Die Angst des weißen Mannes

Wahlen in den USA

von David McReynolds
Schwerpunkt
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Die Wahl 2016 in den USA ist die seltsamste meines ganzen Lebens. Sie ist geprägt durch die Spannungen in den USA über auswärtige und einheimische Politik und die Tatsache, dass ein Prozent der Bevölkerung das Land regiert (und, wenn es Kriege gibt, andere schickt, in ihnen zu kämpfen).
Der Wahlkampf hat zwei ziemlich unterschiedliche Tendenzen gesehen. Die eine, die Kampagne von Bernie Sanders, war die der Linken in der amerikanischen Politik und könnte als politischer Ausdruck der „Occupy“-Bewegung gesehen werden. Ich traf Bernie 1980, als ich in Vermont die Wahlleitung einer kleineren Partei in dem Präsidentschaftswahlkampf meiner Sozialistischen Partei suchte. Er war von Eugene Victor Debs (ein US-amerikanischer Sozialist aus der Zeit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, der fünfmal für das Amt des US-Präsidenten kandidierte, Anm. d. Red.) fasziniert und arbeitete an pädagogischem Material über dessen Leben. Einige Zeit später bewarb er sich als unabhängiger Sozialist um das Amt als Bürgermeister von Burlington, Vermont. Er wurde gewählt und kandidierte dann, wieder als Unabhängiger, für Vermonts Sitz im Kongress und dann im Senat.

Sanders ging mit seinem demokratischen Sozialismus offen um. In einem Jahr (ich habe vergessen, wann) kam er nach New York City, um dort auf einer Parteiversammlung der Sozialistischen Partei zu sprechen. Ich bezweifele sehr, ob er erwartete, dass seine Kampagne Fahrt aufnehmen würde, aber sie tat es. Unbehagen mit dem „Politik wie üblich“ brachte ihm eine massive Basisbewegung mit großen Demonstrationen und genug politische Energie, dass er die Nominierung von Hillary Clinton ernstlich bedrohte.

Am anderen Ende des politischen Spektrums steht Donald Trump, der die Republikanische Partei (und wahrscheinlich sich selbst) damit verblüffte, dass er ein Dutzend von GegenkandidatInnen aus dem Rennen warf. Politische AnalystInnen waren sich während des gesamten Vorwahlkampfes einig, dass Trump verlieren würde. Er war scharf, er war rassistisch in seinen Angriffen auf MexikanerInnen und MuslimInnen. Er versprach, eine Mauer an der Grenze zu Mexiko zu bauen und schwor, dass die mexikanische Regierung sie bezahlen würde. Er war für fast alle von uns, die wir eine College-Ausbildung haben, egal ob wir Liberale, Konservative oder Radikale sind, schlicht ein Witz.

Jetzt, außer es geht noch etwas sehr schief, wird er im Juli auf der Parteiversammlung der ungeliebte Kandidat der RepublikanerInnen werden.

Es wäre ein Irrtum, Trump nach europäischen Standards zu beurteilen. Mir ist bewusst, dass über die Jahrhunderte alle europäischen Nationen Bevölkerungsbewegungen gesehen haben. Aber die USA sind eine andere Art von Nation. Das spanische Empire entdeckte Amerika und baute eine Basis an der Westküste, bevor die PilgerInnen in Plymouth landeten. Und während die spanischen und britischen Invasoren brutal bei der Zerstörung der einheimischen Kultur waren, sind die USA heute wortwörtlich eine Nation von ImmigrantInnen: IrInnen, ItalienerInnen, RussInnen, Deutsche, SchwedInnen, JüdInnen, MexikanerInnen und natürlich jener zentrale Bestandteil Amerikas, der gewöhnlich übersehen wird, die SklavInnen. Große Zahlen von AfrikanerInnen wurden von den Briten importiert, in den USA vor allem für die Arbeit in den Baumwollfeldern im Süden.

Von all den Gruppen, die die USA ausmachen, sind die afrikanischen AmerikanerInnen einzigartig. Als sie als Sklaven kamen, wurden ihre Sprache, Geschichte und Religion zerstört. (Obwohl Elemente afrikanischer Religionen im Voodoo weiterbestehen.) Der verstorbene James Baldwin stellte fest, dass die AfrikanerInnen die einzigen wahren AmerikanerInnen seien, denn die Geschichte der AfroamerikanerInnen beginnt hier, in Amerika.

