Schnittpunkte und Bruchstellen

Über Frauen- und Friedensbewegung

von Christine Schweitzer

Bei der Beschäftigung mit dem Thema "Frauen und Militär" geht es um mehr, als eine weitere von Rüstung betroffene soziale Gruppe zu Wort kommen zu lassen. Über die Betroffenheit von  Frauen hinaus geht es um eine grundlegende Analyse des militärisch-patriarchalen Systems durch Frauen und um von Frauen entwikkelte Ansätze und Strategien des Widerstandes.

Frauen haben schon immer eine wichtige Rolle in den antimilitaristischen Bewegungen gespielt, wie Namen wie Bertha von Suttner, Klara Zetkin oder auch Rosa Luxemburg zeigen. Auch auf theoretischer Ebene lassen sich die Anliegen beider Bewegungen verknüpfen. Beide beschäftigen sich mit der Gewalt: Die Friedensbewegung nähert sich dem Thema über die Bekämpfung von Rüstung, Krieg und Militarismus, die Frauenbewegung über die Auseinandersetzung mit Männergewalt und durch Patriarchatskritik.
Drei Aspekte sollen in diesem Schwerpunkt des Friedensforums an¬gesprochen werden:

  1. Die Einplanung von Frauen für den Krieg
  2. Frauen in der Friedensbewegung
  3. Auseinandersetzung mit Militaris¬mus, Patriarchat und mit Konzepten der Friedensbewegung aus feministischer Sicht.

Die Einplanung von Frauen
Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht, das soziale Pflichtjahr, Öffnung des bewaffneten Dienstes in der Bundeswehr für Frauen sind einige der Stichworte, die in den letzten Jahren in die öffentliche Diskussion geworfen wurden. Einige Politikerlnnen und Interessenverbände glauben, eine billige Lösung für den "Personalnotstand" bei der Bundeswehr und Pflege¬diensten gefunden zu haben, nämlich die Dienstverpflichtung von Frauen. Alternativen wie die Sollstärke der Bundeswehr zu reduzieren und die freiwerdenden Gelder für eine angemessene Entlohnung und Schaffung neuer Stellen mit humanen Arbeitsbedingungen im Pflegebereich zu ver¬wenden, werden dagegen garnicht erst ins Auge gefaßt.
Aber es wäre eine Illusion zu glauben, bei dem Thema "Einplanung" ginge es allein um noch zu schaffende Regelungen - um die berühmten ungelegten Eier. Alle Bürger und Bürgerinnen zwischen 18 und 65 sind schon für den Kriegsfall verplant: Leider noch zu wenig bekannt in der Friedensbewegung ist, daß die "Verteidigung" in NATO und Bundesrepublik auf zwei gleichberechtigten Säulen ruht; der militärischen und der zivilen Verteidigung (vergl. die Weißbücher der Bundesregierung und die im Januar verabschiedeten "Richtlinien zur Gesamtverteidigung"). In der zivilen Verteidigung sind umfassende Verpflichtungen vor¬gesehen, die auch für Frauen gelten: Arbeitssicherstellung durch Dienstverpflichtung am Arbeitsplatz oder in Gesundheitsberufen, unbefristeter Dienst für Schwesternhelferinnen, Tätigkeiten beim Rettungsdienst usw.

