Der georgisch-abchasisch-südossetische Dialog

Vom Dialog zum öffentlichen Handeln

von Oliver Wolleh

Der georgisch-südossetische/russische Krieg im August 2008 und die kurz darauf folgende staatliche Anerkennung Südossetiens und Abchasiens durch Russland hat nicht nur das internationale Management des georgisch-südossetischen und des georgisch-abchasischen Konfliktes nachhaltig verändert, sondern auch die Rahmenbedingungen für zivilgesellschaftliche Aktivitäten zwischen den Konfliktregionen.

Mit der staatlichen Anerkennung Südossetiens und Abchasiens durch Russland hat sich die Rolle der Vereinten Nationen in der Konfliktregulierung grundlegend verändert. Man kann mit großer Sicherheit davon ausgehen, dass die wiederholten Appelle der EU an Russland, die Anerkennung der Sezessionsgebiete zurückzunehmen, in Moskau verhallen werden. Eine Bestätigung der „territorialen Integrität“ Georgiens in Form von VN-Resolutionen wird mit dem Sicherheitsratsmitglied Russland mit großer Wahrscheinlichkeit langfristig ausgeschlossen sein.

Eine der wichtigen Reaktionen der georgischen Regierung auf diese Entwicklung war die Verabschiedung eines Gesetzes zu den (von Russland) „besetzten Gebieten“ sowie eine Reihe von Dokumenten, welche auch die Beziehungen von NROs zu den Konfliktgebieten reglementieren. Verallgemeinernd kann gesagt werden, dass dieser Ansatz explizit die Reintegration der Konfliktgebiete anstrebt, und dass alle jene gesellschaftlichen Aktivitäten, welche sich gegenüber dem Ziel der Reintegration Abchasiens und Südossetiens in den georgischen Staat ambivalent bzw. neutral verhalten, nicht erwünscht sind. So sind nach dieser Gesetzgebung NROs gezwungen, sich im Falle der Zusammenarbeit mit den Sezessionsgebieten beim Ministerium für Reintegration zu registrieren und eine „Bestätigung“ für das Projekt einzuholen. Darüber hinaus versucht die georgische Regierung, die Kontakte über die Konfliktlinien hinweg auf die Gruppe der Binnenflüchtlinge zu fokussieren, da diese, so die Begründung, in der Zukunft mit Abchasen und Südosseten zusammenleben sollten. Eine Zusammenarbeit mit den Autoritäten in diesen Gebieten ist so wenig erlaubt wie der Aufbau wirtschaftlicher Beziehungen außerhalb der Jurisdiktion Georgiens.

Die Arbeit von Berghof
Berghof Research und Berghof Peace Support sind in den letzten 10 Jahren überwiegend im georgisch-abchasischen Dialog tätig gewesen. Der Krieg im Sommer 2008 hatte die Dialogarbeit auf einen Nullpunkt zurückgeworfen, gleichzeitig zeichnete sich schon im Herbst 2008 ab, dass viele zivilgesellschaftliche Akteure auf allen Seiten den Ausbruch des Krieges und seines Verlaufes nicht pauschal der jeweils anderen Gesellschaften und Volksgruppen vorwarfen, sondern überwiegend den politisch Verantwortlichen. Der Krieg war für viele Menschen in der Region ein Schockereignis, mit dem sie nicht gerechnet hatten. Die sich verschärfende Sprache von Regierungsvertretern und die zunehmenden Drohungen waren überwiegend als „Rhetorik“ und „politische Kraftmeierei“ interpretiert worden. Mit dem vom georgischen Präsidenten Saakashvili angeordneten Angriff auf Südossetien und den darauf folgenden russischen Gegenschlägen auch im Kernland Georgiens hatte sich ein Gewaltszenarium entfaltet, welches traumatisierend für die Bevölkerung in Südossetien sowie breite Bevölkerungsschichten in Georgien war.

In der zweiten Hälfte des Jahres 2008 zeichnete sich ferner ab, dass vor allem jüngere Menschen zu einer kritischen und selbstreflexiven Analyse der Ereignisse rund um den Krieg in der Lage waren, während sich offizielle Regierungsvertreter aller Parteien in den üblichen einseitigen Schuldzuweisungen ergingen. Dies sind einige der Gründe, warum der Dialog zwischen der georgischen-abchasischen und georgisch-südossetischen Zivilgesellschaft relativ schnell und mit einem produktiven Impetus wieder aufgenommen werden konnte.

Daraufhin initiierte zu Beginn des Jahres 2009 Berghof Peace Support mit unserem internationalen Partner IKV Pax Christi und unseren lokalen Partnern in Abchasien, Georgien und Südossetien einen umfassenden Dialogprozess, der bisher 14 einwöchige Workshops umfasst (7 georgisch-abchasische, 7 georgisch-südossetische), und an dem bislang über 140 Personen teilgenommen haben. Die Treffen finden in Moldova und Kosovo/a statt und unterteilen sich in einen Studienreiseteil mit Expertentreffen und Vorträgen und dem eigentlichen Dialog zwischen den TeilnehmerInnen. Bei den TeilnehmerInnen handelt es sich i.d.R. um junge Akademiker (22 – 35 Jahre), welche Berufserfahrung haben und bedingt durch ihr Engagement und berufliche Tätigkeit (Journalisten, Juristen, Analytiker, Dozenten, NGO-Vertreter) bereits einen erkennbaren Zugang zu Medien haben. Der Fokus liegt auf Personen, welche keine Erfahrungen im Dialogbereich hatten, um eine neue und breit angelegte Basis von kontakt- und dialogerfahren Teilnehmern zu schaffen. (Siehe die Projektwebseite www.caucasus-dialog.net.)

