Medien als Vierte Gewalt sind notwendig!

Über öffentlich-rechtliche und private Medien

von Sabine Schiffer
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Wir befinden uns im Jahr 25 der neuen Weltkriegsordnung, die mit dem NATO-Krieg in Jugoslawien eingeläutet wurde – eine der vielen Kriegsentwicklungen, die frühzeitig hätte verhindert werden können. Erstmalig wurde das „Nie wieder Krieg!“ nach WWII? durch ein instrumentelles „Nie wieder Auschwitz!“ ersetzt, womit die „humanitäre Intervention“ zum Teil der auch deutschen Kriegslogik wurde, mit der der Westen Militäreinsätze außerhalb seines eigenen Territoriums legitimiert, und auf die sich nun auch Wladimir Putin beruft.

Dass diese Zusammenhänge kaum im Bewusstsein eines großen Teils „westlicher“ Bevölkerungen sind, hat mit Propaganda zu tun, die vor der Einfärbung nützlicher Sachverhalte durch strategisches Framing auf das Zeigen und Ausblenden von Fakten setzt, so dass interessegeleitete Narrative die Menschen in die gewünschte Richtung lenken. Neben der strukturellen Schwächung des Journalismus im Medien-als-Markt System und angesichts verschnellerter Internet-Kommunikation sowie bei gleichzeitiger finanzstarker Ausstattung von Lobbyismus und ThinkTanks, gibt es auch aus privaten Gründen oder dem Tendenzschutz in Redaktionen Anpassungsprozesse an dominante Narrative – zumal Medienmachende nicht systematisch darin geschult werden, PR-Strategien zu erkennen.

Dass Behauptungen wie die Kanzler-Lüge von der „Zeitenwende“ vom 27.02.2022, drei Tage nach Putins Generalangriff auf die Ukraine, nicht als solche bloßgestellt werden, liegt am breiten Medienversagen und das Labeln der wenigen verbliebenen kritischen Stimmen als Dissidenten. Ob die nun entbrannte Aufregung um die Tendenzen ins Rechtsextreme geeignet ist, die Gefährdung der Demokratie ins Licht der dauernden Aufmerksamkeit zu stellen, scheint fraglich. Dass eine funktionierende Demokratie Teilnahme, Widerspruch und konstruktives Streiten um die beste Lösung braucht, ist in den letzten Jahren aus dem Fokus geraten – wo etwa der Künstler*innenprotest gegen als überzogen empfundene Corona-Maßnahmen als Delegitimierungsversuch gegenüber der Regierung und Verrat an der Gesundheit der Menschen diffamiert wurde.

Eine Demokratie ohne kritische Medien gibt es nicht.
Medien als Vierte Gewalt gehören zur DNA eines freiheitlichen Systems. Ihre Bekämpfung ist immer ein Signal der Gefahr. Das gilt besonders, wenn die Angriffe auf Medien nicht von „Lügenpresse“-Schreiern aus der rechten Ecke, sondern von Regierungsseite mit entsprechenden Durchsetzungsmöglichkeiten kommen. Und das heißt, die neuen Gesetzesverschärfungen in Deutschland um den §130 wie auch Bestrebungen auf EU-Ebene in den Blick zu nehmen. Sie kommen nicht erkennbar als Zensurversuche daher, sie werden als Schutz geframed. Daher gilt es, die Schutzversprechen zu prüfen, wie es Netzpolitik, Frag-den-Staat und der Chaos Computer Club tun: Stichwort „Digital Services Act“ (DAS). Dass es noch Förder- und Steuergelder für Think Tanks oder journalistische Projekte gibt, was nicht auf die Stärkung eines unabhängigen Journalismus ausgerichtet ist, eine News Trust Initiative vorgeben will, was geglaubt werden soll, keine breite Medienbildung als Schulfach vorgesehen ist… deutet alles in Richtung Aufmerksamkeitssteuerung: Glauben ist im demokratischen Diskurs aber keine gute Basis, geprüftes Wissen die bessere. Gerade auf EU-Ebene mit einer neoliberalen Agenda wird das Medien-als-Markt Modell befördert und Public Broadcasting bekämpft.

Dabei haben wir in Deutschland etwas zu verteidigen, was angesichts berechtigter Medienkritik oft aus dem Blick gerät. Kritikwürdig ist die zu regierungsnahe und gleichförmige Berichterstattung, aber im internationalen Medienvergleich stellt unser Mediensystem eine Perle mit Defekten dar. Trotz problematischer Konzentrationsprozesse im werbefinanzierten Mediensektor, die den Journalismus nicht mutiger machen, gibt es mit dem öffentlich-rechtlichen Körperschaftssystem einen definierten Programmauftrag, auf dessen Erfüllung wir Beitragszahlende einen Rechtsanspruch haben. Dass dieser Idealtypus seiner Umsetzung harrt und sich Seilschaften und eine Selbstbedienungsmentalität (s. rbb, NDR…) gebildet haben, deutet nicht in Richtung Abschaffung der ÖRM (?), sondern Reform.

