Zehn Jahre Krieg gegen den Terror im Inneren

von Elke Steven

Kaum waren die twin towers zusammengestürzt, schlug die Stunde der Sicherheitspolitiker. Gesetze, die schon lange in den Schubladen gelegen hatten, die aber zumindest als grundrechtsbedenklich eingeschätzt worden waren, wurden ans Licht gezerrt. Immer neue Gesetzesänderungen folgten, den Überblick verlor man schnell. Denn zugleich stellte das Bundesverfassungsgericht immer mal wieder fest, dass der Gesetzgeber verfassungswidrig gehandelt hat.

Als Erfolg der Besonnenheit wurde vermeldet, einige Gesetze würden nur befristet gelten. Dann stünden sie auf dem Prüfstand und nur die, die unbedingt um unserer aller Sicherheit willen notwendig wären, würden Bestand haben.

Aktuell stehen einige der Sicherheitsgesetze, die in Folge von Nine/Eleven erlassen wurden, zum zweiten Mal auf dem Prüfstand. Nach einigen Auseinandersetzungen haben sich die Koalitionspartner jedoch auf eine Verlängerung des Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetzes (TBEG) im Januar 2012 geeinigt. Wieder einmal findet keine gründliche und unabhängige Prüfung statt. Die Befugnisse der Geheimdienste werden sogar noch erweitert, und nur auf Befugnisse, die sowieso kaum oder gar nicht genutzt worden sind, wird verzichtet.

Immer neue Sicherheitsgesetze
Ist der 11. September 2001 im Hinblick auf die gesellschaftliche Militarisierung, die Entdemokratisierung, das Zurückdrängen von Menschenrechten, die Ausweitung staatlicher Befugnisse zur Überwachung wirklich ein grundlegender Einschnitt? Müssten nicht eher die Kontinuitäten beschrieben werden, für deren Begründung nur ein neues Damoklesschwert gefunden wurde? Die Geschichte der Bundesrepublik lässt sich auch als Geschichte immer neuer Bedrohungserzählungen beschreiben, die neue Sicherheitsgesetze notwendig machen sollen. Vom Kampf gegen die Bedrohung durch die Rote Armee Fraktion und Revolutionäre Zellen über den Kampf gegen die Organisierte Kriminalität und gegen Sexualstraftaten bis hin zur aktuellen Terrorismusbekämpfung reichen die Begründungen. Geändert haben sich im Verlauf der Zeit vor allem die technischen Möglichkeiten.

Schon lange vor Nine/Eleven war die Rede vom Polizeistaat, (1) Sicherheitsstaat oder Präventionsstaat. Schon 1995 schrieb der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), der Überwachungsstaat sei nicht fern, wo die Freiheit als Gefährdung und die Sicherheit als ein Rechtsgut erscheinen.(2)

Burkhard Hirsch hat die Entwicklungen im Grundrechte-Report 2008 kurz, prägnant und erschreckend zusammengefasst: „Dem Anti-Terrorismus-Gesetz von 1976 folgten das Gesetz zur Bekämpfung des Terrorismus von 1986, das umfangreiche Gesetz zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität von 1992, das Verbrechensbekämpfungsgesetz von 1994, das Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität von 1998 mit der Einführung des so genannten Großen Lauschangriffs, die Terrorismusbekämpfungsgesetze von 2002 und 2003 und das Terrorismusbekämpfungsgesetz von 2006 mit jeweils umfangreichen Änderungen des Straf- und Strafprozessrechts und des Passgesetzes, mit äußerst rücksichtslosen Verschärfungen des Ausländerrechts und vor allem mit immer weitergehenden Eingriffsbefugnissen der Nachrichtendienste im Inland. Das wurde ergänzt durch Änderungen der Polizei- und Verfassungsschutzgesetze, das Telekommunikationsgesetz von 1996 und dessen Novellierung, das Zuwanderungsgesetz von 2004, das Luftsicherheitsgesetz von 2005 und das im Bundestag anhängige Gesetz über heimliche Ermittlungen und die so genannte Vorratsdatenspeicherung [9. November 2007 verabschiedet, Anm. d. Verf.], die insofern eine neue Qualität darstellt, als sie die Telekommunikationsverbindungsdaten aller Art von jedermann ohne jeden Anlass erfassen soll [und um die der Streit noch währt, weil das BVerfG dieses zum Teil für rechtswidrig erachtet hat, Anm. d. Verf.].“(3)

Im September 2001 wurde bereits das erste Anti-Terror-Paket erlassen, das am 1. Januar 2002 in Kraft trat. Zum 9. Januar 2002 wurde dann das zweite Terrorismusbekämpfungsgesetz beschlossen, mit dem in 17 verschiedene Gesetze und fünf Verordnungen eingegriffen wurde. Insbesondere wurden die Befugnisse der Geheimdienste erweitert, das Grundrecht auf das Post- und Fernmeldegeheimnis wurde weiter eingeschränkt, die Voraussetzungen für die Einführung von Ausweisdokumenten mit biometrischen Merkmalen wurden geschaffen und die Vorschriften des Ausländerrechts verschärft.

