UNPROFOR- Der "UNO-Witz"?

von Christine Schweitzer
Hintergrund
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Nicht erst seit Butros Ghali beim Besuch in Sarajevo ausgebuht wurde, ist bekannt, daß die UNO-Blauhelmtruppe UNPROFOR in Bosnien-Her­zegowina und Kroatien nicht ausschließlich auf Zuneigung stößt. Der Hauptgrund hierfür ist sicherlich, daß man sich von der UNO "mehr", sprich eine militärische Intervention, erhofft hatte. "Lebensmittel sind gut, Waffen sind besser", nach diesem Motto wird die Bedeutung des humanitären Einsatzes von vielen Menschen heruntergespielt. Daß die UNO-Soldaten kein Mandat haben einzugreifen, selbst wenn vor ihren Augen Menschenrechtsverletzungen geschehen, etwa im Rahmen der "ethnischen Säuberung" Menschen aus ihren Häusern vertrieben wer­den, erhöhte ihr Prestige nicht gerade. Aus UNPROFOR machten spitze Zungen bald UNPROFOL, was übersetzt der "UNPRO-Witz" bedeutet.

Aber sind es nur militaristische Gründe, nur der Wunsch nach effektiver militäri­scher Unterstützung, der aus UNPRO­FOR UNPROFOL werden ließ? Wer sich in Ex-Jugoslawien aufhält, be­kommt schnell genügend Geschichten über die Blauhelmtruppen zu hören, die es lohnenswert machen würden, ihr Treiben einmal systematisch unter die Lupe zu nehmen:

* In den Berichten über die Massenver­gewaltigungen an moslemischen Frauen wird immer wieder behauptet, daß UNO-Soldaten die Frauenlager oder Ge­fängnisse, "Bordellos" genannt, aufsu­chen und sich an den Vergewaltigungen beteiligen würden. Es gibt bislang kei­nen Nachweis hierfür.

* Nicht nur in Kroatien und Bosnien, sondern auch in Serbien wird immer wieder erzählt, daß UNO-Soldaten be­stechlich seien und daß sie sogar Ausrü­stungsgegenstände (Waffen?) verkaufen würden. Auch hierfür ist uns bislang kein Beweis bekannt.

* Die Transportflugzeuge, die für die Luftbrücke nach Sarajevo genutzt wer­den, verlassen die Stadt leer. Die bosni­sche Regierung will nicht, daß die Be­völkerung aus der Stadt flüchtet. Aber die UNO hat auch keine Anstrengungen unternommen, sie vom Gegenteil zu überzeugen. Dagegen gibt es belegbare Berichte von Menschen aus Sarajevo, die alle erforderlichen Papiere besaßen, die Stadt verlassen zu dürfen, und denen von dem örtlichen UNO-Hauptquartier gesagt wurde, daß die UNO kein Reise­büro sei und sich zunächst einmal wei­gerte, sie mitzunehmen.

* Nur der persönlichen Intervention von Butros Ghali ist zu verdanken, daß ein schwerverletztes Kind, das medizinische Behandlung im Ausland benötigte, nach Wochen andauernder Verhandlungen von den UN-Flugzeugen mitgenommen werden durfte.

* Ein Erlebnis aus eigener Anschauung, das gut das Leben von 500 Menschen hätte kosten können: Als die zehn Busse, mit denen die TeilnehmerInnen des Solidaritätsbesuches in Sarajevo (s. Bericht in diesem Heft) im Dezember gegen 18 h nach Sarajevo hineinfahren wollten, hatte der UN-Checkpoint, der von französischen Soldaten besetzt ist, "für den Tag schon geschlossen" (obwohl sie von unserem Kommen un­terrichtet waren) und eine Barrikade aus Eisenkreuzen zurückgelassen. Die Busse mußten anhalten und das Füh­rungsfahrzeug die Kreuze von Hand be­seitigen. Dies geschah auf einem Stück Straße, das hundert Meter von serbi­schen Truppen entfernt ist und das mensch gewöhnlich nur in Höchstge­wchwindigkeit durchfährt, während alle BeifahrerInnen auf dem Boden des Fahrzeugs Schutz vor Heckenschützen suchen.

* Journalisten von ITN, die die briti­schen Truppen in der Region um Sara­jevo herum begleiten, sagten, daß letz­tere 'ganz heiß auf Kämpfe' seien. Sie würden öfters einfach in den Wald fah­ren und darauf hoffen, daß sie jemand angreife.

* Die Wohnungsmieten in Zagreb sind im letzten Jahr auf deutsches Durch­schnittniveau gestiegen. Der Grund sind die vielen UN-Offiziere, die Wohnraum anmieteten. Aber welcheR KroatIn kann sich eine Wohnung für 500 oder mehr Deutschmark leisten, wenn das Durch­schnittseinkommen dank der Inflation inzwischen ca 150 DM beträgt?

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Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.