Individuelle und gesellschaftliche Wirkungen kriegerischer Computerspiele

„… to get the job done“

von Ralf E. Streibl
Schwerpunkt
Schwerpunkt

Die Beschäftigung mit Computerspielen ist heute für viele in den Industrienationen aufwachsende junge Menschen eine Selbstverständlichkeit. Die Verbreitung steigt an, gleichzeitig sinkt das Einstiegsalter weiter ab. Computerspiele sind inzwischen zu einem weiteren wichtigen, medialen Sozialisationsfaktor neben Fernsehen und Video geworden. Der rasanten Entwicklung in diesem Bereich steht die Gesellschaft eher hilflos gegenüber, teilweise werden Jugendschutzmaßnahmen eingefordert, die sich jedoch auf die lndizierung einzelner Computerspiele beschränken. Doch diese kommt in der Regel zu spät, wirkt nur auf den offiziellen Verbreitungsweg der Spiele und läßt die betroffenen Spiele noch interessanter erscheinen.

Kriegsspielzeug hat eine lange Tradition. Vor und während Kriegszeiten nahm die Produktion von Kriegsspielzeug regelmäßig zu, was auf seine politische Funktion hinweist. In der BRD gab es bis Ende der 70er Jahre teilweise heftige Diskussionen um Kriegsspielzeug. Heute ist die Öffentliche Debatte weitgehend abgeflaut ein Grund dafür wird in der gesunkenen Bedeutung traditionellen Kriegsspielzeugs gegenüber Aktions- und Science-Fiction-Spielzeug gesehen. So kaschiert kann - wohl aufgrund der größeren Distanz - Gewalt offenbar legitimierter auftreten. Diese Entwicklung gilt für Computerspiele nur zum Teil: Zwar geht es· in vielen auf dem Markt erfolgreichen Computerspielen um kriegerische Aggressionen in historischer, futuristischer oder fantastischer Verkleidung (Space lnvaders - die Abwehr von Angreifern aus dem Weltall -- war eines der ersten Bildschirmspiele überhaupt). Doch eine nicht unbeträchtliche Zahl von Spielen orientiert sich auch an den Waffen und Kriegen der jüngeren Geschichte und der Gegenwart, Das breite Spektrum militärischer Simulationsprogramme (vgl. „Der real simulierte Krieg“ in diesem Heft) findet sein Spiegelbild auf dem Markt der Computerspiele - von Waffensystemsimulatoren wie Comanche oder A1O Tankkiller bis zu Strategiespielen wie PanzerGeneral oder Command & Conquer. Viele Computerkriegsspiele mit Realitätsbezügen erlauben das Nachspielen historischer Schlachten und Kämpfe, jedoch liegt ein nicht unbeträchtlicher Reiz für die Spieler darin, Geschichte „neu“ zu schreiben. Derartige Computerkriegsspiele sind daher nicht auf das Nachspielen tatsächlicher Ereignisse beschränkt: Beim Strategiespiel Panzergeneral ist beispielsweise auch der Einmarsch der Deutschen Wehrmacht in den USA als Möglichkeit vorgesehen.

Charakteristika von Computerkriegsspielen

Computerkriegsspiel ist nicht gleich Computerkriegsspiel. Wenn im folgenden einige Aspekte von Computerkriegsspielen hervorgehoben werden, handelt es sich daher um Elemente, die zwar oft festzustellen sind, aber natürlich nicht für alle Spiele in gleichem Maße zutreffen!

-Heldenidentifikation: Oft übernimmt der Spieler die Rolle eines „Helden“ im Kampf oder eines steuernden „Feldherren“, der den alleinigen oder wichtigsten Einfluß auf den Verlauf hat.

-Technikfaszination: Häufig werden technische Waffensysteme simuliert oder detailliert in Grafik und Sound dargestellt - von der Handfeuerwaffe über das Panzerfahrzeug bis zu Kampfflugzeug und –raumschiff.

- Normen, Werte, Menschenbilder sind zumeist vorgegeben, häufig gilt ein militärisch-hierarchisches Führerprinzip oder auch das Recht des Stärkeren, teilweise (z.B. bei Wirtschaftssimulationsanteilen in Kriegsspielen) gilt auch das Diktat der Ökonomie.

- Geschlechterrollen: Männer treten vorwiegend als zähe Kämpfer auf, Frauen werden durch ihre Kleidung und ihr Verhalten oft als Sexsymbole oder einfach nur hilflos dargestellt.

