Widerstand von Frauen gegen den Krieg

von Stasa Zajovic
Schwerpunkt
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Seit fast sieben Jahren demonstrieren wir schwarz gekleidet und schweigend gegen Krieg, Militarismus, Nationalismus und Sexismus, die immer gemeinsam und miteinander verflochten auftreten und sich gegenseitig verstärken. Mit unseren Protesten sagen wir dem serbischen Regime: "Nein, ihr sprecht nicht für uns, wir sprechen für uns selbst!" Durch Proteste in den Straßen zeigen wir unseren Ungehorsam gegen alle, die, sei es mit Worten oder mit Waffen, zu Haß, Gewalt und Krieg beitragen. Unser ziviler Ungehorsam soll nicht nur die Ablehnung gegenüber dem Regime verdeutlichen, sondern auch das allgemeine Stillschweigen über die Verantwortung für den Krieg und die "im Namen des Volkes" verübten Kriegsverbrechen anprangern. Wir machen so auch unseren Widerstand gegenüber der patriarchalen Haltung deutlich, die die Frauen auf ihre Rolle als Mütter und Ehefrauen, zuständig für die Fortpflanzung des Volkes und die Bewahrung "ethnischer und moralischer" Werte reduzieren will.

Während wir demonstrieren, hören wir uns die Reaktionen der Vorübergehenden an. Anschließend halten wir sie schriftlich fest. Ein Großteil der Bevölkerung ist von der allgemeinen Propaganda beeinflußt. Was wir hören, spiegelt meist ziemlich genau die Darstellung der Politiker und der politischen Tendenzen wider, wie sie in den vom Regime beherrschten Medien zu finden sind. Die Folgen dieser anhaltenden Beeinflussung sind überall spürbar. In Serbien ist leider die Idee und die Wirklichkeit des Krieges, des Nationalismus und des Militarismus in den Köpfen vorherrschend. Wir hatten gehofft, daß nach den massiven Bürgerprotesten im Winter 96/97 eine Bewußtwerdung einsetzen würde und man allmählich von dem vorwiegend nationalistischen Autoritätsglauben wegkäme. Aber die nationalistische Euphorie und die Kriegspropaganda, die nicht nur von seiten der Regierung, sondern auch von den meisten Oppositionsparteien in Serbien ausgeht, zeigt sehr deutlich, daß ein Regierungswechsel in Serbien noch keine Änderung dieser vorherrschenden Haltung brächte. Vielleicht könnte aber dadurch Raum geschaffen werden für den Beginn einer solchen Bewußtseinsveränderung.

Wir erleben nicht nur, daß diese Einstellung weiter besteht, sondern daß sie sogar noch schlimmere Formen von kulturellem Rassismus und Chauvinismus gegen Andere annimmt. Mit unseren Protesten in den letzten zwei Jahren haben wir auch Zeugnis abgelegt gegen die Unterdrückung der albanischen Bevölkerung und für unsere Solidarität mit der gewaltfreien Bewegung des albanischen Volkes im Kosovo, von der der Belgrader Historiker Ivan Djuric (im letzten Jahr verstorben) sagte: "In den letzten Jahren war es in Serbien leichter, politisch zu überleben, wenn man die aggressive Haltung der Belgrader Regierung gegenüber Bosnien oder Kroatien kritisierte, als wenn man auch nur ganz oberflächlich im Gespräch die Verhältnisse im Kosovo erwähnte." Wir bezeugen durch unsere Proteste den kulturellen Rassismus, der weitaus stärker ist, als in früheren Jahren und ein ganzes Volk betrifft: die Kosovo-Albaner.

Frauen im Krieg

Wie ich schon sagte, hat die nationalistische Propaganda den größten Teil der Bürger - beiderlei Geschlechts - für sich eingenommen. Dennoch haben wir bei unseren Demonstrationen gewisse Unterschiede in den Reaktionen von Frauen und Männern festgestellt. Frauen verbalisieren ihre Haltung nicht so leicht: sie sind nicht gewöhnt, sich in der Öffentlichkeit darzustellen. Wir konnten beobachten, daß Frauen viel spontaner auf unsere Klage gegen die Vernichtung von Leben und Lebensräumen reagierten. Frauen sind dem Leben und der Bewahrung von Leben unmittelbar verbunden, wohingegen viele Männer sehr schnell bereit sind, das Leben für das Vaterland und irgendwelche höheren Ziele des Staates oder der Nation zu opfern, vorzugsweise aber nicht das eigene.

