Trotz alledem *

von Roland Appel

Verfassungsrichtern sei Dank wissen wir nun einmal wieder wo's lang­geht, mit der Demokratie: Den bisher in der Verfassung nicht eindeuti­gen Volksbegriff legen sie politisch aus und drücken den Zeitgeist ins Gesetz: Das Volk seien eben die Deutschen - sprachen die rotbemantel­ten Paragraphendeuter - was kümmert sie  Europa, was kümmert sie die Welt!

 

Nehmen wir sie beim Wort! Wir sind das Volk, Rheinländer, Sorben, Dünen, Roma, Türken, Bayern, Tamilen, Sach­sen usw..

 

Natürlich steht es nun ganz oben im Forderungskatalog für eine neue Verfas­sung der vereinigten Deutschlands: Das AusländerInnenwahlrecht.

Aber diese Verfassung wollen ja diesel­ben Verhindern, die nun in Karlsruhe Schützenhilfe bekommen haben. Ist es dann noch redlich, in Zeiten der Asylantenhetze und Verschärfung der Ausländergesetze auf verfassungsän­dernde Mehrheiten zu setzen, die nicht in Sicht sind?

Warum dort angreifen, wo die Gegne­rInnen am stärksten sind? Die Staats­bürgerschaft sollen unsere ausländi­schen MitbürgerInnen leichter erwerben können. Darauf haben die Herren der Verfassung selbst hingewiesen. Bis­her gibt es wenige schwieriger zu neh­mende Hürden in diesem Land. Wer nicht von Deutschen abstammt oder sich auf das Bundesvertriebenengesetz beru­fen kann, muss neben Sprache und Auf­enthalt den lupenreinen Lebenslauf vorweisen können, um in den Genuss der Gnade des Deutschtums zu kommen. Und selbst, wer diese Bedingungen alle erfüllen kann, muss meist passen, weil die deutsche Staatsangehörigkeit bis jetzt Ausschließlichkeitsanspruch er­hebt: Verlust der "alten" Staatsbürger­schaft bedeutete dann für viele Verlust der in der "Heimat" erworbenen zivil,- erb- oder sozialrechtlichen Ansprüche.

Nun gut - dazu unser Vorschlag:

  1.  Erwerb der Staatsbürgerschaft. Die deutsche Staatsbürgerschaft wird erworben durch
    1. Abstammung,
    2. Geburt auf dem Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland bzw. Transportmitteln, auf die sich deut­sche Hoheitsgewalt nach int. Recht erstreckt,
    3. durch Willenserklärung gegenüber dem Standesbeamten, wenn folgende Voraussetzungen vorliegen: Bei EG-BürgerInnen:
  • Bestehen eines ununterbrochenen Hauptwohnsitzes in der Bundesrepublik Deutschland seit mindestens drei Mo­naten.
  • Bei nicht-EG-BürgerInnen:

Bestehen eines ununterbrochenen Hauptwohnsitzes in der Bundesrepublik Deutschland seit mindestens 3 Jahren, sowie:

die Anerkennung als Asylberechtigte/r nach Art.16 Abs.2 Grundgesetz; oder

die Anerkennung als de-facto-Flüchtling gemäß der Genfer Flüchtlingskonven­tion; oder

die unbeschränkte Aufenthaltsberechti­gung ; oder

die Aufenthaltserlaubnis, sofern keine strafrechtlichen  Gründe der Einbürge­rung entgegenstehen, oder

Staatenlosigkeit sowie  der rechtmäßige Aufenthalt im Geltungsbereich des Grundgesetzes leben; oder

Anerkennung als Kontingentflüchtling; oder

Einwanderer und Einwanderinnen nach den Bestimmungen des Einwanderungs­gesetzes.

  1. Doppelte Staatsbürgerschaft

Das Staatsbürgerschaftsgesetz der Bun­desrepublik Deutschland wird dahinge­hend geändert, daß mit dem Erwerb der Deutschen Staatsbürgerschaft eine be­stehende Staatsbürgerschaft beibehalten werden kann.

  1. Bundesvertriebenengesetz/Einwande­rung

Das Bundesvertriebenengesetz mit sei­nem weitgehend unbestimmten Bedin­gungen deutscher Volkszugehörigkeit wird ersetzt durch ein Einwanderungs­gesetz, das die bisherigen Kriterien der Einwanderung in die Bundesrepublik Deutschland ändert. Ziel dieser Ände­rung ist die Ablösung von Kriterien wie "Bekenntnis zum Deutschtum oder Pflege der deutschen Kultur" durch Kriterien, die in einem demokratischen Diskussionsprozess vom Deutschen Bundestag regelmäßig zu überprüfen sind.

Die Einwanderungskriterien sollen so fortentwickelt werden, daß Einwande­rung einen Beitrag leistet:

  • Forderungen der UN-Menschen­rechtskonvention, der Flüchtlings­konvention der Organisation Afrika­nischer Staaten OAU zu un­terstützen, und dementsprechend Flüchtlinge aufzunehmen,
  • Verfolgten und Opfern der Terror­herrschaft des Nationalsozialismus sowie deren Nachkommen, die au­ßerhalb der Bundesrepublik Deutschland aufgrund der Folgen des II. Weltkrieges Flüchtlinge sind oder in besonderer wirtschaftlicher Not oder besonderer ethnischer Diskrimi­nierung leben, ein Verbes­serung ihrer Lebensverhältnisse zu ermöglichen.
  • Den BürgerInnenrechten auf Freizü­gigkeit, wie sie in der KSZE-Schluß­akte von Helsinki formuliert worden sind, Geltung zu verschaf­fen.

Denn merke: Einst kam auch Rom nicht umhin, den Barbaren Bürger­rechte zu verleihen, denn es wäre ohne sie ver­schwunden.

Roland Appel ist Abgeordneter des Lan­destag Nordrhein-Westpfalen für die Fraktion Die Grünen und Innenpoliti­scher Sprecher der Frak­tion

* Ihr hemmt uns nur, Ihr zwingt uns nicht: unser die Welt trotz alledem !(Ferdinand Freiligrath nach der Nieder­schlagung der (anderen) bür­gerlichen Revolution von 1848)

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Roland Appel ist Abgeordneter des Landestag Nordrhein-Westpfalen für die Fraktion Die Grünen und Innenpolitischer Sprecher der Fraktion.