Repression gegen KurdInnen in Deutschland

Von Öcalan-Fahnen bis § 129b StGB

von Monika Morres

16. November 2013: Tausende Menschen waren trotz klirrender Kälte nach Berlin gekommen, um mit heißem Herzen an einer Demonstration teilzunehmen, die unter dem Motto „Frieden unterstützen – PKK-Verbot aufheben“ von der Kampagne TATORT KURDISTAN organisiert worden war – einem im Jahre 2009 gegründeten bundesweiten Bündnis, dem zahlreiche unterschiedliche Gruppen und Organisationen angehören.

Anlass, die Demonstration durchzuführen, waren das seit 20 Jahren bestehende PKK-Betätigungsverbot und der Ende 2012 begonnene Gesprächsprozess zwischen dem seit 1999 auf der Gefängnisinsel inhaftierten PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan, kurdischen PolitikerInnen sowie VertreterInnen der türkischen Regierung zur Lösung des türkisch-kurdischen Konflikts. Zum kurdischen Neujahresfest NEWROZ 2013 hatte Herr Öcalan eine neue „historische Phase“ und mit ihr eine Waffenruhe angekündigt.

Mani Stenner: PKK-Verbot „absurd“
Zahlreiche Einzelpersonen, Bürger-, Menschenrechts- und JuristInnenorganisationen sowie nicht zuletzt der kürzlich verstorbene Geschäftsführer des Netzwerks Friedenskooperative, Mani Stenner, gehörten zu den ErstunterzeichnerInnen des Demo-Aufrufs. In einem Beitrag in den „Nützlichen Nachrichten“ 10-11/13 begrüßte er einerseits den begonnenen Gesprächsprozess, kritisierte aber gleichzeitig, dass Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoǧan das versprochene „Demokratiepaket“ nicht eingehalten habe.

Dass das PKK-Betätigungsverbot seit 20 Jahren fortbesteht, bezeichnete Mani Stenner als „absurd“, da die Türkei selbst Abdullah Öcalan „als Verhandlungspartner “ akzeptiere. Seiner Meinung nach solle die Bundesrepublik in dieser Phase nicht nur „Mittler“ sein, sondern auch deutlich machen, dass sie die „Repression in der Türkei“ missbillige. Sofern von den politisch Verantwortlichen eine Lösung der Konflikte gewollt sei, könne „eine dafür nötige politische Gruppierung nicht unendlich lang“ verboten werden. Der 20. Jahrestag sei der „richtige Zeitpunkt, das PKK-Verbot aufzuheben“.

Doch bis heute hat sich die Politik nicht bewegt. Zwar äußerte sich eine Reihe von PolitikerInnen damals positiv zu Öcalans Erklärung, doch geschehen ist nichts, was dazu beitragen könnte, das Verhältnis zur kurdischen Bewegung zu entspannen.

Im Gegenteil: der Repressionsapparat setzt seine zwei Jahrzehnte lang eingeübte Praxis fort, politisch aktive Kurdinnen und Kurden mit den Mitteln des Polizei-, Straf- oder Verwaltungsrechts zu verfolgen. Nach wie vor werden Demonstrierende kriminalisiert wegen des Rufens der Parole „Es lebe der Vorsitzende Öcalan“, weil sie Transparente mit Symbolen der PKK oder ihrer Nachfolgeorganisationen oder Fahnen mit dem Bild von Abdullah Öcalan zeigen. Weil dies vom Verbot gedeckt ist, kommt es regelmäßig zu Polizeiangriffen, Festnahmen, ED-Behandlungen und schließlich zu Ermittlungsverfahren. Selbst wenn zahlreiche Verfahren später eingestellt werden, sind sie in den Datenspeichern diverser Behörden mitnichten gelöscht.

KurdInnen als „Gefährder der inneren Sicherheit“ von Abschiebung bedroht
So geschieht es, dass die Teilnahme an – auch genehmigten - Demos, Besuche in kurdischen Vereinen oder die Beteiligung an sonstigen politischen Aktivitäten zur Verweigerung von Einbürgerungen führen können oder dazu, dass Aufenthaltserlaubnisse nicht verlängert werden.

In beachtlichem Ausmaß sind in den letzten Jahren insbesondere die Ausländerbehörden von Bayern und Baden-Württemberg dazu übergegangen, politische AktivistInnen mit Ausweisungsverfügungen zu konfrontieren. Das wiederum hat den Widerruf der Asylanerkennung zur Folge und einen Rückfall in den Duldungsstatus mit der ständigen Gefahr, abgeschoben zu werden. Teilweise müssen sich Betroffene täglich bei der örtlichen Polizeibehörde melden, Aufenthaltsbeschränkungen in Kauf nehmen, oder es werden bestimmte soziale Kontakte untersagt. Ebenso ist eine zwangsweise Verlegung in zugewiesene Asylunterkünfte möglich.

Begründet werden die Ausweisungsverfügungen mit oft über Jahre hinweg akribisch dokumentierten Aktivitäten – aufgrund von „Erkenntnissen“ der Geheimdienste -, die durch die Bank als „terroristisch“ eingestuft sind. So werden die Menschen zum „Sicherheitsrisiko“ erklärt und zu „Gefährdern der inneren Sicherheit Deutschlands“ gemacht und jeder Zukunftsperspektive beraubt: „Diese Ausweisung ist angemessen, auch wenn Sie durch die Ihnen gegenüber ergehende Ausweisungsverfügung verschiedenen, für Sie belastenden, Folgen ausgesetzt sind“, heißt es im Bescheid einer baden-württembergischen Ausländerbehörde.

