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Eine Antwort an H.W. Wessler "Der Kongo und die Friedensbewegung"
Unterwerfung unter das neokoloniale Projekt?
vonIn unserem Beitrag "Kongo: Die Erosion des Völkerrechts geht weiter." (Friedensforum 4/2000) haben wir Wert darauf gelegt, die Problematik des Kongokrieges argumentativ anzugehen. Als Mitglieder von "Pax Christi" fühlen wir uns verpflichtet, eine Reihe von Positionen zu kritisieren, die im "Internationalen Kongo Appell" (IKA) vertreten werden. H.W. Wessler ist Mitinitiator dieses Appells, der u.a. auch von "Pax Christi" Deutschland unterzeichnet worden ist. Ohne sich der Auseinandersetzung mit unseren Argumenten zu stellen, hat H.W. Wessler uns in beleidigender Weise "Unredlichkeit" und unerträgliche Verharmlosung von Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Dies halten wir für absurd und weisen es entschieden zurück. Wir fordern H.W. Wessler auf, sich einer sachlichen Auseinandersetzung zu stellen und so wie wir, Herkunft und Quellen seiner Sichtweise kenntlich zu machen anstatt keine Gelegenheit auszulassen, die "Prominenten" vorzuführen, die den IKA unterschrieben haben. Wir lassen es uns nicht nehmen, selbst nachzudenken.
Inzwischen kommen aus den Reihen von Pax Christi kritische Stimmen, die die Auffassung vertreten, dass ein "erneutes Überdenken der mit dem Kongo-Appell erfolgten Positionierung von Pax Christi erforderlich" ist.
Es besteht kein Zweifel daran, dass jeder Tag, an dem der grausame Krieg im Kongo fortgesetzt wird, ein Tag zu viel ist. Nahezu 2 Millionen Menschen haben diesen Krieg bereits mit ihrem Leben bezahlt. Die schleichende Dezimierung der Bevölkerung, der z.B. angesichts wütender Epidemien selbst die einfachste medizinische Hilfe nicht gewährt werden kann, kommt der Weltöffentlichkeit kaum zu Gesicht.
Kein Recht, das Land zu verteidigen
Doch eine Simplifizierung, wie sie der IKA mit der Forderung nach einem "umfassenden Waffenembargo gegenüber allen kriegführenden Parteien" vornimmt, ist deshalb gefährlich, weil sie zunächst jedem plausibel erscheinen kann, der die konkrete Situation im Kongo zu wenig kennt. Mit Recht kann man fragen: Wäre nicht viel gewonnen, wenn dem kriminellen Treiben im weltweiten mafiosen Räderwerk des Waffenhandels ein Ende gesetzt würde? Geht es nicht darum, wesentliche Quellen auszutrocknen, die diesen Krieg speisen?
Aber diese vereinfachende Formel vom "umfassenden Waffenembargo" könnte Verfasser und Unterzeichner des IKA (gute Absichten seien ihnen unterstellt) in eine gefährliche Nähe zu jenen Kräften bringen, die das mühsam erbaute, aber inzwischen mehr und mehr versehrte Gebäude des Internationalen Rechts (Vgl. z.B. Kosovokrieg der NATO ohne UN-Mandat) zum endgültigen Einsturz bringen wollen, um dann (das Paradox wird vollends deutlich) die von einseitigen ökonomischen und hegemonialen Interessen geleitete militärische Superpower an seine Stelle zu setzen. (Vgl. NATO-Option des schnellen Eingreifens im Krisenfall, d.h. u.a. der Bedrohung des freien Zugriffs auf die für wichtig gehaltenen Rohstoffe auf globaler Ebene sowie die von Neuem ins Auge gefasste Aufrüstung für das Raketenabwehrsystem der USA).
Im Zusammenhang der Forderung nach dem "umfassenden Waffenembargo" im Kongokrieg heißt das konkret:
Der Regierung der Demokratischen Republik Kongo (DRK), die u.a. von der Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) und den USA offiziell anerkannt wurde, die sich aber zugleich als Übergangsregierung versteht und freie, allgemeine Wahlen anstrebt, wird angesichts
-einer von den westlichen Ländern gestützten militärischen Aggression durch Nachbarstaaten,
-der Besetzung von zwei Dritteln ihres Territoriums,
-der Ausplünderung ihrer Ressourcen,
-der wiederholten Austragung von Rivalitätskämpfen der Besatzer untereinander auf kongolesischem Territorium (um die Diamantenstadt Kisangani) und
-der fortwährenden schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung durch die Aggressoren
das durch Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen (VN) verbriefte Recht abgesprochen, das Land zu verteidigen und befreundete Staaten um Hilfe zu bitten.
