Einige kritische Anmerkungen zur SPD-Friedenspolitik und dem sicherheitspolitischen Beschluß des SPD-Parteitags in Münster

Worte und Taten: zur Friedenspolitik der SPD

von Volker Böge

Die SPD hat beim Bundesparteitag in Münster den "Beschluß zur Friedens- und Abrüstungspolitik'v verabschiedet. Volker Böge kritisiert "die Diskrepanz zwischen hehren friedenspolitischen Beteuerungen einerseits und den Vorschlägen für die friedenspolitlsche Praxis andererseits, die diesen Beteuerungen in keiner Weise gerecht werden", Nach dieser Analyse hat die SPD keine Strategie vorzuweisen, mit der sie ihre hehren friedenspolitischen Ziele erreichen könnte. Der Aufsatz wurde von der Redaktion gekürzt.

Diese Diskrepanz ist im wesentlichen  darauf zurückzuführen, daß die Sozialdernokratie nach wie vor nicht bereit ist, die Loyalität zum Militärpakt NATO infrage zu stellen.

Zum Beispiel der WHNS-Vertrag
Der Umgang mit den eigenen Beschlüssen zum "wartime-host-nationsupport-Venrag' (WHNS) zeigt dieses Dilemma der Sozialdemokraten exemplarisch. Auf dem Nürnberger Parteitag der SPD 1986 hatte sich eine Mehrheit für die Kündigung diese Abkommens ausgesprochen und die sozi-aldemokratische Bundestagsfraktion aufgefordert, einen entsprechenden Antrag im Parlament zu stellen. Da die SPD~Fraktion diesen Parteitagsbeschluß ignorierte, brachten SPD-Linke auf dem Parteitag in Münster den Antrag noch einmal ein, Der SPD~Linke Konrad Gilges - selbst MdB - kritisierte: "daß in der SPD-Fraktion immer wieder versucht wird, die Entscheidung von Nürnberg mit politischer Trickserei zu unterlaufen oder hinter Nürnberg zurückzugehen ". So habe man "zuerst Konditionen gestellt, um_ an der eigentlichen Kündigung dieses Abkommens vorbeizukommen. Es geht aber nicht um Konditionen, nicht um ein besseres Abkommen, sondern es geht darum, daß wir als Bundesrepublik Deutschland uns nicht über ein solches Abkommmen in intemationale und nationale Konflikte, die die USA betreibt, verwickeln lassen wollen"; und er beschwor seine Genosslnnen: "Wir sollten klar bei der Entscheidung des Nürnberger Parteitags bleiben , .. Es sollte nicht durch irgendwelche Tricksereien  versucht werden von dieser Kündigung wegzukommen" (Protokoll vom Parteitag der SPD in Münster, 30. 8. - 2. 9. 1988, 3. Tag. S. 338 und 434). Aber zur Verteidigung genau dieser "Tricksereien" gingen in Münster nach Gilges die SPD-Spitzenleute Ehrnke und Vogel in die Bütt und legitimierten das bisherige Vorgehen der SPD-Fraktion - nämlich Erklärungen, Auskünfte,. Klarstellungen zum Abkommen von der Bundesregierung
zu erbitten und erst für den Fall, daß diese - unbefriedigend ausfallen sollten, einen Antrag auf Kündigung des Abkommens zµ stellen mit dem Ziel der "Änderung des Abkommenstextes". Von Vogel wurde dieses Vorgehen explizit auch damit begründet, daß man andernfalls "die gesamte NATO-Ebene" in der Problematik mit drin hätte - und das können aufrechte Sozialdemokraten selbstverständlich nicht wollen…

Die Mehrheit folgte Ehmke und Vogel. Die SPD ist seit dem Münsteraner Parteitag nicht mehr für Kündigung des WHNS-Abkommens.Zum Beispiel Gemeinsame Sicherheit Andererseits hat man in Münster mit großen Worten wieder einmal nicht gespart. So ist der verabschiedete sicherheitspolitische Beschluß durchzogen von der  harm- und zahnlosen sozialdemokratischen "Sicherheitsphilosophie" der Gemeinsamen Sicherheit (GS). Gemeinsame Sicherheit ist eine wohlklingende Formel, überfrachtet mit weitausgreifenden friedenspolitischen Vorstellungen und Erwartungen (Stichwort; "Überwindung des Abschrecküngs- und Blocksystems''). Andererseits aber wird im Beschluß z.B. ausgeführt, das Konzept GS sei durch den JNF ~V ertrag bestätigt worden und in "eine erste Phase der Verwirklichung getreten", Das heißt: in der Praxis wird GS sozialdemokratisch so "kleingearbeitet", daß letztlich die Fortführung von Entspannungsdiplomatie und Rüstungssteuerungspolitik zwischen den Blöcken übrig bleibt. Der OS-Ansatz läuft letztlich auf die Stabilisierung des Abschreckungs- und . Blocksystems durch Rüstungssteuerung, vertrauensbildende Maßnahmen etc. hinaus, zeigt aber keine Wege zur Überwindung des Abschreckungs- und Blocksystems.
Wie formulierte es Andreas Buro 1986 noch so schön?:
"Die Rückkehr zur herrschenden sicherheitspolitischen Programmatik soll mm anscheinend mit dem ebenso sympathischen wie traditionelle Sicherheitspolitik deckenden Begriff der Sicherheitspartnerschaft kaschiert werden. Dieser bedeutet schließlich nichts weiter; als daß man bei anhaltender gegenseitiger Bedrohung mit gesellschaftlicher Ausrottung eben darüber verständnisvoll spricht, und zwar vor allem bei jenen Rüstüngskontrolverhandlungen, die bislang das immer schnellere Aufrüsten nicht verhindern konnten; Schöne Pannerschaftl!"