Bundesgerichtshof macht KurdInnen zu „Terroristen“
Im Oktober 2010 hat der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) entschieden, den im Jahre 2002 eingeführten § 129b Strafgesetzbuch (Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland) auch gegen die PKK anzuwenden. Prompt wurden 2011 die ersten mutmaßlichen Funktionäre der PKK verhaftet, nachdem das Bundesjustizministerium (BMJ) die Behörden zur Strafverfolgung ermächtigt hatte. Diese Ermächtigungen müssen prinzipiell weder inhaltlich begründet sein, noch sind sie juristisch angreifbar.

Im Jahre 2013 sind fünf Aktivisten von verschiedenen Staatsschutzsenaten zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt worden; in vier Fällen hat die Verteidigung Revision eingelegt, insbesondere wegen der Ignorierung völkerrechtlicher Aspekte. Die PKK habe Kriegsverbrechen im Sinne des Völkerrechts weder zu verantworten noch sei sie gar von solchen geprägt, wie die Anklage behauptet. Die Verteidigung verweist zudem auf das Recht gewaltsamen Widerstands in Ausübung des Selbstbestimmungsrechts, das dann bestehe, wenn es zu gravierenden und diskriminierenden Menschenrechtsverletzungen durch einen Staat komme. Deshalb sei eine Gewaltanwendung durch Befreiungsbewegungen in völkerrechtlichem Sinne legitim. 

Schließlich müsse in den Urteilen auch die Frage des staatsterroristischen Vorgehens der Türkei berücksichtigt werden, weil sie das gesamte Arsenal der Aufstandsbekämpfung gegen das Selbstbestimmungsrecht der KurdInnen angewandt habe. Anträge der Verteidigung, zu diesem völkerrechtlichen Komplex externe Gutachten einzuholen, sind in allen Prozessen abgelehnt worden. Stattdessen kamen manche RichterInnen zu der Einschätzung, die erwähnten völkerrechtlichen Bestimmungen träfen vielleicht „auf Afrika“ zu, nicht aber auf den türkisch-kurdischen Konflikt.

BGH: Kurdischer Befreiungskampf nach dem Völkerrecht nicht gerechtfertigt
Diese Ansicht vertrat auch der 3. Strafsenat des BGH in seiner Entscheidung vom Mai 2014 im Revisionsfall des ersten §129b-Verfahrens gegen den Kurden Ali Ihsan K. Er war vom OLG Hamburg im Februar des vergangenen Jahres zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Zentrale Aussagen des BGH-Beschlusses sind, dass der kurdische Befreiungskampf nach den Völkerrechtsregeln nicht gerechtfertigt sei und der türkisch-kurdische Konflikt „kein Kampf gegen Kolonialherrschaft, fremde Besetzung oder ein rassistisches Regime“ darstelle. Mit Verweis auf das früher in Südafrika bestehende Apartheidsregime lägen die Voraussetzungen eines rassistischen Regimes „im hier relevanten Sinne“ nicht vor.

Mit dieser Entscheidung hat das Hamburger Urteil zwar Rechtskraft erlangt, doch wird die Verteidigung gegen den BGH-Beschluss Verfassungsbeschwerde einlegen.

Der Mobilisierungserfolg der Demonstration vom 16. November 2013 war ein klares Signal, die politischen und juristischen Auseinandersetzungen um eine Beendigung der Kriminalisierung kurdischer Organisationen und ihrer AnhängerInnen fortzusetzen. Gleiches gilt für die Indizierung der PKK und ihrer Nachfolgeorganisationen auf der so genannten EU-Terrorliste. Anfang Mai dieses Jahres hat ein AnwältInnen-Kollektiv in den Niederlanden Klage beim Europäischen Gerichtshof in Luxemburg gegen die Listung der PKK eingereicht. Sie und die Verbotspolitik sind die Ursache für die im Wortsinn grenzenlose Kriminalisierung der kurdischen Befreiungsbewegung.

Kurdische Volksverteidigungskräfte kämpfen gegen Terror des IS
Ich möchte zum Schluss den Blick auf die unfassbar brutalen Angriffe der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) in Südkurdistan/Nordirak gegen „Andersgläubige“ wie Yeziden, Christen, Aleviten oder gegen die Menschen in den Kantonen Rojavas/Nordsyrien richten. Insbesondere die Volksverteidigungseinheiten Rojavas (YPG) und die nordkurdischen Guerillakräfte (HPG) aus der Türkei, die der PKK nahestehen, konnten bislang erfolgreich die Kantone Westkurdistans schützen, den IS-Terrorbanden in Șengal Einhalt gebieten und einen Korridor schaffen, über den ein Teil der Zivilbevölkerung aus dieser Region befreit werden konnte. Gemeinsam mit den südkurdischen Peshmerga sind auch Angriffe auf das Flüchtlingscamp Maxmûr abgewehrt worden.

Es gibt mithin Gründe genug, die anachronistische Verbotspolitik gegen die kurdische Befreiungsbewegung zu beenden. Mani Stenner würde seine Forderung vom Vorjahr heute sicher genauso erheben.

 

Azadi: www.nadirorg/azadi, Kontakt: email: azadi [at] t-online [dot] de  

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Monika Morres ist seit vielen Jahren Mitarbeiterin von AZADÎ e.V., dem Rechtshilfefonds für Kurdinnen und Kurden in Deutschland.