Rückblick auf die "Pazifismusdebatte" bei Pax Christi

Was heißt hier "Option für Gewaltfreiheit"?

von Johnnes Stücker-Brüning
Hintergrund
Hintergrund

Die Delegiertenversammlung von Pax Cristi bekräftigte Mitte Novem­ber ihre Position für eine zivile Friedenspolitik und gegen sogenannte humanitäre Militärintervention. Damit ist eine erhitzte Debatte über die Umsetzung der Option für Gewaltfreiheit innerhalb der katholischen Friedensbewegung zu einem vorläufigen Ende gekommen.

Begonnen wurde sie am 9.8.1995, als der Geschäftsführende Vorstand von Pax Christi die Stellungnahme "Wider einen kommentarlosen Pazifismus" (in der Frankfurter Rundschau am 17.7.95 erschienen) veröffentlichte. Er antwor­tete darin auf die damalige Eskalation der Krise auf dem Balkan, die durch die ethnischen Säuberungen in Srebrenica und Zepa ihren traurigen Höhepunkt er­reicht hatte. Der Satz, der die Gemüter erregte, lautete: "Wir halten ... um der Glaubwürdigkeit unseres Friedenshan­deln willen ein künftiges militärisches Eingreifen dann für gerechtfertigt, wenn - wie im Fall von Srebrenica und Zepa - Menschen in unerträglichem Maße schutzlos der Gewalt von Aggressoren ausgeliefert sind."

Viele Frauen und Männer aus der Friedensbewegung sahen in dieser Stellung­nahme die bisherige pazifistische Grundposition der Ablehnung von mi­litärischer Gewalt, die die einzelnen Bewegungen und Initiativen einte, in Frage gestellt. Im kirchlichen Bereich fühlte man sich an die "Lehre vom ge­rechten Krieg" erinnert, die zur Recht­fertigung vieler unglückseliger kriegeri­scher Auseinandersetzungen hergehal­ten hatte. Pax-Christi-Mitglieder schrie­ben entweder als  Einzelpersonen oder als Basisgruppen an den Geschäftsfüh­renden Vorstand und kritisierten massiv Inhalt und Verfahrensweise der Veröf­fentlichung.

Die Delegiertenversammlung im No­vember 1995 in Essen war der erste Ort, an dem die Debatte um die pazifistische Position von Pax Christi offen ausgetra­gen werden konnte. Der Beschlußtext von Essen stellte zwar klar, daß "die Mehrheit von Pax Christi im militäri­schen Eingreifen ... kein geeignetes Mittel der Friedensbewahrung und Frie­denserzwingung (sieht), weil nach ihrer Meinung mit militärischer Gewaltan­wendung kein gerechter Frieden zu er­reichen ist". Doch im Laufe der folgen­den Monate stellte sich heraus, daß die Unterscheidung in Mehrheits- und Min­derheitsmeinung auf Dauer keine trag­fähige Grundlage für das friedenspoliti­sche Engagement von Pax Christi sein konnte. Auch der interne Umgang der Vertreter/innen der im Kern einander ausschließenden Positionen erwies sich untereinander als schwierig.

Die Bonner Pax Christi-Gruppe klagte vor diesem Hintergrund in einem offe­nen Brief an das Präsidium vom 14.1.1996 die Notwendigkeit einer ein­deutigen Position von Pax Christi ein. In mehreren Ausgaben der Pax Christi-Zeitschrift, besonders in der Ausgabe 1/96, entwickelte sich eine differenzierte Debatte um die Frage nach dem unter­schiedlichen Verständnis der Option für Gewaltfreiheit, die von Vertreter/inne/n beider Grundpositionen in Anspruch genommen wurde. Wichtige Schritte im Verlauf der Auseinandersetzung waren dann der Kongreß "Kriegerische Kon­flikte und friedenspolitisches Engage­ment - Pax Christi und die Option für Gewaltfreiheit" Anfang Mai in Oberwe­sel und das Seminar "Gewaltfreiheit" Ende Juni in Mainz. Auch dort wurde intensiv und leidenschaftlich diskutiert, doch zeichnete sich keine Annäherung in der Frage ab, welche Position Pax Christi nun in der politischen Öffent­lichkeit vertreten solle.

Die Antwort darauf erfolgte durch die Delegiertenversammlung am 17.11.1996 in Hübingen. Im Vorfeld hatten fünf Anträge zur Diskussion um die Gewalftfreiheit vorgelegen, letz­tendlich waren es noch zwei, die in nächtlichen Sitzungen nochmals verän­dert und zur endgültigen Beratung vor­gelegt wurden. Der Text erhielt nach ei­ner weiteren Plenumsdebatte, die Zustimmung von fast 80% der Dele­gierten. Unter der Überschrift "Für eine zivile Friedenspolitik ohne Militärinter­vention" kritisiert Pax Christi darin einen "neuen Militärinterventionismus" der internationalen Staatengemeinschaft, der "von Politikern zumeist unter Be­zugnahme auf humanitäre Motive be­gründet (wird)". Die NATO wird als "Interessendurchsetzungsinstrument für nationale Interessen" kritisiert und der UNO Handlungsunfähigkeit konstatiert "in ihrer Abhängigkeit besonders von den Staaten des Sicherheitsrates."

