Juristische Folgen von Büchel-Aktionen

Wer pünktlich kommt, den bestraft das Leben

von Martin Otto

Während die fast dreijährige Prozessgeschichte um Hermann Theisens Flugblattaktionen zu Ende gegangen ist, gibt es nun juristische Auseinandersetzungen um andere Aktionen des Zivilen Ungehorsams am Atomwaffenstützpunkt Büchel.

Zum einen geht es um das Aufschneiden des Militärzauns am letztjährigen Nagasaki-Gedenktag, 9. August (ein Aktionsbericht war im FriedensForum Nr. 6/2016 auf Seite 5 zu lesen), zum anderen um ein Go-In am 12. September 2016, als neun gewaltfreie AktivistInnen die Start- und Landebahn des Bundeswehr-Fliegerhorsts besetzt haben.

In Folge des Go-Ins ermittelt die Koblenzer Staatsanwaltschaft gegen die neun AktivistInnen wegen Sachbeschädigung und Hausfriedensbruchs, gegen eine Person zusätzlich wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. Wegen der Zaunaktion hat es bereits eine Gerichtsverhandlung gegeben, in der der Autor dieser Zeilen als Einzeltäter auf der "Anklagebank" des Amtsgerichts Cochem Platz nehmen durfte.

Meine Aktion vom 9. August, die ich als kleinen, bescheidenen Beitrag zur "Abrüstung von unten" bezeichnet habe, ist tatsächlich von mir alleine durchgeführt worden – und dann habe ich mich sehr darüber gefreut, was ein paar Wochen später gleich neun MitstreiterInnen bei ihrem gewaltfreien Go-In gelungen ist.

Zu der Verhandlung gegen mich ist es gekommen, nachdem der Cochemer Amtsrichter einen Strafbefehl über eine Geldstrafe von 225 Euro (15 Tagessätze zu jeweils 15 Euro) verhängt hatte. Schon vorher hatte ich der Staatsanwaltschaft in einem Offenen Brief mitgeteilt, dass ich im Falle einer rechtskräftigen Verurteilung zu einer Geldstrafe, diese nicht würde zahlen können, da ich schon seit Jahrzehnten meine Einkommens- und Vermögensverhältnisse mit Vorbedacht so eingerichtet habe, dass ich nicht in der Lage bin zu zahlen und bei mir auch nicht gepfändet werden kann. (Ich will den Staat nicht noch dafür „belohnen“, wenn er mich wegen Gewaltfreien Widerstands gegen staatliches Unrecht verurteilt.) Wären also die im Strafbefehl festgelegten 15 Tagessätze rechtskräftig geworden, hätte ich die Ladung zu einer „Ersatzfreiheitsstrafe“ von 15 Tagen bekommen.

Aber sie sind nicht rechtskräftig geworden, denn ich habe gegen den Strafbefehl Einspruch eingelegt. Also kam es zur Verhandlung. Schon im Januar habe ich eine 17-seitige Verteidigungserklärung ins Internet gestellt (zu finden auf „gaaa.org“ im Menüpunkt „Rede vor Gericht“). Die hätte ich gerne in der Verhandlung verlesen, was ca. 50 Minuten gedauert hätte. Weil der Richter aber für die gesamte Verhandlung nur 45 Minuten angesetzt hatte, begnügte ich mich damit, ca. 10 Minuten zur Sache auszusagen und ein Plädoyer inkl. Schlusswort von ca. 15 Minuten zu halten. Einen Verteidiger hatte ich nicht mitgenommen.

Die Staatsanwältin plädierte in der Verhandlung dafür, es bei einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu belassen: Meine Motivation sei nachvollziehbar, aber Sachbeschädigung müsse nun mal bestraft werden. Ich plädierte auf Freispruch, ersatzweise auf eine geringere Strafe, ersatzweise auf Verfahrenseinstellung, ersatzweise auf Verwarnung mit Strafvorbehalt, ersatzweise auf Schuldspruch ohne Strafe. Dies alles hat es in Prozessen wegen Zivilen Ungehorsams aus Protest gegen staatliches Unrecht schon gegeben, wofür ich Beispiele nannte. In meinem Schlusswort sagte ich dem Richter: “Das Amtsgericht Cochem hat die Unabhängigkeit und die Möglichkeit, bei der Korrektur eines schweren Unrechts mitzuwirken – oder aber das System zu stützen, das dieses Unrecht begeht.”

In meinem Plädoyer hatte ich also dem Richter fünf Möglichkeiten einer Entscheidung aufgezeigt – er aber wählte eine sechste:  Sein Urteil lautete auf eine Geldstrafe von 25 Tagessätzen, ersatzweise 25 Tage Haft. In der mündlichen Urteilsbegründung meinte er, meine Motivation sei keineswegs nachvollziehbar, sondern "sittlich nicht billigenswert". Er hatte richtig erkannt, dass ich "keinerlei Reue" zeigte, sondern es ausdrücklich befürwortete, wenn viel mehr Leute viel öfter solche Aktionen machen würden. Deshalb ging er in seinem Urteil noch deutlich über das von der Staatsanwältin beantragte Strafmaß hinaus. Ich habe sofort Berufung eingelegt. Jetzt geht die Sache ans Landgericht in Koblenz: Die Berufungsverhandlung dort ist für Donnerstag, den 20. April, terminiert (nachdem dieses Friedensforum in den Druck ging).

Vor der Verhandlung im Amtsgericht waren wir auf der Autofahrt nach Cochem in einen "zähfließenden Verkehr" geraten und "um ein Haar" zu spät zum Termin gekommen. Wäre ich zu spät erschienen, dann wäre mein Einspruch gegen den Strafbefehl abgewiesen worden und die Strafe von 15 Tagessätzen wäre rechtskräftig geworden. Ich kam aber gerade noch rechtzeitig – und kassierte die höhere Strafe von 25 Tagessätzen. Also: Wer pünktlich kommt, den bestraft das Leben...

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