Die Befristung der Gesetze führte bei ihrer Überprüfung im Januar 2007 nur zu der lapidaren Feststellung: Sie seien „gleichermaßen erfolgreich wie zurückhaltend und verantwortungsvoll genutzt worden“.(4) Durch das „Gesetz zur Ergänzung der Bekämpfung des internationalen Terrorismus“ (Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz) vom 5. Januar 2007 wurden die Gesetze für weitere fünf Jahre beibehalten. Aufgaben und Befugnisse der Nachrichtendienste (MAD und BND) und des Bundesamts für Verfassungsschutz wurden zugleich ausgeweitet.

Feindbildproduktion und genereller Verdacht
Seit den Ereignissen von Nine/Eleven wird an erster Stelle das Feindbild „Islamismus“ gepflegt. Dies hat folgenschwere Auswirkungen für alle Ausländer, insbesondere aber für die muslimischen Glaubens. Zugleich wurden weitreichende Möglichkeiten der Überwachung geschaffen, die prinzipiell alle betreffen können, von denen aber bestimmte Gruppen – und wiederum an erster Stelle MigrantInnen muslimischen Glaubens – besonders betroffen sind.

Die Rasterfahndung, die als eine der ersten Maßnahmen in den Bundesländern durchgeführt wurde, macht schon einige Absurditäten deutlich. Nach jungen, unauffällig inmitten der Gesellschaft lebenden Muslimen wurde gefahndet. Obwohl die Rechtslage fragwürdig und in den Bundesländern unterschiedlich war, wurde fast überall sofort nach „Schläfern“ gesucht. Die Rasterfahndung ist hierfür ein ungeeignetes Instrument. Und es müsste klar sein, dass diese Art der Verdächtigung aller Muslime Ausländerfeindlichkeit fördert. Aus sechs Millionen Personendaten landeten über 19.000 Personen in der Treffer-Datei des BKA. Diese sollten dann näher überprüft werden.

Erst 2006 entschied das Bundesverfassungsgericht (BvR 518/02 vom 4.4.2006), dass die Rasterfahndung rechtswidrig war. Es urteilte, dass das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt worden sei, da es keine Hinweise auf eine konkrete Gefahr für hochrangige Rechtsgüter gegeben habe.

Die ca. 23,7 Millionen personenbezogenen Datensätze des Ausländerzentralregisters (AZR) stehen nicht nur den Polizeien, sondern sämtlichen Geheimdiensten zur Verfügung. Mit dem Zuwanderungsgesetz vom 1.1.2005 wurde das Ausweisungsrecht massiv verschärft. Der Terrorismusverdacht kann zur Ausweisung ausreichen. Eine rechtliche Überprüfung muss nicht abgewartet werden. Die Unschuldsvermutung gilt für Ausländer nicht mehr. Vor jeder Einbürgerung werden Regelanfragen beim Verfassungsschutz durchgeführt. Permanent finden Razzien gegen muslimische Gruppen oder Gemeinden statt, denen keine strafrechtliche Erfolgsbilanz gegenübersteht: Von September 2001 bis Juli 2004 registrierte der Zentralrat der Muslime 70 Razzien in Moscheen und 1.400 Durchsuchungen in zugehörigen Büros oder Wohnungen.(5)

Dieser allgemeine Verdacht gegen Muslime konkretisiert sich am deutlichsten in den Terrorismuslisten.(6) Solche Listen gibt es schon seit den Anschlägen von al Kaida im Jahr 1999. Gelistet sind größtenteils nur des Terrorismus verdächtige Personen, die nicht über ihre Erfassung informiert werden und sich kaum dagegen wehren können. Inzwischen haben einige wenige erfolgreich dagegen geklagt. Daraufhin ist auch das Verfahren der Erstellung der Listen etwas verändert worden (Betroffene werden nun manchmal informiert und angehört). Aufgrund der Auswirkungen, die die Listung hat, hat der Schweizer Europarats-Abgeordnete Dick Marty von der „zivilen Todesstrafe“ gesprochen.