Herausforderungen der Dialogarbeit
Indes ist der Dialog mit Georgiern sowohl in Abchasien als auch in Südossetien nicht unumstritten. Für große Teile der abchasischen und südossetischen Bevölkerung gilt der jeweilige Konflikt mit Georgien seit der Anerkennung durch Russland als abgeschlossen. Diese Haltung geht davon aus, dass keine nennenswerten Kontakte mit Georgien als Land oder Georgiern notwendig und wünschenswert sind, und dass sich Staat und Gesellschaft der Sezessionsgebiete in distanzierter „Koexistenz“ mit Georgien entwickeln werden.

Der Handlungsspielraum für einen georgischen-abchasischen und georgisch-südossetischen Dialog wird ferner dadurch erschwert, dass die georgische Regierung versucht, dialogorientierte Friedensarbeit für sich zu vereinnahmen, bzw. sie als einen Teil ihrer Strategie der Reintegration Abchasiens und Südossetiens darstellt. So erklärte der damalige georgische Minister für Reintegration Temurie Yakobashvili wenige Tage vor einem georgisch-abchasischen Dialogworkshop, dass die Treffen der abchasischen und georgischen Jugendlichen darauf zielten, die territoriale Integrität Georgiens wiederherzustellen. Die Äußerung des georgischen Ministers wurde selbstredend in Abchasien registriert, und aktivierten die Anti-Kontakt- und Dialog-Ressentiments bis zu dem Punkt, dass der Gruppe von sehr hohen Stellen sehr nahe gelegt wurde, nicht an dem Workshop teilzunehmen. Dialogtreffen mit Georgien stehe in den Sezessionsgesellschaften ohnehin unter Rechtfertigungsdruck. Im Kontext der immer wiederkehrenden öffentlichen Stellungnahmen georgischer Regierungsmitglieder, dass Friedensarbeit „Reintegrationsarbeit“ zur Wiederherstellung der territorialen Integrität mit zivilgesellschaftlichen Mitteln sei, geraten sie leicht unter „Verratsverdacht“.

Vorab sei gesagt, dass unsere abchasischen Partner und TeilnehmerInnen die Bedenken entkräften konnten und der Workshop wie geplant durchgeführt werden konnte. Gleichzeitig wurde aber deutlich, dass über jeder Veranstaltung das Damoklesschwert einer Ministeräußerung hängt. Die Organisatoren habe sich daher auf eine Strategie geeinigt, welche zum Ziel hat, die Dialog-Vorbehalte zu konterkarieren.

Auf georgischer Seite setzten sich die georgischen Teilnehmer sehr dezidiert mit den Konsequenzen der neueren georgischen Gesetzgebung auseinander. In wöchentlichen Treffen wurde eine gemeinsame Position erarbeitet, wie die Gesetzgebung angepasst werden müsste, um einen effektiven Dialog zwischen den Gesellschaften möglich zu machen, welcher die Begegnung und den Kontakt von der „Wiederherstellung territorialer Integrität“ entkoppelt. Neben einem juristischen Gutachten, welches auf sehr grundsätzliche Widersprüche der erlassenen Regularien mit der georgischen Verfassung hinweist, wurde auch eine gemeinsame Eingabe mit Forderungen und Vorschlägen beim Ministerium für Reintegration eingereicht.

Auf abchasischer Seite fingen Organisatoren und TeilnehmerInnen an, Kontakte zu Gruppen wie den „Müttern Abchasiens“ (Mütter der Gefallenen) oder den (Kriegs)Invalidenverbänden aufzubauen, welche sich in der Vergangenheit durch stark emotionale Anti-Dialog-Äußerungen hervorgetan haben. Diese Gruppen können im engeren Sinne nicht als politisch einflussreich bezeichnet werden. Gleichzeitig genießen sie als besonders Leidtragende des georgisch-abchasischen Krieges über hohes Ansehen und über einen ungehinderten Zugang zu allen öffentlichen Medien.

Im Rahmen des Dialogprojektes haben sich die TeilnehmerInnen zu aktiven Befürwortern des Dialoges und der Aussöhnung mit der jeweiligen anderen Gesellschaft transformiert. Sie teilen über die Konfliktgrenzen hinweg die Vision einer ungehinderten Kooperation und fangen an, sich mit Strömungen, welche diese Kooperation in ihren Gesellschaften behindern, juristisch, politisch und gesellschaftlich auseinanderzusetzen. Damit haben die Gruppen eine neue Qualität in ihren Beziehungen erreicht, weil jeder erkennen kann, dass der andere bereit ist, sich für eine gemeinsame Vision einzusetzen und (innergesellschaftliche) Risiken einzugehen. Auf der Basis dieser sich festigenden Vertrauensbasis wird der Dialog zukünftig auf die Erstellung gemeinsamer georgisch-abchasischer-südossetischer Erklärungen und Ideenpapiere zielen, um einen gesellschaftlichen und juristischen Rahmen für vertrauensbildende Kooperation zu schaffen.

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Dr. Oliver Wolleh ist Mitarbeiter von Berghof Peace Support.