
Verlängerung bis Sonntag: Mehr als 1.300 Menschen haben unseren Ostermarsch-Aufruf, der in der taz, der Zeit und im Freitag erscheinen wird, bereits unterzeichnet. Bist du auch schon dabei?
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Früher schreckten geheimnisumwitterte Russenkasernen Neugierige ab - heute lädt "Unser Heer" zur Waffenshow. Eine kleine Lektion Friedenskunde aus dem thüringischen Apolda.
Es ist Anfang September. Ein strahlender Bundessoldat, das Barett keck auf dem Ohr, lacht den Apoldaer Bürgern an allen Straßenecken vom Plakat entgegen. Verkehrsleitende Pfeile weisen den Autofahrern die Zufahrt zum empfohlenen Objekt der Begierde. (Diese PR-Aktion hat der kriegssteuerpflichtige Bürger mit einem Tausender bezahlt.) Daß die Bundeswehrmacht "unser Heer" sei, möchte der glückliche Uniformmann dem staunenden Publikum offerieren. Einige Friedensbewegte, darunter Pastorinnen und Pastoren, beschließen, dem Heer, wenn schon nicht die Show zu stehlen, so doch wenigstens ein kleines ärgerliches Fragezeichen hinter seine Militärpropaganda zu setzen.
"Waffenshow 1995"
auch 1995 tourt die Bundeswehr wieder mit ihren Ausstellungen durch die Regionen. Als Service hier wieder, wie im letzten Jahr, die aktuellen Termine. Für alle Gruppen, die gerne den Besuch in ihrer Stadt kritisch begleiten möchten, halten wir im Büro ein Infopaket mit Aktionsbeipiel (wie auf dieser Seite aus Apolda) und Materialhinweisen bereit. Es kann gegen 5,- DM in Briefmarken für Porto und Kopierkosten angefordert werden:
Netzwerk Friedenskooperative, Römerstr. 88, 53111 Bonn, Tel.: 0228/692904, Fax: 0228/692906
Terminliste 1995 siehe rechte Spalte
Mittwoch, 21. September
Heute ist Eröffnung. Die Pastoren treffen sich mit einigen Jugendlichen vor dem Eingang zum "Circus Rühe" und stellen sich mit selbstgefertigten Plakaten um den Hals neben dem schon erstaunlich zu nennenden Strom der Neugierigen auf, die durch die Pforte zu ihrer militärischen Weiterbildung schreiten. "Männer-Spiele" - "Wer töten will, muß hassen lernen" - "Keine Gewalt!" sind die Lösungen der Mädchen aus der Jungen Gemeinde. Die wachhabenden Feldjäger mit ihren roten Mützen und ihr Oberster geben uns zu verstehen, daß wir das Ausstellungsgelände nicht betreten dürften mit unseren Plakaten. Aber wenn wir sie fein ablegten, dann wären wir willkommen. Wir lehnen dankend ab.
Bundeswehrausstellung 1995
Ausstellung "Unser Heer"
26.04.-30.04. St. Ingbert-Rohrbach
(Saarland)
03.05-07.05. Bad Dürkheim
(Rheinland Pfalz)
10.05.-14.05. Speyer
17.05.-21.05. Bad Kreuznach
14.06.-18.06. Neustrelitz (MePom)
21.06.-25.06. Greifswald
28.06.-02.07. Stralsund
05.07.-09.07. Güstrow
12.07.-16.07. Wismar
20.09.-24.09. Rastatt (BaWü)
27.09.-01.10. Bretten
04.10-08.10. Bad Mergentheim
Ausstellung "Unser Luftwaffe"
06.04.-09.04. Friedrichshafen -
Aero '95 (BaWü)
10.05.-14.05. Fulda (Hessen)
17.05.-21.05. Korbach
24.05.-28.05. Grünberg
31.05.-05.06. Weilburg
21.06.-25.06. Meckenheim (NRW)
28.06.-02.07. Neuss
05.07.-09.07. Warburg
09.08.-13.08. Weißenfels
(Sachsen-Anhalt)
16.08.-20.08. Querfurt
23.08.-27.08. Dessau
30.08.-03.09. Gardelegen
06.09.-10.09. Salzwedel
Ausstellung "Unser Marine"
08.03.-15.03. Messe "CEBIT"
Hannover,
Messegelände
04.03.-12.03. "Frühjahrausstell."
