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Rückblick auf die "Pazifismusdebatte" bei Pax Christi
Was heißt hier "Option für Gewaltfreiheit"?
vonDie Delegiertenversammlung von Pax Cristi bekräftigte Mitte November ihre Position für eine zivile Friedenspolitik und gegen sogenannte humanitäre Militärintervention. Damit ist eine erhitzte Debatte über die Umsetzung der Option für Gewaltfreiheit innerhalb der katholischen Friedensbewegung zu einem vorläufigen Ende gekommen.
Begonnen wurde sie am 9.8.1995, als der Geschäftsführende Vorstand von Pax Christi die Stellungnahme "Wider einen kommentarlosen Pazifismus" (in der Frankfurter Rundschau am 17.7.95 erschienen) veröffentlichte. Er antwortete darin auf die damalige Eskalation der Krise auf dem Balkan, die durch die ethnischen Säuberungen in Srebrenica und Zepa ihren traurigen Höhepunkt erreicht hatte. Der Satz, der die Gemüter erregte, lautete: "Wir halten ... um der Glaubwürdigkeit unseres Friedenshandeln willen ein künftiges militärisches Eingreifen dann für gerechtfertigt, wenn - wie im Fall von Srebrenica und Zepa - Menschen in unerträglichem Maße schutzlos der Gewalt von Aggressoren ausgeliefert sind."
Viele Frauen und Männer aus der Friedensbewegung sahen in dieser Stellungnahme die bisherige pazifistische Grundposition der Ablehnung von militärischer Gewalt, die die einzelnen Bewegungen und Initiativen einte, in Frage gestellt. Im kirchlichen Bereich fühlte man sich an die "Lehre vom gerechten Krieg" erinnert, die zur Rechtfertigung vieler unglückseliger kriegerischer Auseinandersetzungen hergehalten hatte. Pax-Christi-Mitglieder schrieben entweder als Einzelpersonen oder als Basisgruppen an den Geschäftsführenden Vorstand und kritisierten massiv Inhalt und Verfahrensweise der Veröffentlichung.
Die Delegiertenversammlung im November 1995 in Essen war der erste Ort, an dem die Debatte um die pazifistische Position von Pax Christi offen ausgetragen werden konnte. Der Beschlußtext von Essen stellte zwar klar, daß "die Mehrheit von Pax Christi im militärischen Eingreifen ... kein geeignetes Mittel der Friedensbewahrung und Friedenserzwingung (sieht), weil nach ihrer Meinung mit militärischer Gewaltanwendung kein gerechter Frieden zu erreichen ist". Doch im Laufe der folgenden Monate stellte sich heraus, daß die Unterscheidung in Mehrheits- und Minderheitsmeinung auf Dauer keine tragfähige Grundlage für das friedenspolitische Engagement von Pax Christi sein konnte. Auch der interne Umgang der Vertreter/innen der im Kern einander ausschließenden Positionen erwies sich untereinander als schwierig.
Die Bonner Pax Christi-Gruppe klagte vor diesem Hintergrund in einem offenen Brief an das Präsidium vom 14.1.1996 die Notwendigkeit einer eindeutigen Position von Pax Christi ein. In mehreren Ausgaben der Pax Christi-Zeitschrift, besonders in der Ausgabe 1/96, entwickelte sich eine differenzierte Debatte um die Frage nach dem unterschiedlichen Verständnis der Option für Gewaltfreiheit, die von Vertreter/inne/n beider Grundpositionen in Anspruch genommen wurde. Wichtige Schritte im Verlauf der Auseinandersetzung waren dann der Kongreß "Kriegerische Konflikte und friedenspolitisches Engagement - Pax Christi und die Option für Gewaltfreiheit" Anfang Mai in Oberwesel und das Seminar "Gewaltfreiheit" Ende Juni in Mainz. Auch dort wurde intensiv und leidenschaftlich diskutiert, doch zeichnete sich keine Annäherung in der Frage ab, welche Position Pax Christi nun in der politischen Öffentlichkeit vertreten solle.
Die Antwort darauf erfolgte durch die Delegiertenversammlung am 17.11.1996 in Hübingen. Im Vorfeld hatten fünf Anträge zur Diskussion um die Gewalftfreiheit vorgelegen, letztendlich waren es noch zwei, die in nächtlichen Sitzungen nochmals verändert und zur endgültigen Beratung vorgelegt wurden. Der Text erhielt nach einer weiteren Plenumsdebatte, die Zustimmung von fast 80% der Delegierten. Unter der Überschrift "Für eine zivile Friedenspolitik ohne Militärintervention" kritisiert Pax Christi darin einen "neuen Militärinterventionismus" der internationalen Staatengemeinschaft, der "von Politikern zumeist unter Bezugnahme auf humanitäre Motive begründet (wird)". Die NATO wird als "Interessendurchsetzungsinstrument für nationale Interessen" kritisiert und der UNO Handlungsunfähigkeit konstatiert "in ihrer Abhängigkeit besonders von den Staaten des Sicherheitsrates."