Während des Krieges haben sich die Lebensbedingungen für die Frauen stark verschlechtert. Sie sind in Serbien enormen Belastungen ausgesetzt: Entlassungen, Armut, Abwanderung naher Angehöriger ins Ausland, geflüchtete Verwandte, eingezogene Söhne und Ehemänner ... Heutzutage, nach all diesen Jahren erzwungener Mobilmachung, verstecken die Frauen sie unbemerkt im Stillen, damit sie nicht zu "Wehrübungen" eingezogen werden, an die Front kommen und in neue Kriege geschickt werden. Der größte Teil dieser Frauen würde sich aber für die Verteidigung des Kosovo als "heilige serbische Erde" aussprechen, und nationalistischen Parteien ihre Stimme geben. Die Frauen leben in einer Art schizophrener Haltung zwischen den geforderten patriotischen Gefühlen und dem Wunsch bzw. der Entschlossenheit, ihre Söhne zu verteidigen. Sie verinnerlichen die Ideologie und die Sprache des Nationalismus auch aus Furcht vor Verurteilung und Ablehnung durch die Familie und durch die Gesellschaft. Indem sie dieses Rollenspiel auf sich nehmen, erkaufen sie sich "Frieden" für ihr Heim. Daraus wird ersichtlich, daß die Frauen in Serbien schon seit Jahren nicht nur in ihrer Entscheidungsfreiheit eingeschränkt sind, sondern praktisch keine Wahl haben. Seit zehn Jahren leben diese Frauen in ständiger seelischer Anspannung wegen der emotionalen Belastungen ihres familiären Alltags.

Sie müssen den Streß mildern, dem die Männer ausgesetzt sind, die keine Arbeit mehr haben und ihre Rolle als Ernährer der Familie nicht mehr spielen können. Die meisten Fabriken in Serbien sind geschlossen, und die "Arbeiterklasse" betätigt sich, um zu überleben, auf dem Schwarzmarkt. Daraus ergeben sich zunehmend Aggressivität, Gewalt in der Familie und Alkoholmißbrauch. Die Frauen sind übermüdet, ausgelaugt, depressiv. Der Verbrauch von Beruhigungsmitteln ist bei den Frauen in Serbien stark angestiegen - Bensedin ist das meistverlangte Arzneimittel. Das ist der Preis, den die Frauen für den sogenannten Frieden in der Familie, der Nation und dem Staat bezahlen.

Auch bei der Fortpflanzung der Nation wird den Frauen eine wichtige Rolle zugeteilt. Nach der geltenden Ideologie haben alle Frauen Mütter und Ehefrauen zu sein, jedoch sind nur Mütter und Kinder des herrschenden Volkes im Sinne der Ideologie der reinen Rasse erwünscht. Damit bekommt das Gebären eine völkisch-nationale Bedeutung. Es ist wertvoll, wenn es die Geburtenrate eines bestimmten Volkes erhöht, sie soll der nationalen Sicherheit dienen. Serbinnen sollen aus patriotischen Gründen Kinder gebären, um sich gegen die "ständigen Feinde der Serben" zu schützen, während man den Frauen anderer Volksgruppen wie z.B. die der Albaner, Sinti, bosnischen Muslims, die in Serbien leben, unterstellt, daß sie gemäß der neomalthusianischen Rassentheorie, die unter den Akademikern und Ärzten in Serbien viele Anhänger hat, aus "separatistisch-fundamentalistischen" Gründen Kinder gebären.

Die Frauen in Serbien bekommen allerdings immer weniger Kinder, die Geburtenrate geht stark zurück. Was soll eine solche Propaganda? Abgesehen von ihrer exemplarisch frauenverachtenden und rassistischen Natur, wirkt diese Propaganda noch auf andere Weise repressiv: sie reduziert die Frau auf eine Rolle, bei der sie für andere verantwortlich ist und sich bedingungslos und uneingeschränkt für andere einzusetzen hat. Gesellschaftliche Erschütterungen müssen von den Frauen aufgefangen werden, denn mit der unsichtbaren und unentgeltlichen Arbeit der Frauen wird sozialer Friede erkauft. Diese unbegrenzte Aufopferung für die Familie verhindert, daß die Frauen die Möglichkeit haben, am öffentlichen Leben teilzunehmen und sich an demokratischen Initiativen von Bürgern zu beteiligen. Das Regime schafft Opfer, und die Frauen kümmern sich um sie. Manchmal tun sie sogar das, was der Staat tun sollte. Aus diesem Grund rät man Frauengruppen immer wieder, "sich nicht mit Politik zu befassen", sondern sich ausschließlich dem Dienst am Nächsten zu widmen.