Zur entscheidenden Frage, ob in Ex­tremsituationen, wie z.B. bei einem sy­stematisch geplanten Völkermord, auch militärische Interventionen - um der Op­fer willen - legitim sein können, plädiert Pax Christi dafür, die langfristigen Fol­gen im Blick zu halten. Es werden eine Reihe von Bedenken gegen sog. Militä­rinterventionen aufgeführt: Etwa die Gefahr, ungewollt den grundsätzlichen Ausbau militärischer Interventions­streitkräfte zu unterstützen, die Tatsa­che, daß die Entscheidung darüber den Eigeninteressen der Nationalstaaten un­terliegt, und prinzipielle Einwände ge­gen Militäreinsätze.

Im Ergebnis antwortet Pax Christi "nach Analyse der derzeitigen gesellschaftli­chen und globalen Zusammenhänge so­wie dem Abwägen der ethischen und politischen Argumente mit einem NEIN zu diesen sogenannten humanitären Mi­litäreinsatzen". Der fehlende Umset­zungswille für einen internationalen Humanitarismus der Regierungen zeige sich zum Beispiel in der Ablehnung der Bundesrepublik, in das Projekt "Ziviler Friedensdienst" einzusteigen. "Das Nein zur militärischen Option bedeutet gleichzeitig die entschiedene Ver­pflichtung für Pax Christi, sich verstärkt mit zivilen Mitteln und gewaltfreien Strategien für die Opfer aktueller Kriege und weltweiter Ausbeutungsprozesse einzusetzen und eine Zivilisierung der internationalen Beziehungen politisch einzufordern."

Mit dem Beschluß ist Pax Christi zu ei­nem vorläufigen Ende ihrer Pazifismus­debatte gekommen. Die Position von Pax Christi als Teil der Friedensbewe­gung liegt - um es kurz und kompakt zu sagen - in der eindeutigen Unterstützung aller zivilen Bemühungen vor, während und nach kriegerischen Konflikten mit dem Ziel der friedlichen Streibeilegung. Damit ist die ebenso eindeutige Ableh­nung sog. humanitärer Militärinterven­tion verbunden.

Johnnes Stücker-Brüning gehört zur Bonner Pax Christi Gruppe.

Dokumentation (in Auszügen):

Für eine zivile Friedenspolitik
ohne Militärintervention.

Beschluß der Pax-Christi-Delegierten versammlung 1996

1. (...) Weltpolitik ist für uns heute nicht mehr ohne Bezug auf das universelle Konzept von Demokratie und individuellen und sozialen Men­schenrechten vorstellbar. Wo dieses grob verletzt wird, ist die Weltgemein­schaft aufgerufen, eine Schutzaufgabe zu übernehmen, gibt es, über das Souve­ränitätsrecht der Nationalstaaten hinaus, ein Gebot des Einmisches durch zu re­formierende bzw. noch zu schaffende internationale, zivile Organisationen.

2. In "Extremsituationen", zum Beispiel bei völligem Verfall staatlicher Ordungsstrukturen (Somalia) und daran geknüpften bürgerkriegsartigen Ausein­andersetzungen oder systematisch ge­planten Völkermord (Ruanda), kann die "internationale Mitverantwortung", um­gesetzt durch eine Strategie ziviler Kon­fliktbearbeitung, kurzfristig scheitern und unmittelbares Elend und Leid nicht verhindern.

Aktuelle Erkenntnisse zu be­achten:

3.1 Es gilt, in Extremsituationen neben dem unmittelbaren Schutz der betroffe­nen Menschen auch die langfristigen Folgen im Blick zu behalten. Denn die Analyse der bisherigen "humanitären Interventionen" (vgl. Anhang) zeigt, wie problematische gerade die langfristigen Wirkungen militärischer Interventionen sind.

3.2 BefürworterInnen begrenzter militä­rischer Interventionen suchen das mili­tärische Eingreifen nach strengen Krite­rien einzugrenzen. dabei droht die Ge­fahr, daß die Rede von der Gewalt als "ultima ratio" zur Proxima ratio" wird. Denn ein militärisches Eingreifen müsste möglichst frühzeitig erfolgen, um nicht für die meisten Opfer viel zu spät zu kommen. In einer solchen Logik liegt es, frühzeitig ein militärisches Eingrei­fen zu fordern und nicht nur für legitim zu halten. Die Forderung ist zwar be­gründbar, würde aber eine insgesamt verherrende Renaissance militärischer Konfliktlösungen befördern. Allein die Legitimation hilft den Opfern nicht, rechtfertigt aber ungewollt den grund­sätzlichen Ausbau militärischer Inter­ventionsstreikräfte, z.B. in Deutschland.