Zur entscheidenden Frage, ob in Extremsituationen, wie z.B. bei einem systematisch geplanten Völkermord, auch militärische Interventionen - um der Opfer willen - legitim sein können, plädiert Pax Christi dafür, die langfristigen Folgen im Blick zu halten. Es werden eine Reihe von Bedenken gegen sog. Militärinterventionen aufgeführt: Etwa die Gefahr, ungewollt den grundsätzlichen Ausbau militärischer Interventionsstreitkräfte zu unterstützen, die Tatsache, daß die Entscheidung darüber den Eigeninteressen der Nationalstaaten unterliegt, und prinzipielle Einwände gegen Militäreinsätze.
Im Ergebnis antwortet Pax Christi "nach Analyse der derzeitigen gesellschaftlichen und globalen Zusammenhänge sowie dem Abwägen der ethischen und politischen Argumente mit einem NEIN zu diesen sogenannten humanitären Militäreinsatzen". Der fehlende Umsetzungswille für einen internationalen Humanitarismus der Regierungen zeige sich zum Beispiel in der Ablehnung der Bundesrepublik, in das Projekt "Ziviler Friedensdienst" einzusteigen. "Das Nein zur militärischen Option bedeutet gleichzeitig die entschiedene Verpflichtung für Pax Christi, sich verstärkt mit zivilen Mitteln und gewaltfreien Strategien für die Opfer aktueller Kriege und weltweiter Ausbeutungsprozesse einzusetzen und eine Zivilisierung der internationalen Beziehungen politisch einzufordern."
Mit dem Beschluß ist Pax Christi zu einem vorläufigen Ende ihrer Pazifismusdebatte gekommen. Die Position von Pax Christi als Teil der Friedensbewegung liegt - um es kurz und kompakt zu sagen - in der eindeutigen Unterstützung aller zivilen Bemühungen vor, während und nach kriegerischen Konflikten mit dem Ziel der friedlichen Streibeilegung. Damit ist die ebenso eindeutige Ablehnung sog. humanitärer Militärintervention verbunden.
Johnnes Stücker-Brüning gehört zur Bonner Pax Christi Gruppe.
Dokumentation (in Auszügen):
Für eine zivile Friedenspolitik
ohne Militärintervention.
Beschluß der Pax-Christi-Delegierten versammlung 1996
1. (...) Weltpolitik ist für uns heute nicht mehr ohne Bezug auf das universelle Konzept von Demokratie und individuellen und sozialen Menschenrechten vorstellbar. Wo dieses grob verletzt wird, ist die Weltgemeinschaft aufgerufen, eine Schutzaufgabe zu übernehmen, gibt es, über das Souveränitätsrecht der Nationalstaaten hinaus, ein Gebot des Einmisches durch zu reformierende bzw. noch zu schaffende internationale, zivile Organisationen.
2. In "Extremsituationen", zum Beispiel bei völligem Verfall staatlicher Ordungsstrukturen (Somalia) und daran geknüpften bürgerkriegsartigen Auseinandersetzungen oder systematisch geplanten Völkermord (Ruanda), kann die "internationale Mitverantwortung", umgesetzt durch eine Strategie ziviler Konfliktbearbeitung, kurzfristig scheitern und unmittelbares Elend und Leid nicht verhindern.
Aktuelle Erkenntnisse zu beachten:
3.1 Es gilt, in Extremsituationen neben dem unmittelbaren Schutz der betroffenen Menschen auch die langfristigen Folgen im Blick zu behalten. Denn die Analyse der bisherigen "humanitären Interventionen" (vgl. Anhang) zeigt, wie problematische gerade die langfristigen Wirkungen militärischer Interventionen sind.
3.2 BefürworterInnen begrenzter militärischer Interventionen suchen das militärische Eingreifen nach strengen Kriterien einzugrenzen. dabei droht die Gefahr, daß die Rede von der Gewalt als "ultima ratio" zur Proxima ratio" wird. Denn ein militärisches Eingreifen müsste möglichst frühzeitig erfolgen, um nicht für die meisten Opfer viel zu spät zu kommen. In einer solchen Logik liegt es, frühzeitig ein militärisches Eingreifen zu fordern und nicht nur für legitim zu halten. Die Forderung ist zwar begründbar, würde aber eine insgesamt verherrende Renaissance militärischer Konfliktlösungen befördern. Allein die Legitimation hilft den Opfern nicht, rechtfertigt aber ungewollt den grundsätzlichen Ausbau militärischer Interventionsstreikräfte, z.B. in Deutschland.
