Iran-Abkommen

Wie eine tektonische Verschiebung

von Karl Grobe

Das Abkommen der fünf Großmächte plus Deutschland auf der einen Seite mit Iran auf der anderen ist von den Meinungsführern weltweit als historisch gewürdigt worden. Die Bewertung trifft zu. Es schließt für einen längeren, gleichwohl überschaubaren Zeitraum die nukleare Aufrüstung Irans so sicher aus, wie es die vereinbarten internationalen Kontrollen irgend gewährleisten können. Es bricht die Isolation auf, in der sich das Teheraner Regime seit Jahrzehnten gegenüber den USA hat befinden müssen. Dass Obamas Washingtoner Rede zum Thema direkt im iranischen Fernsehen übertragen wurde, ist ein deutliches Indiz. In den 36 Jahren seit dem Sturz des Schahs hat es das nicht gegeben.

Die 159 Seiten des Dokuments mit seinen fünf Anhängen erlauben Iran weniger als der Atomsperrvertrag ihm als Mitglied ohnehin zugesteht: die friedliche Nutzung der Atomenergie in eingeschränktem Maß und unter ständiger Aufsicht. Das ist das Minimum, auf dem Iran seit dem Beginn der Verhandlungen bestanden hat. Atomwaffen jedoch hat es nach eigenem Bekunden nicht angestrebt, ein religiöses Urteil (fatwa) von höchster Stelle (Khamenei) verbietet sie als unislamisch; diesem Urteil misstrauen indes die bekannten Gegner Teherans, als sei es ein Kieler Ehrenwort.

Die Misstrauischen, wie üblich ganz voran Israels Premier Netanyahu, setzen nun auf einen nachträglichen Erfolg in der „Mutter aller Lobby-Schlachten“: Im US-Kongress könnte das Abkommen niedergestimmt werden, worauf Obama sein Veto einlegen würde, welches nur mit Zweidrittel-Mehrheit zu brechen ist. Die republikanischen Obama-GegnerInnen interessiert das Abkommen herzlich wenig. Nicht wenige unter ihnen sind außenpolitische Ignoranten. Falls die Neokonservativen und Neo-Militanten das Vertragswerk im Verbund mit ausgewiesenen Dummköpfen kippen sollten, wäre dies fatal für den Frieden nicht nur im Nahen und Mittleren Osten, sondern weltweit. Dieser Fall wird wahrscheinlich aber nicht eintraten.

Iran gewinnt die schrittweise Aufhebung der Handels- und Finanzsanktionen. Die Teheraner Regierung kann damit über bisher unzugängliche Auslandsguthaben verfügen, die wirtschaftliche Zusammenarbeit über den Kreis der bisher schon kooperationsbereiten Staaten (darunter China und Russland) ausweiten und dringend nötige Waren importieren, Medikamente und Ersatzteile für die Luftlinien vor allem, aber auch Elektronik und Software. Das müsste für einen raschen und umfassenden wirtschaftlichen Aufschwung sorgen.

Hier kommt die Doppelrolle der Pasdaran ins Spiel, der auf den Obersten Führer (Khamenei) verpflichteten Revolutionsgarden, die nicht nur die eigentlich wichtigen Streitkräfte sind, sondern auch ein rundes Viertel der iranischen Volkswirtschaft kontrollieren. Einige ihrer Vertreter haben in den letzten Jahren durchblicken lassen, dass sie zwar jetzt nicht „an der Bombe basteln“, aber doch so viel Material und Wissen ansammeln möchten, dass irgendwann der „breakout“ – die tatsächliche nukleare Aufrüstung – möglich wäre. Dieser Gruppe (wenn es denn eine ist) hat der Vertrag die Flügel gestutzt; sie haben aber nicht aufgegeben. Der Wirtschaftsflügel der Pasdaran andererseits ist sich der Möglichkeiten bewusst, welche die nun mögliche Öffnung zum Welthandel bietet, und will teilhaben.

Im Grunde aber kommt jeder wirtschaftliche Aufschwung dem Präsidenten Ruhani und seiner politischen Richtung zugute. Er schafft Zustimmung und Vertrauen. Ob sich das in innenpolitische Lockerungen und Reformen umsetzen lässt, hängt mehr von der Haltung des Obersten Führers, des Wächterrates und des Schlichtungsrates ab als vor irgendeiner gewählten Instanz. Was nun möglich ist, ist schwer abzuschätzen, verändern wird das Regime sich auf alle Fälle.

In der regionalen Politik bahnt sich eine grundsätzliche Veränderung an. Erstens wird Iran als Ölexporteur mit demnächst wieder deutlich mehr als zehn Prozent Weltmarktanteil auftreten, zweitens als Besitzer der weltweit größten Erdgasvorkommen auch mit diesem fossilen Energierohstoff internationales Schwergewicht. Das heißt: Iran konkurriert künftig stärker mit Saudi-Arabien und den petrofeudalistischen Emiraten.

Diese sind politische Rivalen und waren bis jetzt die letzten politischen Partner der USA in der Region. Künftig bietet sich den USA eine weitere Möglichkeit: Kooperation mit Teheran, wie sie inoffiziell in Irak im Krieg gegen das „Kalifat“ (ISIS, ISIL, Daesch) und gegen andere fundamentalistische Bewegungen schon besteht. Diese hängen aber von Finanzen und ideologischer Unterstützung von den Staaten der Saudis und der Petrofeudalisten ab.

Die bisherigen Allianzen bröckeln ab. Das kann der Beginn einer Veränderung aller Verhältnisse ein, vergleichbar mit einer tektonischen Verschiebung: langsam, unaufhaltsam, sich gelegentlich zu gewaltigen Erdbeben entladend.

Den wie immer geradezu rituell vorgetragenen Bedenken Israels – der einzigen (illegitimen) Atommacht in der Region – entgegen hat der Atomwaffenverzicht Irans diese Weltgegend sicherer gemacht und der Diplomatie neue Möglichkeiten eröffnet. Doch die tektonischen Verwerfungen erzeugen andere Gefahren. Sicherer ist der Frieden, aber er ist nicht sicher.

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Journalist und Historiker, war Außenpolitik-Redakteur der Frankfurter Rundschau.