3.3 Die Entscheidung darüber, ob mili­tärisch eingegriffen wir, unterliegt Ei­geninteressen der Nationalstaaten. Denn: Warum ein Einsatz in Somalia, nicht aber im Sudan, warum in Ruanda, nicht aber in Liberia? Dies gilt erst recht, wenn bei Kriegen wie in Tschet­schenien, Afghanistan, Kurdistan Großmächte oder deren Bündnispartner direkt involviert sind.

3.4 Ein weiteres Problem ist die Frage nach dem Subjekt des Eingreifens: Da die UNO keine Interventionsmilitär­macht hat und die führenden Militär­mächte nicht bereit sind, auf Souverä­nitätsrechte zu verzichten, kann sie le­diglich Staaten oder Militärbündnisse zur Intervention auffordern. Diese ent­scheiden aber selbst, ob ein Eingreifen auch hinreichend den eigenen nationa­len Intressen dient. Zugleich sind sie es, die dazu beitragen, daß immer wieder Kriege geführt werden: durch Ausbeu­tung, Aufrüstung, weltweites Schaffen zunehmender Ungleichheiten.

3.5 Auch bei Militäreinsätzen zu soge­nannten humanitären Zwecken werden Unschuldige getötet, werden Menschen als Soldaten zu Befehlsempfängern de­gradiert und müssen fremdbestimmt handeln und auch auf Befehl töten, ohne selbst eine eigene Gewissensentschei­dung treffen zu können.

3.6 In der politisch Debatte wird oft eine einzelne Kriegssituation so vom Ge­samtgeschehen isoliert, daß sie als indi­viduelle und überschaubare Notwehr-/ Nothilfesituation erscheint, in der ein Eingreifen nach den ethischen Kriterien von Nothilfe (Polizei) möglich sei. Sol­che Situationen machen aber gerade nicht das Typische von Kriegen - also militärischen "Eingriffen" - aus.

3.7 Die Forderung nach Militäreinsätzen schafft dem nationalen Militär und be­stehenden Militärbündnissen neue Legi­timation. Die Aufstellung und Ausrü­stung von Krisenreaktionskräften für die weltweite "humanitäre intervention" kann dann schwerlich abgelehnt werden. Die Folge ist eine Modernisierungs- und Aufrüstungswelle, die große finanzielle Ressourcen bindet. Statt, wie erforder­lich, die Kriegs- und Konfliktursachen wie Armut, Hunger und ungerechte Verteilung der Ressourcen zu bekämp­fen, wird weiterhin in die militärische Eindämmung der mitverursachten Kon­flikte investiert.

3.8 Es ist klar, daß Gewaltfreiheit Gren­zen hat. Es wird weiterhin Situationen geben, in denen wir angesichts der Ge­walt ohnmächtig bleiben. Wäre aber die Behauptung des Gegenteils nicht eine Allmachtsphantasie? Wir haben uns die Frage zu stellen, wie wir uns selbst mit gewaltfreien Mitteln aktiv in den Kon­flikt einbringen und zu Lösungen bei­tragen können. (...)

6. Pax Christi warnt davor, einer humanitären Rhetorik in der Politik und letztlich einer doppelten Moral zu trauen. Die Partikularinteressen mächti­ger Staaten werden in die Sprache uni­verseller Prinzipien gefaßt. Pax Christi als politisch-spirituelle Bewegung ant­wortet nach Analyse der derzeitigen ge­sellschaftlichen und globalen Zusam­menhängen sowie dem Abwägen der ethischen und politische Argumente mit einem NEIN zu diesen sogenannten humanitären Militärinterventionen.

Pax Christi sieht für einen in­ternationalen Humanitarismus zurzeit keinen Umsetzungswillen in den Regie­rungen. Dies zeigt sich zum Beispiel in der Ablehnung der Bundesregierung, in das Projekt "Ziviler Friedensdienst" ein­zusteigen, beziehungsweise eine ein­deutige Einschräkung oder den Stop bundesdeutscher Rüstungsexporte zu vollziehen. Das NEIN zur militärischen Option bedeutet gleichzeitig die ent­schiedene Verpflichtung für Pax Christi, sich verstärkt mit zivilen Mitteln und gewaltfreien Strategien für die Opfer aktueller Kriege und weltweiter Aus­beutungsprozesse einzusetzen und eine Zivilisierung der internationalen Bezie­hungen politisch einzufordern.

(Abstimmung: 89:23:3)

 

Der vollständige Text kann beim Pax Christi Generalsekretaritat, Postfach 1345, 61103 Bad Vilbel, angefordert werden.

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