Übernatürliche Hoffnung

von Ulrike Gramann

Vierstellig ist die Zahl der Bundeswehrsoldaten, die seit Gründung der Bundeswehr im Dienst ums Leben kamen, bis 2008 rund 3.000. Sie starben im „normalen Dienst“, oft bei Unfällen oder dem Hantieren mit Munition. Öffentliches Thema war ihr Tod früher selten, sieht man von wenigen spektakulären Fällen ab. 1993 änderte sich das: Ein Bundeswehrsoldat wurde unter nie ganz geklärten Umständen in Kambodscha erschossen, der erste Tote „im Einsatz“. Sein Tod war der Vorbote einer wiederholt aufflackernden, jedoch nie von der Ursache her geführten Diskussion über den Tod von Bundeswehrsoldaten in Auslands(kriegs)einsätzen.

Heute zeigt der Tod von Bundeswehrsoldaten, besonders wenn sie in Afghanistan Sprengstoffanschlägen und neuerdings Gefechten zum Opfer fallen, dass die militärgestützte Politik auch das Leben deutscher StaatsbürgerInnen ins Feld führt. Findet die Mehrheit der Deutschen das richtig? Antwort: unbekannt. Bekannt hingegen ist: Die Ablehnung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr steigt. In der am 26. Mai 2010 in der FAZ veröffentlichten Allensbach-Umfrage bezeichnen es 59 Prozent der Befragten rückblickend als „Fehler, sich an der Schutztruppe in Afghanistan zu beteiligen“. Auf diese keineswegs neue Skepsis antwortet die Bundesregierung nicht. In der vermutlich richtigen Annahme, dass die Skepsis auch mit dem Soldatentod zu tun hat, wird die Öffentlichkeit mit Schweigen, Floskeln und Pathos abgespeist.

„Nichts in der Welt macht hilf- und sprachloser als der Tod“, begann Verteidigungsminister zu Guttenberg im Liebfrauenmünster in Ingolstadt am 24. April seine Rede bei der Trauerfeier für vier Bundeswehrsoldaten. Als Privatperson stünde es ihm nicht zu, Worte zum Tod von vier im Gefecht getöteten Soldaten zu finden, wohl aber als Amtsperson: „... da ich durch mein Amt persönlich, als Verteidigungsminister, als Regierungsmitglied und Parlamentarier, Verantwortung für Ihre Trauer trage.“ Letzteres stimmt, ersteres nicht. Sicher, Außenstehende haben das Leid von Hinterbliebenen nicht zu bewerten. Zum Tod vom Parlament entsandter Soldaten können jedoch alle sich äußern – nicht weil sie Minister, sondern Mitmenschen sind. Der Tod von Soldaten zwingt niemanden zum Schweigen, auch wenn Politiker dies gern so hätten.

Wie interpretieren die Entsender von Soldaten im Jahre des Herrn 2010 deren gewaltsamen Tod? Zu Guttenberg in der zitierten Rede: „Und wenn es diesen Gott unseres christlich geprägten Europas gibt, woran ich fest glaube, dann werden sie, diese vier tapferen Männer, bei dem Vater aufgehoben sein, dessen Sohn sein Leben gab für das Leben der Menschen auf dieser Welt.“ Ein durch und durch religiöser Satz, in dem kaum zufällig „unser christlich geprägtes Europa“ beschworen wird, schließlich ereignete sich der Soldatentod im islamisch geprägten Afghanistan. Und der Gott, an den zu Guttenberg so fest glaubt, wird im selben Satz in die Pflicht genommen, die Toten „bei sich aufzuheben“. Der Minister versäumt dabei nicht, den Tod Jesu „für das Leben der Menschen auf dieser Welt“ zu erwähnen. Möchte er etwa eine Parallele zu den Soldaten ziehen? Erklärte er doch zuvor, sie seien für das Leben gestorben, nämlich um „das Leben unserer geborenen wie ungeborenen Kinder, unserer Familien zu schützen“. Manche Christen verstehen solche Rede als Missbrauch des Glaubens.

Religiöse Rede ersetzt demokratischen Dialog. Architektur gewordener Ausdruck dieses von zu Guttenberg nicht erfundenen Prinzips ist das Bundeswehr-Ehrenmal im Berliner Sitz des Verteidigungsministeriums. Der Architekt Andreas Meck schrieb programmatisch: „Beim Verlassen des Raumes geht der Besucher auf eine goldschimmernde Wand zu - Gold steht für das Übernatürliche und die daraus resultierende ‚Hoffnung’ in allen Kulturen. ‚Den Toten unserer Bundeswehr. Für Frieden, Recht und Freiheit.’ Diese Inschrift dient (...) den Angehörigen zur Hoffnung.“ Mecks Interpretation, die von der Bundeswehr übernommen wurde, verweist ebenfalls auf Jenseitiges und vermischt es mit den diesseitigen Werten der Demokratie: Frieden, Recht und Freiheit. Der damalige Verteidigungsminister Jung nannte es bei der „Einweihung“ des Ehrenmals „patriotische Pflicht“, der Gefallenen in Würde zu gedenken. Von einer demokratischen Pflicht, zu fragen, für welche Ziele und Interessen sie gestorben seien und ob dies in Zukunft weiter so gehen soll, sprach er nicht.

Aus der rhetorischen Rolle fiel lediglich Bundespräsident Köhler, als er ausplauderte, dass Militäreinsätze auch der Sicherung von Handelswegen dienen könnten. Er verlangte eine gesellschaftliche Debatte darüber. Die Äußerung, die auf den verteidigungspolitischen Richtlinien sowie dem Weißbuch der Bundeswehr fußte, hätte tatsächlich die überfällige Diskussion anstoßen können. Mit seinem Rücktritt erreichte Köhler, dass diese wieder einmal im Keim erstickte. Aber zuletzt sind es nicht rhetorisch geschulte PolitikerInnen, sondern Fachleute, die das Wesentliche aussprechen. Brigadegeneral Hans-Christoph Ammon, Kommandeur des Kommandos Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr in Calw, stellte in einem Interview mit der Rheinischen Post online am 20. Mai fest: „Unsere Soldaten müssen regelmäßig töten. Darum herumzureden, erscheint mir verkehrt.“

Ausgabe

Rubrik

Schwerpunkt
Ulrike Gramann ist Journalistin und Mitarbeiterin der Arbeitsstelle Frieden und Abrüstung in Berlin.