Binsfelder Bauern wehren sich gegen Enteignung

"Unser Land kriegt das Militär nicht!"

von Wolfgang Bartels

Auf den ersten Blick erscheint alles ruhig heute morgen im Eifeldörfchen Bins­feld. Der Kirchturm, die Bau­ernhöfe, die Fachwerkhäuser - alles liegt verschla­fen im Dunst, durch den gerade die Sonne bricht. Nur ab und zu ist vom benach­barten US-Flugplatz Spangdahlem ein donnerndes Grollen zu hören, wenn sich wieder einmal eine "Phantom" oder eine "F 16" in den Himmel erhebt.

Doch auf dem Schulhof wird es jetzt langsam un­ruhig. Nach und nach treffen Leute ein: Bauern, die gerade vom Feld kommen, resolute Bauersfrauen, die gerade noch mit großen Milchkan­nen hantiert haben, Arbeiter, die noch eine Nebenerwerbsland­wirtschaft be­treiben. Sie sind nicht freiwillig hier, denn Arbeit hätten sie im Moment ge­nug. Sie sind auf das Gemeindebüro bestellt, das sich im Schul­gelände be­findet. In der Vorladung der Bezirksre­gierung Trier heißt es: "Die Bundesrepublik Deutschland hat die Durchführung von Enteignungs­verfahren zum Zwecke des Eigen­tumsentzuges Ihres Grundstücks be­antragt mit der Begründung, diese Flä­chen würden für Zwecke der Verteidi­gung (zur Erweiterung des Flugplatzes Spangdahlem in der Gemarkung Binsfeld) benötigt. Der Enteignungs­termin ist anberaumt. Sie werden hiermit zu diesem Termin geladen."

Enteignungsbehörde, die Bezirksregie­rung Trier, und Antragsteller, das Bundesvermögen­samt im Auftrag des Bundesverteidigungsministeri­ums, hatten sich die Sache wohl etwas einfa­cher vorgestellt. Auf drei Tage verteilt hatten sie die 28 betroffenen Grund­stückseigentümer nacheinander ge­laden, um sie einzeln abzufertigen. Doch zum ersten Termin erschienen sie geschlossen - und entschlos­sen, ihr Land nicht freiwillig herzugeben.

Enteignet werden soll zunächst 12,5 Hektar Ackerland; doch die US-Luft­waffe hat bereits für weitere 30 Hektar Interesse angemeldet. Den heute erschie­nenen Eifelbauern ist es ernst. Mit selbstgemalten Schildern besetzen sie den Verhand­lungssaal. Der Ver­treter der Bezirksregierung, Dr. Peter Klameth, will noch auf sein Hausrecht pochen und kann gerade noch verkün­den: "Ich bin die Enteignungsbe­hörde!" Auf den Protesttafeln muß er jedoch lesen: "Stopp dem militärischen Landfraß!" und "Wir protestieren ge­gen Erweiterung und Auf­rüstung!".

Zwei Stunden geht es dann drunter und drüber. Der Landwirt Rolf Faber hält den behördli­chen Herren vor: "Sie haben hier die Interessen des Volkes zu vertreten." Als Herr Dr. Klameth meint, den lauten Ton rügen zu müs­sen, wird Fa­bers Stimme noch etwas stärker: "Durch den Fluglärm sind wir schon aggressiv. Da müssen wir so­wieso schon lauter sprechen!" Jetzt sind die Fronten klar.

Die betroffenen Eigentümer haben sich in einer "Interessengemeinschaft gegen die Flugplatzerweite­rung" zu­sammengeschlossen. Sie setzen durch, daß die Interessengemeinschaft als Bevoll­mächtigte der Grundstückseigentümer anerkannt wird. Doch als sie verlangen, daß alle Fälle auf einmal und insgesamt verhandelt werden, kontert Dr. Klameth mit dem Hinweis, daß dies vom Gesetz nicht vorgesehen sei. Jeder Fall muß einzeln be­handelt werden. Karl Schneider, selbst von der Enteignung betroffen, ist als Sprecher der Interes­sengemeinschaft jedesmal dabei. Die Devise lautet: Keiner der Landwirte ist zu einem "freiwilligen" Verkauf bereit. Gegen alle wird das Enteignungs­verfahren eingeleitet.

Der verantwortliche Beamte des Bundesvermögen­samtes, das für das Bundesverteidugngsministerium die Enteignung betreibt, Regierungsdi­rektor Max Stumpf, versucht noch, Stimmung gegen die Land­wirte zu ma­chen: "Es gibt Anhaltspunkte, daß es den Eigentümern nur um mehr Geld für ihr Land geht." Auf die Frage nach einer Konkretisierung dieser Anhalts­punkte zuckt Stumpf nur die Schul­tern. Schon zuvor hatte die Bezirksregie­rung in einer Presseerklärung ähnliche Behauptungen aufgestellt. Das bringt die betroffenen Bauern richtig in Fahrt. Karl Schneider erklärt für alle: "Diese Behauptung ist eine durch nichts bewiesene Unterstellung, die wir entschieden zurückweisen. Uns geht es darum, die Erweiterung des Flugplat­zes Spangdahlem zu verhin­dern."