Von einer zentralen Fingerabdruckdatei von Asylbewerbern, über den Zugriff des Verfassungsschutzes auf persönliche Daten zur Sicherheitsüberprüfung  bis hin zur informationellen Zusammenarbeit von Polizei und Geheimdiensten im „Anti-Terror-Lagezentrum“ und nach dem „Gemeinsame-Dateien-Gesetz“ ließen sich viele weitere Einzelheiten aufzählen. Mit den §§ 89a und 89b, die 2009 neu ins Strafgesetzbuch (StGB) eingeführt wurden,  steht die Ausbildung in einem „Terrorcamp“, bzw. der Versuch, hierfür Kontakt aufzunehmen, nun unter Strafe. Die Vorverlagerung von Straftatbeständen und die gleichzeitige unbestimmte Kategorisierung sind die typischen Merkmale, die zugleich weitgehende Ermittlungsbefugnisse begründen.(7)

Verfassungswidriger Gesetzgeber
Im Verlauf dieser Jahre hat das Bundesverfassungsgericht über die bereits erwähnten Fälle hinaus mehrmals festgestellt, dass der Gesetzgeber verfassungswidrig gehandelt hat.

Das Luftsicherheitsgesetz vom 11.1.2005 sollte den Abschuss von Flugzeugen, die zur terroristischen Waffe umfunktioniert würden, erlauben. Das Bundesverfassungsgericht urteilte am 15.2.2006, dass dieses Gesetz unvereinbar ist mit zentralen Artikeln des Grundgesetzes. „Es ist unter der Geltung des Artikel 1 Absatz 1 GG schlechterdings unvorstellbar, auf der Grundlage einer gesetzlichen Ermächtigung unschuldige Menschen (...) vorsätzlich zu töten.“ (BVerfG, 1 BvR 357/05)

Der große Lauschangriff wurde durch eine schwarz-gelb-rote Grundgesetzänderung am 6. März 1998 möglich – er wurde erst im März 2004 vom Bundesverfassungsgericht als grundgesetzwidrig eingestuft. 2005 verabschiedete der Bundestag ein neues Gesetz zum Lauschangriff, der mit Recht noch immer als groß beschrieben und als Eingriff in die Grundrechte eingestuft werden kann.

Verpasste Chance
Mit der Verlängerungsdebatte um das Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz (TBEG) hätten einige der Gesetze infrage stehen sollen, die vor allem den Geheimdiensten Befugnisse sichern. Die Chance scheint schon wieder verpasst. Gerade das inzwischen entstandene Ausmaß der Befugnisse der Geheimdienste, die machtvolle Zusammenarbeit der verschiedenen Dienste, die dem Trennungsgebot von Polizei und Geheimdiensten widerspricht, ist in Deutschland kaum thematisiert worden.

Diese Entwicklungen gefährden die Demokratie. Geheimdienste handeln im Geheimen und fordern nur immer noch mehr Befugnisse. Sie entziehen sich jeder demokratischen Kontrolle, so dass wir heute nicht wissen können, was sie entdeckt und was sie inszeniert haben. Es ist zu bezweifeln, dass die Bürger und Bürgerinnen mehr Sicherheit gewonnen haben. Im Gegenteil ist zu befürchten, dass die Spaltung der Gesellschaft und die Ausgrenzung von Menschen islamischen Glaubens das Zusammenleben negativ beeinflussen.

 

Anmerkungen
1) Fredrik Roggan (2000): Auf legalem Weg in einen Polizeistaat. Bonn: Pahl-Rugenstein Nachfolger.

2) Burkhard Hirsch: Terror und Antiterror. In: Grundrechte-Report 2002. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag. S. 18.

3) Burkhard Hirsch: »Action!« ‑ Das Ritual des machtvollen Leerlaufs. In: Grundrechte-Report 2008. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag. S. 15.

4) Internetseite des Bundesministerium des Inneren, zitiert nach: Gustav Heinemann-Initiative und Humanistische Union (Hrsg.) (2009): Graubuch Innere Sicherheit ‑ Die schleichende Demontage des Rechtsstaates nach dem 11. September 2001. Berlin: Books on Demand.

5) Anja Lederer: Terrorwarnungen und was davon blieb. In: Cilip 80, Nr. 1/2005, S. 32-36

6) Wolfgang Kaleck: Terrorismuslisten: Definitionsmacht und politische Gewalt der Exekutive. In: Kritische Justiz, Heft 1-2011.

7) Vgl. Jens Puschke: Anti-Terrorcamp-Gesetzgebung. In: Grundrechte-Report 2010. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag. S. 220-224.

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Elke Steven ist Soziologin und Referentin beim Komitee für Grundrechte und Demokratie in Köln.