Friedenskonsolidierung

Welcher Frieden? Friedenskonsolidierung verstehen

von Moses John

Während Konzept und Praxis von Friedenskonsolidierung (englisch: Peacebuilding) immer weitere Kreise ziehen, wirft Friedenskonsolidierung doch mehr Fragen auf als es Antworten gibt. Genauer: Wie und wann ist der Begriff entstanden, was ist das Problem, das angegangen werden soll, und welche Rolle spielt Kultur in der Friedenskonsolidierung? Wessen Frieden bauen wir? Ist Peacebuilding ein Zweck für sich, oder ist es ein Mittel für einen Zweck? Woher wissen wir, dass unsere Intervention Sinn macht? Und viele Fragen mehr.

Das Konzept der Friedenskonsolidierung / Peacebuilding ist komplex und wandelt sich ständig. Der Grund hierfür ist, dass Peacebuilding selbst mehrere Schlüsselmerkmale hat, einschließlich der Langfristigkeit des Prozesses, der gegenseitigen Abhängigkeit der Akteure, der Multidimensionalität des Prozesses und des Themas der Festigung von Frieden selbst (1). In diesem Aufsatz sollen einige Aspekte dieser Komplexität in Bezug auf Afrika diskutiert und Vorschläge zum Thema Friedenskonsolidierung im Allgemeinen gemacht werden.

Ursprung des Begriffs „Peacebuilding“
Der Begriff “Peacebuilding” wurde zuerst von einem norwegischen Wissenschaftler, Johan Galtung (2) geprägt, der von “Zugängen zu Frieden” sprach. Zusammen stellen Peacemaking (Friedensschaffung), Peacekeeping (Friedenserhaltung) und Peacebuilding (Friedenskonsolidierung) eine allgemeine Theorie dar, wie Frieden erreicht oder bewahrt werden kann. Die Begriffe wurden bekannt gemacht durch Boutros-Ghali, den damaligen UN-Generalsekretär, in seinem Bericht „Eine Agenda für den Frieden“. In diesem Bericht definierte Boutros-Ghali Peacebuilding als eine Bandbreite von Aktivitäten, die Strukturen identifizieren und unterstützen sollen, die dazu dienen können, Frieden zu stärken und zu befestigen, um einen Rückfall in einen (bewaffneten) Konflikt zu verhindern. (3) Seitdem ist Friedenskonsolidierung zu einem globalen Anliegen geworden. Es gibt viele Herangehensweisen und Instrumente, so z.B. Peacebuilding durch Kunst und Musik, durch Dialog und Versöhnung, durch Sport oder durch Bildung in Gewaltfreiheit. Jeder Ansatz hat seine Einzigartigkeit, Bedeutung und Probleme.

Was ist das Problem, das Friedenskonsolidierung lösen will?
In meinen Augen sollte jede Peacebuilding-Intervention mit den Antworten auf die Frage beginnen, welche Probleme die FriedensschafferInnen angehen wollen, anstatt dass man sofort damit beschäftigt ist, Peacebuilding Aktivitäten zu betreiben. Wenn ich mich nicht täusche, ist das Hauptproblem die Gewalt. Aber wir sollten hier nicht aufhören, sondern wir müssen wissen, wer Gewalt anstachelt, wer sie ausführt, und welche Strukturen Gewalt ermöglichen und aufrechterhalten. Friedenskonsolidierung sucht, nach Lisa Schirch, Gewalt “zu verhindern, reduzieren, transformieren, und Menschen zu helfen, von Gewalt in all ihren Formen sich zu erholen, selbst von struktureller Gewalt, die noch nicht zu massiven zivilen Unruhen geführt hat. Strategisches Peacebuilding erkennt die Komplexität der Aufgaben, die nötig sind, um Frieden zu schaffen. Peacebuilding ist strategisch, wenn Ressourcen, Akteure und Ansätze koordiniert werden, um die zahlreichen Ziele zu erreichen und die zahlreichen Probleme langfristig anzugehen. Deshalb braucht Peacebuilding vielfache und gut koordinierte Ansätze, um Gewalt und Konflikt in nachhaltigere, friedliche Beziehungen und Strukturen zu transformieren.“ (4)

Gewalt hat aber wie Frieden viele Formen und passiert nicht einfach, sondern Menschen üben sie aus. Auch ist sie nicht auf ein Land, Kontinent, Region oder Religion beschränkt. Sie wird universell von Individuen, Gruppen und Regierungen eingesetzt, um bestimmte Ziele zu erreichen; manchmal brutal als schlichte nackte Aggression, oder zu anderen Zeiten subtil, versteckt in Gesetzgebungen und Legitimität als ein Instrument, Recht und Gesetz zu bewahren. (5) Und von daher ist es offensichtlich, dass das Problem nicht nur die Gewalt ist, sondern der Mensch und seine Institutionen oder Strukturen.

