5-Euro-Job unter militärischer Kontrolle

Zivildienst in Serbien

von Friedhelm Schneider

Petar Milicevic leitet die Belgrader Zweigstelle des Europäischen Büros für Kriegsdienstverweigerung. Er berät Kriegsdienstverweigerer und macht Lobby-Arbeit für die Verbesserung der Zivildienst-Situation in Serbien. Als Petar vor ein paar Jahren selbst im Rekrutierungsbüro der Armee erscheinen musste, hatte er Glück: Seine Verweigerung wurde problemlos anerkannt und für seinen Ersatzdienst wurde er der Universität Belgrad zugewiesen. Dort konnte er eine Zivildienst-Informationsstelle aufbauen, die bis heute besteht. Aktuell versuchen Petars Nachfolger, die Unterstützung behinderter Studenten durch Zivis zu organisieren.

Nicht alle serbischen Verweigerer treffen so gute Arbeitsbedingungen an wie Petar und die Zivis an der Belgrader Philosophischen Fakultät. Da das serbische Verteidigungsministerium sich die Zuordnung anerkannter Kriegsdienstverweigerer zu einer bestimmten Zivildienststelle nicht aus der Hand nehmen lässt, fallen die Ergebnisse der Einberufungslotterie für ZDL sehr unterschiedlich aus.

Bußgeld- und Theater-Zivis
Da kann es passieren, dass ein Bauarbeiter bei der Universitätsbibliothek landet, während ein Hochschulabsolvent im Straßenbau Salz auf die vereiste Fahrbahn schaufelt. Durchweg begeistert sind die Zivis, die sich beim Theater wiederfinden und als Statisten an Schauspiel- oder Opernaufführungen mitwirken. Wenn nicht gerade bewaffnete Soldaten gemimt werden sollen, was kürzlich zu Diskussionen unter den Belgrader Theaterzivis führte, sind die Stellen in kulturellen Institutionen sehr begehrt.

Die Beschäftigung serbischer Zivis bleibt Einrichtungen vorbehalten, die nicht privatwirtschaftlichen Zielen dienen, sondern im öffentlichen Dienst angesiedelt sind. Dazu zählen neben kulturellen Institutionen vor allem Krankenhäuser, Altenheime und Sozialeinrichtungen. Welche Tätigkeiten im öffentlichen Interesse liegen, ist im einzelnen sehr weit gefasst. So kann es vorkommen, dass eine Behörde ZDL einsetzt, um Falschparker aufzuspüren und Strafzettel zu verteilen.

Dass Zivis sich ihre Stelle nicht aussuchen können, findet Zivic Zoran, der im Belgrader Verteidigungsministerium für militärisches Personal und ZDL zuständig ist, ganz normal. Schließlich können auch die wehrpflichtigen Rekruten ihren Einsatz nicht selbst bestimmen, und serbische Zivis, so Zoran, unterstehen nun einmal rechtlich dem Verteidigungsministerium. Sie sind streng genommen als eine besondere Art von Soldaten zu betrachten. Immerhin haben die Rekrutierungskommissionen des Verteidigungsministeriums ja die Möglichkeit, Stellenwünsche und Ausbildung künftiger Zivis zu berücksichtigen, verpflichtet sind sie dazu allerdings nicht.

Rasante Entwicklung
Obwohl wesentliche Bestimmungen des serbischen Zivildienstes europäischen Menschenrechtsstandards widersprechen, ist die rasante Entwicklung der letzten Jahre beachtlich: Im Februar 2003 wurde Serbien-Montenegro als Nachfolgestaat der ehemaligen Bundesrepublik Jugoslawien proklamiert. Noch im selben Jahr konnten die ersten Kriegsdienstverweigerer ihren Zivildienst antreten. Seither haben 40.000 ZDL ihren Dienst absolviert. 10.000 sind zur Zeit im Einsatz.

Unter den 1500 Einrichtungen, die berechtigt sind, beim Verteidigungsministerium ZDL anzufordern, befinden sich 500 Krankenhäuser, 120 Altenheime und 25 kulturelle Institutionen (Museen, Bibliotheken, Theater). Allerdings ist die Zahl der Zivildienststellen rückläufig, denn die zunehmende Privatisierung öffentlicher Arbeitsbereiche hat zur Folge, dass bisherige Zivildienstplätze wegfallen.