Die Trump-Kampagne dreht sich nur zum Teil um Einwanderung aus Mexiko und auch nicht nur um Muslime, außer dass sie ein bequemer Haken sind, an den Trumps heutiger Rassismus aufgehangen werden kann. Ein Rassismus, der auf eine Zeit zurückgeht, als Terrorismus noch kein Problem war. 1969 gab es eine brutale Vergewaltigung einer weißen Frau im Central Park, angeblich begangen von einer Bande von fünf schwarzen Jugendlichen. Sie verbrachten zwischen 6 und 13 Jahren im Gefängnis, bevor der wirkliche Vergewaltiger gefasst wurde. Trump machte damals ganzseitige Anzeigen, in denen er nach der Todesstrafe für diese Jugendlichen rief.

Als 2008 Obama zum Präsidenten gewählt wurde, startete Donald Trump seinen widerwärtigen „Herkunfts“-Angriff auf Obama. Es war ein bewusster Versuch, den ersten Schwarzen, der als Präsident gewählt worden war, dadurch zu diskreditieren, dass er nicht in den USA geboren und vielleicht ein Muslim sei. Dies war in meinen Augen ein unaussprechlicher und rassistischer Versuch, einen schwarzen Präsidenten zu unterminieren.

Man möge nun daran denken, dass dies vielleicht die letzten Wahlen sind, in denen weiße Männer den Ausschlag geben werden. Man bedenke – und ich glaube, das ist sehr unterschiedlich zu Europa – dass viele weiße Amerikaner das Gefühl haben, dass der Boden unter ihnen wegrutscht, besonders, wenn sie evangelikale Christen sind. Im Präsidentschaftswahlkampf der RepublikanerInnen hätte keiner der Kandidaten zugegeben, dass er an die Evolution glaube – oder den Klimawandel. Die Heirat von Schwulen und Lesben wird als besorgniserregend angesehen. Die neue Rolle von Frauen gefällt weißen Männern nicht. Und dazu sind weiße Männer ohne höhere Bildung in der neuen globalen Wirtschaft abgehängt worden. Trumps Unterstützung kommt von weißen Männern, und er muss viele von ihnen mobilisieren, will er eine Chance haben, die Wahlen zu gewinnen.

Es geht hier nicht wirklich um Muslime oder Terrorismus, es geht darum, dass die Weißen aus der Arbeiterklasse realisieren, dass ihnen von der globalen Wirtschaft Schaden zugefügt wurde. Löhne sind nicht gestiegen, während die Oberschicht obszön reich geworden ist.

Wenn die Kampagne von Sanders eine rationale und mitfühlende Anstrengung war, mit der Wirtschaftskrise umzugehen, ist die Kampagne von Trump so, wie wenn man einen Stein umdreht und das Schlechteste der amerikanischen Psyche darunter hervorkriechen sieht.

Es gibt eine gewisse Verwirrung über die Kampagne von Trump, denn ein paar Dinge, die er gesagt hat, machen m.E. Sinn. Ich stimme ihm zu, dass die NATO aufgelöst werden sollte. Und während ich kein Fan von Putin bin, den ich als einen Oligarchen mit gewaltiger Machtbefugnis und ohne Sinn für Zivilgesellschaft sehe, gibt es keinen Grund, warum die USA nicht in friedlicher Koexistenz mit Russland leben sollten. Zu viel von der amerikanischen Außenpolitik basiert auf Annahmen aus dem Kalten Krieg. Warum sich über Trump lustig machen, weil er freundschaftliche Beziehungen mit Nordkorea vorschlägt? Er hat auch Recht mit der Aussage, dass die Handelsabkommen die Reichen reicher und die Armen zu Bettlern gemacht haben.

Es gibt Gemeinsamkeiten zwischen Trump und den Rechten in Europa – aber die Unterschiede sind größer als die Gemeinsamkeiten. Trump, den ich für einen Betrüger und pathologischen Lügner halte, wird die Wahlen verlieren. Aber der Grund für seinen Aufstieg ist mehr als jeder andere einzelne Faktor die Angst des weißen Amerikas vor der Tatsache, dass 2050 die Weißen eine Minderheit in den USA darstellen werden.

Übersetzung: Christine Schweitzer

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David McReynolds gehörte fast 40 Jahre zu den Hauptamtlichen der War Resisterss' League und war auch einmal Vorsitzender der War Resisters' International. Seit fast 60 Jahren ist auch in der sozialistischen Bewegung aktiv.