Nichts Neues
Peacebuilding ist, global gesehen, nichts Neues. Die Geschichte lehrt uns, dass Afrika die Wiege der Menschheit ist. Eine Feststellung, die das Vorhandensein von reichen und vielfältigen einheimischen Ressourcen und Institutionen der Konfliktlösung und des Peacebuilding nahelegt, die Jahrhunderte weiter zurückgehen als das Datum, an dem Johan Galtung darüber sprach. Was neu ist, ist der Export und das Aufzwingen von Peacebuilding und Interventionen der „Entwicklungshilfe“, die auf dem Projekt des ‚liberalen Friedens‘ basieren. Ein Blick auf die bestehende Literatur zum Thema Peacebuilding in Afrika (6) zeigt jedoch eine begrenzte Analyse, die sich auf die Post-Konflikt-Phase eines bewaffneten Konflikts beschränkt und die sehr begrenzte, kurzfristige Rezepte für eine Rückkehr zu Ordnung und Stabilität in einem Land bereithält, das zuvor einen gewaltsamen bewaffneten Konflikt erfahren hat.

Es gibt viele laufende inter-ethnische und politische bewaffnete Konflikte in Afrika, bei denen es meist um politische und wirtschaftliche Macht geht. Länder, die aus langen Bürgerkriegen kommen, erleben oft Probleme bei dem Umgang mit früheren Kämpfern, Milizen und bewaffneten Zivilisten. So werden bewaffnete Konflikte selbst oft zu einem Haupthindernis für Frieden und Entwicklung in fragilen und Nachkriegs-Ländern. Und gleichzeitig stellen die Bewahrung von Recht und Ordnung, gute Regierungsführung und gerechte grundlegende soziale Dienste ebenso große Herausforderungen dar. Das Ergebnis ist die Fortsetzung verbreiteter Gewalt. Für Frauen stellt sich dies in vielen Formen dar: Vergewaltigung, erzwungene Arbeit im Haus, Männer, die ihre Frauen schlagen, gewaltsames Festhalten, Verweigerung von Witwen-Erbschaften und von wirtschaftlichen Erträgen und die Entführung von Mädchen zum Zweck der Heirat. Das bedeutet, dass wirkungsvolles Peacebuilding eine gründliche Analyse lokaler Kulturen und Strukturen braucht, um die richtigen Strategien zur Gewaltreduzierung zu finden.

Warum ist Kultur wichtig für Peacebuilding?
In unserer Erfahrung sind Peacebuilding-Projekte wirksamer, wenn sie an den soziokulturellen, ökonomischen und politischen Kontext und den Bedarf der lokalen Menschen angepasst werden. Es gibt nicht die eine universale Lösung für jedes Problem, das Peacebuilding angehen will. Denn jeder Kontext ist einzigartig, und jedes Individuum, jede Gruppe und Gesellschaft kennt die eigenen Probleme. Es wird keine versöhnliche Lösung für gesellschaftliche Probleme geben, ohne die betreffende Gesellschaft mit einzubeziehen. Zum Beispiel gibt es in einigen Gemeinschaften im Südsudan die Möglichkeit, dass eine Frau eine andere Frau heiraten kann, um Kinder im Namen eines verstorbenen Verwandten zu bekommen. Ein Zitat eines Opfers:

Ich war mit dem Verstorbenen verheiratet und habe jetzt sieben Kinder. Es fing alles damit an, dass eine Frau Freundschaft mit mir suchte, die später vorschlug, mich mit ihrem Bruder zu verheiraten, von dem ich später erfuhr, dass es ihr toter Bruder war. Aufgrund von Druck meiner Familie akzeptierte ich die Heirat. Dann tauchte einer ihrer Brüder auf und mit ihm bekam ich sieben Kinder im Namen des Verstorbenen. Ich litt darunter, mit jemandem zu leben, den ich nicht liebte.“ (7)

Deshalb ist es notwendig und wichtig, regelmäßige Untersuchungen, Assessments, Surveys und Austausch von Erfahrungen durchzuführen, um unser Verständnis lokaler Kultur zu erweitern und so einen Ansatz zu finden, der kohärent und kulturell angepasst ist.

