Gegen die Große Koalition der Kriegsparteien

Wir werden uns nicht an den Krieg gewöhnen!

von Mani Stenner
Schwerpunkt
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Selten wurden die Einwände aus der Friedensbewegung gegen den "humanitären Krieg" so massiv und schnell bestätigt und die Skepsis reicht weit in die Gesellschaft hinein. Zu offensichtlich hat die NATO ihre propagierten Ziele des Schutzes von Menschen und der Beendigung von Vertreibung ins Gegenteil verkehrt. Die ideologische Aufrüstung, die Verteufelung Milosevics ("Stalin und Hitler in einer Person") und des gesamten serbischen Volkes kann vom Scheitern des militärischen Weges für die Interessen der Menschen des Kosovo wie von den Opfern und der massiven Zerstörung der zivilen Infrastruktur in Jugoslawien kaum noch ablenken. Und die platte Diffamierung der innenpolitischen Kritiker ("Fünfte Kolonne Belgrads") kann die Erbarmungslosigkeit einer Politik nicht verdecken, die "humanitär" bombt, sich aber die in den Lagern in Albanien, Mazedonien und Montenegro in erbärmlichen Umständen lebenden Flüchtlinge schlicht vom Hals halten will.

Dennoch drückt sich die Skepsis in der Gesellschaft nicht in starkem Protest auf der Straße aus, keine weißen Tücher hängen aus den Fenstern, nach wochenlangen Bombardements ist der Krieg nicht einmal mehr Hauptthema in Gesprächen, die Berichterstattung auf hintere Seiten der Zeitungen gerückt. War zu Beginn bei vielen die Ratlosigkeit bezüglich der Alternativen zum von den ehemaligen Weggefährten in den Regierungsparteien gerechtfertigten Angriffskrieg lähmend und die Argumente der aktiven Friedensgruppen dazu wenig bekannt, so müssen wir jetzt auch zur Überwindung von Resignation und Gewöhnung an den Krieg ermuntern. Die darauf schlecht vorbereitete Bewegung ist (fast) die alleinige Opposition in dieser Frage.
 

Seit Mittwoch, 24. März haben Mahnwachen und Kundgebungen stattgefunden, zunächst klein, aber zunehmend mehr und besser besuchte. Bereits während der Ostertage haben sich mehrere zehntausend Menschen an Protestaktionen beteiligt. Diese Aktionen werden täglich und wöchentlich fortgeführt. Die Großdemonstration am 8. Mai in Berlin war gelungen, wurde breit getragen, ist aber gewiß bzgl. der TeilnehmerInnen-Zahlen hinter unseren Hoffnungen zurückgeblieben. Wie stark wird der Denkzettel ("Wählt keine Kriegsparteien") durch geringe Wahlbeteiligung und PDS-Stimmen bei der EU-Wahl ausfallen?

Gerade in Zeiten einer Großen Koalition der Parteien wird aber auch bei vielen die Einsicht wachsen, daß die Gesellschaft die Diskussion um Krieg und Frieden nicht der Regierung und den Parlamentariern überlassen kann. Es gründen sich auch tatsächlich neue Initiativen und viele Verbände und Organisationen, auch z.B. die Gewerkschaften, diskutieren und ringen um Beschlüsse zum Thema. Aufgeben gilt nicht - gerade auch für die in Bielefeld unterlegene grüne Minderheit. Willkommen in der Bewegung.

Wie lange noch?
Das weitere Kriegsgeschehen läßt sich nicht prognostizieren. Da der Kosovo-Krieg sich vor dem Hintergrund eines Großmachts- und Wirtschaftskonflikts (USA-Rußland, aber auch EU mit eigenständigen Interessen sowie China) abspielt, werden mögliche diplomatische Erfolge mit Interessensregelungen und Machtkämpfen auf dieser Folie zu tun haben, die sich eher hinter den Kulissen abspielen und trotz der auf der Oberfläche intensiven Reisediplomatie wahrscheinlich erst zum G7/G8-Gipfel zum Tragen kommen - wenn denn ein Bodenkrieg vermieden werden soll. Aber auch das ist schon sehr spekulativ. Die Großdemonstrationen zum G7/G8-Gipfel am 19. Juni in Köln und Stuttgart (siehe Beilage) sollten sich die Gruppierungen der Friedensbewegung zueigen machen und massiv für Beteiligung werben.

Schon jetzt müssen wir aber auch die Diskussionen der Nachkriegszeit vorbereiten ("politische Kollateralschäden"). Dies betrifft z.B. die von den globalen Interessenslagen und der neuen NATO-Strategie vorgezeichneten Konfliktherde Kaukasus wie auch mögliche weitere Balkankriege, die zu befürchtenden "Lehren" der EU-Länder bzgl. einer Erweiterung eigener militärischer Möglichkeiten (incl. eigener Satelliten), die Kosten dafür wie für den Wiederaufbau und deren Auswirkungen auf den Sozialhaushalt, die wahrscheinliche weitere sträfliche Vernachlässigung der Instrumente Ziviler Konfliktbearbeitung und der notwendigen Stärkung von UN und OSZE. Diese Diskussionen sollten nicht nur unter uns geführt werden, sondern in offensive Kampagnen für die richtigen Lehren aus diesem Krieg münden.
 

Den Krieg stoppen - den nächsten Krieg verhindern!
Weiterhin dringend ist die Fortführung aller machbaren Aktivitäten während des Krieges, zu denen wir stetig ermuntern: lokale Mahnwachen/Kundgebungen, Postkartenaktionen sowie persönliche Schreiben an Kanzler, Außenminister und MdBs, LeserInnenbriefe, Aufgabe von (Klein-)Anzeigen in der Lokalpresse, Initiativen zur Bereitschaft der Kommunen, Deserteuren und Kriegsdienstverweigerern der Kriegsparteien Schutz und Aufenthalt zu gewähren wie auch die EU-Grenzen für die Flüchtlinge zu öffnen, die Schutz in den westlichen Staaten suchen wollen. Auch den in den Krieg involvierten Militärstandorten in der Bundesrepublik rücken Friedensgruppen mit Demonstrationen oder auch mit Blockadeaktionen weiter auf die Bude.

Zusammen mit Gewerkschaftsgruppen sollten wir bereits jetzt auf eine massive Beteiligung an dezentralen Aktionen zum 1. September 1999 hinarbeiten. Der Antikriegstag ist auch ein möglicher erster Höhepunkt für die notwendige in die Nachkriegszeit hineinreichende Kampagne, die wir jetzt entwickeln und beginnen müssen. Die Kampagne sollte - evtl. unter der Aufgabenstellung "Den nächsten Krieg verhindern!" massiv die Mittel Ziviler Konfliktbearbeitung incl. der Stärkung von UN und OSZE wie zivile Hilfe für die Balkanregion einfordern - also die Alternativen zum Krieg sichtbar machen - und Protest gegen die neue NATO-Strategie wie die europäische Aufrüstung für Interventionsfähigkeiten organisieren.

Eine neue Zeitung gegen den Krieg (siehe Bestellcoupon) - auch als taz und ND-Beilage - wird jetzt von der Friedenskooperative produziert, greift dies bereits auf und wird also als Info- und Argumentationsmaterial auch nach einem Waffenstillstand verwendbar bleiben. Falls der "Tag X" des Bodenkrieges kommt, wird die Situation nochmal ganz anders sein und wir alle werden uns dann gewiß schnell treffen.

 

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