Selbst das verbale Bekenntnis, Abschreckung und Blöcke überwinden zu wollen, tauchte im ursprünglich von Parteivorstand dem Parteitag vorgelegten sicherheitspolitischen Leitantrag nicht auf - es wurde erst auf dem Parteitag selbst - in den Beschluß hineingenommen.

Akzeptable Forderungen ...
Im Rahmen des nunmehr sehr pragmatischen Verständnisses GS werden eine Reihe friedenspolitisch durchaus positiver Vorschläge  gemacht bzw, Forderungen erhoben. Das gilt insbesondere in Hinblick auf die Ablehnung der sog. Modernisierung der Nuklearwaffen der NATO in und für Europa. Statt Modernisierung sind "weitere Notlösungen: sowohl für Gefechtswaffen, wie Kurzstreckenraketen, als auch für neue luftgestützte atomare Kurz-, Mittelstreckenwaffen" das Ziel. Damit stellt sich die SPD gegen die gegenwärtig anlaufenden NATO-Projekte.

Daher wurde der Münsteraner Beschluß in NATO-Kreisen als "außerhalb des  Toleranzrahmens des Bündnisses" (Die Welt, 23. 9. 1988) zurückgewiesen. Und damit steht die SPD einmal wieder vor. dem Dilemma: brüsten, aber gleichzeitig loyaler NATO~Partrier bleiben zu wollen. Bis- her hat sich die SPD in diesem Dilemma noch allemal für die NA TO Treue entschieden. Zu fragen ist: wäre die SPD bereit, sich auch praktisch den Modernisierungsprojekten der NATO entgegenzustellen, wenn sie - wie es so schön heißt - "Regierungsverantwortung" hätte, z.B. durch ein Veto gegen Modernisierungsbeschlüsse in den entsprechenden NATO-Gremien?

ohne praktische Umsetzung
Die SPD will Abrüstung und Verhinderung. von weiterer Aufrüstung nach wie vor über bi- und multilaterale Rüstungssteuerungsverhandlungen erreichen. Einseitigen Abrüstungsmaßnahmen dagegen' wird, wie bei der SPD traditionell - nur ein äußerst untergeordneter Stellenwert zugewiesen Demgegenüber wäre zu fragen: wenn die Kurzstreckenwaffen so bedrohlich für die eigene Sicherheit sind - wie die SPD zugesteht - warum fordert sie dann nicht den sofortigen vollständigen einseitigen Verzicht auf diese Waffen?

Ähnliches gilt für den Bereich der konventionellen Rüstung: auch hier ist die SPD nicht zu einseitigen Abrüstungsschritten bereit, sondern will Rüstungsreduzierungen und Umrüstungen auf "strukturelle Nichtangriffsfähigkeit" nur beiderseitig, gleichzeitig, ausgewogen auf dem Wege bi- und multilateraler Verhandlungen realisiert wissen.

Bis dahin soll durchaus weiter auf gerüstet werden....
Auch die schönen Worte über strukturelle Angriffsunfähigkeit verlieren viel von ihrer ersten Faszination, wenn man sich anschaut, welchen Aufrüstungsprojekten die SPD im Bundestag ihre Zustimmung erteilt - das sind Projekte, die für die Implementierung der zusehends stärker vorwärts orientierten NATO-Vorneverteidigung gebraucht werden, die sich exakt in die Konzepte von FOFA, von tiefen Schlägen in das gegnerische Hinterland, die doch ansonsten von der SPD wortreich kritisiert werden, einordnen: MARS, Aufklärungsdrohne CL 289, PAH2, Fregatten haben sehr wohl etwas mit FOFA bzw. den operativ offensiv orientierten Marinekonzepten-der NATO zu tun.3 Und schließlich sei erwähnt, daß die SPD zwar gegen das Jäger 90- Konzept der Bundesregierung ist, aber gleichzeitig "grundsätzliche Zustimmung zu einem Jagdflugzeug" erteilt. So ernst kann es mit der Angriffsunfähigkeit also nicht gemeint sein, wenn man 'weiterhin eine hochmoderne Luftwaffe erhalten will ...