Wessen Frieden bauen wir?
Frieden bedeutet verschiedene Dinge für verschiedene Menschen, und deshalb ist das Verständnis für die Perspektiven derjenigen, die an der Friedenskonsolidierung ein Interesse haben, so wichtig. In unserer Erfahrung beziehen viele Menschen Frieden auf die Abwesenheit von Gewalt und auf die Bewahrung von Recht und Ordnung. Aber die gleiche Erfahrung lehrt uns, dass es nicht nur die Gewehre sind, die töten. Mangelnder Zugang zu den Grundbedürfnissen des Lebens, zu Würde und zum Genießen von Rechten kann genauso zerstörerisch sein wie Waffen. Bedeutsames Peacebuilding befasst sich mit struktureller Gewalt und zielt darauf, eine tiefgreifende Reform des Staates voranzutreiben, wo Entwicklung und gerechte soziale Dienste der gesamten Bevölkerung ohne Diskriminierung zur Verfügung stehen.

Es gibt bedeutsame Probleme in vielen afrikanischen Ländern, wenn es um die faire Verteilung von Ressourcen und Ausgaben dafür geht. Einnahmen, die aus Erdöl und anderen Quellen stammen, werden selten dazu genutzt, Armut zu bekämpfen, so auch in meinem Land, dem Südsudan. Das Ergebnis ist eine hohe Armutsrate, geringe Lebenserwartung bei der Geburt und die höchste Sterblichkeitsrate bei werdenden Müttern. Das hat manche Menschen gezwungen, Organisationen des Peacebuilding zu fragen, ob Peacebuilding ein Mittel oder ein Eigenzweck ist? Bedeutsames Peacebuilding darf kein Eigenzweck sein, sondern ist vielmehr ein Mittel, einen sicheren und blühenden Staat zu schaffen, wo jeder Mensch Grundrechte genießt und in Würde leben kann. Deshalb ist es wichtig, strukturelle Gewalt mit dem Ziel anzugehen, eine fundamentale Reform des Staates zu erreichen, in dem soziale Dienste der Bevölkerung ohne Diskriminierung zur Verfügung stehen. Dies wäre ein wesentlicher Ausgangspunkt für Friedenskonsolidierung in einem verarmten Land.

Fazit
Interventionen der Friedenskonsolidierung werden auf der gesamten Welt gebraucht, um eine sichere und gesicherte Umgebung für Menschen zu schaffen, um in Würde zu leben. Doch dies sollte kein überstürztes Geschäft sein. Es muss richtig anfangen, mit der Identifizierung der Probleme, der Analyse der internen und externen sozio-ökonomischen, politischen und kulturellen Kontexte. Peacebuilding ist nicht das Gleiche wie Konfliktregelung, Konfliktmanagement, -lösung und Transformation. Obwohl es die gleichen Fähigkeiten, Instrumente und Prozesse braucht, fallen Dialog, Mediation und Verhandlungen unter „Peacemaking“ (Friedensschaffung“). Und Peacebuilding ist nicht nur eine Aufgabe in Nachkriegssituationen, denn es muss in allen Gesellschaften als ein Weg hin zur Verhinderung von Gewalt und der Befriedigung von menschlichen Bedürfnissen stattfinden.

 

Anmerkungen

1 ACCORD (2013) Peacebuilding Handbook. First edition. ACCORD South Africa. S. 11.

2 Galtung, Johan(1976) Three Approaches to Peace. Peacekeeping, Peacemaking and Peacebuilding. In: Peace, War and Defence - Essays in Peace Research Vol II. Hrsg. Galtung, J. Copenhagen:ChristianEjlers: S. 282-304

3 Boutros-Ghali, Boutros (1995) Agenda for Peace, 2nd edition, New York. UN

4 Schirch, Lisa (2008) Strategic Peacebuilding-State of the Field, Peace Prints-South Asian Journal of peacebuilding

5 Al-mushir (2011). Theological Journal of the Christian Study Centre, Vol.53, No. 1 & 24, Ejaz Mahmood Die Printers Rawalpindi-Pakistan, S. 2.

6 U.a.: Ali, Taisier and Robert Mathews (2004) Durable Peace: Challenges to peacebuilding in Africa, Toronto, University of Toronto Press; Rupesinghe (1998) Negotiating peace in Sri Lanka: efforts, failures and lessons: London International Alert

7 ONAD (2014). Married to the Dead. ONAD Newsletter No.4. S. 8.

 

Übersetzung: Christine Schweitzer.

Ausgabe

Rubrik

Schwerpunkt