"Womit den Pleitegeier finanzieren ?"

von Thomas Klein
Hintergrund
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Die Entscheidung zum "Eurofighter 2000" (EF 2000), dem teuersten europäischen Rüstungsvorhaben der Geschichte, soll demnächst im Bundestag getroffen werden. Dazu Fragen an den verteidigungspolitischen Sprecher der Bundestagsfraktion von B90/Die Grünen, Winni Nachtwei.

T. Klein: Im Januar hat Verteidigungsminister Rühe eine Beschaffungsvorlage für das neue Jagdflugzeug "Eurofighter 2000" erarbeitet. Diese sollte im Februar dem Kabinett vorgelegt werden. Das ist nicht passiert, die Entscheidung ist zum wiederholten Male aufgeschoben worden. Halten Sie es für möglich, daß das ganze Projekt kippen könnte?

W. Nachtwei: Die Entscheidung wurde jahrelang von Wahlkampf zu Wahlkampf verschoben. Aber jetzt kommt definitiv der point of no return. Und dieser Zeitpunkt ist für die Regierung denkbar ungünstig. Die Entscheidung für oder gegen den Eurofighter müssen die Abgeordneten angesichts einer optimalen Sicherheitslage und einer noch nie dagewesenen Massenarbeitslosigkeit fällen. Einen weiteren taktischen Rückzug oder eine weitere Verzögerung kann sich die Bundesregierung nicht mehr erlauben. Insofern halte ich ein Kippen der Beschaffungsentscheidung für möglich, wenn auch nicht sehr wahrscheinlich.

T. Klein: Aber angesichts leerer Kassen wird die Bundesregierung doch vermutlich Probleme bekommen, der Bevölkerung klar zu machen, daß viele Milliarden für die Anschaffung eines höchst umstrittenen Jagdflugzeugs ausgegeben werden sollen. Glauben Sie nicht, daß vor diesem Hintergrund auf die Anschaffung des "Eurofighter" verzichtet werden wird?

W. Nachtwei: In der Tat ist heute immer weniger Menschen zu vermitteln, warum wir angesichts ständiger Kürzungen im Sozialbereich ein milliardenteures Jagdflugzeug brauchen, geschweige denn, womit wir einen derartigen Pleitegeier finanzieren sollen. Warum soll sich die Bundeswehr teure Kampfmaschinen zulegen, wenn wir von "Freunden umzingelt" sind und keine Luftwaffe der Welt die NATO-Streitkräfte qualitativ oder quantitativ ernsthaft in Bedrängnis bringen könnte? Investieren wir in Menschen oder in Rüstung für weltweite Militäreinsätze, das ist jetzt die Frage, die die Bundesregierung zu entscheiden hat. Die Vernunft legt natürlich nahe, das Rüstungsprojekt abzulehnen.

T. Klein: 1992 hatte Volker Rühe mit den Worten: "Der `Jäger 90` paßt nicht mehr in unsere Zeit, der `Jäger 90` ist tot" einen überraschenden Einstand im Verteidigungsministerium. Als dann auch noch der verteidigungspolitische Experte der FDP-Bundestagsfraktion, Olaf Feldmann, die Auffassung vertrat, "die Produktion des Jagdflugzeuges" sei "so sinnlos wie ein Kropf", schien das Projekt gestorben zu sein. Im Januar dieses Jahres sieht ein Koalitionskompromiß die Anschaffung von 180 neuen Jagdflugzeugen vor. Eine erstaunliche Entwicklung! Wie erklären Sie sich diesen Sinneswandel?

W. Nachtwei: So erstaunlich ist die Entwicklung nicht. Bereits in der Koalitionsvereinbarung vom Januar 1991 hatten sich die Regierungsparteien darauf geeinigt, daß man für die Luftwaffe unbedingt ein neues Jagdflugzeug haben wollte. Während Rühe im Juni 1992 tönte, daß der Jäger tot sei, haben die Regierungsparteien mehrheitlich beschlossen, daß die Entwicklung eines abgespeckten Jägers unter Berücksichtigung der bereits vorgelegten Entwicklungsergebnisse weitergehen solle. Der heutige Eurofighter ist deshalb weitgehend identisch mit dem alten Jäger. Mehr noch. Durch die Reorientierung haben wir jetzt ein Flugzeug, das weniger kann, aber mehr kostet.

T. Klein: Daimler-Benz-Chef Schrempp erklärte, kurz nachdem Rühe das ganze Projekt vermeintlich gestoppt hatte, falls an der Entwicklung und der Anschaffung des Flugzeugs nicht festgehalten werde, stehe die "Schließung kompletter Werke" bevor. Eine Ankündigung, die durchaus auch als Drohung verstanden wurde. Zeigt sich hier, daß der militärisch-industrielle Komplex so mächtig ist, daß demokratisch gewählte Politiker bei wichtigen Entscheidungen nicht das letzte Wort haben? Oder, anders gefragt: Ist die Regierung zum Erfüllungsgehilfen der Industrie verkommen?

