Ceuta und Melilla

Wenn europäische Grenzen in Afrika liegen

von Miriam Edding

Europa hat aufgrund seiner kolonialen Vergangenheit eine direkte Landesgrenze mit Afrika: Die beiden spanischen Exklaven Ceuta und Melilla befinden sich geographisch auf marokkanischem Territorium und liegen direkt am Mittelmeer. Zwischen Ceuta und dem spanischen Festland sind es über das Meer durch die Straße von Gibraltar nur knappe 20 Kilometer.

Die beiden Kleinstädte mit jeweils um die 80.000 EinwohnerInnen und ohne eigenes Hinterland sind Grenzstädte par excellence. Hier grenzen Afrika und Europa direkt aneinander und täglich überqueren Tausende MarokkanerInnen aus den umliegenden Provinzen die Grenze, um in den reichen europäischen Städtchen ihre Waren zu verkaufen oder zu arbeiten, abends müssen sie wieder zurück nach Marokko. Die spanische Bevölkerung der Exklaven hat die politische und ökonomische Macht noch immer ganz in ihren Händen, obwohl der arabische Anteil der Bevölkerung stetig zunimmt. Und seit Jahren versuchen MigrantInnen besonders aus Subsahara-Afrika, das Stück Europa auf afrikanischem Boden zu erreichen. Eine Möglichkeit ist es, in kollektiv organisierten Massen-Anstürmen die Grenzpolizei zu umrennen und über die Zäune zu klettern. Auch schwimmend oder in kleinen Boote über das Meer in die Exklaven zu gelangen, wird immer wieder versucht. Seit dem Ausbruch des Krieges in Syrien gehören auch syrische Flüchtlinge zu denen, die über die Exklaven den Sprung auf das europäische Festland versuchen.

Ceuta und Mellila sind durch ihre Lage seit Jahren ein Hotspot der europäischen Grenzpolitiken. Spanien managt die Grenzkontrolle im europäischen Sinne „vorbildlich“ und hat eine lang erprobte Kooperation mit Marokko zur Verhinderung von Migration entwickelt, die von der EU bezahlt wird.

Menschenrechte und internationale Abkommen wie die Genfer Flüchtlingskonvention werden dabei wissentlich und systematisch außer Kraft gesetzt. Die davon betroffenen MigrantInnen, die, auch wenn sie es schon auf spanisches Territorium geschafft haben, oft illegalerweise nach Marokko zurück geschoben werden, sind nicht dazu in der Lage, die schwere Verletzung ihrer Rechte anzuklagen und vor ein Gericht zu bringen. Spanische und internationale AktivistInnen, JournalistInnen und Menschenrechtsorganisationen kämpfen seit Jahren dafür, die Rechtlosigkeit an dieser EU-Außengrenze zu beenden.

So sind beide Exklaven von 6 Meter hohen Grenzzäunen geschützt, die teilweise mit rasierklingenscharfem Stacheldraht bewehrt sind, der immer wieder zu schweren, zum Teil lebensbedrohlichen Verletzungen bei den versuchten Überwindungen der Zäune geführt haben. Diese menschenverachtende Technik wurde aufgrund der zähen Arbeit von Menschenrechtsgruppen schließlich wieder abmontiert, nur um auf der marokkanischen Seite, auf der ein weiterer Zaun errichtet wurde, wieder eingesetzt zu werden.

Zwischen 2005 und 2013 sind 47 Millionen Euro allein in die Hochrüstung dieser Grenzzäune geflossen.

Der 6. Februar 2014
Am 6. Februar 2014 verursachte die spanische Guardia Civil den Tod von 15 Migranten aus Subsahara-Afrika und ist so verantwortlich für eines der dunkelsten Kapitel in der Geschichte der Rechtlosigkeit von MigrantInnen an den europäischen Außengrenzen. Viele der alltäglichen Menschenrechtsverletzungen an den Grenzen von Ceuta und Melilla wurden hier in besonders grausamer und krimineller Form begangen. Aber illegale push-backs (Rückschiebungen von MigrantInnen, die es auf spanischen Boden geschafft haben, nach Marokko), brutale Gewalt ohne Rücksicht auf schwere Verletzungen oder Tod und die völlige Straflosigkeit den verantwortlichen Grenzpolizisten werden an diesem Beispiel in besonders drastischer Weise deutlich.

Am frühen Morgen des 6. Februar 2014 wollten circa 400 MigrantInnen die Grenze nach Ceuta auf dem Weg übers Meer überwinden. Mit selbstgebastelten Schwimmringen versuchten sie, den ins Wasser hineinragenden Grenzzaun zu umschwimmen, um auf der anderen Seite auf spanischem Hoheitsgebiet wieder an Land zu gehen.