Muss man zusätzlich daran erinnern, dass ein durch mehr als drei Jahrzehnte Mobutuherrschaft abgewirtschaftetes und ausgeblutetes Land zu einem Zeitpunkt gezielt mit Krieg überzogen wurde, als es sich nach zuverlässigen Zeugnissen aus der Bevölkerung im Laufe eines Jahres aus eigenen Kräften auf einen guten Weg gemacht und wieder Mut gefasst hatte?
Koloniales Denken?
Wenn aus NATO-Ländern, die sich nicht einmal mehr auf Verteidigung, sondern längst auf Angriffskriege (weltweit) orientiert haben, derartige Zumutungen an die Länder der südlichen Hemisphäre ergehen, so muss man sich fragen, ob nicht altes und neu aufgelegtes koloniales Denken die Ursache für das Messen mit zweierlei Maß ist. Wer unsere Sichtweise diesbezüglich unpassend findet, müsste sich fragen lassen, ob er denn zum Rollentausch BRD - DRK bereit wäre. Das hieße auf jeden Fall: Abschaffung der Interventionsarmee Bundeswehr, da wir uns in der zum Kongo vergleichsweise ungemein günstigen Situation befinden, dass die "Feinde", gegen die wir uns verteidigen müssten, weder einen Großteil unseres Landes besetzt halten, noch überhaupt irgendwo ausgemacht werden können.
Der Westen hat die Hand im Spiel
Als die NATO ihren völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Jugoslawien führte, reichte die Zustimmung bis hinein in Teile der Friedensbewegung, weil die Nato mit vorgeschobenen humanitären Gründen die eigentlichen strategischen Ziele des Krieges zu verdecken suchte. Die Lage in der DRK ist in der Frage des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges vergleichbar. Wie in Jugoslawien, so haben auch hier westliche Länder ihre Hand im Spiel. Die strategischen Interessen werden vor allem durch den Rohstoffreichtum des Landes geweckt. Die Nachbarländer Ruanda, Uganda und Burundi sind die offensichtlichen Aggressoren. Doch im Hintergrund stehen vor allem die USA und ihre Transnationalen (Vgl. Friedensforum 4/2000) und das traditionell in der Region engagierte Frankreich, während Belgien als ehemalige Kolonialmacht des Kongo sich zurückhält.
Mit Kriegsbeginn, am 2. August 98, haben zwei US-Kriegsschiffe von der Küste aus die Supervision der Kriegshandlungen beim Sturm auf Kinshasa, der Hauptstadt des Kongo, übernommen. (Le Soir. 20.09.98)
Bereits im März 98, als Präsident Clinton Ruanda besuchte, hat er praktisch grünes Licht für die künftigen "Abenteuer" Ruandas in der DRK gegeben: "Die Vereinigten Staaten sind auf Ihrer Seite." (Vgl. Stellungnahme zum IKA).
Manipulation der UNO-Gremien
Da die USA inzwischen auch die UN-Gremien weitgehend dominieren. (sofern diese nicht völlig umgangen oder ausgeschaltet werden) ist die Tatsache aufschlussreich, dass die Resolutionen 1234 vom 09.04.98 und 1304 vom 15.06.2000 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, in der die Aggression der DRK als Verstoß gegen das Völkerrecht verurteilt wird, keinen ultimativen Rückzugstermin und keinerlei Sanktionen (wie sie in der UN-Charta vorgesehen sind) gegen die Rechtsbrecher festlegen, trotz mehrmaliger Interventionen der DRK und selbst des UN-Generalsekretärs Kofi Annan. (Vgl. Friedensforum 4/2000).
Internationale Finanzinstitutionen als Helfershelfer des Krieges?
Die Strategie der Internationalen Finanzinstitutionen rundet das Bild ab. Auch hier ist der Einfluss vor allem der USA maßgeblich. Auch noch nach Kriegsbeginn und trotz überhöhter Rüstungsausgaben erhielten Ruanda und Uganda weiterhin finanzielle Hilfe vom Internationalen Währungsfond, der Weltbank und von der EU. Der DRK wurden zu diesem Zeitpunkt die ohnehin dürftigen Hilfen noch gestrichen. Dagegen erhielt Uganda vollen Schuldenerlass.
Verträge von Lusaka gegen UN-Resolutionen
Während all diese wichtigen Gesichtspunkte im IKA und in den Beiträgen von H.W. Wessler unberücksichtigt bleiben, wird die Erfüllung der Verträge von Lusaka dagegen mit Entschiedenheit gefordert. Dem Gundsatz "pacta sunt servanda" (Verträge sind einzuhalten) ist zuzustimmen. Doch ungerechte Verträge können nicht von Dauer sein. So bedürfen die Verträge von Lusaka eines genauen Hinsehens, bevor deutlich wird, dass auch sie das Völkerrecht manipulieren, um der Strategie der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten zu entsprechen:
1.Die Verträge relativieren die beiden grundlegenden Resolutionen des Sicherheitsrates 1234 und 1291, indem sie (unerfüllbare) Bedingungen setzen, bevor der Abzug der Besatzer vorgesehen ist.
