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Wir trauern um Petra Kelly und Gert Bastian
vonBei der Gedenkfeier "Mit dem Herzen denken - Thinking with the Heart" am 31.10.92 in der Bonner Beethovenhalle sagte der russische Schriftsteller Lew Kopelew:
Petra Kelly traf ich zum ersten Mal vor zehn Jahren in Wien bei einer Fernsehdiskussion. Heinrich Böll, einige österreichische Politiker, Sozialisten und Konservative, diskutierten über Friedenspolitik, Entspannung, Abrüstung und Umweltschutz.
Petra beherrschte die Runde, jung, schön, kenntnisreich und redegewaltig; aus dem Stegreif zitierte sie Dokumente, statistische Daten, Berichte über Aufrüstung in Ost und West, sprach exakt in druckreifen Sätzen mit atemberaubendem Stakkato.
Bald darauf habe ich auch Gert Bastian kennengelernt, war gespannt auf diese Begegnung, konnte mir kaum vorstellen: ein Berufsoffizier und Pazifist, ein General, der zusammen mit Jugendlichen durch die Straßen marschierte. Doch bereits nach dem ersten Gespräch war mir klar: Diesem Mann spricht die Seele aus den Augen, dem kann man vertrauen, auf den kann man sich verlassen.
Die beiden - Petra und Gert - wurden für meine Frau Raissa und mich sehr bald zu Freunden. Es war immer eine Freude, sie zu sehen, mit ihnen zu sprechen, auch zu streiten. Sie kamen jedesmal, wenn sie eine Reise nach Russland vorbereiteten und dann wieder, wenn sie heimkehrten. Sie trafen sich in Moskau mit Sacharow, mit Gorbatschow und Jelzin und auch mit vielen unserer Freunde. Sie reisten nicht wie Staatsgäste oder Touristen, sondern als aktive Menschenrechtler und Ökologen. Sie fanden dort Gleichgesinnte, und jedesmal gewannen sie neue hinzu. Zahllosen Menschen haben sie geholfen, brachten Medikamente, holten Briefe, Manuskripte . . .
Immer wieder erlebten wir, wie Petra und Gert, beide mit jugendlicher Begeisterung, sich in den Kampf gegen Unrecht stürzten, wie sie Notleidenden zu Hilfe eilten. Unermüdlich und hartnäckig setzten sie sich für Verfolgte in Moskau, in Warschau, in Ostberlin, in aller Welt ein, unablässig unterstützten sie Hilfsbedürftige in Tibet, in Indien, in afrikanischen und südamerikanischen Ländern.
Petra und Gert waren unterschiedlich, sowohl nach ihrer Herkunft als auch in ihren Lebenserfahrungen:
Er - ein Soldat, der Kaserne und Front erlebt hatte, der auch nach dem Zusammenbruch des Nazireichs und der meisten Ideale seiner Jugend immer noch soldatisch dachte und fühlte und der dennoch bereits als reifer Mann mitten in der geschlossenen Welt seines Dienstes sich zu einer grundsätzlich neuen Weltanschauung durchrang.
Sie - ein lebenslustiges Kind zweier Kontinente, seit frühester Jugend weltoffen, wissbegierig und unermesslich weit von allem Militärischen entfernt. Dennoch wurden sie eins, eine Lebens- und Kampfgemeinschaft. Sie vereinte nicht nur die Liebe zueinander, sondern auch eine gemeinsame Weltempfindung. Sie glichen sich in der Fähigkeit, fremdes Leid wahrzunehmen und spontan zu helfen, sie glichen sich in der Fähigkeit, Heuchelei und Lügen wachsam zu erkennen. Und gemeinsam war beiden die Unfähigkeit, selbst zu heucheln, sich zu verstellen, ihre Gefühle, ihre Gedanken zu verbergen. Eben das verursachte ihre Schwierigkeiten im politischen Leben; sie gingen keine Kompromisse ein, sie konnten sich nicht anpassen, konnten nicht schlau taktieren. Sie waren kämpferische Politiker, konnten und wollten sich aber nicht parteipolitisch einschränken. Beiden war eine Menschenliebe eigen, die nicht nur der gesamten Menschheit galt, sondern vor allem dem einzelnen Menschen.
Petra und Gert empfinde ich als Menschen der Zukunft, des neuen Jahrhunderts und Jahrtausends; denn sie waren frei von Vorurteilen, von jeglichen Feindbildern, frei von Hass und von Eigennutz. Ich glaube an keinen Selbstmord. Sie wären nicht freiwillig von uns gegangen, ohne es uns zu erklären. Das meiste von dem, was bis heute über sie gesprochen und geschrieben wurde, widerspricht dem Sinn, dem Wesen ihres Lebens. Es geschah etwas Schreckliches, Grausames; vielleicht wird es einmal aufgeklärt, doch unabhängig davon glaube ich nicht an ihren Tod, sie sind auch jetzt hier mit uns. Wirklich und wahr ist nicht der Tod, sondern das Leben - das Leben von Petra Kelly und Gert Bastian. Wirklich und wahr bleiben ihre Träume und ihre Ideale. Ohne sie ist die Welt ärmer und kälter geworden. Doch uns bleibt ihr geistiges Vermächtnis: Wir bekennen uns zu ihrem gewaltlosen Kampf für ein friedliches, freies Zusammenleben aller Menschen auf dieser Erde in einer unzerstörten Natur.