- Feindbilder: Sowohl bei Spielen mit realem als auch fiktionalem Szenario finden sich klassisch gestaltete Feindbilder bezüglich des Spielgegners: wir sind anders und besser, die anderen sind häßlich, böse, charakterlos, schmutzig, schlecht, unwert ... Bei realitätsnahen Spielen wird oft auf die historischen bzw. aktuell gültige Feindbilder zurückgegriffen, z.B. UdSSR, Libyen, Irak u.s.w ..

Gewaltausübung hat oft einen hohen oder sogar den zentralen Stellenwert. Sie erzeugt kein ungutes Gefühl (eher im Gegenteil), da Gewalt in der Spiellogik moralisch legitim erscheint (z.B. Schutz, Notwehr, Rache, Rettung ... ) und in der Regel Gewaltausübung folgenlos bleibt: Es werden kein Leid, keine Toten, keine Trauer etc. gezeigt.

- Handlungsmöglichkeiten: Meist gibt es keine Alternativen zur Gewaltausübung. Aushandlungsprozesse, Empathie und Perspektivenwechsel finden in den Spielen kaum bis gar nicht statt.

Wirkungen auf die Spieler
Für viele Spieler erfüllen solche Spiele ein Bedürfnis nach klaren Strukturen und übersichtlichen Anforderungen - etwas, was sie .im wirklichen Leben vermissen. Es besteht ein Wunsch nach Eindeutigkeit, nach einer klaren Unterscheidung zwischen guter und böser Figur. Die im Spiel erlebte Handlungsmacht kann darüber hinaus zeitweise eine scheinbare Kompensation alltäglich erlebter struktureller Gewalt vermitteln. Je konzentrierter auf „Leistung“ gespielt wird, desto mehr·treten zwar die Spielinhalte für den Spieler in den Hintergrund, doch die extreme Dominanz·von Freund-Feind-Schemata kann zu einer Verfestigung dieser gut-böse-Polarisierung führen - gerade, wenn das Spiel andere Konfliktlösungen wie Verhandlungen oder Friedensschluß gar nicht vorssieht. Inwieweit Kinder aus dem Denken in derartigen Schwarz-Weiß-Strukturen herauswachsen oder die Feindbilder der älteren Generation einfach reproduzieren, hängt insbesondere von ihrem Umfeld ab. Es stellt sich ferner die Frage, was es für die Bewältigung komplexer Situationen bedeuten mag, wenn die Spieler sich immer wieder unreflektiert in zwar irreale, aber realistisch gestaltete Vernichtungsszenarien hineinbegeben, in denen sie einem abstrakten „Befehl“ gehorchend versuchen, den Gegner zu vernichten. Aus der EntwickIungspsychologie ist jedenfalls bekannt,
daß Kinder, die in ihren Spielen selbst Regeln entwickeln, einen freieren Umgang mit Normen und eine höhere Flexibilität entwickeln.

Als gesichert kann inzwischen gelten, daß es die einfache direkte Wirkung der Art „Kriegsspiele am Computer machen aggressiv“ oder gegenteilig „sie helfen Aggressionen abzubauen“ nicht gibt und nicht geben kann: Ebenso wie es nicht das typische Computerkriegsspiel gibt, existiert auch nicht der typische Spieler - zu unterschiedlich sind die Nutzungsmotive und die lebensweltlichen Bedingungen, die als Rahmen für das Computerspiel wirksam sind.

Gesellschaftliche Wirkungen
Beim Thema „Feindbilder“ wurde schon deutlich, daß Computerkriegsspiele auch ein Spiegelbild der Gegenwart liefern. Die Wiederholung aktuell gültiger Feindbilder trägt mit zu deren Verfestigung bei. Da viele Spiele überwiegend in den USA oder zumindest für den dortigen Markt produziert werden, spiegeln sich vor allem die Feindbilder, Werte und ideologischen Konzepte dieser Nation wider - exportiert in alle Welt. Das von der amerikanischen Firma Military Simultations Inc. entwickelte Flugsimulator-Spiel „Back to Baghdad“, welches - wie der Titel schon aussagt - eine Fortsetzung des Golfkrieges zum Inhalt hat, ist ein besonders eindrückliches Beispiel hierfür: Das ganze Spiel ist auf dem Feindbild Irak aufgebaut, personifiziert in Saddam Hussein. „You are going back to Baghdad to finish the war that George Bush prematurely stopped. You're the flight leader of an F-16C Block 50 with all the armament needed to get the job done“, heißt es in der Spielwerbung. Die ganze Aufmachung des Spiels, aber auch die begleitende Werbung im Internet ist durch eine massive Einbettung in militärische Kontexte gekennzeichnet. Nicht zuletzt bildeten die realen Militäraktionen Anfang September 1996 Anlaß und Basis für zwei neue „Missionen“ für Back to Baghdad, die über das Internet ladbar sind.