Karl Schneider macht darauf aufmerk­sam, daß die beanspruchten Flächen voll landwirtschaftlich ge­nutzt würden. In einem Fall handele es sich sogar um fast ein Drittel der Nutzfläche eines landwirt­schaftlichen Betriebes. Doch es gehe den Landwirten nicht nur um ihre Äcker. Karl Schneider schildert das Dorfleben am Flugplatzzaun: "Es geht uns auch um die Einengung un­seres Lebensraumes. In den letzten Jahren wurde der Flugplatz ständig erwei­tert. Inzwischen wird sogar eine dritte Startbahn gebaut. Ständig sind wir dem Lärm der startenden und lan­denden Flugzeuge ausgesetzt. Wir sind in Sorge angesichts der vielen Flug­zeugabstürze der letzten Zeit. Und nicht zuletzt müssen wir unmittel­bar am Zaun eines Atomwaffenlagers le­ben. Unsere Heimat ist zum waffen­starrenden Arsenal geworden."

Seit einigen Wochen steht auf den be­drohten Äckern ein sieben Meter ho­hes Kreuz. Eine Tafel ist an das Kreuz geschlagen: "Hier wird zum Wohl der Allgemeinheit enteignet." Schneider hatte ein einem alten Exemplar des Grundgesetzes geblättert und den Ar­tikel gefunden: "Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zu­lässig." Jetzt kann jeder Spaziergänger, der draußen am Kreuz vorbeikommt, darüber nachdenken, was wohl das "Wohl der Allgemeinheit" ist.

In einem Protestbrief an Bundesver­teidigungsminister Stoltenberg hatten die von der Enteignung betrof­fenen Landwirte schon im Frühjahr erklärt: "Wir wollen es nicht mehr hinnehmen, daß sich das Mi­litär ausbreitet wie ein Krebsgeschwür. Auf der po­litischen Ebene sind die Weichen endlich auf Abrü­stung gestellt. Die Mittelstrec­kenraketen sollen wie­der verschwin­den. Die Sowjetunion hat sogar mit dem einseitigen Abbau von Truppen begonnen. Warum muß bei uns weiter aufgerüstet werden?"

Auf diese Fragen erhielten die Bauern keine Ant­wort. Im Binsfelder Gemeindebüro fragt Fritz Ger­ten, der fast ein Drittel seines Landes verlieren soll, noch einmal: "Ist die Enteignung überhaupt noch notwendig? Was ist denn mit der Abrüstung?" Dr. Kla­meth antwortet kühl: "Sie brauchen sich von uns ja nicht überzeugen zu lassen, daß die Enteignung notwendig ist!" Nein, die Militärs brauchen tatsächlich nur das Land.

Für Karl Schneider sind die Enteig­nungstermine die drei schwersten Tage seines Lebens. Er selbst ist zum zweitenmal dran. Schon Anfang der fünfziger Jahre wurde er wegen des Flugplatzbaus enteignet. Jetzt hat ihn der Moloch wieder eingeholt. Karl Schneider bleibt in all diesen Stunden ruhig und bedächtig. Er bringt ein kleines Wunder fertig: Er hält die 28 Bauern zusammen. Keiner schert aus. Keiner unterschreibt den "freiwilligen" Verkauf. Kei­ner läßt sich mit Geld kö­dern. Alle wollen es auf den Zwang der Enteignung ankommen lassen - und gegen die Enteignung Rechtsmit­tel einlegen. Sie ha­ben sich bereits an Abgeordnete im Bundestag und im Landtag gewandt. Sie bekommen Un­terstützung von der Friedensbewegung in der Region. Die Binsfelder Bauern sind nicht allein in der Verteidi­gung ihres Lebensraumes.

Ruhig, aber fest und unbeirrt trägt Karl Schneider dem Enteignungskommissar die Resolution der Bins­felder Bauern vor: "Auch Wackersdorf wurden durch den entschiedenen Wi­derstand von Bürgern verhindert. Warum sollte gleiches nicht in Binsfeld möglich sein? Entscheidend ist nur, daß sich die Menschen der Eifel nicht mehr wie brave, aber auch dumme Schafe alles gefallen lassen."

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Hintergrund
Wolfgang Bartels ist Journalist und ar¬beitet aktiv in der Hunsrücker Frieden-bewegung mit.