SPD für westeuropäische Rüstung
Abschließend soll etwas zum problematischsten Abschnitt des Münsteraner Beschlusses, nämlich dem zur "Selbstbehauptung Europas" angemerkt werden. In diesem . Abschnitt wird eine Einigung West-Europas auch auf dem Gebiet der Sicherheitspolitik befürwortet und die "Idee eines 'Europaischen Pfeilers' innerhalb der NATO" unterstützt. Damit sichert die SPD der NATO ihre Unterstützung für das gegenwärtig anlaufende Projekt einer Reorganisation der westlichen Allianzstrukturen zu, was auf die Festigung des . Blockzusammenhalts abzielt und zur Verhärtung der Blockstrukturen beitragen wir

Eine abmildernde Formulierung - daß die SPD "nicht die Bildung einer neuen militärischen Supermacht zum Ziel" habe - ist bezeichnenderweise erst auf dem  Parteitag selbst in den Beschluß hineingenommen worden. Trotz dieser verbalen Abmilderung hat sich die . SPD bisher noch nicht kritisch zu den laufenden praktischen Maßnahmen einer Westeuropäisierung  der Sicherheitspolitik geäußert. Im Gegenteil: es sieht so aus, als wenn sie für die Belebung der WEU, für die Hineinnahme von sicherheits- und militärpolitischen Kompetenzen in die EG und für die Intensivierung der bundesdeutsch-französischen  Militärkumpanei ist.

Erst  Mitte November hat die SPD wärmstens die Aufnahme von Spanien  und Portugal als neue Mitglieder in die WEU begrüßt und damit einen wichtigen Schritt der Wiederbelebung dieses Militärpaktes gutgeheißen (Überschrift in der FAZ vom 12. 11. 88: "Die Koalition und die SPD begrüßen einmütig die Erweitenmg der WEU). Gleichzeitig haben die Vertreter der SPD im Bundestag  moniert, daß die bundesdeutsch-französische Militärkooperation zu sehr dem Symbolischen verhaftet bleibe, aber zu wenig an praktischen Schritten der Zusammenarbeit getan werde. Mit anderen Worten: die SPD will noch mehr bundesdeutschfranzösische Militärkumpanei. Das z.Z. stärkste Stück in diesem Zusammenhang: die SPD-Fraktion im Bundestag hat den Zusatzprotokollen zum bundesdeutsch-französischen Elysee-Vertrag über den. gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungsrat zugestimmt, obgleich in deren Präambel festgehalten ist, "daß die Strategie der Abschreckung und Verteidigung .... sich weiterhin auf eine geeignete Zusammensetzung nuklearer und konventioneller Streitkräfte stützen muß“. Damit wird die BRD erstmals in einem völkerrechtlich verbindlichen internationalen Vertrag auf nukleare Abschreckung festgelegt, Es wird - wie der SPD-Abgeordnete H. Scheer auf dem Münsteraner Parteitag in kritischer Absicht festgestellt hatte erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland die Notwendigkeit atomarer Bewaffnung festgeschrieben" – und die SPD stimmt dem zu!6. Wie war das noch mit der "Überwindung der Abschreckung"?!

Abschließend ist zu konstatieren: auch das sozialdemokratische Konzept der Sebstbehauptung Europas läuft auf Machtpolitik hinaus; gegenüber dem Süden, den Völkern der "Dritten Welt", gegenüber. dem Osten; innerhalb des Westens gegenüber. dem "Partner" USA. Für den Abbau von Machtpolitik und für die Überwindung der Blockkonfrontation in Europa ist das Selbstbehauptungskonzept kontraproduktiv; es soll zur Stärkung und Festigung der westeuropäischen Integration beitragen und verhindert damit Prozesse in Richtung auf eine gesamt~ europäische Friedensordnung. Was nützt alle verbale Ablehnung einer "Supermacht Westeuropa", wenn man die praktischen Maßnahmen, die den Aufbau einer solchen Supermacht erst ermöglichen, gutheißt und mitträgt? Fazit: Wenn proklamierte Fernziele und praktisch-politisches Verhalten so weit auseinanderklaffen wie bei der SPD, dann versteht man entweder sein politisches Handwerk.  nicht (man macht dauernd Sachen, die den eigenen Zielen schaden) oder man meint es mit den proklamierten hehren Zielen nicht so ernst. Beides spräche nicht gerade für die SPD in Sachen Friedenspolitik.

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