Verleihung des Aachener Friedenspreises

von Andreas Zumach

Wie immer am Antikriegstag, wurde auch in diesem Jahr der Aachener Friedenspreis am 1. September in der Aula Carolina in Aachen verliehen. Auch dieses Jahr gab es einen nationalen und einen internationalen Preis. Die nationale Auszeichnung ging an die "Initiative Ordensleute für den Frieden". Der internationale Friedenspreis ging an die israelische Palästinenserin Nabila Espanioly und den jüdischen Israeli Reuwen Moskovitz. (Red. IE)

Die Arbeit der Preisträger würdigte der Journalist Andreas Zumach, der u.a. Korrespondent für die "tageszeitung" ist, mit seiner hier gekürzten Laudatio:
"Als mich Gerhard Diefenbach Ende Mai einlud, diese Laudatio zu halten, war dies der ungünstigste Moment für eine solche Anfrage. Zum ersten Mal in den letzten 30 Jahren, seit ich mich als Aktivist und als Journalist für Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung engagiere, war mein grundlegender Lebensoptimismus ernsthaft erschüttert:

der völkerrechtswidrige Irakkrieg mit seinen - schon damals klar absehbaren - fatalen Auswirkungen nicht zuletzt auf den israelisch-palästinensischen Konflikt hatte stattgefunden - trotz aller guten Gegenargumente und weltweiten Proteste. Es war den beiden kriegsführenden Mächten gelungen, die eigene große Mitverantwortung für die Schaffung, die Aufrechterhaltung und die Aufrüstung der Diktatur Saddam Husseins seit Mitte der 70er Jahre zu unterschlagen und die - durchaus richtigen und wichtigen - Ziele einer Überwindung dieser Diktatur und der Durchsetzung der Menschenrechte im Irak propagandistisch zu missbrauchen als Begründung für einen Krieg, für den tatsächlich ganz andere Interessen ausschlaggebend waren. Das Völkerrecht und die UNO waren durch diesen Krieg stärker beschädigt als je zuvor seit 1945. Und schließlich hatten die ehemaligen Kriegsgegner im UNO-Sicherheitsrat - namentlich die rot-grüne Bundesregierung - nach Kriegsende Anfang Mai auf Opportunismus gegenüber der Bush-Administration umgeschaltet, anstatt den im Überlebensinteresse der ganzen Menschheit dringend erforderlichen Streit über die Präventivkriegs-Doktrin der USA weiter zu führen.

Dass ich in dieser Situation dennoch spontan meine Zusage für diese Laudatio gegeben habe, liegt an den diesjährigen Preisträgern, gemessen an deren Beharrlichkeit in widrigsten Umständen mir meine Depression über den Irak-Krieg schon fast wieder als Luxus erschien. Dazu kam, dass ich zumindest zwei der drei Preisträger bereits vor 21 Jahren persönlich kennen- und außerordentlich schätzen gelernt habe.

Im Januar/Februar 1982 war ich zum ersten Mal in meinem Leben in Israel - mit einer Mitarbeitergruppe der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste, in deren Westberliner Büro ich damals als friedenspolitischer Referent beschäftigt war. Unser Begleiter und sachkundiger Führer vor Ort war damals Reuven Moskovitz. (...) Ich war sehr beeindruckt. Und das obwohl ich damals seine Biographie noch gar nicht kannte: 1928 in dem Schtetl Frumsiaca im Norden Rumäniens geboren, überlebte er trotz Verfolgung und Vertreibung den Holocaust. 1947 wanderte Reuven Moskovitz in Palästina ein und wurde Mitbegründer des Kibbuz Misgav-Am an der libanesischen Grenze. Nach dem Studium der Geschichte und der hebräischen Literatur an den Universitäten in Jerusalem und Tel Aviv war er als Geschichtslehrer tätig. 1974 verbrachte er ein Forschungsjahr in Berlin, um seine Promotion zum Thema "Deutsche und Juden zwischen der Macht des Geistes und der Ohnmacht der Gewalt" zu schreiben - ein Thema, das knapp 30 Jahre später mindestens so aktuell ist, wie damals.

Seit fast vier Jahrzehnten gehört Reuven Moskovitz zu den unermüdlichen Warnern vor der Gefahr des eskalierenden Terrors und Gegenterrors im Nahen Osten. Nach dem Sechstagekrieg von 1967 wurde er Sekretär der neu entstandenen Bewegung "Für Frieden und Sicherheit", die sich gegen die Annexion der von israelischen Truppen besetzten Gebiete und für eine sofortige Lösung des Flüchtlingsproblems, die gegenseitige Anerkennung Israels und der arabischen Staaten sowie für das Recht der Palästinenser auf Selbstbestimmung einsetzte. (...)