Das Opfer/Heldinnen-Modell haben auch wir Aktivistinnen uns in gewissem Maße zu eigen gemacht. Die emotionalen und moralischen Fallen, die es enthält, sind in Krisenzeiten schwer zu umgehen, wenn die Zivilbevölkerung so ungeheuer leidet. Die Tatsache, daß dieses Regime ständig neue Opfer schafft, um die wir uns als Aktivistinnen kümmern müssen, erregt in uns Zorn, Empörung, Verzweiflung, die wir in konkrete Hilfsaktionen umzumünzen versuchen. Dabei finden wir es jedoch besorgniserregend, daß dieses Modell der alternativen "Heldinnen" (unter vielen anderen Faktoren) kaum Menschen in unserer Umgebung, und schon gar nicht Jugendliche, dazu veranlaßt, sich uns anzuschließen. Allem Anschein nach wirkt unsere Art, uns "die Finger zu verbrennen" ziemlich patriarchalisch. Wir wissen um die Widersprüchlichkeit unserer Arbeit und sehen, wie schwierig es ist, das Engagement (das oft wie zu einer Art Sucht wird) mit den persönlichen Zwängen in Einklang zu bringen. Zwischen dem aktivistischen Engagement und den daraus resultierenden menschlichen Beziehungen ein ausgewogenes Verhältnis zu bekommen, ist in Zeiten wie diesen eine besonders große Herausforderung. Das Regime unseres Landes erzeugt ständig neue Krisen und neue Opfer. Uns bleibt keine Zeit, diese und viele andere, ebenso drängende Widersprüche, Dilemmata und Fallen zu klären. Alles in allem bleibt die humanitäre Arbeit - der Dienst am Nächsten - voll von solchen Widersprüchen.

Beim VI. Treffen des "Solidarischen Netzwerks Frauen gegen den Krieg" (organisiert von "Frauen in Schwarz" im August 1997) haben wir festgestellt, daß es zwei verschiedene Phasen der humanitären Hilfe gab: eine während des Krieges und eine nach dem Abkommen von Dayton. Solange der Krieg andauerte, also in der äußersten Notlage, herrschte das Modell "heimische Wirtschaft" vor: die Frauen vor Ort waren gefordert, während sich die internationalen Organisationen "theoretisch" beteiligten. Bei dieser Arbeit traten die Frauen als Heilerinnen von Kriegsfolgen hervor. Während des Treffens kamen wir einhellig zu der Überzeugung, daß dieses Modell hilfreich ist zum Auffangen gesellschaftlicher Erschütterungen. Kontakte und Treffen zwischen Kriegsopfern und internationalen Freiwilligen haben gemäß dem, was wir bei unserer Arbeit erlebt haben, zur Infragestellung der reinen Opferrolle beigetragen, die in Serbien vom Regime hervorgebracht und immer wieder betont wird. Die geleistete Hilfe hat den Flüchtlingen gezeigt, daß "nicht die ganze Welt gegen das serbische Volke ist", sondern daß durchaus unterschieden wird zwischen dem Regime und der Zivilbevölkerung. Allerdings hat ein Teil der internationalen Aktivistinnen Meinungsverschiedenheiten und Widersprüche in die Arbeit hineingetragen, und zwar zum großen Teil in Anlehnung an die aufgrund des Krieges in ihren Heimatländern entstandenen Auffassungen.

Die Institutionen (und leider auch einige nichtstaatliche Organisationen) haben sich eingeschaltet, um den Flüchtlingen Hilfe zu leisten, und haben sich dabei so patriarchal wie nur irgend vorstellbar gebärdet, d.h. sie haben die Leute als passive Almosenempfänger behandelt. Die Erfahrung hat uns gezeigt, daß die großen Spendenorganisationen für humanitäre Hilfe (und nicht nur sie) uns ihre Regeln aufzwingen. Sie verhalten sich mehr nach ihren eigenen Erfordernissen als nach den Bedürfnissen der Zivilbevölkerung, und noch weniger oder auch gar nicht nehmen sie Rücksicht auf die Bedürfnisse selbständiger Frauengruppen. Diese besagten internationalen Hilfsorganisationen vertreten denselben Standpunkt, wie wir ihn aus unseren Heimatstaaten kennen: Frauengruppen sollen sich um die Menschen kümmern, Hilfsdienste leisten und den Preis der geleisteten Dienste durch ehrenamtliche Tätigkeiten verringern. Kurz, sie sollen der Regierung helfen, indem sie zum Teil die Aufgabe des Staates übernehmen. Dies ist eine Politik der patriarchalen Kontrolle, die uns offen oder indirekt empfiehlt, uns aus "der Politik" herauszuhalten und keine feministischen oder pazifistischen Forderungen zu vertreten. Diese Art von Politik der großen Spendenorganisationen und der internationalen Hilfsorganisationen schafft patriarchale Unterschiede bis hin zu Rivalitäten zwischen unterschiedlichen Gruppen im ganzen Ex-Jugoslawien. Selbstverständlich benötigen wir die Hilfe. Daher ist es für uns unbedingt notwendig, daß vor Ort gebildete Gruppen zusammen mit alternativen Netzwerken in Europa und der ganzen Welt (die mit ganz anderen als den erwähnten, Kriterien arbeiten) auf diese Organisationen Druck ausüben, um zu einer besseren Gleichstellung und einem angemesseneren Verhalten zwischen ihnen und den lokalen nichtstaatlichen Organisationen zu kommen.

