UNO und NATO: Welche Sicherheit und für Wen?

von Hans C. von Sponeck

Der folgende Text sind Ausschnitte aus einem Vortrag, den der Beigeordnete  UNO Generalsekretär a. D. Hans von Sponeck vergangenen Dezember beim Kasseler Friedensratschlag gehalten hat.

Auf UNO Papier sieht die Welt gut aus
Im Juni 1945 wurde die UNO Charta von 51 Mitgliedsstaaten  unterschrieben. Wenige Jahre später entstanden die zwei großen Pakte für zivile, politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte und in der Zeit danach wichtige Konventionen über Folter, Genozid, Frauen- und Kinderrechte. Nach langen Verhandlungen einigten sich UNO Mitgliedstaaten Ende 2008 auf einen ersten Streubomben Vertrag, leider mit Einschränkungen, die von wenigen Staaten, unter ihnen auch Deutschland, gefordert wurden.

Die Existenz von umfangreichem internationalen Recht, zeigt, dass Regierungen in allen Teilen der Welt  wissen, was für die menschliche Sicherheit wichtig ist und was man schützen muss.

Internationales Recht ist seit 1945 immer wieder gebrochen worden. Grundrechte auf Nahrung, Gesundheit, Behausung, Bildung, Arbeit, Meinungsfreiheit bleiben für viele unerreichbar. Kriege wurden (und werden) geführt,  ohne Beachtung der UNO Charta, z.B. gegen Jugoslawien, den Irak und in Palästina. Es wird gefoltert, Genozid praktiziert, Waffenabkommen ignoriert, die Umwelt unersetzbarem Reichtums beraubt. Unkontrollierte Finanz-und Wirtschaftstransaktionen und Gier haben eine beispiellose Krise weltweiten Ausmaßes hervorgerufen. Pragmatismus blüht. Prinzipien werden an den Rand geschoben. Ethik ist ein Fremdwort geworden. Politisches Lügen nimmt zu. Die Schere zwischen Reich und Arm öffnet sich weiter. Die Lebens- und Überlebenschancen der Menschen sind noch ungleicher geworden. Mangelnder politische Wille,  sich für die Gemeinschaft der Mehrheit und nicht für das Wohlergehen Weniger einzusetzen und die daraus resultierende Nachlässigkeit gegenüber Recht und Gesetz sind  wichtige Ursachen. Die UNO hat es schwer, ihrem Auftrag gerecht zu werden.

Die Welt der 192 UNO Mitgliedstaaten ist an einer Weggabelung angelangt. Da ist der Weg, der in eine Welt führt, die sich  auf das Wohl der Gemeinschaft,  Konfliktabbau und  Frieden konzentriert, d. h. auf ein Leben in Würde und menschlicher Sicherheit und sozialem und wirtschaftlichen Fortschritt für alle Menschen, wo immer sie zu Hause sind – so wie die UNO Charter es vorsieht. Der andere Weg ist der, auf dem das „Große Spiel“ um Macht des 19. Jahrhunderts weitergespielt wird und  im 21. Jahrhundert dabei ist, das umfassendste und gefährlichste Unterfangen  zu werden, das je stattgefunden hat. Auf diesem Weg geht es angeblich um Demokratie, in Wahrheit aber um Macht, Kontrolle und Ausbeutung.  

Aus der Friedensdividende, die am Ende des Kalten Krieges  erwartet worden war, ist nie etwas geworden. Das Militärbudget aller UNO Mitgliedstaaten hat im Jahr 2007 mit $ 1.2 Billionen einen neuen Höchststand erreicht. Der Militärhaushalt der USA alleine beträgt  etwa 50 Prozent; auf die NATO Staaten entfallen 70 Prozent. Im gleichen Jahr beläuft sich die gesamte Entwicklungshilfe auf $103 Milliarden oder 8.3 Prozent des Betrags  für Militärausgaben!

Seit 1969 wird von den Vereinten Nationen erwartet, dass jährlich der kleine Betrag von 0.7 Prozent des BIP von den Industrieländern für Entwicklungshilfe zur Verfügung gestellt wird. Tatsächlich liegt der Beitrag für 2008 bei 0.3 Prozent. Diese extrem ungleichen Ausgaben für Verteidigung und Entwicklung zeigen, dass der gegenwärtige Schwerpunkt nicht auf der Verbesserung der menschlichen Sicherheit, der Sicherheit des Menschen im Sinne der UNO Millenium Entwicklungsziele sondern auf staatlicher Sicherheit liegt. Diejenigen, die einen solchen Vergleich als abwegig bezeichnen, wollen nicht verstehen, dass die Stärkung der persönlichen menschlichen Sicherheit einen entscheidenden Beitrag für weltweite Ursachenbehebung für Konflikte darstellt. Sie wollen nicht akzeptieren, dass  militärische Sicherheit durch Bündnisse und    Eigeninteressen von Staaten  internationale Konfliktursachen fördert und vertieft.

Eine Gegenüberstellung der Mandate von UNO und NATO zeigt deutlich, wie gegensätzlich die Zielsetzungen dieser beiden Einrichtungen sind. In den 63 Jahren  der Existenz der Vereinten Nationen ist der UNO Auftrag derselbe geblieben. Die UNO wurde geschaffen zur weltweiten Friedenserhaltung und Friedensförderung. Die NATO existiert, um Eigeninteressen für eine Staatengemeinschaft von 26 Ländern sicherzustellen. Ihr Auftrag, begründet im Washingtoner Abkommen von 1949, galt ursprünglich dem Verteidigungsschutz der Mitgliedstaaten. Am Ende des Kalten Krieges im Jahr 1989 schien dieser Auftrag erfüllt. Trotzdem wollen die Angehörigen der NATO dieses  westliche Bündnis beibehalten. Dies begründete die Suche nach einer neuen Rolle für die NATO.

