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Den "Beitritt" mit Verfassungsgebung verbinden
Der Text des Grundgesetzes ist eindeutig: "Das gesamte deutsche Volk" (Präambel), "das deutsche Volk" (Art. 146), soll "in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands vollenden" (Präambel) und "eine Verfassung ... in freier Entscheidung" beschließen (Art. 146). Carlo Schmid, der bei den Beratungen des Grundgesetzes eine wichtige Rolle gespielt hat, sagte damals: "Diese Ordnung wird nicht die Verfassung Deutschlands sein. Aber auch der Beitritt aller deutschen Gebiete wird dieses Grundgesetz nicht zu einer gesamtdeutschen Verfassung machen können. "Das Bundesverfassungsgericht ist dieser Auffassung gefolgt. In der Entscheidung über den Grundlagenvertrag hat es festgestellt: "das Grundgesetz ist keine endgültige Lösung der deutschen Frage."
Das alles soll nun nicht mehr gelten. Aus Angst vor einer sozialdemokratischen Mehrheit in einer verfassungsgebenden Versammlung rückten Unionsparteien und konservative Staatsrechtler Art. 23 Grundgesetz in den Vordergrund, der die Möglichkeit eines "Beitritt" zur Bundesrepublik vorsieht. Die Folge war, daß vor allem im Wahlkampf um die Volkskammerwahl am 18. März von einer Alternative zwischen "Beitritt" (nach Art. 23 Grundgesetz) oder Konstituierung eines gesamtdeutschen Staates auf der Grundlage einer neuen deutschen Verfassung (nach Art. 146 Grundgesetz) gesprochen wurde. Diese "Alternative" war von Anfang an nicht zwingend. Beitritt und Verfassungsgebung lassen sich kombinieren; Art. 23 und Art. 146 Grundgesetz schließen sich nicht aus. Eine solche Koppelung könnte dazu führen, daß aufgrund eines "Beitritts" der DDR oder der Länder der DDR die Bundesrepublik als Staat und als Völkerrechtssubjekt erhalten bleibt, als "Groß-BRD" auch das Gebiet der heutigen DDR umfaßt, daß aber die verfassungsrechtlichen Grundlagen des veränderten Staatswesens neu geschaffen werden.
SPD hat Schlüssel
Die neue Regierung der DDR hat im Koalitionsvertrag festgelegt, "die Einheit Deutschlands nach Verhandlungen mit der BRD auf der Grundlage des Artikels 23 Grundgesetz zu verwirklichen". Dennoch sind "Veränderungen des Grundgesetzes" des "Verhandlungsziel der Regierung". "Soziale Sicherungsrechte" sollen als "nicht einklagbare Individualrechte" eingebracht werden: "Das gilt vornehmlich für das Recht auf Arbeit, Wohnung und Bildung. Diese Rechte werden in der Form von Staatszielbestimmung gewährleistet."
Damit hält die SPD der DDR den Schlüssel in der Hand, den "Beitritt" mit verfassungsrechtlichen Sicherungen zu verbinden. Ein Beitritt zur Bundesrepublik kann von der Volkskammer nur mit Zweidrittelmehrheit beschlossen werden. Nur mit den Stimmen der SPD kann die Regierung Lothar de Mainzer diese Mehrheit erreichen. Das heißt: Die SPD-Fraktion in der Volkskammer verfügt über ein Vetorecht. Sie kann erzwingen, daß der Beschluß über einen Beitritt mit einer Verfassunggebung durch das "gesamte deutsche Volk" in "freier Entscheidung" verbunden wird.
Die Kombination von Beitrittsbeschluß und Abschluß einer Staatsvertrages über die Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung und das Inkraftsetzen der gesamtdeutschen Verfassung durch einen Volksentscheid (der zugleich die deutsche Einigung besiegelt) entspricht der Bedeutung des Einigungsprozesses und zugleich der Präambel und dem Artikel 146 Grundgesetz.
In einer verfassungsgebenden Versammlung wird - sofern nichts anderes festgelegt wird - mit einfacher Mehrheit entschieden. Die Union- und Allianzparteien würden (wenn die Volkskammer und der Bundestag die Abgeordneten wählen würden) zusammen mit den liberalen in der verfassungsgebenden Versammlung überwiegen. Bei einer direkten Wahl könnte das Ergebnis allerdings anders aussehen. Vermutlich aus diesen Grund bekämpfen konservative Verfassungsrechtler seit Wochen einen solchen Weg. Offenbar fürchten sie, die CDU der DDR könnte sozialen Sicherungsrechten und anderen progressiven Veränderungen des Grundgesetzes in einer verfassungsgebenden Versammlung zustimmen.
In der gegenwärtigen Situation kommt es in erster Linie darauf an, zu sichern, daß der im Grundgesetz vorgesehene Weg zu einer gesamtdeutschen Verfassung nicht verschüttet wird. Mit einer Mehrheit der sozialdemokratisch regierten Länder im Bundesrat sind die Chancen größer geworden, ein solches Verfahren durchzusetzen. Allerdings besteht die Gefahr, daß sich die Sozialdemokratie am Ende damit zufrieden geben wird, daß das Grundgesetz - nur mit einer Änderung der Artikel 23 und 146 - in einem Volksentscheid zur Abstimmung in beiden Teilen Deutschland gestellt wird.
Deshalb ist es unerläßlich, auch darüber zu sprechen, was am Grundgesetz geändert werden sollte. Dabei ist davon auszugehen, daß sich das Grundgesetz - trotz allem - bewährt hat und daß Veränderungen des Grundgesetzes nicht damit belastet werden sollten, die verlorenen Auseinandersetzungen der vierzigjährigen Geschichte der Bundesrepublik jetzt aufzuarbeiten.
Mehr Demokratie
Die Bundesrepublik braucht eine Erneuerung der Demokratie und die jenigen, die in der DDR die demokratisch Revolution durchgesetzt haben, sind daran interessiert, etwas davon in eine gemeinsame deutsche Verfassung einzubringen. Es geht nicht darum, wie manche meinen, daß Grundgesetz nach "links" zu verschieben, sondern darum, demokratische Mitwirkungsrechte zu verbessern, um den Anforderungen von morgen besser gewachsen zu sein. Hier gibt es folgende Problemfelder:
Zusätzlich zu diesen Fragen ist zu klären, welche "Errungenschaften" die bisherige DDR verfassungsrechtlich absichern könnte.
Wer der Bevölkerung der DDR eine verfassungsrechtliche Absicherung ihrer Interessen verweigert, produziert - völlig unnötig - eine Situation, in der in Kriesensituationen das Grundgesetz als eine der DDR bloß übergestülpte Verfassung in Fragegestellt wird. Eine Verfassung eines vereinigten Deutschland muß auch von den Bürgerinnen und Bürgern der DDR positiv besetzt sein.
Die DDR kann Erfahrungen mit sozialen Grundrechte und substantierten Regelungen der sozialen Gerechtigkeit in die Verfassungsberatungen einbringen. Es geht um eine gesamtdeutsche Verfassung, die den gegenwärtigen sozialen und ökologischen Problemen Rechnung trägt und dafür sorgt, daß der gesamtdeutsche Staat zukünftigen Herausforderungen gewachsen ist. Wer aus Angst vor dem Volk dem "gesamten Deutschen Volk" verweigert, "in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden" und "in freier Entscheidung" eine gesamtdeutsche Verfassung zu beschließen, dazu bei, das zu untergraben, was zur Substanz einer Verfassung gehört die Anerkennung durch das Volk.