"Unser Heer" in Ostdeutschland

von Peter Franz
Initiativen
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Früher schreckten geheimnisumwitterte Russenkasernen Neugierige ab - heute lädt "Unser Heer" zur Waffenshow. Eine kleine Lektion Frie­denskunde aus dem thüringischen Apolda.

Es ist Anfang September. Ein strahlen­der Bundessoldat, das Barett keck auf dem Ohr, lacht den Apoldaer Bürgern an allen Straßenecken vom Plakat ent­gegen. Verkehrsleitende Pfeile weisen den Autofahrern die Zufahrt zum empfohlenen Objekt der Begierde. (Diese PR-Aktion hat der kriegssteuer­pflichtige Bürger mit einem Tausender bezahlt.) Daß die Bundeswehrmacht "unser Heer" sei, möchte der glückliche Uniformmann dem staunenden Publi­kum offerieren. Einige Friedensbe­wegte, darunter Pastorinnen und Pasto­ren, beschließen, dem Heer, wenn schon nicht die Show zu stehlen, so doch we­nigstens ein kleines ärgerliches Frage­zeichen hinter seine Militärpropaganda zu setzen.

"Waffenshow 1995"

auch 1995 tourt die Bundeswehr wieder mit ihren Ausstellungen durch die Regionen. Als Service hier wieder, wie im letzten Jahr, die aktuellen Termine. Für alle Gruppen, die gerne den Besuch in ihrer Stadt kritisch begleiten möchten, halten wir im Büro ein Infopaket mit Aktionsbeipiel (wie auf dieser Seite aus Apolda) und Materialhinweisen bereit. Es kann gegen 5,- DM in Briefmarken für Porto und Kopierkosten angefordert werden:

Netzwerk Friedenskooperative, Römerstr. 88, 53111 Bonn, Tel.: 0228/692904, Fax: 0228/692906

Terminliste 1995 siehe rechte Spalte

Mittwoch, 21. September

Heute ist Eröffnung. Die Pastoren tref­fen sich mit einigen Jugendlichen vor dem Eingang zum "Circus Rühe" und stellen sich mit selbstgefertigten Plaka­ten um den Hals neben dem schon er­staunlich zu nennenden Strom der Neu­gierigen auf, die durch die Pforte zu ih­rer militärischen Weiterbildung schrei­ten. "Männer-Spiele" - "Wer töten will, muß hassen lernen" - "Keine Gewalt!" sind die Lösungen der Mädchen aus der Jungen Gemeinde. Die wachhabenden Feldjäger mit ihren roten Mützen und ihr Oberster geben uns zu verstehen, daß wir das Ausstellungsgelände nicht be­treten dürften mit unseren Plakaten. Aber wenn wir sie fein ablegten, dann wären wir willkommen. Wir lehnen dankend ab.

Bundeswehrausstellung 1995

 

Ausstellung "Unser Heer"

26.04.-30.04.     St. Ingbert-Rohrbach
            (Saarland)

03.05-07.05.      Bad Dürkheim
            (Rheinland Pfalz)

10.05.-14.05.     Speyer

17.05.-21.05.     Bad Kreuznach

14.06.-18.06.     Neustrelitz (MePom)

21.06.-25.06.     Greifswald

28.06.-02.07.     Stralsund

05.07.-09.07.     Güstrow

12.07.-16.07.     Wismar

20.09.-24.09.     Rastatt (BaWü)

27.09.-01.10.     Bretten

04.10-08.10.      Bad Mergentheim

 

Ausstellung "Unser Luftwaffe"

06.04.-09.04.     Friedrichshafen -
            Aero '95 (BaWü)

10.05.-14.05.     Fulda (Hessen)

17.05.-21.05.     Korbach

24.05.-28.05.     Grünberg

31.05.-05.06.     Weilburg

21.06.-25.06.     Meckenheim (NRW)

28.06.-02.07.     Neuss

05.07.-09.07.     Warburg

09.08.-13.08.     Weißenfels
            (Sachsen-Anhalt)

16.08.-20.08.     Querfurt

23.08.-27.08.     Dessau

30.08.-03.09.     Gardelegen

06.09.-10.09.     Salzwedel

 

Ausstellung "Unser Marine"

08.03.-15.03.     Messe "CEBIT"
      Hannover,
      Messegelände

04.03.-12.03.     "Frühjahrausstell."
      Kassel

27.04.-30.04.     Augsburg

05.05.-07.05.     Forchheim

18.05.-21.05.     Remscheid (NRW)

08.06.-11.06.     Füssen (Bayern)

15.06.-18.06.     Kempten (Bayern)

10.08.-13.08.     Altenburg
      (Thüringen)

17.08.-20.08.     Naunburg
      (Thüringen)

24.08.-27.08.     Eisenach
      (Thüringen)

16.08.-24.09.     "Interboot",
      Friedrichhafen
      (BaWü)

21.10.-29.09.     "Hanseboot",
      Hamburg

18.11.-26.11.     "Internationale
      Bootsausstellung",
      Berlin

Ein Reporter von der örtlichen Zeitung schießt einige Fotos, von denen wir am nächsten Tag eines in der Thüringer Allgemeinen Zeitung (TA) entdecken. Das Plakat, das ich trage, zeigt neben einem Linolschnitt nur das einfache bi­blische Gebot "Du sollst nicht töten". Ich suche Blickkontakt mit den Schau­lustigen. Manche gucken verschämt weg, andere schauen grimmig, einer zeigt uns einen Vogel.

Und dann hören wir sie drinnen über Mikrofon reden. Zuerst eine Männer­stimme, offenbar der einladende Kom­mandant, dann eine Frau. Ich erkenne Christine Lieberknecht, die thüringische Ministerin für Bundes- und Europaan­gelegenheiten, an ihrer Stimme. Satzfet­zen dringen an mein Ort: "Die Armee diente in der SED-Diktatur nur den Herrschenden, aber heute ... wollen wir die freiheitlich-demokratische Ordnung als wehrhafte Demokraten verteidigen ... Staatsbürger in Uniform sorgen für Frieden in Freiheit ... mit unserer Bun­deswehr nehmen wir auch weltweite Verantwortung wahr ... im Auftrag der UNO für Freiheit und Menschenrechte überall auf der Welt ...". Rauschender Beifall, dann wieder ein Marsch, flott gespielt von den schmucken Jungs des Heeresmusikkorps.

Als die Eröffnungsfeierlichkeit vorbei ist, müssen die Festgäste an uns vorbei, auch Ex-Pastorin Christine Lieberknecht mit ihrem Stab. "Finden Sie das schön, Frau Lieberknecht, daß diese jungen Männer hier das Tötungs­handwerk lernen?", fragt Pastorin Bar­bara Schlenker in ihrer frischen Direkt­heit die fromme Ministerin. "Aber sie lernen doch nicht töten, sondern sie tun ihren Dienst, damit nicht getötet werden darf!" - "Ja, diese Argumente kennen wir noch gut aus DDR-Zeiten", kontert die forsche Landpastorin ihrer inzwi­schen zu höchsten Ämtern aufgestiege­nen Kollegin.

"Tag, Christine", begrüße ich sie. "Erinnerst Du Dich noch, als wir 1987 den Friedensweg von Buchenwald nach Kapellendorf gingen?" (Damals war eine von der Christlichen Friedenskon­ferenz organisierte Demonstration zu­sammen mit sogenannten "unabhängigen Friedenskreisen" veran­staltet worden.) "Da warst Du auch mit dabei und hast für Frieden und Abrü­stung gesprochen! Und jetzt das?" Die Politikerin setzt ihr freundlichstes Ge­sicht auf. "Die Bundeswehr ist eine Ar­mee, die für unsere Sicherheit und also für den Frieden da ist, das ist ihr Auf­trag!" - "Aber sie soll doch jetzt in aller Welt eingesetzt werden - liegt da etwa unsere Sicherheit?" - "Da müssen wir wirklich mal ausführlich drüber reden. Ich komme gern mal zu einem Ge­spräch, aber jetzt habe ich leider keine Zeit", sagt sie mit einem Blick auf ihre Uhr. "Also dann: alles Gute!" Sie lächelt uns zu.

Samstag, 24. September

Heute stehe ich neben einigen "Grünen" und PDS-Leuten. Der uns inzwischen bekannte oberste Feldjäger empfängt uns in verändertem, auffallend schärfe­rem Ton als am Mittwoch. Wir dürfen den Eingangsvorplatz gar nicht erst be­treten, sondern müssen uns mit der ge­genüberliegenden Straßenseite begnü­gen, sonst - sein Finger weist vielsagend in Richtung Zufahrtsstraße. Kurz dar­auf fährt Polizei vor. Wir müssen unsere Personalien angeben, und eine Strafan­zeige wegen einer nichtgenehmigten Demonstration unter freiem Himmel wird uns angekündigt. Ich verweise auf die Grundrechte der öffentlichen Mei­nungsäußerung und der Versammlungs­freiheit, aber es hilft nichts. Im Absatz 2 des Artikels 8 Grundgesetz ist von Be­schränkungen die Rede. Immerhin, nehme ich mir vor, werde ich auf die öf­fentliche Ankündigung in der Tages­zeitung hinweisen, wenn die Staatsan­waltschaft wirklich Anklage erheben sollte.

