Globalisierung

TTIP: Freihandelsabkommen als geopolitischer Sprengstoff

von Tim Schumacher

Der Protest gegen die „Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft“ (TTIP) nimmt erfreulicherweise kein Ende. Der globale Aktionstag gegen TTIP am 18. April war größer, internationaler und es gab mehr Aktionen als beim Aktionstag 2014. Im Juni diesen Jahres überstieg die Zahl der Unterschriften der selbstorganisierten Bürgerinitiative „Stop TTIP“ die 2-Millionen-Marke - doppelt so viele Unterschriften, wie für eine offizielle europäische Bürgerinitiative notwendig sind. Trotzdem hat das Europäische Parlament wenige Tage danach mit großer Mehrheit seine Zustimmung zu den TTIP-Verhandlungen beschlossen. Nach der nichtöffentlichen, zehnten Verhandlungsrunde im Juli zeigten sich die Beteiligten optimistisch, dass bis nächstes Jahr ein Rahmenprogramm für das Abkommen steht. (1) Gestoppt ist das Abkommen also noch lange nicht.

Bisher richten sich die Proteste vor allem gegen die nicht-öffentlichen Sonderschiedsgerichte für Konzerne und Investoren, die Absenkung der Verbraucherstandards und die Geheimhaltung der Verhandlungen. Fast unbeachtet bleibt dabei, dass relevante Teile des Machtblocks in den USA und der EU das Freihandelsabkommen als ein Werkzeug sehen, die geopolitische Lage global zu ihren Gunsten zu verschieben. In einer Studie der Informationsstelle Militarisierung (IMI) (2) habe ich den transatlantischen Elitendiskurs (3) um das TTIP-Abkommen untersucht. Da die Verhandlungen nicht öffentlich sind, bringt die Analyse der Art und Weise, wie das Abkommen zwischen den verschiedenen Akteuren des herrschenden Blocks in den USA und der EU verhandelt wird, Klarheit, in welche Richtung die geopolitische Wirkung des Freihandelsabkommens gehen kann. Ich hoffe, mit der Analyse dazu beitragen zu können, dass die Verhandlungen um TTIP auch in der Friedensbewegung mehr Beachtung finden und umgekehrt Argumente für die die globalisierungskritische Bewegung bereitzustellen, um die friedenspolitischen Implikationen des TTIP in den Blick zu bekommen.

Fünf Themenkomplexe
Es lassen sich fünf miteinander in Zusammenhang stehende Themenkomplexe ausmachen. Vor dem Hintergrund der Verschiebung der globalen Kräftekonstellation soll das TTIP-Abkommen erstens dazu dienen, den westlichen Machtblock gegen die Rivalen Russland und China zusammenzubringen und zu stärken. Die ökonomische Kooperation soll auf eine ähnliche Stufe gestellt werden wie die militärische Zusammenarbeit der NATO, damit die USA und die EU weiterhin die Rolle eines globalen ökonomischen Hegemons spielen können. Die ökonomische Öffnung in Richtung von Ländern wie Russland oder China wird mit einem solchen Abkommen sehr viel unwahrscheinlicher.

Zweitens: Wie der faktische Stillstand in den WTO-Verhandlungen zeigt, stockt der Prozess der Handelsliberalisierung immer wieder. Daher wird mit dem TTIP die Hoffnung verbunden, neoliberale Standards durch bilaterale und interregionale Abkommen global zu setzen, von denen vor allem große Teile der exportorientierten Kapitalfraktionen aus der EU und den USA profitieren können, anstatt die Standards der Anderen akzeptieren zu müssen. Die Anderen, das sind Russland, China und noch ein paar andere, die das ökonomische System des Westens nicht gänzlich teilen: Neoliberalismus vs. Staatskapitalismus.

Der dritte Themenkomplex betrifft die transatlantische Energiekooperation. Aktuell importieren die Länder der Europäischen Union ungefähr zwei Drittel ihres Gasverbrauchs; ein großer Teil davon kommt aus Russland. Durch TTIP soll die Möglichkeit eröffnet werden, die Abhängigkeit der EU von Russland zu reduzieren. Zur Zeit kann das Schiefergas aus den USA, das durch die intensive Nutzung des „Fracking“ gewonnen wird, nur innerhalb von Freihandelsabkommen exportiert werden. Aufgrund der benötigten Technologie, um das Gas zum Transport zu verflüssigen, werden europäische Gasimporte aus den USA zwar als teuer, trotzdem jedoch als wichtige Option eingeschätzt, sich gegenüber möglichen Gegnern unabhängiger zu machen.

Viertens wird mit dem TTIP-Abkommen die Hoffnung verknüpft, die NATO neu aufzustellen und zu stärken. Peter van Ham vom Clingendael Institut argumentiert folgendermaßen:„TTIP kann die NATO erneuern. […] Es bedarf einer neuen Hierarchie, die deutlich macht, welche Länder wirklich wichtig sind und wirklich die Werte und Interessen des transatlantischen Westens teilen.“. (4) Außerdem soll die NATO dadurch gestärkt werden, dass der private Rüstungssektor durch das Freihandelsabkommen vorangebracht und gestärkt werden soll.

Fünftens: Schon länger wird von Rüstungshardlinern das Projekt eines gemeinsamen europäischen Rüstungssektors vorgebracht. Im Elitendiskurs um TTIP taucht dieser Punkt auf. Durch das Abkommen werde die EU dazu gezwungen, die eigenen Interessen vor dem Hintergrund der globalen Konkurrenz zu verorten und diese Interessen mit militärischen Mitteln zu verteidigen. TTIP soll also einerseits eine geostrategische Logik stärken, andererseits erhöht sich der Konkurrenzdruck mit den US-amerikanischen Rüstungsfirmen. Beides könnte den Rüstungssektor in der EU auf Dauer zusammenbringen.

Es bleibt abzuwarten, welche Strategien durch das Abkommen tatsächlich an Relevanz gewinnen. Sind es auch nur einzelne von den oben genannten, könnten sich die globalen Kräfteverhältnisse deutlich verschieben und die genannten Blocktendenzen – mit allen damit verbundenen Risiken – weiter verschärfen.

 

Anmerkungen

1 Gröh, Walter: 312 Lobbygruppen, nur ein Dutzend Nicht-Wirtschafts-Verbände. 18.07.2015, www.heise.de

2 Schumacher, Tim: Geopolitischer Sprengstoff: Die militärisch-machtpolitischen Hintergründe des TTIP. IMI-Studie Nr. 05/2014. 06.10.2014, www.imi-online.de

3 Der Diskurs setzt sich sowohl aus Stellungnahmen politischer und ökonomischer VertreterInnen zusammen als auch aus den Analysen von Think Tanks und Forschungsinstituten, sowie aus politischen Strategiepapieren internationaler Institutionen.

4 van Ham, Peter: The Geopolitics of the TTIP. In: Clingendael Policy Brief, No 23, October 2013, Clingendael Institute. S.4

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