Zu geopolitischen Hintergründen und Möglichkeiten von Friedenslösungen im Afghanistankrieg

Wieder einmal Blut für Öl

von Clemens Ronnefeldt
Schwerpunkt
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Der Sturz des menschenverachtenden Taliban-Regimes in Afghanistan durch die angloamerikanischen Bombardierungen wurde teuer erkauft: Den 2992 Todesopfern in Washington (FR, 21.12.01), darunter die 157 Insassen der beiden Flugzeuge und den insgesamt 233 Toten beim Agriff auf das Pentagon sowie beim Absturz der Maschine in Pennsylvania (Rhein-Zeitung, 23.11.01) stehen laut Monitor (20.12.01) mindestens 4000 zivile Todesopfer in Afghanistan entgegen.

In dem Spion-Thriller "Get Smart" fragt Agent 99: "Weißt du Max, manchmal denke ich, wir sind nicht besser als sie sind; die Art, wie wir morden und töten und Leute zerstören." Worauf Smart antwortet: "Warum?, Agent 99. Du weißt, dass wir morden, töten und zerstören müssen, um alles was gut ist in der Welt zu bewahren".

Anknüpfend an diesen nachdenklichen Kurzdialog stellt sich beim Afghanistankrieg die Frage, ob er tatsächlich und ausschließlich um der Verfolgung der Massenmörder vom 11. September 2001 geführt wird - oder ob die verschiedenen Akteure die derzeitige weltpolitische Lage auch für andere als die vorgegebenen Ziele nutzen.

1. Deutschland sucht per Kriegsbeteiligung seinen "Platz an der Sonne"
Was Meinhard Glanz, Heeres-Inspekteur der Bundeswehr und sein amerikanischer Kollege Edward C. Meyer schon 1982 in dem gemeinsam unterzeichneten Dokument "Air Land Battle 2000" als "Grundsachverhalte" beschrieben, spitzte sich in den letzten Jahren immer stärker zu: "Die aufstrebenden Länder der Dritten Welt (schaffen) ein größeres Ungleichgewicht der Kräfte. Diese Nationen könnten sich mit feindlichen Staaten zusammenschließen und auf Terror, Erpressung oder begrenzte Kriege zurückgreifen, um einen gleichberechtigten Anteil an den Ressourcen zu erhalten."

In den Verteidigungspolitischen Richtlinien der Bundeswehr von 1992 werden als vitale Interessen Deutschlands genannt: "Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt" - mit dem gegenüber der ersten Fassung angefügten und den Kreis quadratierenden Zusatz: "im Rahmen einer gerechten Weltwirtschaftsordnung."
 

Hermann Scheer (MdB/SPD) beschreibt die Aufgaben des neuesten deutschen Kriegseinsatzes folgendermaßen: "Natürlich fragt man sich, was die deutschen Marinekräfte am Horn von Afrika rumschiffen sollen. Da geht es um ein viel tiefergehendes Problem, nämlich die Sicherung der Öltransportlinien" (junge Welt, 8.11.01). "Wir verteidigen unsere Art zu leben, und das ist unser gutes Recht" (FR, 17.10.2001), sagte Bundeskanzler Gerhard Schröder zur Fortsetzung des Krieges in Afghanistan. Solange allerdings in der Charta der Vereinten Nationen die Würde und Forderung nach Gleichheit aller Menschen festgeschrieben ist und diese Art des westlichen Lebens für mehr als die Hälfte der Menschheit Verelendung, Hunger und Tod bedeutet, ist dem Kanzler an dieser Stelle mit großer Vehemenz zu widersprechen.

Nachdem sich herausgestellt hat, dass die Bundesregierung offensichtlich keineswegs von den USA in der Größenordnung von 3900 Soldaten in die Solidaritätspflicht genommen wurde, sondern der Kanzler bei der Neuverteilung weltweiter Macht ein gewichtiges Wort mitreden möchte, könnte die derzeitige deutsche Außenpolitik folgendermaßen beschrieben werden: "Die Zeiten, wo der Deutsche dem einen seiner Nachbarn die Erde überließ, den anderen das Meer und sich selber den Himmel reservierte, diese Zeiten sind vorüber. Wir betrachten es als eine unserer vornehmsten Aufgaben, gerade in Ostasien die Interessen unserer Schifffahrt, unseres Handels und unserer Industrie zu fördern und zu pflegen. (...) Wir sind gerne bereit den Interessen anderer Großmächte Rechnung zu tragen, in der sicheren Voraussicht, dass unsere eigenen Interessen gleichfalls die gebührende Würdigung finden. Mit einem Wort: Wir wollen niemand in den Schatten stellen, aber verlangen auch unseren Platz an der Sonne". Dies meinte der damalige Staatssekretär des Auswärtigen Amtes und spätere Reichskanzler Bernhard von Bülow 1897. Weil damals - wie auch heute - noch andere "an die Sonne" wollten, wurde es 1914 sehr dunkel.