Frauen in der Friedensbewegung
Die Friedensbewegung in den achtziger Jahren ist entscheidend von Frauen mitgestaltet worden. Sie stellten nicht nur die zahlenmäßige Mehrheit in den Friedensinitiativen, sondern sie setzten vielfach neue Inhalte und Politikformen durch. Es waren in erste Linie Frauen, die den Mythos der Abschreckungs“logik" als Un-Logik entlarvten, die fragten, wieviel Male ein Mensch denn getötet werden können muß, damit er in Sicherheit lebt, die nicht mehr bereit waren, das Gesäusele über angebliche Notwendigkeiten und männlicher Selbstdarstellungsrituale in der eigenen Gruppe (Beispiel: Dauerreden halten über das, was jeder schon weiß) weiter hinzunehmen: Im¬mer mehr Frauen merkten dabei, daß sie an zwei Fronten kämpfen: gegen den Militarismus und gegen die Dominanz und den Sexismus der Männer in  ihren eigenen Gruppen.
Doch konnten sie nicht verhindern, daß auf den überregionalen Ebenen und in den Vorständen der großen Friedensorganisationen die Männer beinahe unter sich blieben. Frauen kochen den Kaffee und schmieren die Brötchen für die Infostände beim Ostermarsch, Männer sitzen (z. B.) im Koordinierungsausschuß. Auch nach zehn Jahren neuer Friedensbewegung ist von dieser klassischen Rollenteilung leider immer noch sehr viel übrig, wie sich jede/r Interessierte leicht selbst überzeugen kann. Der Vorwurf richtet sich allerdings nicht allein an die gängigen Rekrutierungsverfahren für diese Gremien: immer noch zu viele Frauen betrachten Militär als Männerthema oder trauen sich die Arbeit nicht zu. Die wenigen Frauen, die in diesen Kreisen aus Neigung oder Notwendigkeit arbeiten, "profitieren" davon. Da mann ja zeigen will, daß er fortschrittlich ist und deshalb keine Konferenz, Arbeitsgruppe usw. ohne wenigstens eine Frau abhalten will, wenn es sich irgendwie vermeiden läßt, hat frau gute Gelegenheiten, sich an neuen Aufgaben zu erproben. Manchmal bleibt allerdings ein etwas bitterer Nachgeschmack: Soll ich das jetzt machen, weil die halt eine Frau brauchten oder weil sie denken, daß ich dafür geeignet bin?

Der Mythos vom besseren Geschlecht
Wird in der Friedensbewegung von Frauen gesprochen, dann häufig im folgenden Sinne: Frauen seien von Natur aus friedfertiger, verantwortungsbewußter, warmherziger, liebevoller - in einem Wort: bessere Friedensstifterinnen, was bis zu der Erwartung geht, die Frauen könnten die Welt vor'm Untergang retten. Auch viele Frauen hätscheln dieses Eigen¬bild, was zu einer langen Auseinandersetzung in der Frauenbewegung ge-führt hat. Sie sehen nicht, daß diese behauptete Friedfertigkeit das Ergebnis jahrhundertelanger Unterdrückung der Frauen ist. "Die friedfertige Frau, die in unserer Gesellschaft verlangt und erzwungen wird, ist die befriedete Frau." (P. Müller). Sie ist das Gegen¬stück zum aggressiven, kriegerischen Mann; bei beiden handelt es sich allerdings nicht um biologische, sondern ' um soziokulturelle, also in der (patriarchalen) Gesellschaft erworbene Eigenschaften. Es ist verständlich, daß Feministinnen aus der Ablehnung die¬ses Zerrbildes zu dem Schluß kommen, daß Frauen Aktionsformen brauchen, die "eher Ärger und Wut als Friedfertigkeit zum Ausdruck bringen, eher List als Verständnis, eher Besitzergreifen als Wegtragenlassen, eher Lärmen als Schweigen, eher Zorn als Leidensbereitschaft, eher Selbstliebe als Selbstaufopferung" (U. Eberhard). Ein zweiter Aspekt in diesem Zusammenhang ist das, was in der feministischen Bewegung unter dem Begriff der "Mittäterschaft" diskutiert wird. Es geht hier darum, daß Frauen keine eigenständige, wenngleich unterdrückte Kultur im Patriarchat aufbauen konnten, sondern an den gesamtgesellschaftlichen Prozessen mitgewirkt ha¬ben. Dies gilt auch für den Krieg: Frauen haben die künftigen Soldaten nicht nur geboren, sondern sie auch aufgezogen und ideologisch im Sinne des herrschenden Rollenbildes des "Kriegers" indoktriniert, sie halfen mit, die materiellen Ressourcen für den Krieg bereitzustellen, ersetzten, wenn es hart auf hart kam, die Männer in der Produktion, pflegten die Verwundeten, gaben durch ihre Zuwendung den Männern die nötige moralische Ermunterung und leisteten auch kei¬nen Widerstand, wenn sie zu Propagandazwecken mißbraucht wurden.