3.3 Die Entscheidung darüber, ob militärisch eingegriffen wir, unterliegt Eigeninteressen der Nationalstaaten. Denn: Warum ein Einsatz in Somalia, nicht aber im Sudan, warum in Ruanda, nicht aber in Liberia? Dies gilt erst recht, wenn bei Kriegen wie in Tschetschenien, Afghanistan, Kurdistan Großmächte oder deren Bündnispartner direkt involviert sind.
3.4 Ein weiteres Problem ist die Frage nach dem Subjekt des Eingreifens: Da die UNO keine Interventionsmilitärmacht hat und die führenden Militärmächte nicht bereit sind, auf Souveränitätsrechte zu verzichten, kann sie lediglich Staaten oder Militärbündnisse zur Intervention auffordern. Diese entscheiden aber selbst, ob ein Eingreifen auch hinreichend den eigenen nationalen Intressen dient. Zugleich sind sie es, die dazu beitragen, daß immer wieder Kriege geführt werden: durch Ausbeutung, Aufrüstung, weltweites Schaffen zunehmender Ungleichheiten.
3.5 Auch bei Militäreinsätzen zu sogenannten humanitären Zwecken werden Unschuldige getötet, werden Menschen als Soldaten zu Befehlsempfängern degradiert und müssen fremdbestimmt handeln und auch auf Befehl töten, ohne selbst eine eigene Gewissensentscheidung treffen zu können.
3.6 In der politisch Debatte wird oft eine einzelne Kriegssituation so vom Gesamtgeschehen isoliert, daß sie als individuelle und überschaubare Notwehr-/ Nothilfesituation erscheint, in der ein Eingreifen nach den ethischen Kriterien von Nothilfe (Polizei) möglich sei. Solche Situationen machen aber gerade nicht das Typische von Kriegen - also militärischen "Eingriffen" - aus.
3.7 Die Forderung nach Militäreinsätzen schafft dem nationalen Militär und bestehenden Militärbündnissen neue Legitimation. Die Aufstellung und Ausrüstung von Krisenreaktionskräften für die weltweite "humanitäre intervention" kann dann schwerlich abgelehnt werden. Die Folge ist eine Modernisierungs- und Aufrüstungswelle, die große finanzielle Ressourcen bindet. Statt, wie erforderlich, die Kriegs- und Konfliktursachen wie Armut, Hunger und ungerechte Verteilung der Ressourcen zu bekämpfen, wird weiterhin in die militärische Eindämmung der mitverursachten Konflikte investiert.
3.8 Es ist klar, daß Gewaltfreiheit Grenzen hat. Es wird weiterhin Situationen geben, in denen wir angesichts der Gewalt ohnmächtig bleiben. Wäre aber die Behauptung des Gegenteils nicht eine Allmachtsphantasie? Wir haben uns die Frage zu stellen, wie wir uns selbst mit gewaltfreien Mitteln aktiv in den Konflikt einbringen und zu Lösungen beitragen können. (...)
6. Pax Christi warnt davor, einer humanitären Rhetorik in der Politik und letztlich einer doppelten Moral zu trauen. Die Partikularinteressen mächtiger Staaten werden in die Sprache universeller Prinzipien gefaßt. Pax Christi als politisch-spirituelle Bewegung antwortet nach Analyse der derzeitigen gesellschaftlichen und globalen Zusammenhängen sowie dem Abwägen der ethischen und politische Argumente mit einem NEIN zu diesen sogenannten humanitären Militärinterventionen.
Pax Christi sieht für einen internationalen Humanitarismus zurzeit keinen Umsetzungswillen in den Regierungen. Dies zeigt sich zum Beispiel in der Ablehnung der Bundesregierung, in das Projekt "Ziviler Friedensdienst" einzusteigen, beziehungsweise eine eindeutige Einschräkung oder den Stop bundesdeutscher Rüstungsexporte zu vollziehen. Das NEIN zur militärischen Option bedeutet gleichzeitig die entschiedene Verpflichtung für Pax Christi, sich verstärkt mit zivilen Mitteln und gewaltfreien Strategien für die Opfer aktueller Kriege und weltweiter Ausbeutungsprozesse einzusetzen und eine Zivilisierung der internationalen Beziehungen politisch einzufordern.
(Abstimmung: 89:23:3)
Der vollständige Text kann beim Pax Christi Generalsekretaritat, Postfach 1345, 61103 Bad Vilbel, angefordert werden.