2. Die USA sichern sich langfristig die Dominanz in Zentralasien über Öl und Gas
Bereits 1995 unterzeichnete der US-Konzern Unocal gemeinsam mit der saudiarabischen Delta Oil ein Abkommen mit den Taliban über den Bau einer 2 Milliarden DM teuren Pipeline quer durch Afghanistan. Damit sollten die riesigen Erdöl- und Erdgasvorkommen an der Südflanke Russlands, inbesondere in Turkmenistan, ans Arabische Meer nach Pakistan transportiert werden. Weil die Taliban die Sicherheit im Lande für die geplante Pipeline nicht garantieren konnten und zudem mit Osama bin Laden paktierten, der seit 1998 für Angiffe auf US-Einrichtungen verantwortlich zu sein scheint, wurde das Projekt 1998 vorläufig auf Eis gelegt.

"Öl", sagt der Politologe und Energieexperte Tony Rosenbaum von der Universität of Florida, "ist die versteckte Triebfeder des Krieges" (Die Woche, 19.11.2001).

Da weder Russland noch Iran als Transportrouten amerikanischerseits erwünscht sind, bleibt nur Afghanistan. Mit einer nicht auszuschließenden langfristigen Stationierung von US-Truppen in der Region an der Südflanke Russlands werden die Interessen Russlands, Indiens und auch Chinas, die in Zukunft ebenfalls ihren sich steigernden Energiebedarf aus dieser Region decken werden, massiv zurückgedrängt.

Die US-Regierung ist wie keine zuvor mit der Öl- und Energiewirtschaft personell verflochten. George W. Bush ist "selbst Mitglied des texanischen Ölclans", Verteidigungsminister Dick Cheney war zuvor "Vorstandschef von Halliburton, dem weltgrößten Materialzulieferer der Ölindustrie", US-Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice "saß zehn Jahre lang im Aufsichtsrat des Chevron-Konzerns, der 1995 sogar seinen größten Tanker auf ihren Namen taufte. Nach heftiger Kritik gegen die enge Verbindung von Bush`s Sicherheitsberaterin zu dem Ölmulti wurde die unter bahamaischer Flagge fahrende ´Condoleezza Rice` mittlerweile in ´Altair Voyager` umbenannt" (alle Zitate: Die Woche, 19.10.2001). Rund 80 Prozent aller Spenden des US-Wahlkampfes 2000, insgesamt 33,3 Millionen US-Dollar, stammten aus der Öl- und Energiebranche.

Durch die Privatisierung des Energiesektors in den ehemaligen Sowjetrepubliken rund um das Kaspische Meer haben sich u.a. Chevron, Debis und Mitsubishi die Löwenanteile gesichert. "Insgesamt sind dort seit 1993 Verträge über mehr als 33 Milliarden Dollar gezeichnet worden" (Die Woche, 21.9.2001). Die neuen riesigen Erdöl- und Erdgasfelder haben den Vorteil, bisher kaum angezapft worden zu sein - den großen Nachteil allerdings, dass ihr Abtransport größtenteils noch ungeklärt ist.

Dass in Afghanistan 1998 und 1999 jeweils ca. 4600 Tonnen Rohopium geerntet wurden, die rund dreiviertel des weltweiten Opiumbedarfes decken - auch den Großteil des US-Marktes - verschärft die Situation noch zusätzlich. Auch die Umsätze im Menschenhandel aus der Region sind inzwischen keineswegs mehr vernachlässigbar.

Der Harvard-Expertin Brenda Shaffer nach riskiert Washington durch den Krieg in Zentralasien "ein politisches Erdbeben" (Die Woche, 19.10.2001).

Ähnlich und mit erfreulicher Klarheit sehen dies die Bischöfe Brasiliens: "Die von den USA geführten Militäraktionen in Zentralasien haben nach Ansicht der katholischen Bischöfe Brasiliens neben der Bekämpfung terroristischer Gruppen in erster Linie die Bewahrung der westlichen Kontrolle über die Öl- und Gastransportrouten zum Ziel. Die Gas- und Ölreserven in Zentralasien und im Kaspischen Meer wären für den Westen eine Alternative, wenn in maximal 20 Jahren die Vorräte im Mittleren Osten zu Ende gingen, heißt es in der von der Brasilianischen Bischofskonferenz herausgegebenen jüngsten Monatsanalyse zur politischen Lage. ´Ein weiteres Ziel von strategischer Bedeutung ist die Militärpräsenz in der Nachbarschaft Chinas, Indiens und Russlands`, heißt es weiter. Offensichtlich sei, dass die Kriegshandlungen die Investitionen in die US-Rüstungsindustrie erhöhten und der Wirtschaft mehr Dynamik gäben, um aus der bereits vor dem 11. September drohenden Rezession herauszukommen. Die Bischöfe fürchten, dass die Wahl der arabisch-islamischen Welt als Kriegsziel explosive Wirkung haben kann" (FR, 8.12.01). Warum kommen die Bischöfe in Deutschland nicht zu solchen Aussagen?