2.Die Verträge widersprechen den genannten Resolutionen, indem sie Besatzer und Opfer als gleichberechtigte Vertragspartner auf eine Ebene stellen.
3.Die Verträge stellen die nach UN-Charta unabdingbare Rangordnung auf den Kopf, nach der die Vereinten Nationen
-für das zu Unrecht angegriffene und geplünderte Land Partei zu ergreifen
-Schadensersatzforderungen zu unterstützen bzw. zu legimitieren (Vgl. Entschädigung Kuweits durch den Irak) und
-gegebenenfalls wirksame Maßnahmen gegen die Aggressoren vorzusehen haben.
Respektierung des Völkerrechts: Eine konservative Position?
Wenn nun H.W. W. unser Insistieren auf Einhaltung des Völkerrechts als "konservative Position" bezeichnet, so fragt sich, welche seine "fortschrittliche" Position ist. Doch dazu schweigt er sich aus. Jedenfalls schließen wir aus seiner Behauptung, dass er das Völkerrecht nur unter gewissen Umständen gelten lassen will. Er müsste allerdings wissen, in welcher Gesellschaft er sich da befindet.
Völkerrechtsbruch verletzt auch Menschenrechte
Menschenrechtsverletzungen nimmt H.W. Wessler ohne den zugehörigen politischen Hintergrund wahr. Wenn wir es für notwendig halten, diese Abhängigkeit mitzubedenken, so heißt das noch lange nicht, Menschenrechtsverletzungen zu verharmlosen. Aber welcher Krieg hat je die Menschenrechtssituation verbessert? Somit ist zu fragen, warum er und der IKA nicht deutlich machen, dass die Hauptverantwortung für Menschenrecntsverletzungen bei denen liegt, die die DRK mit Krieg überzogen haben.
Für die Massaker an den ruandischen Hutu-Flüchtlingen in den östlichen Gebieten des Kongo vor der Machtübernahme durch Kabila hätte allerdings das Tutsi-beherrschte ruandische Kontingent der AFDL unter der Führung von Kagame, dem jetzigen Präsidenten von Ruanda, erst noch seine Unschuld zu beweisen. Davon entbindet auch nicht das Internationale Wohlwollen, das den ruandischen Tutsis seit dem schrecklichen Genozid durch die Hutus zuteil wurde. Welches Interesse könnte dagegen Kabila an solchen Massakern gehabt haben? (Vgl. Friedensforum 4/2000)
Ein Neokoloniales Projekt
Die gesammelten Tatsachen lassen u.E. nur den Schluss zu, dass die USA und ihre westlichen Verbündeten samt ihren Internationalen Gesellschaften in der DRK eine neokoloniale Strategie verfolgen, um den an wertvollen Rohstoffen so reichen Kongo, wie zu Mobutus Zeiten, in ihrer totalen Abhängigkeit zu halten. Die Bourgeoisie des Kongo hält sich bereit zum neuen, aber altbekannten kolonialen Deal zu Lasten der Mehrheit des Volkes. Das wäre die vom Westen gewünschte und daher mit allen Mitteln betriebene Lösung. Was den jetzigen Prasidenten Kabila betrifft, so können wir dem kongolesischen Volk getrost die Reife zutrauen, darüber zu entscheiden, ob er die richtige Person dafür ist, das Land zu führen.
Die Friedensbewegung ist somit vor die Entscheidung gestellt, ob sie Gerechtigkeit für die Mehrheit des kongolesischen Volkes einklagen oder dem neokolonialen Projekt ihre Unterstützung geben will. Es müssen die Voraussetzungen für ein freies Votum des gesamten kongolesischen Volkes geschaffen werden. Dabei wäre vor einer Einmischung nach dem Vorbild der "freien" Wahlen in Jugoslawien zu warnen. Diese "Freiheit" hat heute, wie jede andere Ware auch, den vom (polit-strategischen) Markt bestimmten Preis. Die Interessenten bezahlten bereitwillig: EU und BRD millionenschwer, die Supermacht allein 74 Millionen Dollar.
Wir verweisen noch einmal auf unseren Beitrag im Friedensforum 4/2000, S. 15.
Die ausführliche Stellungnahme zum Internationalen Kongo Appell von Alois und Maria Müller-Giebels liegt bei Pax Christi vor und kann angefordert werden: Pax Christi, Deutsches Sekretariat, Postfach 1345, 61103 Bad Vilbel