Wo steht die gewaltfreie Bewegung heute?

von Christian Büttner
Initiativen
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Diese Fragestellung diskutierte das Archiv Aktiv Anfang Dezember 2000 mit AktivistInnen aus der gewaltfreiein Bewegung auf einer Tagung bei Darmstadt. Über 50 TeilnehmerInnen aus ganz Deutschland reisten zu dem Treffen.

Dem Archiv gelang es, nicht nur Menschen aus unterschiedlichen Gruppen, Organisationen und Kampagnen, sondern auch verschiedene Generationen der gewaltfreien Bewegung anzusprechen: junge Menschen aus der Kampagne X-1000 mal quer überall ebenso wie Hauptamtliche aus Bewegungsorganisationen oder Aktive aus den frühen Bewegungsjahren Anfang der 60er Jahre.

13 Jahre nach dem Kongress "Gewaltfreie Politik" in Burscheid organisierte das Archiv eine Tagung mit dem Ziel, den Austausch innerhalb der Bewegung voranzutreiben. Die Tagung war offen angelegt und am Ende der Tagung standen viele Fragen im Raum, auf die keine Antwort gegeben werden konnte.

Heute fällt es schwer, von gewaltfreier Bewegung zu sprechen: Viele sehr engagierte Menschen sind in Gruppen vor Ort oder in auf einzelne Fragestellungen spezialisierte Kampagnen bzw. Organisationen aktiv. Mann bzw. Frau kennt sich, aber miteinander gesprochen hatte man z.T. schon viele Jahre nicht mehr. Daher wünschten sich die TeilnehmerInnen viel Zeit für den persönlichen Austausch oder, insbesondere die jüngeren, Zeit zum gegenseitigen Kennenlernen.

Um ins Gespräch zu kommen, befragte das Archiv am Samstag Morgen VertreterInnen verschiedener Kampagnen bzw. Organisationen zu ihren Zielen, Strukturen und Aktionsformen.

Uli Wohland berichtete von Kampagnen, an denen sich die ´Werkstatt für gewaltfreie Aktion, Baden`, in unterschiedlichen Bündnisstrukturen bzw. Netzwerken beteiligt hatte. Beispielhaft nannte er u.a. die Daimler Anti-Minen Kampagne oder die Kampagne gegen den Stellenabbau bei der Firma Schöpflin, einer Quelle Tochter. An diesen beteiligten sich neben Friedensgruppen und Kirchenmitgliedern auch Vertreter von Gewerkschaften. So konnten in diesen Kampagnen Aktionserfahrungen aus den Friedens-, Bürgerrechts- und Arbeiterbewegungen zusammengebracht werden. Ein Arbeitsschwerpunkt der MitarbeiterInnen der Werkstatt ist, die Verbesserung der Planung, der Organisation und der Auswertung von Kampagnen.
 

Roland Blach von der Initiative ´Gewaltfreie Aktion Atomwaffen Abschaffen` schilderte, wie aus einem Aktionskreis mit lokalen Bezugsgruppen eine Organisation mit eigenem Büro und Hauptamtlichen wurde. Als Ursache dafür nannte er veränderte Gruppenstrukturen, zu denen kaum noch Jüngere hinzustoßen und die Älteren aus familiären oder beruflichen Gründen immer weniger Zeit für ihr Engagement haben.

Über die Arbeitsweise der Kampagne ´X-1000 mal quer` berichtete Ulrike Laubenthal. Das gemeinsame Ziel - die Verhinderung des nächsten Castor-Transportes - und die Festlegung auf die Aktionsform,gewaltfreie Blockade` trägt diese Mitmachorganisation. Sie ist dezentral und konsensorientiert aufgebaut. Eine Problem besteht in der hohen Fluktuation und dem damit verbundenen Verlust an Know-how und Erfahrung. Hierarchien werden durch eine große Transparenz in den Strukturen abgebaut.

Paul Russmann von der Initiative ´Ohne Rüstung Leben` zeigte auf, in welcher Weise ORL seit über 20 Jahren eine Organisation mit starkem Basisbezug geblieben ist. ORL beteiligte sich an vielen Kampagnen und engagierte sich über die antimilitaristische Arbeit hinaus für konstruktive Alternativen wie Zivile Konfliktbearbeitung oder Mediation. Mit ihrem Angebotscharakter ermöglicht ORL seinen UnterstützerInnen unterschiedlichste Beteiligungsmöglichkeiten.