3. Ein Ausstieg aus der Eskalation der Gewalt ist bei politischem Willen möglich
Bei einem rechtsstaatlichen Vorgehen gegen die Verantwortlichen der Terrorangriffe vom 11.9.2001 hätte m.E. vor der Ergreifung von Gegenmaßnahmen zunächst der zweifelsfreie Nachweis der Täterschaft stehen müssen, insbesondere bei derart schwerwiegenden Maßnahmen wie einem Krieg - wobei Krieg für mich die extremste Form von Terror überhaupt darstellt. Dass ein rechtsstaatliches Vorgehen mit zivilen polizeilichen und diplomatischen Mitteln keineswegs nur theoretisch zum Erfolg führen kann, zeigte das Beispiel der Terroristenverfolgung bei der Lockerbie-Affäre: Auf diplomatischen Druck hin war der libysche Staatschef bereit, die mutmaßlichen Täter auszuliefern und vor einen internationalen Gerichtshof stellen zu lassen. Ähnlich hätte die so genannte Anti-Terror-Koalition auch im Falle der Verantwortlichen des 11. September 2001 verfahren können. Insbesondere Aufgabe der europäischen Staaten wäre es gewesen, den Bündnispartner USA von einer solchen Linie zu überzeugen - statt wie der deutsche Bundeskanzler "bedingungslose Solidarität" zu verprechen.

Wie zerbrechlich der auf der Bonner Afghanistankonferenz gefundene Aufbruch für eine Nachkriegsordnung in Afghanistan ist, zeigt der Zerfall der Nordallianz Mitte Dezember 2001, die sich erneut Kämpfe untereinander liefert.

Um die Region - insbesondere auch Pakistan mit seinem ca. 150 Millionen Einwohnern - zu stabilisieren, müsste unverzüglich unter Leitung der UNO die Hilfe für Flüchtlinge ausgeweitet werden, ein Wiederaufbauplan erstellt und die UN-Anti-Drogen-Anbau-Kampagne forciert werden. Rund 7 Millionen Menschen allein in Afghanistan sind nach Angaben der Vereinten Nationen akut vom Hungertod bedroht - auch als Folge des Krieges und der monatelangen Unterbrechung der Arbeit internationaler Hilfsorganisationen.

Mittelfristig würde ein regionaler Friedens- und Sicherheitspakt Sinn machen, der auf eine ABC-Waffen-Abrüstung und ABC-waffenfreie Zone drängt. Gegenüber Irak müsste das Embargo, ausgenommen für Rüstungsgüter, aufgehoben werden, um die völkermordartigen Zustände zu beenden, denen bereits mehr als eine Million Menschen zum Opfer gefallen sind.

Für Kurdistan und Kaschmir sind diplomatische Lösung in Konferenzen voranzutreiben. Zur besseren Verständigung zwischen westlicher und arabischer Welt möchte ich die Etablierung einer europäisch-arabischen Universität in der arabischen Welt und einer arabisch-europäischen Hochschule in der westlichen Welt ins Gespräch bringen. Viele Vorurteile auf beiden Seiten könnten mit solch einer Hochschule abgebaut werden.

Die US-Außenpolitik hat es entscheidend mit in der Hand, ob der Palästina-Israel-Konflikt vollends in einen größeren Krieg eskaliert oder die Verhandlungen auf der Grundlage des sog. Mitchel-Planes noch einmal aufgenommen werden. Selbst nach den verheerenden palästinensischen Selbstmordattentaten und den Liquidierungen und Bombardierungen der israelischen Armee ist eine Zweistaatenlösung mit einer vorübergehenden Pufferzone denkbar. Hierzu müsste sich die europäische Politik weitaus stärker engagieren, als sie dies bisher tut.

Westlicherseits wäre die Reduzierung der Abhängigkeit aus der Region durch den massiven Ausbau erneuerbarer Energien ein entscheidender Deeskalationsfaktor.

Bei einem mittelfristigen Abzug der US-Präsenz aus der Region, einer Einstellung der Waffenlieferungen und einer Schuldenstreichung für die verarmten Länder der arabischen Liga könnte dem Terrorismus im Zuge aller genannten Maßnahmen der Nährboden entzogen werden. Gerechtigkeit und Frieden bekämen eine Chance, die islamische Welt würde endlich einmal gleichberechtigt und mit Respekt behandelt werden.

Kontakt: Ortsstr. 13, 56288 Krastel, Tel. 06762-2962, Fax - 950511 BuC [dot] Ronnefeldt [at] t-online [dot] de

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Clemens Ronnefeldt ist seit 1992 Referent für Friedensfragen beim deutschen Zweig des Internationalen Versöhnungsbundes.