Wittlich:

Umschlagplatz deutscher Waffen für die Türkei

von Thomas Kupczik
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"In Wittlich sollen Waffen für die Türkei verladen werden? Als ich das gerade im Radio hörte, wollte ich es nicht glauben", so ein Wittlicher Bürger, der spontan zu der Protestkundgebung der Arbeitsge­meischaft Frieden gegen Waffenexporte in die Türkei am Nachmittag des 13. Juni gekommen war. Auf diesen Überraschungseffekt hatte die Bundeswehr wohl gebaut und deshalb den abgelegenen Provinzbahn­hof für die Verladung von 143 Militärfahrzeugen und 40 Containern aus­gesucht. Es handelte sich dabei um Aufklärungsgerät aus dem Bun­deswehrdepot Kappel im Hunsrück, vor allem um sogenannte Aufklä­rungsdrohnen vom Typ CL 89 im Wert von geschätzten 17 Millionen Mark.

Als die Verladeaktion der Bundeswehr dann bekannt wurde und sich Demon­strantInnen anmeldeten, wurden die un­gefähr 50 Feldjäger, die den Zug mit Maschinenpistolen im Anschlag be­wachten, noch durch eine Hundertschaft Bundesgrenzschutz verstärkt. So stan­den 20 friedlichen DemonstrantInnen am Montagabend die siebenfache An­zahl von Sicherheitskräften gegenüber. Doch bereits auf dem Weg zum Bahn­hof Wittlich war der Bundeswehr-Kon­voi durch einige Rüstungsexportgegene­rInnen vom Versöhnungsbund und vom regionalen ökumenischen Netz mit einer halbstündigen Blockade auf der Bun­desstraße 49 bei Bengel aufgehalten worden.

Auf dem Bahnhof versuchte man dann konsequent, die kritische Öffentlichkeit fernzuhalten, indem behauptet wurde, daß die Bundeswehr das Hausrecht habe und deshalb den Zutritt zu den Bahn­steigen verwehren könne. Ferner wurde mit dieser Begründung das Fotografie­ren verboten. Man fühlte sich in den untergegangenen Ostblock versetzt, wo das Fotografieren von Bahnhöfen und Militärfahrzeugen auch strengstens ver­boten war! Um die lästigen Demon­strantInnen loszuwerden, wurden die mit Kriegsgerät beladenen Eisenbahn­waggons mit unbekanntem Ziel noch am Abend aus dem Bahnhof herausgefah­ren.

Dieses Vorgehen der Bundeswehr und des BGS zeigten deutlich, daß sich die Verantwortlichen sehr wohl bewusst wa­ren, daß Deutschland im schmutzigen Krieg der Türkei gegen die Kurden zur Kriegspartei geworden ist. Diese unan­genehme Wahrheit will man aber lieber gegenüber der deutschen Öffentlichkeit verschweigen. Diese Einschätzung wurde auch von DemonstrantInnen ge­teilt, die auf Transparenten den soforti­gen Stopp der Waffenlieferungen for­derten. Die Waffenlieferungen seien Beihilfe zum Völkermord am kurdi­schen Volk. In einem Redebeitrag be­tonte ein Vertreter der Arbeitsgemein­schaft Frieden: "Es ist ein Skandal, daß die deutsche Regierung Waffen an die Türkei liefert, obwohl seit langem be­kannt ist, daß das türkische Militär unter Missachtung elementarster Menschen­rechte einen brutalen Krieg gegen das kurdische Volk führt." Daß die deut­schen Waffen auch vom türkischen Mi­litär eingesetzt werden, hätten die Be­richte und Fotos der internationalen Be­obachterdelegationen vom März 1994 eindeutig belegt. Aber strategische In­teressen seien Außenminister Kinkel scheinbar wichtiger, als die Durchset­zung der Menschenrechte bei einem NATO-Bündnispartner.

Am Dienstagnachmittag hatten dann die Arbeitsgemeinschaft Frieden und die Aktion 3. Welt Saar gemeinsam zu einer weiteren Demonstration aufgerufen. Nach einer Auftaktkundgebung am Bahnhof zog ein Demonstrationszug durch die Wittlicher Innenstadt. Die In­formierung über die Verladung von Waffen für die Türkei auf dem Wittli­cher Bahnhof löste bei der Bevölkerung große Betroffenheit aus. Gertrud Selzer von der Aktion 3. Welt Saar beleuchtete in ihrem Redebeitrag die strategischen Interessen Deutschlands und der Türkei etwas genauer: "Die Türkei soll als Vorposten gegenüber den Staaten des Nahen Ostens, aber auch als `Aufpasser` für die neuen, moslemisch geprägten Staaten der ehemaligen UdSSR aufge­baut werden. Deshalb sind in den letzten Jahren Waffen für mehrere Milliarden Mark an die Türkei verschenkt worden. Die massive Verletzung der Menschen­rechte durch die türkische Regierung in Kurdistan interessiert die deutsche Re­gierung deshalb wenig." So seien in den letzten Jahren über 1.000 Dörfer vom türkischen Militär zerstört worden. Die BewohnerInnen seien getötet oder zur Flucht gezwungen worden. Das Militär wolle damit die Kurden aus ihrer Hei­matregion vertreiben, um so das "Kur­denproblem" zu lösen. Deutschland un­terstütze diese Strategie, indem es z.B. Flüchtlinge aus Kurdistan mit der Be­gründung abschiebt, die Westtürkei sei für sie sicher und damit eine "innerstaat­liche Fluchtalternativen". Während der Reise der Aktion 3. Welt Saar im März diesen Jahres nach Istan­bul habe man jedoch klare Gegenweise sammeln kön­nen. Die Kurden litten auch in der Westtürkei unter massiven Repressio­nen. Willkürliche Verhaftun­gen seien an der Tagesordnung. Mit der Aussage, "wer in die Türkei Waffen lie­fert und gleichzeitig Flüchtlinge ab­schiebt, fol­tert mit", kritisierte Gertrud Selzer zum Schluss noch einmal deutlich die Mittä­terschaft der deutschen Regie­rung an der Unterdrückung der Kurden in der Türkei.

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Thomas Kupczik ist in Trier bei der Arbeitsgemeinschaft Frieden aktiv.