Die Guardia Civil postierte sich auf der spanischen Seite des Strandes und brachte mehrere Boote zum Einsatz. Zeugenaussagen der MigrantInnen sowie Videos belegen die unglaublichen Szenen, die sich daraufhin abspielten: Die PolizistInnen schossen aus nächster Nähe mit Tränengas und Gummigeschossen auf Menschen, die sich in einer großen Gruppe watend und schwimmend im Wasser befanden. Sie knüppelten auf Menschen ein, die verzweifelt versuchten, sich an den Steinen der Grenzmole oder an den Booten festzuhalten, um nicht zu ertrinken. Panik brach aus und die zurückgedrängten MigrantInnen trafen auf diejenigen, die noch versuchten, Richtung Spanien zu schwimmen.

Durch das Tränengas ohnmächtig gewordene Menschen trieben in unzulänglichen Plastikringen auf dem Wasser, und die Boote der Guardia Civil fuhren mit hoher Geschwindigkeit zwischen den in Panik geratenen Menschen umher. MigrantInnen versuchten mit letzter Kraft, ihre durch Gummigeschosse am Kopf verletzten FreundInnen an Land zu bringen. „Ich watete über die Körper meiner Brüder“, berichtete geschockt einer der Überlebenden.

Mindestens 15 Tote waren die Folge dieses „Grenzschutzeinsatzes“. Die Leichen wurden teilweise direkt während des Geschehens auf der marokkanischen Seite angetrieben oder von den MigrantInnen selber aus dem Wasser geborgen. Oder sie wurden in den folgenden Tagen in Marokko an den Strand gespült. Die MigrantInnen, die es an den Strand von Ceuta geschafft hatten, wurden zum Teil brutal geschlagen und direkt zurück nach Marokko verfrachtet.

Sobald die Nachricht von den Toten bekannt wurde, leugnete die Guardia Civil jede Verantwortung – im Gleichklang mit dem damaligen spanischen Innenminister Jorge Fernandéz Díaz, der in einem seiner ersten Statements erklärte: „Es gibt da keinen kausalen Zusammenhang“ (zwischen dem Agieren der Guardia Civil und den Toten): Man habe weder Gummigeschosse noch Tränengas eingesetzt. Und da kein einziger Migrant spanisches Territorium erreicht habe, könnten auch die illegalen Pushbacks nach Marokko schlichtweg nicht stattgefunden haben. Da alle Toten in marokkanischen Gewässern angeschwemmt wurden, habe Spanien nichts damit zu tun. Die Guardia Civil scheute auch nicht davor zurück, die zur Aufklärung angeforderten Videos ihrer Überwachungskameras zu manipulieren, indem sie zentrale Stellen aus den Videos kurzerhand herausschnitt.

Erst die hartnäckige Arbeit von JournalistInnen und Menschenrechtsorganisationen, die die Vorfälle mit Videokameras gefilmt hatten, und genaue Zeugenaussagen von den überlebenden MigrantInnen aufnahmen, zwang die spanischen Behörden dazu, ihre Version der Geschichte Stück für Stück zu revidieren. Jeder einzelner Tatbestand wurde so lange abgestritten, bis eindeutige Beweise vorlagen und sich die Lügen nicht mehr aufrechterhalten ließen.

Verschiedene spanische Gruppen haben die Guardia Civil verklagt, und auch das ECCHR – European Center for Constitutional and Human Rights – unterstützt die gerichtliche Aufarbeitung des Falls. Nachdem ein Gericht in Ceuta im Oktober 2015 das Verfahren einstellen wollte, wurde diese Entscheidung vom nächst höheren Gericht revidiert. Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen.

Seit dem ersten Jahrestag der Tode in Ceuta haben es MigrantInnen zusammen mit AktivistInnen in verschiedenen Ländern erreicht, den 6. Februar als einem Gedenk-Tag für die am 6. Februar getöteten MigrantInnen und gegen die tödliche Grenzpolitik Europas zu etablieren. Seit drei Jahren finden in Ceuta selber sowie in verschiedenen spanischen und europäischen Städten Veranstaltungen und Demonstrationen statt. MigrantInnen in Marokko haben es trotz ihrer rechtlosen Situation geschafft, auch in Tanger und Rabat zu Gedenkveranstaltungen zu mobilisieren. 2017 wurde das erste Mal auch in Kamerun, woher viele der am 6. Februar umgekommenen MigrantInnen stammen, eine Gedenkveranstaltung von der Organisation Voix des Migrants organisiert.

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Christoph Marischka ist Mitglied im Vorstand der Informationsstelle Militarisierung