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Versöhnung mit den neuen Nachbarn
von
Die Aktivitäten des Internationalen Bildungs- und Begegnungswerks in Polen konzentrierten sich seit 1986 auf Gedenkstättenseminare in Auschwitz. Das Internationale Bildungs- und Begegnungswerk (IBB) begann diese Arbeit in den 80er Jahren, als die Konfrontation der Machtblöcke in Europa eine Verständigung zwischen der BR Deutschland und der VR Polen erschwerte. In den Jahren während des Kriegsrechts in Polen und auch danach war es nicht ohne weiteres möglich, westdeutsche Gruppen in Kontakt zu den politischen Partnern außerhalb der "offiziellen Linie" zu bringen. Individuelle Kontakte entstanden, Kontakte zwischen Gruppen mit der Perspektive mittel- und langfristiger Zusammenarbeit waren die Ausnahme.
In dieser Zeit der eingeschränkten Möglichkeiten hat das IBB jährlich mit bis zu 10 Gruppen aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen die Gedenkstätte Auschwitz besucht (Friedensbewegung, Kriegsdienstverweigerer, JUSOs, Lehrer, Jugend- und Schülergruppen). Auschwitz wird auch innerhalb der Friedensbewegung oft einzig und allein mit der Ermordung europäischer Juden in Verbindung gebracht. Sicher - Auschwitz ist ein Ort dieses Verbrechens. Und allein diese Bedeutung rechtfertigt den Besuch. Dem IBB ging es in den zahlreichen Gedenkstättenseminaren jedoch auch darum, die Rolle des Konzentrationslagers Auschwitz im Rahmen der nationalsozialistischen Polenpolitik herauszuarbeiten. Die deutsche Okkupationspolitik in Polen war darauf gerichtet, Polen als europäische Kultur auszulöschen. Ein Teil der Bevölkerung sollte liquidiert werden (insbesondere die gesellschaftlich-kulturelle Elite), ein weiterer Teil sollte als SklavenarbeiterInnen den Deutschen zu Diensten stehen und wieder ein weiterer Teil sollte "eingedeutscht" werden. Diese Kriegsziele sind in Deutschland gegenwärtig wenig bekannt. Wenn die Friedensbewegung die Verständigung zwischen Deutschen und Polen sucht, muß sie diese historische Dimension der Beziehung beider Völker mit einbeziehen. Es wäre in den 80er Jahren eine verhängnisvolle Vereinfachung gewesen, hätten wir lediglich die gegensätzliche Blockzugehörigkeit beider Staaten thematisiert. Fast nahtlos folgte der Konfrontation des Krieges der kalte Krieg der Blöcke. In diesem Klima konnten Deutsche ihr Überlegenheitsgefühl gegenüber den angeblich unfähigen und unordentlichen Polen ungetrübt aufrechterhalten, ohne sich Rechenschaft darüber abzulegen, daß z.B. die Probleme der "polnischen Wirtschaft" gerade eine Folge systematischer deutscher Zerstörung von Material und Ermordung von Führungskräften war.
In diesem Sinne wirkten die Gedenkstättenseminare des IBB in Auschwitz als Zeichen der Verständigung zwischen Deutschen und Polen und als Vermittler deutschen Verständnisses für polnische Positionen. Intensive Vor- und Nachbereitungsseminare mit den einzelnen Gruppen wirkten vertiefend und ermöglichten, Bezüge zu aktuellen Problemen des deutsch-polnischen Verhältnisses zu erschließen.
In den letzten Jahren hat sich die politisch-gesellschaftliche Situation in Polen stark gewandelt. Allerorts differenzieren sich die unterschiedlichsten Gruppierungen heraus. Polen ist auf dem Weg zu einer pluralistischen Gesellschaft. Zwar sind die einzelnen Gruppen noch nicht derart institutionalisiert und überregional vernetzt, wie wir das aus unserem Land kennen, es ist aber mittlerweile möglich, für jede Gruppe in Deutschland eine polnische Partnergruppe zu finden, die aus vergleichbaren Zusammenhängen von Leben, Arbeit und Politik stammt. Hinzu kommt, daß wir uns mittlerweile als Gäste in Polen völlig frei bewegen können. Diese neue Situation schafft also neue Möglichkeiten für deutsch-polnische Projekte: mehr interessante Kontakte und Partnerschaften, größere Beweglichkeit, größere Flexibilität. Die gleichzeitige weitgehende Autonomie der Begegnungspartner schafft die Möglichkeit, nun endlich Projekte mittel- und langfristiger Zusammenarbeit zu vereinbaren. Wenn unter solch optimalen Rahmenbedingungen dann von deutscher Seite auf die ökonomische Situation in Polen und die daher oft kaum vorhandenen finanziellen Mittel der polnischen Partner verwiesen wird, kann das nicht anders verstanden werden, als wäre auf deutscher Seite die lang ersehnte "neue" Nachbarschaft doch etwas zu schnell entstanden.
Das IBB reagiert auf diese "neue" Nachbarschaft, indem es bei Fortsetzung der Gedenkstättenseminare nun zusätzliche Aktivitäten entfaltet. Das Motto, was dies umschreibt, lautet: "Polen, unseren 'neuen'alten Nachbarn kennenlernen". Im Moment geht es darum, Polen neu zu entdecken, selber die vielen neuen Möglichkeiten und Kontakte, aber auch landschaftlichen Reize zu spüren. Zu diesem Zweck baut das IBB im Moment ein Netz im südlichen Polen auf, welches innerhalb kurzer Zeit in der Lage sein wird, politisch interessierten deutschen Seminargruppen jeden gewünschten Kontakt im Bereich Schlesien, Oberschlesien, Kraków und in den Beskiden zu vermitteln. Diese Schwerpunktsetzung innerhalb einer Region soll eine qualitative Vielfältigkeit der Kontakte und deren Vertiefung über eine einzelne Begegnung hinaus ermöglichen. Dieses Konzept steht im Gegensatz zu der oft anzutreffenden Rundreisementalität: überall ein wenig, aber bitte nichts verbindlich.
Aus solchen Begegnungen sind bereits die ersten längerfristig angelegen Partnerschaften bzw. Austauschprogramme entstanden: Hochschulen, Ökologen, Schulen, Parteien. Was fehlt? Die Friedensbewegung! Zwei Beispiele der Planung für das Jahr 1993:
"Für ein multikulturelles Europa". Gemeinsames Seminar mit politischer Aktion in der Krakauer Öffentlichkeit mit JUSOs und polnischen TeilnehmerInnen aus verschiedenen Gruppen und Parteien gegen Rechts.
"Energieversorgung und Umweltschutz in Polen". Gemeinsames Seminar mit dt. und pl. Ökologen über Möglichkeiten der Konversion zu sanften Technologien.
Die Seminare und Studienreisen werden von pädagogischen MitarbeiterInnen des IBB begleitet. Auch hier eröffnet die neue Stituation in unserem Nachbarland neue Möglichkeiten. Innerhalb des nächsten Jahres baut das IBB auch in Polen einen Kreis von pädagogischen MitarbeiterInnen auf, so daß die Gruppen dann von bilateralen Zweierteams begleitet werden. So werden wir ein weiteres Stück dem Anspruch an eine internationale Arbeit gerecht.