Kassel
27.04.-30.04. Augsburg
05.05.-07.05. Forchheim
18.05.-21.05. Remscheid (NRW)
08.06.-11.06. Füssen (Bayern)
15.06.-18.06. Kempten (Bayern)
10.08.-13.08. Altenburg
(Thüringen)
17.08.-20.08. Naunburg
(Thüringen)
24.08.-27.08. Eisenach
(Thüringen)
16.08.-24.09. "Interboot",
Friedrichhafen
(BaWü)
21.10.-29.09. "Hanseboot",
Hamburg
18.11.-26.11. "Internationale
Bootsausstellung",
Berlin
Ein Reporter von der örtlichen Zeitung schießt einige Fotos, von denen wir am nächsten Tag eines in der Thüringer Allgemeinen Zeitung (TA) entdecken. Das Plakat, das ich trage, zeigt neben einem Linolschnitt nur das einfache biblische Gebot "Du sollst nicht töten". Ich suche Blickkontakt mit den Schaulustigen. Manche gucken verschämt weg, andere schauen grimmig, einer zeigt uns einen Vogel.
Und dann hören wir sie drinnen über Mikrofon reden. Zuerst eine Männerstimme, offenbar der einladende Kommandant, dann eine Frau. Ich erkenne Christine Lieberknecht, die thüringische Ministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten, an ihrer Stimme. Satzfetzen dringen an mein Ort: "Die Armee diente in der SED-Diktatur nur den Herrschenden, aber heute ... wollen wir die freiheitlich-demokratische Ordnung als wehrhafte Demokraten verteidigen ... Staatsbürger in Uniform sorgen für Frieden in Freiheit ... mit unserer Bundeswehr nehmen wir auch weltweite Verantwortung wahr ... im Auftrag der UNO für Freiheit und Menschenrechte überall auf der Welt ...". Rauschender Beifall, dann wieder ein Marsch, flott gespielt von den schmucken Jungs des Heeresmusikkorps.
Als die Eröffnungsfeierlichkeit vorbei ist, müssen die Festgäste an uns vorbei, auch Ex-Pastorin Christine Lieberknecht mit ihrem Stab. "Finden Sie das schön, Frau Lieberknecht, daß diese jungen Männer hier das Tötungshandwerk lernen?", fragt Pastorin Barbara Schlenker in ihrer frischen Direktheit die fromme Ministerin. "Aber sie lernen doch nicht töten, sondern sie tun ihren Dienst, damit nicht getötet werden darf!" - "Ja, diese Argumente kennen wir noch gut aus DDR-Zeiten", kontert die forsche Landpastorin ihrer inzwischen zu höchsten Ämtern aufgestiegenen Kollegin.
"Tag, Christine", begrüße ich sie. "Erinnerst Du Dich noch, als wir 1987 den Friedensweg von Buchenwald nach Kapellendorf gingen?" (Damals war eine von der Christlichen Friedenskonferenz organisierte Demonstration zusammen mit sogenannten "unabhängigen Friedenskreisen" veranstaltet worden.) "Da warst Du auch mit dabei und hast für Frieden und Abrüstung gesprochen! Und jetzt das?" Die Politikerin setzt ihr freundlichstes Gesicht auf. "Die Bundeswehr ist eine Armee, die für unsere Sicherheit und also für den Frieden da ist, das ist ihr Auftrag!" - "Aber sie soll doch jetzt in aller Welt eingesetzt werden - liegt da etwa unsere Sicherheit?" - "Da müssen wir wirklich mal ausführlich drüber reden. Ich komme gern mal zu einem Gespräch, aber jetzt habe ich leider keine Zeit", sagt sie mit einem Blick auf ihre Uhr. "Also dann: alles Gute!" Sie lächelt uns zu.
Samstag, 24. September
Heute stehe ich neben einigen "Grünen" und PDS-Leuten. Der uns inzwischen bekannte oberste Feldjäger empfängt uns in verändertem, auffallend schärferem Ton als am Mittwoch. Wir dürfen den Eingangsvorplatz gar nicht erst betreten, sondern müssen uns mit der gegenüberliegenden Straßenseite begnügen, sonst - sein Finger weist vielsagend in Richtung Zufahrtsstraße. Kurz darauf fährt Polizei vor. Wir müssen unsere Personalien angeben, und eine Strafanzeige wegen einer nichtgenehmigten Demonstration unter freiem Himmel wird uns angekündigt. Ich verweise auf die Grundrechte der öffentlichen Meinungsäußerung und der Versammlungsfreiheit, aber es hilft nichts. Im Absatz 2 des Artikels 8 Grundgesetz ist von Beschränkungen die Rede. Immerhin, nehme ich mir vor, werde ich auf die öffentliche Ankündigung in der Tageszeitung hinweisen, wenn die Staatsanwaltschaft wirklich Anklage erheben sollte.
