Zeitplan der "Kriegs-Diplomatie" 1999

Schwerpunkt
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18. Januar (Montag): US-Außenministerin Madeleine Albright schlägt vor, Belgrad konkret mit Luftschlägen zu drohen und Milosevic die Zustimmung zu einer Stationierung von NATO-Truppen abzuzwingen.

27. Januar (Mittwoch): Die Kontaktgruppe (KG) präsentiert einen Entwurf für eine Autonomieregelung für das Kosovo auf Basis von festgelegten Grundregeln ("10 Prinzipen"). Militärische Aspekte über die Implementierung kommen darin nicht vor.

29. Januar (Freitag): Bei einem Treffen in London zur Vorbereitung der Kosovo-Konferenz in Rambouillet beschließt die KG die "10 Prinzipien".

6. Februar (Samstag): Beginn der Rambouillet-Verhandlungen. Anvisiertes Ende ist der 14. Februar. Der russische Delegationsleiter Boris Majorskij moniert, dass er Pläne zu Fragen der militärischen Implementierung nicht kennt. Es steht im Raum, dass von seiten der USA eine Präsenz von etwa 28.000 NATO-Soldaten geplant ist. Die Delegationen aus Jugoslawien und die der Kosovo-Albaner dürfen nicht zusammentreffen.

7. Februar (Sonntag): Der KG-Entwurf vom 27. Januar, das sogenannte "Interim Agreement", wird an die Delegationen verteilt. Dieses Dokument besteht aus einer Rahmenvereinbarung und den Annexen 1,3 und 6. Unbekannt bleiben die Kapitel zur Sicherheit und Implementierung. Mit den politischen Vorschlägen zur Autonomie finden sich die Jugoslawen weitgehend ab, nicht hingegen mit der Stationierung von NATO-Truppen. Die jugoslawische Delegation arbeitet in den folgenden Tagen Ergänzungen und Gegenvorschläge zum Interim Agreement aus und übergibt sie an die Verhandlungsleiter. Man fordert u.a., dass die Zuständigkeit des UN-Tribunals für das Kosovo ausgeschlossen werden solle.
Die US-Außenministerin gibt eine Pressekonferenz und macht deutlich, dass als Antwort auf die Weigerung Jugoslawiens, NATO-Soldaten ins Land zu lassen, nur der Beginn eines Luftkriegs in Frage komme. Die albanische Seite wird indirekt ermuntert, an ihren Maximalforderungen festzuhalten.

9. Februar (Sonntag): Die jugoslawische Delegation fordert in Rambouillet, dass beide Seiten die "10 Prinzipen" akzeptieren. Sie übergeben das unterzeichnete Dokument an die Verhandlungsführer.

11. Februar (Donnerstag): Der US-Verhandlungsleiter Christopher Hill und sein EU-Kollege Wolfgang Petritsch beginnen, Belgrad unter massiven Druck zu setzen, einer ausländischen Militärpräsenz im Kosovo zuzustimmen.

13. Februar (Samstag): Albrights Sprecher James Rubin betont auf einer Pressekonferenz die Bereitschaft der USA zum Gewalteinsatz im Falle eines Scheiterns der Verhandlungen in Rambouillet.

14. Februar (Sonntag): Eine Einigung wird nicht erreicht. Die KG verlängert die Verhandlungen in Rambouillet um maximal eine Woche bis Samstag, 20. Februar, 15 Uhr.

16. Februar (Dienstag): Hill reist mit Vertretern aus Frankreich und Großbritannien nach Belgrad, brüskiert damit die deutsche und die russische Delegation sowie Petritsch. Hill will von Milosevic die Zustimmung für die Stationierung von 28.000 NATO-Soldaten. Majorskij zieht kurzzeitig unter Protest aus Rambouillet aus.

17. Februar (Mittwoch): Hill ist aus Belgrad zurück, man spricht in Rambouillet erstmals von einer möglichen "militärischen Option". Hinsichtlich der politischen Teile des Vertrags gibt es Fortschritte. Die KG kommt Belgrad entgegen und versichert u.a., dass die territoriale Integrität nicht angetastet werde. Belgrad betont erneut, dass die serbische Delegation in Rambouillet die "10 Prinzipien" der Kontaktgruppe unterzeichnet habe. Diese beinhalten die Anerkennung der Autonomie des Kosovos, Wahlen unter Kontrolle der OSZE und die Reduzierung des Militärs von derzeit mehr als 15.000 Mann auf etwa 1.500 Mann.

19. Februar (Freitag): Man erzielt eine Einigung über etwa 70 Prozent des Abkommens. Der Vertrag gilt als unterschriftsreif. Am Abend trifft Albright in Rambouillet ein.

20. Februar (Samstag): Die Verhandler einigen sich mit den Rechtsexperten der Jugoslawen auf einen Vertragsentwurf, der weitgehende Autonomieregelungen für das Kosovo vorsieht. Die 46.000 serbischen Soldaten, die wenige Wochen später ins Kosovo einrücken werden, sind zu diesem Zeitpunkt noch außerhalb der Krisenregion stationiert. Die Delegation der Albaner verweigert weiterhin kategorisch die Zustimmung zum Vertrag und bleibt bei ihren Maximalforderungen: die mittelfristige Möglichkeit zur Loslösung des Kosovo von Jugoslawien durch ein Referendum und die Beibehaltung der UCK-Bewaffnung. Für 13 Uhr ist ursprünglich das Ende der Verhandlungen geplant. Es kommt zu keinem Abschluss. Kurzerhand werden die Gespräche bis Dienstag, 23. Februar, verlängert. Die Öffentlichkeit wird nur spärlich über den bisherigen Gesprächsverlauf informiert. Die fünf westlichen Außenminister geben einvernehmlich der jugoslawischen Seite die Verantwortung für die Blockade. US-Außenministerin Albright unterstreicht dies auf einer separaten Pressekonferenz.
 

22. Februar (Montag): US-Außenministerin Albright verhandelt intensiv mit den Kosovo-Albanern. Dennoch wird eine Einwilligung nicht erreicht. James Rubin, Sprecher der US-Außenministerin, erklärt auf einer Pressekonferenz, Verhandlungsstrategie von Albright sei es, die Kosovo-Albaner zur Zustimmung zu bewegen. Nur dann werde es - Belgrads "Nein" vorausgesetzt - zu NATO-Luftangriffen gegen Jugoslawien kommen.

Die jugoslawische Delegation wird derweil unter Druck gesetzt, der Stationierung von 28.000 NATO-Soldaten zuzustimmen. Die Position der Jugoslawen ist hingegen die, dass man gemäß der "10 Prinzipen" zunächst eine politische Lösung herbeiführen wolle. Die von der KG festgelegten Prioritäten werden endgültig zu Makulatur: das politische Abkommen tritt in den Hintergrund, die NATO-Stationierung wird zur zentralen Frage hochstilisiert, die jugoslawische Delegation in die Rolle des Sündenbocks gedrängt. Sie wird mit neuen Dokumenten konfrontiert: den umstrittenen Annexen 2,5 und 7 zu Fragen der Sicherheit und Implementierung. Der russische Delegationsleiter Majorskij informiert die serbische Delegation, dass diese Annexe nicht von der KG diskutiert und deshalb auch nicht beschlossen wurden. Der Annex 5 wurde der KG zwar vorgelegt, aber nicht beschlossen.

23. Februar (Dienstag): Der jugoslawischen Delegation wird das vollständige sogenannte Rambouillet-Abkommen vom 23. Februar im Namen der Kontaktgruppe überreicht. Darunter befinden sich auch die Annexe zur Implementierung, die sehr weit über die ursprünglichen Überlegungen der KG hinausgehen. In einem Begleitschreiben bestätigt der russische Unterhändler Majorskij, dass er mit den nachgereichten Annexen zur militärischen Implementierung nicht einverstanden ist. Von den 82 Seiten des Textes sind etwa 60 Seiten neu geschrieben. Die Jugoslawen lehnen das weitgehend unbekannte Dokument ab und weigern sich, es binnen kurzer Frist zu unterzeichnen. Der jugoslawische Delegationsleiter, Ministerpräsident Milan Milutinovic, deutet allerdings erstmals an, dass Belgrad nach einer Einigung mit den Kosovo-Albanern über den politischen Teil des Abkommens bereit wäre, über "angemessene Formen" seiner Implementierung und "einer internationalen Präsenz" im Kosovo zu diskutieren. In einem Brief an die Verhandlungsleiter macht die kosovo-albanische Delegation die Annahme des Autonomieplans davon abhängig, dass ihm die kosovo-albanische Bevölkerung in den nächsten zwei Wochen zustimmt. Die Delegation der Kosovo-Albaner verweigert letztlich die Unterzeichnung des Vertrages. Die Rambouillet-Verhandlungen gehen ergebnislos zu Ende. Die Fortsetzung der Gespräche wird auf Montag, den 15. März, vertagt.
 

24. Februar (Mittwoch): Die Öffentlichkeit bleibt über die Kanonenboot-Diplomatie in Rambouillet weitgehend uninformiert. Die westlichen Delegierten verbreiten ein eher positives Bild, es wird betont, dass man einer Lösung des Konflikts sehr viel näher gekommen sei. Der Auswärtige Ausschuss des Bundestags wird über den Gang der Rambouillet-Verhandlungen informiert. Auch hier wird ein zuversichtliches Bild gezeichnet.

