Abschlußerklärung der sowjetisch-bundesdeutschen Begegnung vom 14.-24. April 1989

Wir bauen gemeinsam am Haus Europa

Achtundvierzig sowjetische Bürger waren vom 14. -24. April 1989 im Rahmen einer Delegation des sowjetischen Friedenskomitees Gäste in fünfundzwanzig christlichen Gemeinden und Gruppen in der Bundesrepublik. Sie waren damit einer Einladung des Christlichen Friedensdienstes und von Pax Christi gefolgt. Gäste und Gastgeber kommen zum Abschluß dieser Begegnung zu der gemeinsamen Aussage:

 1. Wir haben in diesen 14 Tagen durch Begegnungen und Menschen aus den verschiedensten Schichten der Öffentlichkeit und der Kirchen zur Verwirklichung des neuen Denkens und zur Vertrauensbildung zwischen unseren Völkern beitragen können. Feindbilder konnten wir abbauen, Grundsteine für das Haus Europa legen.
Als Gastgeber sehen wir die Schuld unseres Volkes am 2. Weltkrieg und am nationalsozialistischen Terror in Europa, besonders in der Sowjetunion. Wir wissen, daß wir die Bürde dieser Geschichte zu tragen haben und müssen erkennen, daß nationalsozialistische wie rechtsradikale Tendenzen in unserem Volk noch nicht überwunden sind. Wir sehen unsere Aufgabe, solchen Tendenzen zu wehren und bitte angesichts der Schuld die Völker der Sowjetunion um Versöhnung. Eine solche Bitte erhoffen wir aus dem Munde des Bundeskanzlers der Bundesrepublik Deutschland gegenüber dem Repräsentanten der Völker der Sowjetunion bei dessen bevorstehenden— den Besuch in der Bundesrepublik. Als Gäste arbeiten wir mit an der Aufdeckung des Stalinismus, seiner Wirkung bis in die Gegenwart und ziehen Konsequenzen für die  Zukunft.  
Wir wollen das eigene Denken erneuern. Das bedeutet:

  • uns von Stereotypen und Dogmatismus zu befreien,  
  • in der Kritik des Partners an seinem System Anstöße zur Kritik am eigenen System zu erkennen,  gemeinsame soziale Gerechtigkeit und gemeinsame Sicherheit zu suchen.
  • Wir erwarten von unseren Regierungen Verhandlungen zur Verwirklichung einer gemeinsamen Sicherheit, begleitet von Abbau und Verschrottung militärischer, besonders    nuklearer Drohpotentiale, statt einer Zustimmung zur "Modernisierung".

Wir wollen neues Denken verwirklichen.

  • Marxisten unter uns arbeiten dabei an der Überwindung jeglicher Entfremdung;
  • Christen folgen dem Auftrag Jesu, Mauern der Feindschaft zu überwinden.

Beiden gemeinsam ist das Ziel der Verwirklichung einer Menschheitsfamilie. Die Würde des Menschen und das Bemühen um Demokratie stehen für uns im Mittelpunkt des politischen Handelns.
Gewaltverzicht ist für uns die Maxime nicht nur staatlicher Politik, sondern gerade auch der zwischenmenschlichen Beziehungen. Deshalb sind auch Alternativen Zum Militärdienst wichtig. II. In Zukunft wollen wir uns gemeinsam den Aufgaben stellen, Gerechtigkeit und Frieden zu verwirklichen und unsere Schöpfung zu erhalten. Wir wollen miteinander absprechen, was wir gemeinsam tun können.

Jetzt vereinbaren wir, eine gemeinsame Schulstunde zum 1. September 1989 in sowjetischen wie deutschen Schulen anzuregen und vorzubereiten. Wir wollen am Jahrestag des Beginns des Zweiten Weltkriegs eine Perspektive für eine friedvolle Zukunft Europas anregen unter dem Thema: "Die Entfernung der Sonne zur Erde“
Vor 220 Jahren hat es erstmals eine gesamteuropäische Zusammenarbeit gegeben. Wissenschaftler aus Ost und West, Nord und Sid haben gemeinsam an allen Enden der Erde den Durchgang der Venus durch die Sonne vermessen. So konnte erstmals die Entfernung der Sonne zur Erde errechnet werden. Dies war die Voraussetzung für das Navigieren auf See, für das Bewahren der Menschen vor dem Seetod. Noch acht Jahre vorher war solch eine Zusammenarbeit durch den Siebenjährigen Krieg verhindert worden. Solch ein Leben bewahrende, Welt umspannende Zusammenarbeit suchen wir, heute, wenn wir Gerechtigkeit auf dieser Erde schaffen und Kriege und ökologische Katastrophen verhindern wollen, wenn wir das gemeinsame Überleben der Menschen sichern wollen.
Aus der Konsequenz unserer deutschsowjetischen Begegnung verabreden wir uns außerdem, in der Zeit vom 8. Mai 1989 bis zum 22. Juni 1991,
dem 50. Jahrestag des Einmarsches deutscher Truppen in die Sowjetunion, zahlreiche Begegnungen im Sinne der Volksdiplomatie anzuregen, vorzubereiten und mitzutragen. In diese Begegnungen bringen wir unsere Erfahrungen der Zusammenarbeit mit anderen Völkern Europas und der 2/3 Welt ein, damit das europäische Haus ein offenes Hans werden kann.

*Für das Sowjetische Friedenskomitee: Jevgenij Oxkolskij
*Für den Christlichen Friedensdienst Werner Lechtenfeld
*Für Pax Christi: Ansgar Koschel

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