Computerkriegspiele zeichnen sie durch die unmittelbare Einbindung des Spielers n ein interaktives Szenario aus, welches vor allem durch spezifische, der Militärlogik entsprechende Handlungsmöglichkeiten gekennzeichnet ist. Insofern bilden sie einen weiteren Ansatzpunkt für das Eindringen militärisch geprägter Äußerlichkeiten sowie militärischer Weltbilder und Ideologie in die zivile Lebenswelt. Von ihrer Struktur und ihrem Inhalt her ergänzen und verstärken sie Entwicklungen, die durch die scheinbare Virtualisierung von Krieg und die entsprechende Medienberichterstattung (siehe Golfkrieg) vorangetrieben werden, Die grob vereinfachende Reduzierung von Konfliktursachen, der Aufbau und die Verstärkung von Feindbildern, die Anerkennung militärischer Handlungsalternativen als einzig mögliche, die Ausblendung der·Opferseite·sowie die Förderung einer alles andere überdeckenden Technikfaszination sind nur einige dieser· Prozesse. Es handelt sich um Aspekte einer schleichenden Militarisierung der Gesellschaft, die auch auf anderen Ebenen feststellbar ist.

Computerspiele lassen sich somit sehr leicht vom Militär funktionalisieren - zur gezielten und gesteuerten Vermittlung von Feindbildern und ähnlichen ideologischen Inhalten, eingebettet in umfassendere Strategien psychologischer Kriegführung ebenso wie zur Verbesserung der gesellschaftlichen Akzeptanz des Militärs. Daß es· auch in Deutschland derartige Versuche gibt (allerdings was Spieltechnik und Spielreiz betrifft auf einem. deutlich niedrigeren Level), macht ein schon vor einigen Jahren im. Auftrag der Deutschen Bundeswehr produziertes Computerspiel namens Helicopter-Mission deutlich, in welchem - entsprechend der damaligen gesellschaftlichen Diskussion um (friedensschaffende) out-of-area-Einsätze - mit Bundeswehrhubschraubern ausschließlich Hilfs- und Rettungsmissionen geflogen wurden. So primitiv das Spiel auch wirkte, wurde doch auf rnehreren Ebenen gleichzeitig Stimmung für die Bundeswehr gemacht: offen in Informationstexten, indirekt vermittelt über Technikfaszination (technische Da-ten zu den verschiedenen Hubschraubern etc.) und vermittelt über· Abenteuerlust (auch wenn es Rettungsmissionen sind, mußte man schon einmal ein feindliches Radar unterfliegen etc.).

Es besteht die Gefahr, daß Computerkriegsspiele mit dazu beitragen, ein Klima erhöhter Gewaltbereitschaft und geringer werdender Sensibilität und Empathie in der Gesellschaft zu erzeugen. Es wäre jedoch falsch, sie nur als Ursache zu sehen. Kriegsspielzeug allein macht Kinder nicht zu Militaristen; Gerade bei exzessiver Nutzung gewalttätiger und kriegerischer Computerspiele sind die Ursachen oft auch außerhalb des Spiels zu suchen. Die Verbreitung und Nutzung von Computerkriegsspielen hängt bedeutend von der gesellschaftlichen Lebenswelt ab: Wenn diese von Gewalt, Aggression, Unverständnis und Rücksichtslosigkeit gerade auch gegenüber Kindern und Jugendlichen geprägt ist, dreht sich die Rüstungsspirale im Kinderzimmer immer schneller. Eine „Konversion in den Köpfen“ und in der Gesellschaft tut Not. Doch eine Abrüstung allein im Kinderzimmer ist nur moralische Doppelzüngigkeit in einem Land, das derzeit weltweit drittgrößter Rüstungsexporteur ist.

Zum Weiterlesen:
Ralf E. Streibl: Spielend zum Sieg! Krieg im Computerspiel- Krieg als Computerspiel- Krieg als Computerspiel. In: Informatik-Forum Heft 4/1996, S.203-214.

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Ralf E. Streibl ist Diplom-Psychologe und arbeitet seit 1993 als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Studiengang Informatik der Universität Bremen. Mitglied im Forum Friedenspsychologie (FFP) sowie im Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF).