Dokumentation: Aufruf an die Soldaten der Bundeswehr, sich einem Einsatz im sogenannten Krieg gegen den Terror zu widersetzen

Verweigert!

von Martin Singe
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Der Bundestag hat den Kriegseinsatz der Bundeswehr beschlossen
Der Bundestag hat am 16.11.2001 beschlossen, rund 3.900 Soldaten für einen Kriegseinsatz mit unbekanntem Ziel und unbekanntem Ort bereitzustellen. Die angegebenen möglichen Einsatzregionen umfassen neben Afghanistan fast den halben Globus. Der Bundestag hat der Bundesregierung eine Pauschalermächtigung erteilt. U.a. sollen auch 100 Spezialkräfte für kurzfristige Bodenkriegseinsätze bereitgestellt werden.

Der Bundestagsbeschluss ist mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Der 27. Richterratschlag hat am 3/4. November erklärt: "Für einen Angriff auf Afghanistan, der die Regierung der Taliban stürzen will, fehlt jede völkerrechtliche Legitimation. Deutschland darf sich an einem völkerrechtswidrigen Krieg nicht beteiligen."

Auch die Ausrufung des Bündnisfalles war rechtswidrig. Die Terroranschläge gegen die USA sind kriminelles Unrecht. Sie bedeuten aber im völkerrechtlichen Sinn keinen kriegerischen Angriff auf die USA. Auch wenn das Ausmaß von Leid groß ist. Krieg bedeutet im internationalen Recht die bewaffnete Auseinandersetzung zwischen Staaten. Definitiv seit der Verabschiedung der UN-Charta von 1945 haben sich die Staaten darauf geeinigt, dass staatlichmilitärische Gewaltanwendung außer zur Selbstverteidigung niemals zulässig ist. Völkerrechtlich gilt also ein striktes Gewaltverbot. Die zwei Ausnahmen: Die UNO stellt eine Bedrohung des Weltfriedens fest, die ohne Gewaltanwendung nicht zu beseitigen sei; ein kriegerischer Angriff liegt vor und berechtigt einzelne Staaten allein oder in Bündnissen sich dagegen zu verteidigen - bis die UNO Maßnahmen ergriffen hat, die diese einzelstaatlichen Aktionen überflüssig machen. Die Entscheidung über einen Gewalteinsatz liegt also bei der UNO.

Völkerrecht: Terror darf nicht mit Krieg beantwortet werden
Es handelt sich bei den Terroranschlägen völkerrechtlich nicht um einen Krieg. Die Anschläge sind keinem Staat zurechenbar. Die Angriffe sind nicht mehr gegenwärtig. Das heißt: Eine Verteidigung gegen sie kann nicht mehr stattfinden. Beweise für neu geplante Terror-Anschläge liegen nicht vor. Es geht also nicht um individuelle oder kollektive Selbstverteidigung gemäß UN-Charta, sondern um einen Fall internationaler Strafverfolgung. Völkerrecht und Menschenrecht kennen weder Vergeltung noch Rache.
 

Krieg ist keine Lösung - er fordert nur neue Opfer!
Die jetzt in Gang gesetzten kriegerischen Reaktionen sind vollkommen ungeeignet, ein Mehr an Sicherheit zu erreichen. Sie wären genau die Reaktionen, die die Terroristen sich wünschen. Denn sie könnten dazu führen, neue terroristische Aktionen bis hin zu kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Staaten zu provozieren. Die rechtlichen Argumente gegen kriegerische Maßnahmen sind nur die eine Seite - jede vernunftbegabte menschenrechtliche Analyse stuft solche Maßnahmen ohnehin als friedenpolitisch sinnlos, ja kontraproduktiv ein.

Der Krieg gegen Afghanistan hat schon bis jetzt unendlich viel neues Leid erzeugt: Zivilistinnen und Zivilisten, die mit den Terror-Anschlägen nichts zu tun haben, werden verletzt oder zu Tode gebombt. Bomben haben Krankenhäuser und Rot-Kreuz-Lager getroffen. Tausende Menschen haben sich auf die Flucht begeben und wissen nicht, zu welchem Ziel.

Soldatinnen und Soldaten: Verweigern Sie sich gegenüber diesem Krieg!
Aus all diesen Gründen rufen wir alle Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr auf, sich diesem Einsatz zu verweigern. Während eines solchen Einsatzes werden alle zu Rädern im Getriebe - nicht nur diejenigen, die direkt in kriegerische Handlungen verwickelt sind. Verweigern Sie angesichts der - mit dem Bombenkrieg gegen Jugsoslawien begonnenen - neuen kriegerischen Einsatzformen der Bundeswehr den Kriegsdienst aus Gewissensgründen (Art. 4, Abs. 3 GG)! Wenn Sie nur aktuell den jetzt bevorstehenden Kriegseinsatz ablehnen, verweigern Sie den Gehorsam gegenüber allen entsprechenden Befehlen! Klagen Sie beim Bundesverfassungsgericht das Recht auf situationsbezogene Kriegsdienstverweigerung ein! Das im Grundgesetz verbürgte Recht auf Gewissensfreiheit steht rechtssystematisch höher als einfache Gesetze wie das Soldatengesetz! Beteiligen Sie sich nicht an diesem Krieg! Desertion kann das Gebot der Stunde sein, wenn Ihnen Ihr Gewissen eine Beteiligung an diesem Krieg verbietet und alle anderen Wege und Möglichkeiten der Verweigerung erschöpft sind.

Spenden werden erbeten für den Solidaritäts- und Rechtshilfefonds für antimilitaristische Aktionen und Zivilen Ungehorsam: Elke Steven, Köln, Sonderkonto: 263206-500, Postbank Köln (BLZ 370 100 50)

Kontaktanschrift: Martin Singe, Lennestr. 45, 53113 Bonn

Quelle: Erstveröffentlichung: "die tageszeitung", 24.11.2001

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Martin Singe ist Redakteur des FriedensForums und aktiv im Sprecher*innenteam der Kampagne "Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt".