Baskenland:

Welche Art von Frieden?

von Rafa Sainz des Rozas
Schwerpunkt
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Das Frühjahr 1997 sah erneut die sichtbarsten Elemente des Konfliktes im Baskenland, die Schlagzeilen dominieren. Drei Tage, nachdem ein Mitglied der ETA mit gefesselten Händen und Füßen in seiner Zelle erhängt gefunden worden war, starteten Kommandos der baskischen Separatistenorganisation ETA die größte Offensive seit der Regierungsübernahme durch die Volkspartei im März 1996. Die Spannungen stiegen weiter, als die gesamte Führung der Herri Batasuna, dem politischen Arm der ETA, festgenommen wurde und einer der Gefangenen ebenfalls angeblich "Selbstmord" beging. Da die Regierung öffentlich jegliche Verhandlungen mit der ETA ablehnt, erscheint die Situation so verfahren wie immer. Anmerkung: Dieser Beitrag wurde vor der Ermordung des Lokalpolitikers Blanco Garrido geschrieben. Die jüngsten Entwicklungen scheinen die hier beschriebenen Tendenzen aber nur verstärkt zu haben.

Für PazifistInnen und AntimilitaristInnen anderer Länder weist das Baskenland aber auch einige positivere Seiten auf. Sechzig Prozent der spanischen Totalverweigerer kommen aus der Region und siebzig Prozent der baskischen Wehrpflichtigen verweigern den Wehrdienst (gegenüber 48% landesweitem Durchschnitt). Die Demonstrationen für Frieden durch Gruppen wie "Gesto por la paz" ("Geste für Frieden") haben einen hohen Grad an öffentlicher Mobilisierung und ein großes Presseecho erzielt. Welche Rolle können unter diesen Umständen die lokalen Friedens- und antimilitaristischen Bewegungen bei der Suche nach einer langfristigen Lösung des Konfliktes spielen?

Die Bedeutungen des Begriffes "Pazifismus"

Während die derzeitige Situation im Baskenland die Verbreitung pazifistischer Ideen fördert, beschränkt dies ironischerweise die Rolle, die die Friedensbewegung bei der Suche nach einer Lösung des Konfliktes spielen kann.

Alle militärischen Dinge sind im Baskenland unpopulär. Dies geht weiter als die Ablehnung der spanischen Armee aus nationalistischen Gründen. Selbst aus einer separatistischen Perspektive kann die wirkliche Aufgabe, der sich das Baskenland heute gegenübersieht - nämlich die Stärkung der nationalen Identität - weniger durch bewaffneten Kampf als durch die Integration eines größeren Bevölkerungsteils in das gemeinsame kulturelle, ökonomische und soziale Projekt vorangebracht werden.

Deshalb drücken sich die Gruppen, die die Bevölkerung gegen die ETA mobilisieren wollen, in "pazifistischen" Begriffen aus, selbst wenn sie das bestehende System verteidigen. Auf der einen Seite rufen sie dazu auf, die demokratischen Institutionen und das staatliche Gewaltmonopol zu respektieren, sofern dieses innerhalb des gesetzlichen Rahmens angewendet wird. Auf der anderen Seite hat das Militär seine Legitimation im Baskenland zu einem Ausmaße verloren, daß sie es anstelle einer Anrufung der traditionellen Konzepte von Recht und Ordnung bevorzugen, an die Werte des Friedens und der Gewaltlosigkeit zu appellieren. Deshalb werden solche Organisationen wie "Gesto por la paz" und Bakea Orain (Frieden jetzt) gewöhnlich als "pazifistische Gruppen" bezeichnet.

Diese Situation beeinflußt die Entwicklung der lokalen Friedensbewegung auf zweierlei Art. "Pazifismus" wird in manchen separatistischen Kreisen als negativ angesehen und umgekehrt genießt er einen ungewöhnlichen Grad an offizieller Anerkennung durch die lokalen politischen Behörden. Das öffentliche Fernsehen würde normalerweise nicht so viel über Aktionen einer "pazifistischen" Initiative berichten, wie es dies im Falle von Gesto por las Paz tut. Und wo würde der Innenminister an der Spitze einer pazifistischen Demonstration marschieren?

Natürlich liegt die Erklärung hierfür in dem beschränkten Verständnis und Verwendung des Begriffes "Pazifismus". Die Anti-ETA-Gruppen teilen einige pazifistische Ansichten. Aber obwohl gegen die ETA zu sein, eine notwendige Voraussetzung dafür ist, Pazifist zu sein, ist es nicht genug. Ein positives Friedenskonzept verlangt, Entscheidungen des Staates in Frage zu stellen und ihnen sogar den Gehorsam zu verweigern.

Unter der radikalen nationalistischen Linken, die gewöhnlich mit Herri Batasuna (HB) assoziiert wird, hat die Verbindung zwischen Anti-ETA-Mobilisierung und Pazifismus natürlich zu einer Ablehnung pazifistischer Ideen geführt. Selbst in ihrer Anti-NATO-Kampagne 1986 agierte HB aus einer ausschließlich anti-imperialistischen Perspektive heraus und vermied jeden Bezug zu anti-militaristischen Werten. Erst die machtvolle Entwicklung der Totalverweigerungskampagne in den frühen 90er Jahren ließ die separatistische Linke ihre Überzeugung aufgeben, daß "Totalverweigerung nicht der Weg" sei. Sie erkannte daß Potential der Totalverweigerung, das System zu stören und adaptierte sie schließlich sogar trotz - nicht wegen - ihrer antimilitaritischen Analyse.

Der soziale Druck für Frieden

Die sich ergebende Situation ist komplex und paradox. Keine Konfliktpartei kann sich heute den Luxus erlauben, nicht die "pazifistische Sprache" zu benutzen. Aber ihre internen Dynamiken und Ideologie machen sie unfähig, das kohärente und umfassende Konzept eines positiven Frieden anzunehmen, das Kern des realen Pazifismus ist.

Stellen wir uns einmal vor, der Staat akzeptiere wirklich die Werte, die von Gesto por la Paz ausgedrückt werden, wenn sie die Bevölkerung gegen die Gewaltanwendung im Baskenland mobilisieren - "es gibt nichts wichtigeres als Frieden", "wir müssen Konflikte demilitarisieren", "keine Idee ist den Verlust von Menschenleben wert". Wenn der Staat dieser Logik folgte, würde militärische Verteidigung ihren Sinn verlieren. Aber der Staat fährt nicht nur fort, auf Gewalt zur Lösung seiner Konflikte zurückzufallen, er beansprucht auch ein Monopol auf ihre legitime Anwendung.

Nun stelle man sich vor, daß HB die Notwendigkeit anerkennen würde, die Gesellschaft zu demilitarisieren, wie von den antimilitaristischen Totalverweigerern verlangt wird. Sie müßten ihr politisches Verhalten radikal ändern und die Rolle der ETA im Prozeß der sozialen Transformation in Frage stellen.

Die Verpflichtung gegenüber dem Frieden, die von allen politischen Kräften im Baskenland beteuert wird, enthält daher wenig Hoffnung auf eine wahre Neubewertung ihrer Einstellung gegenüber der Gewalt. Aber es ist auch wahr, daß die Diskussion über "pazifistische" Ideen Erwartungen bei einem immer größer werdenden Teil der Bevölkerung geweckt hat. Dies führt zu einem wachsenden sozialen Druck, einen Dialog zu beginnen.

Förderung von Dialog

Hier müssen besonders die Initiativen erwähnt werden, die von "Elkarri" begonnen wurden. Elkarri ist keine pazifistische Organisation und wurde ursprünglich von an Frieden interessierten Leuten aus der HB gegründet. Sie hat sich immer einfach als Organisation definiert, die "für Frieden arbeitet". Drei Aspekte kennzeichnen ihren Ansatz: Erstens die Förderung von Dialog zwischen den politischen Parteien, zweitens die Entwicklung von "sozialer Mediation", d.h. einem dezentralisierten Prozeß, der Dialoge auf der lokalen Ebene (Gemeinden, Dörfer, Universitäten) anstrebt und drittens diskrete Bemühungen, direkte Kontakte zwischen der ETA und der spanischen Zentralregierung zu vermitteln.

Die zentrale Idee hinter sozialer Mediatinon ist, daß die Überwindung von Gewalt und die Lösung des gegenwärtigen Konfliktes erfordert, gemeinsame Punkte bei zehn zentralen Fragen zu finden:

1. Wurzeln des baskischen Konfliktes,

2. Schutz der Menschenrechte,

3. Respekt des Rechtes auf Leben,

4. Recht auf Selbstbestimmung,

5. Förderung der baskischen Sprache und Kultur,

6. die Gewalt der ETA zu beenden,

7. die Gewalt des Staates zu beenden,

8. Opfer Entschädigung,

9. die Situation der ETA-Gefangenen,

10. Möglichkeiten eines Dialoges zu identifizieren.

Einigkeiten zu jedem dieser Punkte herzustellen, würde sicherlich die Art von Gerechtigkeit befördern, die in einem pazifistischen Friedenskonzept enthalten ist. Aber Elkarris Ansatz weist hier Probleme auf. Zum Beispiel wäre es leicht, einen Konsens über generelle Fragen wie das Recht auf Leben, Schutz der Menschenrechte, die Bedeutung der baskischen Sprache und Kultur oder sogar die Notwendigkeit auf Entschädigung aller Gewalt-Opfer herzustellen. Die Schwierigkeit liegt darin, eine wirkliche Akzeptanz dieser Prinzipien herzustellen. Solange die virulentesten Aspekte des Konfliktes fortbestehen (der bewaffnete Kampf der ETA und die daraus resultierende staatliche Unterdrückung), fährt jede Seite damit fort, die Gewalt zu rechtfertigen oder nicht anzuklagen, die dem Geist jener Übereinstimmungen widerspricht (z.B.: Bombenattentate, Kidnappings, Verweigerung von Rechten für Häftlinge, Folter, Verstreuung der ETA-Gefangenen außerhalb des Baskenlandes).