Schließlich dürfen wir aber stehenbleiben, weil "keine Gefahr für die öffentliche Ordnung" zu erwarten sei. Still halten wir unsere Plakate nach oben oder beginnen Gespräche mit Besuchern der Ausstellung. Manche, die uns kennen, grüßen freundlich; aber auch feindselige Blicke und Bemerkungen sind nicht zu übersehen und auch nicht zu überhören.
Auf der anderen Straßenseite, also am Eingang zum Großwildgehege der Leoparden und Panther, sehe ich ein Grüppchen Damen und Herren etwa mittleren Alters diskutieren. Einer zeigt mit gerötetem Gesicht zu uns herüber und macht eine wegwerfende Handbewegung. Ich höre, was für unsere Ohren bestimmt sein soll: "Also, wenn mir jemand eine Pistole geben würde, die würde ich abknallen!" Eine ältere Frau, die ich unschwer als Mitglied der ehemaligen Ost-CDU identifizieren kann (ich gehörte selbst einmal zu dieser Partei), schüttelt verächtlich den Kopf, als sie mich stehen sieht; dann läuft sie schweigend weiter. Eine andere Rentnerin mit schlohweißem Haar macht es dagegen anders: Sie kommt freundlich auf uns zu, redet mit uns und stellt sich dann neben uns. Sie gehört zu den Aktiven der hiesigen evangelischen Kirchengemeinde. Kurze Zeit danach läuft auf der gegenüberliegenden Straßenseite eine weitere Rentnerin entlang, erblickt uns und schüttelt den Kopf, als sie "ihre" Pastorin" in der Gruppe der Demonstrierenden entdeckt. Die Pastorin geht auf sie zu und erklärt ihr, warum sie hier steht. Ich höre aus der Entfernung Worte wie: "Das ist nicht in Ordnung, daß sich die Kirche in dieser Weise in der Öffentlichkeit darstellt, ich bin empört!"
Die Kirche und die CDU auf der einen Straßenseite - die Kirche und die CDU auf der anderen Straßenseite. Der Riß geht quer durch die gesellschaftliche Mitte und auch mitten durch die Kirche. Meine Frau - sie ist evangelische Christenlehrerin - hat sich einen Papierhut aufgesetzt mit dem Foto aus der Zeitung, die die Ausstellung angekündigt hatte: "Großwildschau der Bundeswehr". Dazu hatte sie geschrieben: "Vorsicht! Lebensgefahr! Raubtiere!" Sie lädt vorbeikommende Kinder ein, sich selbst solch einen Hut zu basteln. Die meisten reagieren nicht, sind ängstlich, verunsichert. Ihre Eltern oder Omas haben sie vor dem "Illegalen" gewarnt, das sich da mit den Demonstranten ihren Blicken bietet. Die Großwildschau, das ist das Legale. Die Protestierer mit ihren selbstgemalten Pappen und Schildern sind das Illegale.
Ein Mann mittleren Alters geht an uns vorüber. Als er schon einige Meter an uns vorbei ist, dreht er sich um und fragt mißtrauisch: "Ihr seid wohl von der Kirche?" Ich antworte für meine Person: "Ja." - "Ihr habt's nötig! 1938 habt Ihr noch die Waffen gesegnet für Führer, Volk und Vaterland - schämt Euch was!" Wir schämen uns wirklich. Meine Frau ruft ihm in sein bleiches, haßerfülltes Gesicht hinein zu: "Das war auch nicht in Ordnung. Deshalb wollen wir es ja heute anders machen!" Der Mann wendet sich ab, etwas vor sich hinfluchend, was wir nicht verstehen können.
Etwas später verlassen ältere Herren die Ausstellung, alte Kameraden darunter, die noch für Adolf marschiert sind. Einer bleibt stehen und sagt zu seinem Nachbarn: "Die müßten sie mal ins Trommelfeuer schicken, da würden sie nicht so sinnlos hier 'rumstehen ..." Ich verstehe: Trommelfeuer hatte wenigstens noch Sinn, aber für Abrüstung demonstrieren - das ist der Unsinn in Potenz. Ich sage zu ihm: "Genau deshalb stehen wir ja hier, damit's kein Trommelfeuer mehr gibt - nirgendwo auf der Welt, und hier auch nicht." - "Ach, alles Quatsch, geht doch nach Hause, Ihr Spinner, Ihr Arschgeigen!"
Natürlich gehen wir auch irgendwann. Der älteren Dame mit dem schlohweißen Haar sind die Beine vom Stehen müde geworden. Der "grüne" Fotograf hat heute noch einen Auftrag zu erledigen. Der Kinderarzt von der PDS tritt in Kürze seinen Bereitschaftsdienst an. Die Christenlehrerin will sich noch auf einen Familiengottesdienst vorbereiten...