Wie lässt sich unabhängiger Journalismus nachhaltig finanzieren?
Denn folgen wir dieser Leitfrage, dann deuten alle geschmackabhängigen Crowdfunding-Projekte, Mäzene und Stiftungsmodelle in Richtung eines allgemein finanzierten Modells, das Nachhaltigkeit und Unabhängigkeit garantiert. Im letzten Punkt liegt der Reformbedarf:

Verschlankung, ohne Vielfalt und Dezentralismus zu zerstören, Stärkung der Programm-Machenden, Zurückfahren politischen Einflusses und Öffnung der Kontrollgremien für mehr Expertise und Publikumsbeteiligung mit Berichtspflicht nach außen und einem verbesserten Beschwerdemanagement nach innen. Denn qualitativ hochwertige Inhalte gibt es nicht umsonst im Internet; sie müssen erst einmal recherchiert und geprüft werden.

Da haben in den letzten Jahren sogenannte alternative Medien teilweise den Finger tiefer in die Wunde gelegt, kritischere Fragen gestellt als der „Mainstream“und Recherchewege offen gelegt . Blogs, wie die Nachdenkseiten (NDS), sind dabei mit einigen Aufs und Abs relativ stabil geblieben, wenn man sie über die 20 Jahre ihres Bestehens beobachtet. Dieses Portal hat sich in Richtung Journalismus professionalisiert, nachdem es nicht als Vollmedium, sondern als medienkritische Stimme im unkritischen Hype um die Agenda 2010 gestartet war. Das heißt nicht, dass sie besser wären als andere Medien; wie diese machen auch sie Fehler oder driften mal ins Spekulative ab. Die NDS sind inzwischen als Verein organisiert, der Finanzmittel für Team und Arbeit zur Verfügung stellt. Auf Crowdfunding setzt Jung&Naiv, das mit der Dokumentation und Kommentierung der Bundespressekonferenz bekannt wurde und heute mit seinen extrem langen Interviews zeigt, dass das Publikum nicht mit 90-Sekunden Stücken abgespeist werden will. Mit FUNK versucht man nun, weniger finanzstarke Youtuber ins ÖRM-Angebot einzubinden, was mal mehr oder weniger gut gelingt – wie zuletzt die Auseinandersetzung über die Agenda der Strg_F-Redaktion mit dem Youtuber REZO zeigte; wobei letzterer mehr journalistische Standards beherrschte als die Kolleg*innen von Strg_F.

Orientierung finden?
In neuerer Zeit gesellt sich ein immer größeres und unübersichtlicheres Angebot dazu, wobei man vielleicht erst auf den zweiten Blick erkennt, dass Portale eine klare Agenda haben – die sie gleichzeitig im „Mainstream“ ablehnen – und aus bestimmten politischen Richtungen alimentiert werden. Da viele Menschen nach Bestätigung ihrer eigenen Meinung suchen, bemerken sie Herkunft oder Ausrichtung so mancher Portale vielleicht spät oder gar nicht. Ein Beispiel liefert EpochTimes, das als journalistisches Medium erscheint, aber zur Falun Gong-Sekte gehört und aktivistisch gegen die chinesische Regierung publiziert. Wobei sich gerade hier ein Anknüpfungspunkt an den „Mainstream“ bietet, weil die großen Medien nicht selten nach dem He-said-she-said Prinzip publizieren und die neue strategische Ausrichtung von USA und NATO verlautbaren. Dennoch gibt es – wenn auch selten zur Primetime – immer wieder kritische Hintergrundberichte, Features oder Magazinsendungen in diesem Mainstream, die allerdings nicht den Nachrichtenfluss tangieren.

Da zunehmend übers Internet distribuiert wird, besteht die Gefahr, dass sich gerade kleine, engagierte, aber wenig gut ausgestattete kritische Stimmen im Haifischbecken algorithmisch gesteuerter Kommunikation verlieren oder radikalisieren. Allerdings kann man den gut ausgestatteten Redaktionen auch nicht bescheinigen, dass sie ihre vergleichsweise stabile Ausstattung für ruhigen und besonnenen Journalismus nutzten. Eher ließe sich Sattheit konstatieren, die vielleicht erklärt, warum nicht wenige auf dem PR-Auge blind sind.

So fehlte es nicht nur an medienpolitischem Weitblick, als etwa KenFM bekämpft wurde, weil man vielleicht einen unbequemen Konkurrenten loswerden wollte. Dabei half jedoch eine Stelle gelenkter Kommunikation, die den gefeierten und bepreisten Podcast „What the Fuck happened to Ken Jebsen?“ beriet: die East StratCom Task Force in Person ihres Pressesprechers Lutz Güllner, der immer wieder in angesehenen Medien als „EU-Experte für Desinformation“ auftritt. Dabei leitet er die Stabsstelle für strategische Kommunikation von EU (auswärtigem Dienst) und NATO (sic!) zur Bekämpfung russischer Desinformation – ohne diese allerdings zu definieren. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt…, denn wir sind ja die Guten, im besten Sinne Arthur Ponsonbys. Auch hier gilt, deshalb nicht zu idealisieren: Ken Jebsen ist in die "Klimaleugner"-Szene abgedriftet; ein klassisches Beispiel dafür, dass das DAGEGEN-Konzept als Methode zur Sachklärung und für einen anderen Journalismus nicht ausreicht.