Nabila Espanioly, geboren 1955 in Nazareth, hat in Bamberg Psychologie studiert und ist seit ihrer Rückkehr nach Nazareth Ende der 70er Jahre in der israelischen Friedensbewegung aktiv. Ihr Hauptanliegen ist es, palästinensische und jüdische Frauen in ihrem Bestreben nach Frieden zusammenzubringen. Denn obwohl diese Frauen alle einen israelischen Pass haben und im Kernland Israel leben, gibt es im Alltag kaum Berührungsmöglichkeiten. Deshalb gründete Nabila die Gruppe "Jüdische-arabische Frauen für den Frieden" und ist auch Mitbegründerin der Gruppe der "Frauen in Schwarz" in Haifa sowie Vorsitzende von Mozavar, einer palästinensisch-jüdischen Frauengruppe für Menschenrechte. Die vom israelischen Erziehungsministerium herausgebrachten Kinderbücher und Spielmaterialien erscheinen auf hebräisch, gehen von jüdischen Lebensverhältnissen aus und berücksichtigen die Sprache und das kulturelle Erbe der Palästinenser nicht. Daher sieht Nabila in der Stärkung einer palästinensischen Identität die unerlässliche Grundlage für eine künftige multikulturelle Gesellschaft in Israel. Diesem Ziel dient das von ihr geleitete Nazareth Nurseries Institute, einer nicht profitorientierten, ehrenamtlichen Frauenorganisation, die 1984 gegründet wurde. Nach der Einrichtung einer Kinderkrippe folgte 1989 die Gründung des frauenpädagogischen Zentrums "Al Tufula" (zu deutsch: Kindheit). Hier können sich palästinensische Frauen aus den Dörfern zu Erzieherinnen ausbilden lassen, nicht nur um einen Beruf sondern auch um Management zu erlernen und Selbstbewusstsein zu erwerben. Das Institut klärt die Frauen außerdem auf über ihre staatsbürgerlichen Rechte und leistet Hilfestellung bei deren Durchsetzung.

Gemeinsam mit Reuven Moskovitz leitet Nabila Espanioly Solidaritätsprogramme der Frauengruppen, um die eingeschlossenen Palästinenserinnen und ihre Kinder in der Westbank und im Gazastreifen mit Lebensmitteln und mit Spielzeug zu versorgen.(...)

Wenige Tage nach meiner Rückkehr aus Israel nach Berlin im Februar 1982 erhielt ich einen Anruf der katholischen "Initiative Kirche von unten" mit der Bitte, meine Erfahrungen bei der Organisation (...) einer Friedensdemonstration, die anlässlich des Katholikentages im Juni 1982 in Düsseldorf stattfinden sollte, einzubringen. Ich habe das gerne getan und konnte so in den folgenden Monaten bis zum Katholikentag bereits eine Reihe der katholischen Ordensleute und Laien kennen lernen, die sich dann 1983 im Protest und Widerstand gegen die drohende Stationierung neuer Atomraketen gemeinsam mit evangelischen Geschwistern und mit Nicht-Christen zur "Initiative Ordensleute für den Frieden" zusammengeschlossen haben. Auch bei diesen Menschen beeindruckte mich ihre ruhige, uneitle Entschlossenheit, mit der sie ihre Überzeugung vertraten und bereit waren, diese Überzeugung auch in aktivem gewaltfreien Widerstand auszudrücken und dafür notfalls ins Gefängnis zu gehen. (...) Durch ihre Mahnwachen und Blockadeaktionen direkt am Ort des Unheils, am geplanten Stationierungsort der Cruise Missiles Raketen in Hasselbach im Hunsrück, haben die Ordensleute für den Frieden dazu beigetragen, dass derartige Formen des Protests und Widerstands, die damals Anfang der 80er Jahre nicht nur von der SPD/FDP-Regierung und vor allem von der CDU/CSU-Opposition als Gewalttaten verteufelt wurden, sondern die auch innerhalb der Friedensbewegung noch auf einige Skepsis stießen, inzwischen in Deutschland weitgehend akzeptiert sind. (...)

Ich habe mich in den letzten 30 Jahren oft gefragt (...), welcher der zahlreichen regionalen Konflikte auf unserer Erde wohl der schwierigste und wo eine Lösung am wenigsten vorstellbar ist, (...) bin ich der Ansicht, das der Konflikt, dessen gerechter Lösung Reuven Moskovitz und Nabila Espanioly ihr Leben gewidmet haben, der schwierigste aller regionalen Konflikte dieser Erde ist. Die historischen Ausgangsbedingungen waren ohnehin die kompliziertesten. Doch der Golfkonflikt und -Krieg der Jahre 1990/91 mit all den Verwerfungen, die er in der Region wie auch in Deutschland verursachte, hat eine gerechte Lösung noch weiter erschwert. (...)