Im Jahr 1999  wurde von der NATO bestätigt, dass sie sich durch ein neues strategisches Konzept  grundlegend neu verankern wollte. Aus einer eng gefassten militärischen Verteidigungsallianz sollte ein breit angelegtes Bündnis zum Schutz von lebenswichtigen Ressourcen für Mitgliedsländer werden. Neben Verteidigung der Grenzen von Mitgliedstaaten wurden Zugang zu Energiequellen, das Recht zum Eingreifen bei „Bewegungen von großen Zahlen von Menschen“ und in  Konflikten weit entfernt von NATO Mitgliedsstaaten  erklärte neue Ziele. Die Bereitschaft, weitere Staaten aufzunehmen, besonders solche, die zur UdSSR gehört hatten, zeigt, wie  der Charakter dieser Militärallianz sich geändert hatte. 

Wer dem Frieden und dem Abbau von Konflikten  dienen will, muss den holprigen multilateralen Weg der UNO einschlagen, und den geebneten Weg der NATO Allianz meiden. Wie es der kanadische Außenminister Lloyd Axworthy 1998 im UNO Sicherheitsrat gesagt hat: Wir müssen unseren Weg zu einem Multilateralismus finden, der „zum Nutzen der  Weltgemeinschaft und nicht zum Eigennutz Weniger“ existiert. Der Weg dorthin wird ein langer sein, denn einen uneigennützigen Multilateralismus hat es bisher nicht gegeben.  

Ab 1994 begann die UNO den Begriff der ‚Menschlichen Sicherheit’ zu benutzen. Damit wollte sie unterstreichen wie wichtig  die Umsetzung der Menschenrechte in das  tägliche Leben einzelner Menschen – Befreiung von Angst und Befreiung von Leid – ist. Erstmalig in der Geschichte der UNO sind im Jahr 2000  Entwicklungsziele quantifiziert worden. Das ist ein echter Fortschritt für die Stärkung der menschlichen Sicherheit.  Acht sog. Millenium Entwicklungsziele für Armutsbekämpfung, Kinder- und Müttersterblichkeit, Grundschulzugang, usw.  sollen in der Zeit 2000-2015 erreicht werden.

Die Vereinten Nationen wollen damit deutlich machen, dass es neben staats-bezogener (militärischer) Sicherheit  auch eine Menschen-bezogene Sicherheit  gibt. Verfechter der Staatssicherheit, wie zum Beispiel Regierungen, deren Ziel  die militärische Sicherheit durch Stärkung von Allianzen wie der NATO ist,  wissen dies. Sie sprechen offen von ‚militärischem Humanismus’. Sie wollen ihre Interessen legitimieren.  Dazu gehört auch ihre Auslegung des  neuen Konzepts der ‚Verantwortung zu schützen’  ( the ‚responsibility to protect’).[i] Dies ist eine Täuschung, denn es geht hier darum, eigene Interessen zu wahren und nicht darum, außenstehende Unschuldige zu schützen. Wäre dies der Fall, sähe es in Afghanistan, Dafur, Gaza, Goma, Somalia und Zimbabwe anders aus.

In allen Bereichen der  menschlichen Sicherheit gibt es Fortschritte. Dennoch bleibt es unwahrscheinlich, dass diese Ziele bis 2015 Wirklichkeit werden. Ein Betrag von $135 Milliarden wird für die Erreichung der Entwicklungsziele für die verbleibende Zeit von 2009-2015 gebraucht werden. Dies sind $ 22.5 Milliarden pro Jahr.  Wer behauptet, dass dies viel Geld ist, weiß wahrscheinlich nicht, dass die USA pro Jahr $180 Milliarden  für ihre Truppeneinsätze im Irak und Afghanistan ausgeben oder dass die von der Wirtschafts- und Finanzkrise betroffenen Länder innerhalb weniger Wochen etwa $ 3 Billionen (!) u. a. für die Rettung von missbrauchten und reformbedürftigen Einrichtungen in ihren Ländern  bereitgestellt haben.

Der Erfolg der UNO Millenium Entwicklungsziele ist keine Frage des Geldes, selbst in diesen wirtschaftlich kritischen Zeiten nicht. Fortschritt für erhöhte menschliche Sicherheit braucht politischen Willen für die  Umsetzung. In den letzten Jahrzehnten der internationalen Diskussion über Finanzierung internationaler Zusammenarbeit ist immer wieder darauf hingewiesen worden, dass es leicht möglich wäre, innovative Finanzierungsalternativen einzuführen (12). Entsprechende Vorschläge  werden  ignoriert oder zurückgewiesen. Manche Regierungen fürchten, dass damit die Unabhängigkeit internationaler Einrichtungen, wie der UNO, zu groß würde.

Wer im 21. Jahrhundert in Frieden leben will, wird keine Schwierigkeiten  der Wahl des Weges haben. Der Zugang zu diesem Weg ist offen. Der UNO Grundsatz, dass die Schwerter in Flugscharen umgewandelt werden sollen und nicht umgekehrt Pflugscharen zu Schwertern werden, bleibt die Basis für menschlichen Fortschritt und Sicherheit.

 

Anmerkungen
[i] Dieses Konzept ist erwähnt in dem UNO Dokument „2005 World Summit Outcome“ (A/60/L.1 – 15. September 2005), para 138 und 139, siehe auch para 79). Die UNO Generalversammlung drückt in diesem Dokument deutlich aus, dass nur der UNO Sicherheitsrat das Recht hat mit Hilfe von Kapitel VII der UNO Charta, auch mit Gewalt Bevölkerungen gegen Genozid, Kriegsverbrechen, ethnische Säuberungen und Verbrechen gegen die Menschheit zu schützen.

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