"Jagen gehen" am Ende der Dienstzeit
Der serbische Zivildienst dauert 9 Monate und ist damit anderthalbmal so lang wie der Militärdienst (6 Monate). ZDL erhalten wie Soldaten einen monatlichen Sold von umgerechnet 5 Euro, zuzüglich Fahrtkostenerstattung zur Dienststelle. Von manchen Zivis wird berichtet, dass sie ihren kümmerlichen Sold bis zum Schluss der Dienstzeit aufsparen, um dann zusammen mit Freunden "jagen zu gehen", das heißt, das Ende ihres Zivildienstes mit serbischem Bier (Marke "Luv" [=Löwe] oder "Jelen" [=Hirsch]) zu feiern. Einen Anspruch auf Verpflegungsgeld haben Zivis nicht, denn - so die offizielle Logik - ihre Einberufung wird grundsätzlich heimatnah vorgenommen und so sind die Familien für Unterkunft und Verpflegung zuständig. Der Urlaub beträgt 13 Kalendertage; die für das Militär gültige Regelung, dass bei guter Führung und Leistung eine Urlaubsprämie von bis zu sieben Tagen gewährt werden kann, findet auf den Zivildienst durchweg keine Anwendung. Bei Arbeitsverweigerung oder Disziplinschwierigkeiten macht der Arbeitgeber des ZDL dem zuständigen Rekrutierungsbüro Meldung - der Kriegsdienstverweigerer verliert dann seine Anerkennung und wird in den Militärdienst überführt, wobei für zwei Tage geleisteten Zivildienst ein Tag Militärdienst angerechnet wird. Die Quote der zum Militär zurückgeschickten Verweigerer liegt bei 3,4 %, in den letzten neun Monaten waren über 400 Zivis von einer solchen Strafmaßnahme betroffen.

Ein Pudel als Zivildienst-Hindernis
Die Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer kann in Serbien bis 8 Tage nach der Einberufung beantragt werden, eine spätere Verweigerung wird nicht akzeptiert. Zivildienst-Interessenten, die schon einmal mit dem Gesetz in Konflikt gekommen sind oder über einen Waffenschein verfügen, werden ausnahmslos abgelehnt. Wie groß der Spielraum ist, den die zuständigen Anerkennungskommissionen haben, zeigt ein Fall, der im Jahre 2005 für Aufsehen sorgte: Ein junger Mann, der seinen angeleinten Pudel im Park spazieren führte, musste ein Bußgeld zahlen, weil er dem Hund vorschriftswidrig keinen Maulkorb angelegt hatte. Sein späterer Antrag auf Kriegsdienstverweigerung wurde abgelehnt mit der Begründung, er sei ein Straftäter, den man nicht zum Zivildienst zulassen dürfe.

Den Zivildienst entmilitarisieren
Zu den vorrangigen Zielen, für die das Europäische Büro für Kriegsdienstverweigerung in Belgrad eintritt, gehört die Entmilitarisierung des serbischen Zivildienstes. Der Zivildienst soll der Zuständigkeit des Verteidigungsministeriums entzogen und in die Verantwortung des Sozial- oder Jugendministeriums überführt werden. Zugleich sollen die Anerkennung von Kriegsdienstverweigerern und die Durchführung des Zivildienstes gesetzlich geregelt werden, statt weiterhin von den jederzeit veränderbaren Erlassen des Verteidigungsministeriums abzuhängen. Obwohl der Europarat entsprechende Reformen einfordert, sind die politischen Erfolgsaussichten für die Verwirklichung dieser Vorhaben ungewiss. Zwar enthält die neue Verfassung der von Montenegro getrennten Republik Serbien ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung, das auch in Kriegszeiten gilt, und die Truppenreduzierung der serbischen Armee von 100.000 auf 35.000 Soldaten könnte günstige Rahmenbedingungen für eine liberalere Regelung von Kriegsdienstverweigerung und Zivildienst abgeben. Andererseits arbeitet das Verteidigungsministerium bereits daran, die Wehrpflicht "einzufrieren" und das Militär ab 2010 auf eine Berufsarmee umzustellen. Ob bis dahin ein neues Zivildienstgesetz die parlamentarischen Hürden passieren wird, ist fraglich. In der Zwischenzeit werden noch manche serbischen Zivis "jagen gehen" und auf das Ende der Wehrpflicht anstoßen.

EBCO
Das Europäische Büro für Kriegsdienstverweigerung (EBCO)

Das Europäische Büro für Kriegsdienstverweigerung EBCO (European Bureau for Conscientious Objection) ist eine von Europarat und Europäischem Parlament anerkannte Nichtregierungsorganisation mit Sitz in Brüssel. EBCO tritt auf nationaler und internationaler Ebene für die Achtung des Menschenrechts auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen und für eine nicht-diskriminierende Ausgestaltung des Zivildienstes ein. Im Europäischen Büro für Kriegsdienstverweigerung arbeiten Vertreter von mehr als 30 Mitgliedsorganisationen aus über 20 europäischen Ländern zusammen. Schwerpunkt des EBCO-Engagements ist zur Zeit die Situation der Kriegsdienstverweigerer in der Türkei, in Griechenland und in den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion.

Informationen über Aktionen und aktuelle Entwicklungen enthält der EBCO-Newsletter "The Right to Refuse to Kill", der - gedruckt oder in elektronischer Fassung - beim Brüsseler EBCO-Sekretariat bezogen werden kann: ebco@ebco beoc.org. Website: www.ebco beoc.org

Aus: zivil - Zeitschrift für Frieden und Gewaltfreiheit, 4/07

Text und Fotos: Friedhelm Schneider

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Hintergrund
Friedhelm Schneider leitet die Arbeitsstelle Frieden und Umwelt der Pfälzischen Landeskirche und ist Sprecher des im Mai 2011 gegründeten Netzwerks Friedensbildung Rheinland-Pfalz.