W. Nachtwei: Rühes vermeintlicher "Sinneswandel" in dieser Frage war aus meiner Sicht ein deutlicher Kniefall vor der Rüstungsindustrie, aber auch dem innerparteilichen und internationalen Druck. Präziser wäre es vielleicht, vom militärisch-politisch-industriellen Komplex zu reden. Als Erfüllungsgehilfen der Rüstungsindustrie würde ich weder Rühe, noch die Bundesregierung, noch die Abgeordneten betrachten. Es gibt hier sicherlich gerade im Bereich der Rüstung große Interessensübereinstimmungen, Verflechtungen, Mauscheleien und Abhängigkeiten. Dennoch ist jeder Politiker nur seinem Gewissen verpflichtet und auch den Mitgliedern der Bundesregierung steht es frei, politische Kursänderungen vorzunehmen. Und ich hoffe, daß es bei der Abstimmung zum Eurofighter zu einer solchen Gewissensentscheidung kommen wird.

T. Klein: Noch einmal zurück zu den Kosten: Für die Anschaffung des Eurofighters müßten über 20 Milliarden Mark ausgegeben werden. Hinzu kämen weitere Milliarden für Wartung, Reparatur, Bewaffnung. Wie erklären Sie sich, daß trotz der Finanzmisere des Bundes Sozialpolitiker der Regierungskoalition das Vorhaben nicht mit einem klaren "Nein" blockieren? Ist mit einer Zustimmung zu diesem Projekt nicht weiterer Sozialabbau vorprogrammiert?

W. Nachtwei: Im Idealfall ist ein Politiker dem Gemeinwohl verpflichtet und wägt rational die gesamtgesellschaftlichen Vor- und Nachteile ab. Das Gegenteil sind jene, die reine Klientelpolitik betreiben und bei ihren Entscheidungen andere Faktoren ausblenden. Bei vielen Sozialpolitikern oder Abgeordneten aus Wahlkreisen mit einer großen Rüstungsindustrie, spielt die Frage der Arbeitsplatzsicherung für die Rüstungsbeschäftigten sicherlich eine große Rolle. Wenn man sich aber überlegt, daß in den nächsten 20 Jahren im Schnitt jährlich mehr als eine Milliarde für die Beschaffung des Eurofighters ausgegeben werden soll, dann wird das den laufenden Sozialabbau in der Tat verschärfen. Und das gilt nicht nur für den Eurofighter, sondern insgesamt für den Militär- und Rüstungsbereich. Da gibt es mehr Luft als in jedem anderen Bereich.

T. Klein: Rühe gab Ende `92 eine "abgespeckte" Version in Auftrag mit der finanziellen Obergrenze von 90 Mio. Mark pro Flugzeug. Nach dem nun ausgehandelten Kompromiß beträgt der Preis 125,4 Mio. Mark. Hinzu kommen geschätzte 20 Mio. für eine noch notwendige "Nachrüstung". Das ist der bislang höchste Stückpreis. 1994 zitierte der SPIEGEL einen Kohl-Vertrauten mit dem Satz: Sollte noch ein Bauernopfer gebraucht werden, "wird eben Schönbohm (Rühes Staatssekretär, d.V.) gehen müssen". Inzwischen ist Schönbohm Innensenator von Berlin. Ist Rühes offenkundige Kostenblamage vielleicht Anlaß für ein neues Bauernopfer? Wackeln Stühle in Bonn?

W. Nachtwei: Es ist klar, daß Rühe als Bundesminister der Verteidigung die politische Verantwortung für den Eurofighter zu tragen hat. Statt den Jäger 90 zu stoppen, hat er weitere unnütze Milliarden in die Reorientierung und die Weiterentwicklung gesteckt. Bauernopfer kann es da nicht mehr geben. Der Karren hängt so tief im Dreck, daß in Bonn kein Stuhl, sondern die ganze Regierungsbank wackelt.

T. Klein: Eine letzte Frage: Ist Ihrer Meinung nach die Entscheidung beim "Eurofighter 2000" im Grunde schon gefallen und wartet die Regierung augenblicklich nur auf einen günstigen Moment, dieses teuerste Rüstungsprojekt ohne großes Aufsehen unter Dach und Fach zu bringen?

W. Nachtwei: Die Entscheidung für den Eurofighter ist schon lange gefallen. Nur weiß man beim besten Willen nicht, wie man ihn unter Beibehaltung der Wehrpflicht und der üppigen Planung für die Krisenreaktionskräfte bezahlen soll. Schließlich möchte man bei der Bundeswehr auch noch neue Spionagesatelliten, U-Boote, Hubschrauber, Panzerhaubitzen usw. usw.. Diese Regierung hat im wahrsten Sinne abgewirtschaftet. Sie wird sich von ihrer Reformunfähigkeit nicht mehr befreien können. Wer heute eine Entscheidung für den Eurofighter fällt, stellt einen ungedeckten Wechsel für die künftige Generation aus.

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