Delev Beutner berichtete über die kaum noch bestehenden Strukturen der Totalverweigerer-Bewegung. Während sich in den 80er und zu Beginn der 90er Jahre die TV stärker koordinierten und mit der Zeitschrift Ohne Uns über eine gemeinsame Plattform zum Austausch verfügten, seien die bestehenden Strukturen weitgehend eingeschlafen. Verweigerer werden meist aus Betroffenheit aktiv und die große Fluktuation macht es schwer, Strukturen aufrechtzuerhalten.

Ein erfreuliches Ergebnis dieser Runde war, dass es verschiedene Punkte der Vernetzung gibt, wie z.B. die Aktionen gegen das EUCOM im Stuttgart oder in die Kampagne x-tausend mal quer.

In der Diskussion schälten sich fünf Themen heraus, zu denen Arbeitsgruppen gebildet wurden. Eine Gruppe diskutierte unter dem Titel "Pragmatismus oder Revolution", wie die gewaltfreie Bewegung zu ihrer Vision einer gewaltfreien Gesellschaft steht. Dabei ging es u.a. darum, wie dieses Ziel zu erreichen ist: In einer sich an der revolutionäreren gewaltfreien Aktion orientierenden Weise oder durch sich pragmatisch an der Wirklichkeit orientierenden und organisierenden Organisationen.

Den Elementen, die Aktive der gewaltfreien Bewegung heute verbindet, ging die zweite Gruppe nach: Dazu gehören die Vision einer gewaltfreien Gesellschaft und die Methoden der gewaltfreien Veränderung.
nter der Titel "Vom Rausfallen" sprach die dritte Gruppe darüber, wie sich unter den verändernden Bedingungen z.B. von Familie bzw. Partnerschaften oder Beruf weiterhin aktives Engagement möglich ist. Dabei wurde deutlich, dass dies auf vielen Wegen möglich ist. Zwei wurden näher besprochen: Zum einen in Verbindung mit der Auswahl des Berufs und zum anderen durch das Engagement für konstruktive Alternativen.

Eine Arbeitsgruppe diskutierte die Folgen der Professionalisierung und der damit zusammenhängenden Machtfrage. Sie sprachen u.a. über verschiedene Organisationsformen und darüber, wie Hauptamtliche dazu beitragen können, die Mitglieder bei ihrem Engagement zu stärken. Auf der Handlungsebene bieten Kampagnen in bewegungsarmen Phasen einen Rahmen für gemeinsame gewaltfreie Aktion.

Die fünfte Arbeitsgruppe erörterte die Vernetzung oder Bündelung der gewaltfreien Bewegung. Sie sprach darüber, wie sich gewaltfreie Szenen öffnen und neue Formen des Austausches entwickeln ließen, z.B. über das Internet.

Die Teilnehmerinnen betrachteten einige Fragen für die gewaltfreie Bewegung aus den Arbeitsgruppen als besonders wichtig:

Wie geht sie mit Revolution oder Pragmatismus sowie mit der Wirklichkeit um?

Wie kann sie Macht entfalten bzw. wie steht sie zur Macht innerhalb der Bewegung?

Kann sie sich öffnen und ihr Engagement bündeln?

Welchen Raum bietet sie Menschen mit z.B. familiären oder beruflichen Einschränkungen?

Obwohl der Wunsch nach erneutem Austausch deutlich wurde, konnten sich die TeilnehmerInnen nicht über ein weiteres Vorgehen einigen. Es wurde der Wunsch geäußert, sich in nicht zu ferner Zukunft erneut zu treffen und offen auszutauschen.

Die positiven Rückmeldungen im Anschluss an die Tagung zeigen, wie wichtig es war, eine breites Spektrum gewaltfreier Gruppierungen und Personen an einen Tisch zu bringen. Ein großes Gesprächsbedürfnis wurde ebenso deutlich wie Themen, die zur Diskussion stehen. Das Archiv Aktiv wird sich darum bemühen - mit Unterstützung anderer - diesen Dialog weiter zu fördern.

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Christian Büttner ist Redakteur der Zeitschrift "gewaltfreie aktion" und war an Vorbereitung und Durchführung der Tagung mitbeteiligt.