzepte und Kampag­nen zu Sozialer Verteidigung und Armeeabschaffung einzubrin­gen.

 

Ein Höhepunkt der Konferenz waren die Vorträge von Johan Galtung und Dieter Senghaas, die die Entwicklungen in Eu­ropa auffällig unterschiedlich beurteil­ten.

Galtung: Militärmacht EG
Johan Galtung eröffnete seinen Vortrag damit, uns vorzuwerfen, die Bedeutung der "Europäischen Gemeinschaft" zu ta­buisieren. Es werde viel über die NATO gesprochen, die militärische Kompo­nente der EG aber weitgehend überse­hen. Eine gemeinsame Militärpolitik sei jedoch - neben gemeinsamer Währungs- und Außenpolitik - der dritte Pfeiler der geplanten europäischen Föderation. Es ginge um die Herstellung einer europäi­schen Zentralmacht, die sowohl in Kon­kurrenz zu den USA wie zu Japan agie­ren werde. Dieser Zentralmacht würden mehr Länder angehören als derzeit Mit­glieder in der EG sind, z.B. auch Öster­reich oder Schweden, aber bei weitem nicht alle europäischen Länder, z.B. nicht die Türkei, weil sie als nicht-christliches Land nicht "zu den übrigen passe". In diesem Zusammenhang sagte Galtung auch einen "Antiamerikanismus von rechts" voraus, geschürt mit der Motivation, Amerika aus Europa zu vertreiben und zu erklären, warum Eu­ropa in den letzten Jahrzehnten den USA ökonomisch wie politisch unterle­gen war.

In Bezug auf Japan vertrat Galtung die Ansicht, daß die derzeitige Entwicklung der deutsch-japanischen Zusammenar­beit keine Wiederbelebung der Achse aus den dreißiger Jahren darstelle, son­dern allein dem Zweck diene, den aus der Konkurrenz erwachsenen Konflikt zu überwinden. Gemeinsames Ziel bei­der Mächte sei die Kapitalisierung der UdSSR, bis "sich Mercedes und Mit­subishi am Ural die Hände schütteln". Galtung nannte vier Gründe, wozu eine Militärmacht in der EG entwickelt werde:

Der erste ist, daß außer Griechenland, Luxemburg und Irland alle EG-Mitglie­der ehemalige Kolonialmächte sind, die sog. "Schnelle Eingreiftruppen" für die Intervention in ihren ehemaligen oder noch bestehenden Kolonien benötigen. Zum zweiten werden "Peace keeping forces" für die "Befriedung" von Auf­ständen in der inneren Peripherie Euro­pas, sprich den osteuropäischen Ländern, benötigt. Der dritte Grund ist die Entwicklung einer arabischen oder einer islamischen Supermacht. Die jahrhun­dertealte Angst der EuropäerInnen vor den AraberInnen, das Bild der "orientalischen Despoten", könne dazu führen, daß diese entstehende "Groß­macht Islam" wenigstens in den Köpfen hierzulande die Stelle der So­wjetunion einnehmen würde. Und zum vierten sagte Galtung BürgerInnenkrieg inner­halb der EG voraus, z.B. resultie­rend aus einer Spaltung zwischen "Germanen und Lateinern" oder zwi­schen "Franzosen und Deutschen". Da jede "Föderation" - man/frau vergleiche etwa die Vereinigten Staaten von Ame­rika - Einheit als Selbstzweck betrachte, werde jeder Versuch der Abspaltung oder Sezession in der EG der Zukunft zum BürgerInnenkrieg führen.

Senghaas: Optimistische Perspektiven
Diesen eher pessimistischen Vorhersa­gen stellte Dieter Senghaas sein Bild ei­nes friedlichen Europas gegenüber. Rü­stung stelle in diesem Europa eine Alt­last dar, der man/frau sich bald entledi­gen werde - mit der Ausnahme von ei­ner Art "europäischer Blauhelme", die im Falle ethnonationalistischer Unruhen und ähnlichem eingesetzt würden. Ein militärischer Konflikt zwischen den zwölf EG-Staaten sei ja bereits völlig undenkbar geworden; eine Entwicklung, die sich fortsetzen und auf ganz Europa ausdehnen werde. Eine "Föderation", also einen Bundesstaat Europa, hielt Senghaas im Gegensatz zu Galtung für sehr unwahrscheinlich. Als Basis des neuen Europas sei sowohl die KSZE, eine erweiterte EG oder ein gestärkter Europarat denkbar.

Senghaas widersprach den Befürchtun­gen, es werde sich ein auf ökonomi­schen Interessen basierender Nord-Süd-Konflikt verschärfen. Die europäischen Ökonomien seien auf andere Industriestaaten bzw. Hochlohnländer ausge­richtet; in der "Dritten Welt" seien für die EuropäerInnen daher auch nur die paar Schwellenländer wie Brasilien oder Korea interessant. Aus dem gleichen Grunde bestünde die Gefahr, der sich Osteuropa gegenübersieht, auch nicht darin, daß es vom Großkapital überrollt werde, sondern im Gegenteil darin, daß es nicht kapitalkräftig genug sei, um mitzuhalten und deshalb nur wenig Ka­pital nach Osteuropa ginge.

Fazit: Warnungen nicht überhören!
Für die überwiegende Zahl der Teil­nehmerInnen waren die warnenden Worte Galtungs eindrucksvoller als die schöngefärbten Zukunftsprognosen von Senghaas. Das Fazit heißt: Bei der Abschaffung der nationalen Armeen darf nicht aus dem Auge verloren werden, daß eine europäische Militärmacht an ihre Stelle treten könnte.

Andreas Gross, einer der InitiatorInnen der "Gruppe für eine Schweiz ohne Ar­mee und eine umfassende Friedensord­nung", fügte diesem vorläufigen Ergeb­nis im Laufe der Tagung noch zwei Thesen an: Eine Entmilitarisierung Eu­ropas werde nicht gelingen, wenn es nicht gleichzeitig zu einer Demokrati­sierung Europas komme. Und zweitens sei es erforderlich, daß die Armeeabschaffungsinitiativen, die es inzwischen immerhin in siebzehn Ländern gebe, zu gemeinsamem Handeln finden. Ein Ver­such hierzu soll bei einem internationa­len Treffen in Rostock Mitte Mai 91 gemacht werden, wo die europäische Arbeitsgruppe des Bundes für Soziale Verteidigung alle Initiativen und Inter­essierten hin einlädt (Kontakt: BSV, Friedensplatz 1 a, 4950 Minden). Die SchweizerInnen bereiten für dieses Treffen ein Papier für eine Bewegung zur Demokratisierung der europäischen Politik vor.

 

 

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Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.