Schließlich dürfen wir aber stehenblei­ben, weil "keine Gefahr für die öffentli­che Ordnung" zu erwarten sei. Still halten wir unsere Plakate nach oben oder beginnen Gespräche mit Besuchern der Ausstellung. Manche, die uns kennen, grüßen freundlich; aber auch feindselige Blicke und Bemerkun­gen sind nicht zu übersehen und auch nicht zu überhören.

Auf der anderen Straßenseite, also am Eingang zum Großwildgehege der Leo­parden und Panther, sehe ich ein Grüpp­chen Damen und Herren etwa mittleren Alters diskutieren. Einer zeigt mit gerötetem Gesicht zu uns herüber und macht eine wegwerfende Handbewe­gung. Ich höre, was für unsere Ohren bestimmt sein soll: "Also, wenn mir je­mand eine Pistole geben würde, die würde ich abknallen!" Eine ältere Frau, die ich unschwer als Mitglied der ehe­maligen Ost-CDU identifizieren kann (ich gehörte selbst einmal zu dieser Partei), schüttelt verächtlich den Kopf, als sie mich stehen sieht; dann läuft sie schweigend weiter. Eine andere Rentne­rin mit schlohweißem Haar macht es dagegen anders: Sie kommt freundlich auf uns zu, redet mit uns und stellt sich dann neben uns. Sie gehört zu den Akti­ven der hiesigen evangelischen Kir­chengemeinde. Kurze Zeit danach läuft auf der gegenüberliegenden Straßenseite eine weitere Rentnerin entlang, erblickt uns und schüttelt den Kopf, als sie "ihre" Pastorin" in der Gruppe der De­monstrierenden entdeckt. Die Pastorin geht auf sie zu und erklärt ihr, warum sie hier steht. Ich höre aus der Entfer­nung Worte wie: "Das ist nicht in Ord­nung, daß sich die Kirche in dieser Weise in der Öffentlichkeit darstellt, ich bin empört!"

Die Kirche und die CDU auf der einen Straßenseite - die Kirche und die CDU auf der anderen Straßenseite. Der Riß geht quer durch die gesellschaftliche Mitte und auch mitten durch die Kirche. Meine Frau - sie ist evangelische Chri­stenlehrerin - hat sich einen Papierhut aufgesetzt mit dem Foto aus der Zei­tung, die die Ausstellung angekündigt hatte: "Großwildschau der Bundes­wehr". Dazu hatte sie geschrieben: "Vorsicht! Lebensgefahr! Raubtiere!" Sie lädt vorbeikommende Kinder ein, sich selbst solch einen Hut zu basteln. Die meisten reagieren nicht, sind ängst­lich, verunsichert. Ihre Eltern oder Omas haben sie vor dem "Illegalen" gewarnt, das sich da mit den Demon­stranten ihren Blicken bietet. Die Groß­wildschau, das ist das Legale. Die Pro­testierer mit ihren selbstgemalten Pap­pen und Schildern sind das Illegale.

Ein Mann mittleren Alters geht an uns vorüber. Als er schon einige Meter an uns vorbei ist, dreht er sich um und fragt mißtrauisch: "Ihr seid wohl von der Kir­che?" Ich antworte für meine Person: "Ja." - "Ihr habt's nötig! 1938 habt Ihr noch die Waffen gesegnet für Führer, Volk und Vaterland - schämt Euch was!" Wir schämen uns wirklich. Meine Frau ruft ihm in sein bleiches, haßer­fülltes Gesicht hinein zu: "Das war auch nicht in Ordnung. Deshalb wollen wir es ja heute anders machen!" Der Mann wendet sich ab, etwas vor sich hinflu­chend, was wir nicht verstehen können.

Etwas später verlassen ältere Herren die Ausstellung, alte Kameraden darunter, die noch für Adolf marschiert sind. Ei­ner bleibt stehen und sagt zu seinem Nachbarn: "Die müßten sie mal ins Trommelfeuer schicken, da würden sie nicht so sinnlos hier 'rumstehen ..." Ich verstehe: Trommelfeuer hatte wenig­stens noch Sinn, aber für Abrüstung demonstrieren - das ist der Unsinn in Potenz. Ich sage zu ihm: "Genau des­halb stehen wir ja hier, damit's kein Trommelfeuer mehr gibt - nirgendwo auf der Welt, und hier auch nicht." - "Ach, alles Quatsch, geht doch nach Hause, Ihr Spinner, Ihr Arschgeigen!"

Natürlich gehen wir auch irgendwann. Der älteren Dame mit dem schlohwei­ßen Haar sind die Beine vom Stehen müde geworden. Der "grüne" Fotograf hat heute noch einen Auftrag zu erledi­gen. Der Kinderarzt von der PDS tritt in Kürze seinen Bereitschaftsdienst an. Die Christenlehrerin will sich noch auf einen Familiengottesdienst vorbereiten...

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Peter Franz ist Pfarrer in Kapellendorf, Thüringen