Münchner Sicherheitskonferenz 2020

„Westlessness“

von Anja Ufermann
Hintergrund
Hintergrund

„Westlessness“ so lautete der provokante Titel der 56. Münchner Sicherheitskonferenz und sollte dazu einladen, sich mit der Rolle des Westens in der Welt auseinanderzusetzen. Die Debatte hatte für mich wenig Nahrhaftes. Der Titel wurde vielfach aufgegriffen. Negativ formulierte Titel führen aus meiner Erfahrung jedoch selten zu positiven Visionen oder konkreten gemeinsamen Strategiekonzepten, sondern eher zu Vereinzelung in unterschiedlich ausgeformten Positionen. So entstanden Diskussionen, wer mit „west“ überhaupt gemeint ist – Europa, die EU, Europa plus Amerika, die NATO … ? – oder was mit „west“ überhaupt gemeint ist: Geographisches, Kulturelles, Werteverbundenes? Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer bezeichnete Europa als attraktiv. Staatssekretär Pompeo meinte, der Westen gewinne.

Ob WestFULLness die derzeitigen Herausforderungen lösen kann, halte ich zudem für unwahrscheinlich. Letztlich muss das in den vergangenen Jahren verlorengegangene Vertrauen weltweit wieder aufgebaut werden (Trustfullness) und „a trustful west“ – ein vertrauenswürdiger Westen - wäre da sicherlich ein hilfreicher Akteur.

Davon scheinen wir jedoch weit entfernt. Nachdem auf der letzten Sicherheitskonferenz viel von „Trust“ (Vertrauen) gesprochen wurde, wurde das Wort in diesem Jahr durch das Wort „confidence“, was Zuversicht oder Selbstvertrauen bedeutet, ersetzt. Es fehlen konkrete Maßnahmen, Vertrauen wieder aufzubauen, es fehlen Mitspieler, die sich daran beteiligen. Was bleibt, ist Zuversicht? Bundespräsident Steinmeier merkte in seiner Rede kritisch an: „Als ob an alle gedacht sei, wenn ein jeder an sich denkt.“

Vielfältig diskutiert wurde, wer überhaupt mit am Tisch sitzen darf. Auch in Europa ist die Meinung weit verbreitet, dass nur derjenige ernstgenommen wird, der nukleare Waffen oder ein anderweitig gut ausgestattetes Waffenarsenal besitzt. Führt nicht genau diese Haltung zu weiterer Aufrüstung in allen Ländern und damit verbunden zu weiterer Unsicherheit anstatt zu Stabilisierung?

Ich teile die Haltung des ukrainischen Präsidenten Selenskyj, der in seiner beachtenswerten Rede sagte: „Es ist unmöglich, neue Weltregeln auf der Basis liberaler Werte zu schaffen, wenn nur ausgewählte Länder eingeladen werden, darauf aufzubauen, die über ein Atomwaffenarsenal oder ein gewisses Maß an wirtschaftlicher Entwicklung verfügen. Die Probleme der Menschheit sollten von allen Mitgliedern der Menschheit angegangen werden.“

Ein positives Signal dazu war die Verleihung des Ewald-von-Kleist-Awards an die Vereinten Nationen. Der nach außen sichtbare wirksamste Moment der MSC 2020 war das Gespräch zwischen dem Präsidenten von Aserbaidschan und dem Premierminister von Armenien.

Mit welcher Bandbreite an Herausforderungen die Menschheit zurzeit konfrontiert ist, zeigte das breite Themenspektrum der Münchner Sicherheitskonferenz, auf der u.a. folgende Themen auf der Agenda standen: Arktische Sicherheit, Berg-Karabach, Coronavirus-Ausbruch, Cybersicherheit, Deeskalation am Golf, Digitales Zeitalter, Drogen, Energiesicherheit, Ernährung, Europa, Frauen/Frieden und Sicherheit, Gesundheitssicherheit, Große Daten, Iran, Kartelle, Klimawandel und Sicherheit, Künstliche Intelligenz, libyscher Konflikt, menschliche Sicherheit, Palästina, Rüstungskontrolle, Sahel, Sicherheit auf dem Balkan, Sicherheitsbeziehungen in Asien, Sicherheit in Saudi-Arabien, Soziale Medien und Demokratie, technologische Sicherheit, transnationale Sicherheitsfragen, Ukraine, US-Außenpolitik, Welthandel, Wirtschafts- und Ressourcensicherheit, Zentralasien, Zustand der Demokratie im Westen, Zukunft der Desinformation, Zukunft der Diplomatie.

Gemeinsame Vereinbarungen oder Verpflichtungserklärungen in Bezug auf konkrete Handlungsstrategien blieben jedoch aus.

Der rasche Fortschritt in der Technologie-Entwicklung sowie die wachsende Einflussnahme-Möglichkeit durch soziale Medien bedarf ein Formulieren von internationalen Standards, hier steht die Politik noch am Anfang.

Die Aufgaben dieses Jahrzehnts verlangen Flexibilität im Handeln und in der Zusammenarbeit. Es gilt jeweils zu definieren: Was ist das Problem? Wer ist involviert? Und auf welche gemeinsamen Strategien können die Betroffenen sich einigen? Der armenische Präsident Sarkissian erläuterte in seinem Beitrag zu „Quantum Politics“ die Notwendigkeit eines „thinking out of the box“, der Entwicklung völlig neuer Herangehensweisen. Die komplexe Natur heutiger Probleme erfordert komplexe Lösungsansätze – auch hier steht die Politik noch am Anfang.

Da, wo die Politik nicht vorankommt in Bezug auf Kooperation und Vertrauensbildung, müssen NGOs und Firmen sowie die Bevölkerung vorangehen. So versucht ICAN Deutschland, u.a. mit dem Städteappell, die Regierung mit Druck von unten zu unterstützen, weil diese sich schwer tut, den Atomwaffensperrvertrag zu unterzeichnen, aus Sorge, die aktuelle amerikanische Regierung zu verstimmen. Greenpeace ist Kooperationspartner des „Humanitären Kongresses“ von Ärzte ohne Grenzen, dem Deutschen Roten Kreuz, Ärzte der Welt und der Ärztekammer, in dem es um die humanitären Auswirkungen der Klimakrise geht. Bürgermeister*innen und Kommunen beginnen sich zusammenzuschließen, weil die Klimakrise eine globale Krise ist. Und auch in der Bevölkerung gibt es weltweite Aktivitäten wie Fridays for Future, One billion rising u.a..

Wir alle sind aufgefordert, uns zu engagieren, aktiv zu werden. Unsere Politikerinnen und Politiker benötigen unsere Unterstützung. Wir können es uns nicht (mehr) leisten, sie allein zu lassen.

Wie könnte Ihr Beitrag aussehen? Wir freuen uns auf Ihre Reaktionen und grüßen Sie!

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Anja Ufermann gehört dem Vorstand der Projektgruppe "Münchner Sicherheitskonferenz verändern" e.V. an. Siehe www.mskveraendern.de