Wie kann man solch einen Widerspruch erklären? Er resultiert vermutlich aus der Tatsache, daß soziale Gerechtigkeit nur eine symbolische Funktion hat und von den Konfliktpartnern benutzt wird, um ihre eigenen Positionen zu rechtfertigen. Da diese Themen nicht mehr der Schlüsselfaktor im Konflikt sind, ist ihr Angehen nicht genug, um die Gewalt zu stoppen.

Elkarri selbst erkennt diese Beschränkung. Vielleicht ist der Hauptzweck ihres sozialen Mediationsprogrammes einfach, eine allgemeine Atmosphäre des Dialogs zu schaffen, die die geheime Mediation begünstigt, die Elkarri der ETA und der Regierung anbietet. Zu diesem Zweck hat Elkarri bereits die Carter-Stiftung und Adolfo Perez Esquivel kontaktiert.

Solche vermittelten Kontakte werden notwendigerweise darauf beschränkt sein, den direktesten Manifestationen der Gewalt von der ETA und dem Staat ein Ende zu bereiten. Für den Staat würde es bedeuten, zunächst die Existenz eines Konfliktes anzuerkennen und die Notwendigkeit, Lösungen zu finden, die in Richtung Selbstbetimmung führen. Zweitens, nach und nach alle ETA-Gefangenen zu entlassen und drittens, alle Opfer der Gewalt zu entschädigen und die Rückkehr jener ETA-Mitglieder zu gestatten, die sich im Exil aufhalten. Von Seiten der ETA hieße es, dem bewaffneten Kampf abzuschwören und ihre Ziele durch verfassungegemäße Mittel zu verfolgen. Wie man sieht, hätte eine solche Übereinkunft nichts mit der Diskussion um sozialen Wandel zu tun.

Die Rolle der antimilitaristischen Bewegung

Für die Mitglieder von KEM-MOC, die baskische Sektion der War Resisters" International, ist es klar, daß PazifistInnen versuchen sollten, eine aktivere Teilnahme der Bevölkerung bei der Beendigung der politischen Gewalt zu erreichen. Doch ist es zweifelhaft, daß wir die Gewalt beenden können, indem wir Fragen der sozialen Gerechtigkeit ansprechen, die, wie oben erwähnt, kein Schlüsselfaktor bei der Lösung des unmittelbaren Konfliktes darstellt. Diese Themen sind in Wirklichkeit Teil eines breiteren Konfliktes, der bestehen bleiben wird auch nachdem die "politische Gewalt" verschwunden ist. Es ist genauso falsch zu sagen, daß Verhandlungen und politischer Wandel Freiheit und Frieden bringen werden als zu sagen, daß wahrer Friede im Baskenland einkehren wird, sobald die ETA ihre Waffen niederlegt.

Der Beitrag der antimilitaristischen Bewegung zur gegenwärtigen Situation könnte aus zwei Elementen bestehen: Erstens, nicht nur die Mittel, sondern auch die Ziele zu entmilitarisieren, indem gewaltfreie Wege zur Selbstbestimung vorgeschlagen werden und die verschiedenen Sektoren der zivilen Gesellschaft ermutigt werden, diesem legitimen Ziel einen bedeutungsvollen Inhalt zu geben. Das Endziel kann nicht sein, eine militarisierte Realität durch eine andere zu ersetzen oder eine Art von Grenzen durch andere.

Zweitens sollten wir uns mit dem wahren Konflikt beschäftigen, der, im Baskenland ebenso wie anderswo in Europa, mit Armut, Ungerechtigkeit und dem Mangel an Menschenrechten zu tun hat. Unabhängig davon, wie attraktiv die Strategie der bewaffneten Befreiungsbewegung manchen scheinen mag, wahrer Friede wird nur gebaut durch viel bescheidenere und tägliche Kämpfe.

Dieser Artikel ist schon auf Englisch in Peace News 3/1997 erschienen. Übersetzung: Red. (CS)

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Rafa Sainz des Rozas ist Mitglied der baskisch-spanischen Totalverweigererorganisation KEM-MOC und unterrichtet Strafrecht an der Baskischen Universität in Bilbao.