Militarismus und Patriarchat
Die feministische Theorie definiert als Patriarchat das System der Herrschaft des Mannes über die Frau und deren Ausbeutung. Militarismus meint das System des Militärischen in der Gesellschaft, die Oberformung der Gesellschaft durch Strukturen, Ideologien, Denk und Verhaltensweisen; die ihren Ursprung.im Militär haben. Zusammenhänge zwischen beiden lassen sich in mehreren gesellschaftlichen Feldern nachweisen:

  1.  Nirgendwo blüht der Sexismus so ungehemmt als da, wo Soldaten und Militäreinrichtungen sich befinden. Militärstützpunkte werden von Bor¬dellen und Sexshops häufig geradezu umlagert (Beispiel: Flughafen Hahn im Hunsrück), ja teilweise werden die Bordelle beim Bau der Stützpunkte gleich mitgeplant. In der militärischen Ausbildung wird ein bestimmtes Rollenbild geschaffen: Die militarisierte Männlichkeit, wie U. Wohland sie nennt, ist die dominate Rollenbeschreibung des Mannes im Patriarchat. Seine Tugenden sind die des Kriegers: mutig, stolz, aggressiv, todesverachtend, Das Gegenteil: feig, schwach, "weibisch". Diese Charakterstruktur wird bereits in der vormilitärischen Sozialisation, in Schule, Elternhaus und durch die entsprechenden Medien herausgebildet. Während des Wehrdienstes, der in einem Lebensalter abgeleistet wird, wo die eigene Persönlichkeit erst im Entstehen ist, wird sie dann vollends gefestigt: Mittels Ritualen (z.B. sexistische Witze) und frauenverachtenden Verhaltensweisen wird die Identität in negativer Abgrenzung zum Weiblichen aufgebaut. Bekannt, weil oft zitiert, ist vielleicht der Spruch amerikanischer GIs im Viet¬nam-Krieg: "This is my rifle, this is my gun, one ist for killing, one ist for fun". Die Anmachen an Freitagen und Sonntagen in der Bundesbahn während der "NATO-Ralley" ist da noch ein vergleichsweise  harmloser Ausschluß von Verhaltensweisen, die spätestens im Krieg eine ganz andere Qualität annehmen;
  2. Soldaten im Krieg sind nicht nur Mörder, sondern in vielen Fällen auch Vergewaltiger. Die Vergewaltigung von Frauen des besiegten Landes ist ein Phänomen, das sich durch alle Kriege von der Antike über den 1. Und 2. Weltkrieg bis zu Vietnam hinzieht. In der Öffentlichkeit, sofern überhaupt davon gesprochen wird, allein als die Tat des Gegners dargestellt (so wissen viele Frauen hier von schrecklichen Erlebnissen mit russischen Soldaten zu berichten und umgekehrt viele Frauen in Osteuropa von vergleichbaren Taten deutscher Männer) ist es in Wirklichkeit ein Phänomen des Krieges als solchem. Vergewaltigung ist unabhängig von der Nationalität und wohl auch von der politischen Ideologie. Sie ist Ausfluß des sexistisch-patriarchalen Systems und hat neben dem Vergnügen des individuellen Vergewaltigers und der sozialen Anerkennung, die er bei seinen Geschlechtsgenossen erfährt, auch eine politische Funktion: Sie soll den Kriegsgegner demütigen. Die Frau wird als Objekt benutzt, um die Ehre des Mannes zu treffen (Daß  dies nicht ein Relikt der barbarischen Vergangenheit ist, kann mensch daran ablesen, daß, wie berichtet wird, Frauen wie Männer in der amerikanischen Armee bei Angriffsübungen schreien müssen: "Kill, kill, rape, rape!").
  3.  Die ökonomischen Folgen von Rüstung und Militär treffen Frauen oft härter als Männer, wie C. Kirkman es für die USA in ihrem Beitrag in dieser Ausgabe beschreibt.

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Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.