Wie kompetent sind die Medien als Vierte Gewalt?
Da jedoch nicht einmal die genannte EU-NATO-PR-Stelle als das erkannt wird, was sie ist, darf man Zweifel hegen an der Kompetenz unserer Medien, als Vierte Gewalt zu agieren. Umso schärfer dürften die Angriffe auf Outsider werden, weil man sich zu gerne als einzigen Hort des wahren Journalismus imaginiert – anstatt hier das Beste von allem zusammenzutragen und sich zu überlegen, wie man wichtige Inhalte für möglichst alle Bürger*innen sichtbar macht. Immerhin werden Nichtjournalist*innen, wie der Betreiber von Frag-den-Staat, medial unterstützt bei grotesken Angriffen auf die Publikationsfreiheit, die zuletzt die Aktivist*innen-Gruppe um Arne Semsrott dazu veranlasste, ein gedrucktes Produkt herauszubringen (Anm. d. Red: Es ging um die Strafverfolgung der Letzten Generation), um die Vorteile der Pressefreiheit zu genießen und sich so staatlicher Verfolgung zu entziehen. Und in Londons Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh sitzt das Abschreckungsbeispiel einer staatskritischen Publizistik: Wikileaks-Gründer Julian Assange, dessen Repression im Schauprozess um die Veröffentlichung von Kriegsverbrechen, die natürlich Staatsgeheimnisse hätten bleiben sollen, zeigt, wo die Reise hingeht, wenn nicht bedingungslos Medien- und Meinungsfreiheit verteidigt wird. Und dazu gehört auch die Finanzierung von Journalismus; eventuell wäre im demokratietheoretischen Sinne über ein öffentlich-rechtliches Internet nachzudenken.

Wieviel Fragmentierung kann sich der Diskursraum leisten?
An dieser Stelle müssen wir uns nämlich eine grundsätzliche demokratietheoretische Frage stellen: Wieviel Fragmentierung kann sich der Diskursraum leisten? Wann ist der Austausch von Fakten und Meinungen, auf deren Basis Gesellschaften zu konstruktivem Streit und bestenfalls einem Konsens finden sollten, in einem Raum geboten, in dem möglichst alle von den Fragestellungen erreicht werden, in die sie konstruktiv und dialogisch eingebunden sind. Wie schafft man es dann, jenseits einer False Balance den Diskursraum möglichst breit zu halten, damit Sachklärung stattfinden kann. Eine Grundvoraussetzung ist neben den Ausstattungsfragen das Einbeziehen von PR-Strategien in die journalistische Ausbildung – um sie zu erkennen, um gezielt zu recherchieren, wann und von wem zum Beispiel eine Studie finanziert und lanciert wurde, um Redeanlässe zu schaffen und eine eigene Agenda zu setzen. Neben einem Schulfach Medienbildung, das neben der Förderung von Media Literacy auch den Journalismus besser machen würde, gehören die Grundprinzipien der Aufklärung wieder auf die Tagesordnung, die mit Machtanalysen und Strukturfragen einhergehen und nicht an einzelnen kleinen Missständen kleben bleiben, die im Sinne mächtiger Interessen gezielt strategisch kommuniziert werden können.

Eine Werbebotschaft versucht sich immer als journalistisches Produkt zu tarnen, denn die Mediennutzenden vertrauen „journalistisch geprüften Inhalten“ eher als klar erkennbaren PR-Botschaften. Deshalb sind Medienmachende immer die Hauptzielgruppe strategischer Kommunikation von Think Tanks und Regierungen.

Gerade angesichts der Diskurswende in den letzten Jahren hin zu einem Kriegs(dis)kurs, der Sicherheit mit Abschreckung verwechselt und Kooperation mit Vertrauensbildung gar nicht mehr denken will, können wir uns keinen Verlautbarungsjournalismus mehr leisten, sondern benötigen Medien als Vierte Gewalt mehr denn je.

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Prof. Dr. Sabine Schiffer ist Sprach- und Medienwissenschaftlerin, gründete 2005 das Institut für Medienverantwortung und forscht an der Schnittstelle zwischen Vierter (Journalismus) und Fünfter Gewalt (PR und Lobbyismus), 2013 wirkte sie an der Gründung der Initiative Publikumsrat mit, die sich für eine Reform der öffentlich-rechtlichen Medien einsetzt. Sie lehrt an der Hochschule für Medien Kommunikation und Wirtschaft im Fachbereich Journalismus und Kommunikation.