Internationale Solidarität - Chancen und Gefahren

Im Juli 1992 haben wir ein informelles solidarisches Netzwerk der Frauen gegen den Krieg gebildet. Bis heute haben sechs internationale Treffen des Netzwerks stattgefunden. Die Unterstützung und die Solidarität der Feministinnen und der Pazifistinnen aus Europa und der ganzen Welt haben emotional, moralisch und politisch einen ungeheuren Wert. Da werden gemeinsam Möglichkeiten geschaffen für Gespräche, Meinungs- und Informationsaustausch, für ein Vorgehen nach gemeinsamen Strategien, die sich auf die Verbindungen zwischen globalen und lokalen Problemen stützen und durch Verbreitung von Gegeninformationen die Netzwerke gegen den Krieg verstärken. Auf diese Weise haben wir gelernt: Solidarität ist nicht Wohltätigkeit und auch nicht Paternalismus, sondern gegenseitige Unterstützung, Achtung des Anderen, Ungehorsam gegen Regierungen, internationale alternative Politik ... Unsere Beziehungen waren in erster Linie davon charakterisiert. Aber natürlich war nicht alles reine Idylle. Im Zusammenhang mit dem Krieg in Ex-Jugoslawien hat sich in Westeuropa eine sehr weitreichende Bewegung von Freiwilligen gebildet. Gleichzeitig ist in Ex-Jugoslawien das Gefühl über die Bedeutung dieses Krieges so stark wie nie zuvor. Die Militaristen vor Ort und in der ganzen Welt machen sich lustig über die Friedensbewegung, die mit ihren paar Leuten und ihren Kommunikationsmitteln "rein gar nichts ausrichten konnte". Für sie ist Gewaltlosigkeit keine Nachricht. CNN erscheint am Ort des Geschehens erst, wenn der Krieg ausbricht. Das Gleiche gilt für die Flugzeuge der Diplomaten. Ohnmacht und Schuldgefühle bei Pazifistinnen und Pazifisten führen leider oft zu einer allmählichen Militarisierung des Geistes, die oberflächliche Denkweisen mit sich bringt, wie z.B. die Frage nach dem Für und Wider militärischen Eingreifens - als ob es nichts anderes, keine Alternativen gäbe.

Übrigens ist es auch eine Tatsache, daß ein Teil der Pazifistinnen den Krieg in Ex-Jugoslawien als Existenzfrage für den Staat bzw. die Nation ansah. Nicht wenige unter ihnen haben für den Staat/die Nation und die Streitkräfte Partei ergriffen, da sie sie als Opfer sahen. Die Erfahrung hat gezeigt, daß es nicht genügt, sich mit den Opfern überhaupt zu solidarisieren. Oberflächliche Denkweisen führen dazu, daß Unterschiede aufgrund der Volkszugehörigkeit gemacht werden, anstatt daß man sich mit der gesamten Zivilbevölkerung gleichermaßen solidarisiert. So gibt es auch in der Friedensbewegung Leute, die von "gerechtem Krieg" und von den Streitkräften als "Arm der Gerechtigkeit" sprechen, solche, die Deserteure einer bestimmten Volksgruppe unterstützen und die einer anderen verurteilen, also zwischen "guten" und "bösen" Deserteuren unterscheiden. Die guten waren dabei meist serbische Deserteure, später auch kroatische, während bosnische Deserteure oft als die Bösen, ja sogar als "Verräter" angesehen wurden.

Unsere Gruppe hat alle Deserteure unterstützt, egal, welcher Volksgruppe sie angehörten und welches die Armee war, in deren Dienst sie gepreßt oder zum Kampf gezwungen worden waren. Denn jede Armee, auch die sogenannte "Volksbefreiungbewegung", entwickelt sich zu einer Elite, deren Hauptanliegen es ist, Macht und Privilegien für sich zu erringen und sie zu verteidigen. Wir haben die Deserteure immer als unsere Verbündeten angesehen und uns dafür eingesetzt, daß sie alle amnestiert werden. Mit uns zusammen arbeitet eine kleine Gruppe antimilitaristischer Männer. Gemeinsam mit ihnen überprüfen wir die erzwungenen Rollen für Männer und Frauen, stellen sie in Frage und geben der Kultur der Selbstbestimmung und der Gleichheit aller in ihrer Unterschiedlichkeit neue Impulse.

(Übersetzung aus dem Spanischen: Beate von Koschitzky)

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Stasa Zajovic, Frauen in Schwarz, Belgrad: Resistencia de Mujeres a la Guerra