In seinem Buch "Der lange Weg zum Frieden - Deutschland-Israel-Palästina" hat Reuven Moskovitz auf die tragische Verstrickung der drei Völker hingewiesen, die im Golfkonflikt der Jahre 1990/91 besonders schmerzhaft deutlich wurde. Doch Reuven belässt es nicht bei klagender Analyse, sondern benennt die aus dieser Verstrickung für Deutschland erwachsende Verantwortung, an einer Problemlösung aktiv mitzuwirken. Diese Verantwortung hieße zunächst einmal, dass auch in Deutschland Politiker wie auch die Kirchen gewisse Tatsachen zur Kenntnis zu nehmen oder nicht mehr länger zu leugnen hätten, (...) In einem Beitrag für die Berliner "tageszeitung" vom Dezember 2001 unter der Überschrift "Nicht nur Arafat verhindert den Frieden, sondern vor allem Israel", nennt Reuven Premierminister Ariel Sharon einen "Brandstifter" und beklagt, dass "eine Lawine falscher Informationen über die Welt rollt mit der Kernaussage, Palästinenserpräsident Arafat ist Schuld am Scheitern des Friedensprozesses im Nahen Osten. Als israelischer Jude muss ich leider sagen, dass die Schuld dafür hauptsächlich bei meiner Regierung liegt. Die Fortsetzung des Terrors hat nichts mit Arafat zu tun, sondern mit der von meinem Land betriebenen systematischen Zerstückelung der Palästinensergebiete. Es bedarf einer ernsthaften Intervention seitens der EU, um die Osloer Verträge von beiden Seiten aufrichtig zu verwirklichen. Sonst stehen nicht nur Israel und Palästina, sondern der ganze Nahe Osten und vielleicht auch Europa vor einem schrecklichen Brand. Das Feuer dafür hat nicht Arafat gelegt, sondern Sharon, der Mann, der heute Israel regiert."

Unter der Überschrift "Israel am Abgrund" mahnte Reuven im Februar 2002 in einem SPIEGEL-Artikel: "Deutschland muss seine Befangenheit überwinden und weitsichtig mitwirken an einem Frieden." Doch die Bundesregierung hat diese und ähnliche Appelle jüdischer Israelis bis heute überhört. (...) Dabei würde gerade die besondere deutsche Verantwortung für die gesicherte Existenz des Staates Israel Druck auf die Regierung Sharon erfordern. Denn nichts gefährdet diese Existenz mittelfristig stärker, als die Fortsetzung der Politik Sharons.

Mindestens so sehr wie eine gerechte Friedenslösung im Nahen Osten ist auch das Ziel, dem sich die "Initiative Ordensleute für den Frieden" nach ihren anfänglichen Protest- und Widerstandsaktionen gegen die neuen Atomraketen in den 80er Jahren verschrieben haben, eine Sisyphos-Arbeit und scheinbar vergeblich: Die Überwindung des kapitalistischen Wirtschaftssystems als der Quelle dauernder Ungerechtigkeit und Ausbeutung. Über die Beschäftigung mit der weltweiten Schuldenkrise gelangten die Ordensleute Anfang der 90er Jahre zu der Erkenntnis, dass die Vermehrung des Geldvermögens durch Zins und Zinseszins und die Gewinnmaximierung um jeden Preis bewirken, dass nicht mehr für den Menschen produziert wird, sondern dass die Menschen nur noch gebraucht werden, soweit die Wirtschaft ihrer bedarf. (...)

Die Analysen und Warnungen der Ordensleute und anderer Kritiker des globalisierten Kasinokapitalismus haben sich - leider - als weitgehend zutreffend erwiesen. (...) Zugleich - auch das belegen zahlreiche Untersuchungen der UNO hat das Gefälle zwischen arm und reich in fast allen Ländern dieser Erde zugenommen - im Süden, wie im Norden. Einher gegangen ist diese Entwicklung in vielen Ländern - gerade auch in Deutschland - mit einer Verringerung des Steueraufkommens und dem Abbau öffentlicher Dienstleistungen sowie sozialer Versorgungssysteme und -leistungen, auf die in erster Linie die ärmeren Mitglieder der Gesellschaft zum Teil existentiell angewiesen sind. Schließlich sind auch der Raubbau an der Natur und die gravierende Umweltzerstörung, die durch die Beschleunigung und Globalisierung des Kasinokapitalismus seit Ende des Kalten Krieges verursacht wurden, durch Daten und Fakten gut belegt.

Doch neue Erkenntnisse und die Bestätigung von Warnungen aus den frühen 90er Jahren durch die Realität bedeuten noch längst keine veränderte Praxis. "Weiter so" ist das trostlose Motto fast aller Politiker mitten in der tiefsten Krise des Kapitalismus. (...)

Die "Ordensleute für den Frieden" werden also weiter dringend gebraucht, wenn es darum geht, über die - weiterhin dringend notwendige - Kritik am Kasinokapitalismus hinaus Alternativen zu entwickeln, öffentlich zu propagieren und diese Alternativen soweit als möglich auch im eigenen Lebensbereich zu praktizieren - um so anderen Menschen Mut zu machen zum Wagnis der Veränderung. (...)

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