Büchel-Blockade

Über 30 Selbstanzeigen

von Martin Otto

Im FriedensForum 5/2013 berichtete Hermann Theisen (S. 16), dass im August vom Amtsgericht Koblenz ein Strafbefehl gegen ihn ergangen ist, nachdem er Flugblätter mit einem Aufruf zur Blockade  des Atomwaffenstützpunkts bei Büchel/Südeifel verteilt hatte.

Diese Blockade hat am 11./12. August stattgefunden (siehe FriedensForum 5/2013, S. 5-7). Der Text von Hermanns Aufruf-Flugblatt war angelehnt an den Aufruf der Kampagne „atomwaffenfrei.jetzt“ zu derselben Aktion; dieser wurde von rund 350 Menschen unterzeichnet. Der Verfasser dieses Artikels zeichnete „verantwortlich im Sinne des Presserechts“ für den Kampagne-Aufruf. Deshalb habe ich mich bei der Koblenzer Staatsanwaltschaft Ende August selbst angezeigt – wegen des Verdachts, dass auch ich mich strafbar gemacht haben könnte, und aus Solidarität mit Hermann. Anschließend wurden alle UnterzeichnerInnen des Kampagne-Aufrufs angeschrieben und gefragt, ob sie sich ebenfalls selbst anzeigen wollten, um damit dem Thema „Büchel“ ein weiteres Mal zu öffentlicher Aufmerksamkeit zu verhelfen. Über 30 UnterzeichnerInnen stimmten zu. Am 22. Oktober wurden – begleitet von Pressearbeit – 28 Selbstanzeigen gesammelt bei der Staatsanwaltschaft eingereicht; ein paar weitere Leute schickten ihre Selbstanzeigen eigenständig an die Koblenzer Justizbehörde. Unter ihnen sind Ärzte, Theologen und eine Bundestagsabgeordnete. Der 22.10. war als Abgabedatum gewählt worden, weil an diesem Tag vor 30 Jahren  Hunderttausende gegen die Stationierung von Atomwaffen auf die Straße gegangen waren, u.a. bei der Demo im Bonner Hofgarten und bei der Menschenkette von Stuttgart nach Neu-Ulm. MdB Kathrin Vogler hat in einer eigenen Pressemitteilung geschrieben: „Ich möchte mit der Selbstanzeige auch ein Zeichen gegen die geplante Modernisierung der in Deutschland gelagerten Atomwaffen setzen."

Während Hermann gegen seinen Strafbefehl Einspruch eingelegt hat und nun einer Gerichtsverhandlung entgegensieht, ist kaum damit zu rechnen, dass wir Selbstangezeigten wegen unseres Aufrufs juristisch verfolgt werden. Dass ich auf meine Selbstanzeige von Ende August immer noch keine Reaktion der Staatsanwaltschaft erhalten habe, ist ein Indiz dafür, dass die Justiz den Kampagne-Aufruf längst geprüft und für nicht strafbar gewertet hat. Eine große Rolle in der unterschiedlichen Bewertung der beiden Aufruf-Texte scheint zu spielen, dass in Hermanns Flugblatt von einer "Vollblockade" die Rede ist, während dieser Begriff im Kampagne-Aufruf nicht vorkommt. Offensichtlich wollen Staatsanwaltschaft und Amtsgericht in Koblenz das Wort „Vollblockade“ so (miss)verstehen, als hätte Hermann damit etwas anderes gemeint als der Kampagnen-Aufruf. Damit hätten sie dann eine Möglichkeit gefunden, nur einer Person ‚einen Strick draus drehen‘ zu können und nicht Prozesse gegen zig weitere Leute führen zu müssen. Gemeint war aber in Hermanns Aufruf-Flugblatt ebenso wie im Kampagne-Aufruf: Wir wollten für 24 Stunden jeglichen Fahrzeugverkehr in das Bücheler Militärgelände und aus ihm heraus durch Sitzblockaden an allen Toren unterbinden – und so ist die Aktion ja auch tatsächlich abgelaufen.

Übrigens hat Hermann das Wort „Vollblockade“ benutzt, weil er dieses in den 1980er Jahren schon einmal in einem Aufruf zur Blockade der damaligen Cruise-Missiles-Basis im Hunsrück verwendet hatte. Damals wurde er deswegen zunächst verurteilt und – weil er nicht zahlte – in Erzwingungshaft gesteckt. Als Mitte der 1990er das Bundesverfassungsgericht entschied, die meisten Verurteilungen wegen gewaltfreier Blockaden und den entsprechenden Aufrufen seien zu Unrecht erfolgt, wurde Hermann nachträglich freigesprochen und für die Haft entschädigt. Also meint er heute, ungestraft zur Vollblockade aufrufen zu dürfen, aber jetzt sagen die Koblenzer Justizbehörden, die freisprechende Haltung des Verfassungsgerichts gelte inzwischen nicht mehr, es gelte vielmehr nun die „Zweite-Reihe-Rechtsprechung“, wonach das Blockieren eines Fahrzeugs zwar in der Regel nicht strafbar sei, es jedoch strafbar sei, wenn durch das blockierte Fahrzeug ein weiteres blockiert werde ... (?!?) Die hat echt Phantasie, die Justiz!

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