25. Februar (Donnerstag): Der Bundestag stimmt der militärischen Umsetzung eines Kosovo-Abkommens mit Beteiligung der Bundeswehr zu. Die Bundestagsabgeordneten sind bis auf wenige Ausnahmen über die Annexe im Rambouillet-Vertrag, die der NATO quasi ein Besatzungsstatut für Jugoslawien einräumen, und über die kategorische Weigerung der Kosovo-Albaner, von ihren Maximalforderungen abzurücken, nicht informiert. Nachrichten aus der Krisenregion deuten unterdessen darauf hin, dass eine großangelegte militärische Offensive serbischer Einheiten gegen die UCK vorbereitet wird.

Februar / März: Die USA beginnen nach dem Scheitern von Rambouillet eine diplomatische Offensive, um die Kosovo-Albaner bis zur nächsten Verhandlungsrunde zur Zustimmung des Rambouillet-Vertrages vom 23. Februar zu bringen. Es kommt zu Gesprächen mit der UCK-Führung in Albanien und in Washington. Die US-Regierung sichert mehrere Punkte zu, die von der UCK als wesentlich betrachtet werden. So sollen Einzelfeuerwaffen vom Prinzip der Milizen-Entwaffnung, wie sie noch in Rambouillet vorgesehen war, ausgenommen werden. Nach der dreijährigen Übergangsfrist soll zudem die Möglichkeit der Unabhängigkeit des Kosovo überprüft werden. Die zwiespältigen Gefühle im Generalstab und in der Anhängerschaft der UCK gegenüber einer Vertragsunterzeichnung werden überwunden.

15. März (Montag): Beginn der Paris Verhandlungen. Die KG-Unterhändler verweigern jede weitere Unterredung und fordern die bedingungslose Annahme des Vertragsentwurf vom 23. Februar einschließlich der Annexe zur militärischen Implementierung. Die jugoslawischen Delegierten lehnen den Entwurf weiterhin ab und wiederholen ihre früheren Positionen. Sie stellen eine Reihe von Punkten aus dem politischen Teil des Plans, denen bei der ersten Konferenzrunde zugestimmt wurde, wieder in Frage. Der UCK-Unterhändler Thaci kündigt an, die kosovo-albanische Delegation akzeptiere nun diesen Vertragsentwurf "als Ganzes" und werde ihn unterschreiben.

17. März (Mittwoch): UCK-Vertreter Thaci bittet die NATO um baldige Militärschläge.

18. März (Donnerstag): Ibrahim Rugova, Vorsitzender der Demokratischen Liga Kosovo, und Hasim Thaci unterzeichnen einen Vertrag. Die jugoslawischen Delegierten bitten um eine Kopie des Vertrags. Als ihnen die Bitte verweigert wird, äußern sie die Vermutung, dass es sich möglicherweise um ein anderes Abkommen gehandelt habe. Die jugoslawische Delegation reicht einen eigenen, von allen elf jugoslawischen Delegationsbevollmächtigten unterzeichneten Vertragsentwurf zur "Selbstbestimmung des Kosmet" ein. Hierin werden u.a. eine von der OSZE überwachte Volkszählung und anschließende Wahlen vorgeschlagen. Dieses Dokument wird mit einem Brief an den Vorsitzenden der UN-Menschenrechtskommission vom 22. März 1999 geleitet. All dies findet keinerlei Beachtung mehr.
 

22. März (Montag): Der US-Sondergesandte Richard Holbrooke reist nach Belgrad, um Milosevic zum letzten Mal zur Zustimmung zum Rambouillet-Vertrag und zur Stationierung von NATO-Truppen zu bewegen.

24. März (Mittwoch): Nach Holbrooks ergebnisloser Rückkehr aus Belgrad erteilt NATO-Generalsekretär Javier Solana Weisung, mit den Luftangriffen gegen Jugoslawien zu beginnen. In den kommenden Wochen reagiert die NATO auf jegliche diplomatische Initiative zur Beendigung des Krieges mit der Forcierung ihrer Angriffe. 3. Juni (Donnerstag): Die jugoslawische Führung stimmt einer Resolution der G8-Staaten zu, die einer totalen Kapitulation gleichkommt.

10. Juni (Donnerstag): Die NATO beschließt die Einstellung der Luftangriffe, die jugoslawischen Streitkräfte beginnen mit dem Abzug aus dem Kosovo. Der UN-Sicherheitsrat beschließt die Entsendung einer internationalen Friedenstruppe.

11. Juni (Freitag): Russische und NATO-Truppen beginnen mit dem Einmarsch ins Kosovo.

aus "NOVO", Heft Nr. 41 07/08 1999

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