Zivildienst muß sozialer Friedensdienst werden

von Udo Kunkelmann Frank Paratsch

Kriegsdienstverweigerung und Zivildienst gehören nicht in das Spektrum friedenspolitischer Debatten. Zwar hat die Kriegsdienstverweigerung der Wehrpflichtigen immer auch einen friedenspolitischen Aspekt. Doch dieser Aspekt darf nicht die Sicht für die Lebenslage hunderttausender Kriegsdienstverweigerer und Zivildienstleistende verstellen. Außerdem muss die Kriegsdienstverweigerung vom Zivildienst getrennt diskutiert werden, d. h. innerhalb der Fraktionen von unterschiedlichen Experten. Die Kriegsdienstverweigerung als Bestandteil des Grundgesetzes ist Teil unserer Verfassungskultur und muß von Rechtsexperten vertreten werden. Hier ist er Schutz der Antragsteller von Entscheidungswillkür zu nennen, aber auch der Schutz vor Zweifeln an der Integrität der Antragsteller, ganz gleich, aus welchen Gründen sie ein Grundrecht in Anspruch nehmen. Der Zivildienst greift weit in den Bereich der sozialen Arbeit ein. Aus diesem Grunde muß die inhaltliche Ausgestaltung und die quantitative Ausdehnung des Zivildienstes von Experten der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik vertreten werden. Zur Zeit drängt sich der Eindruck auf, daß die Ausgestaltung des Zivildienstes von Ministerialbeamten vorgedacht wird und eine dementsprechende, Ausformung vorgenommen wird. Es ist ein Skandal, daß das Bundesamt für den Zivildienst ohne Auftrag und ohne Sachverstand für den Zivildienst stärkere Weichenstellungen vornimmt, indem bestimmte Arbeitsgebiete mit einer besonderen Förderung bedacht werden, wie beispielsweise die Mobilen Sozialen Hilfsdienste. Die wichtigsten Kritikpunkte in Kürze:

  1. Über den Zivildienst sind militärische Strukturen in die soziale Arbeit eingezogen. Befehl und Gehorsam kann keine Grundlage helfenden Handelns sein.
  2. Zivildienstleistende verändern als billige und willige Hilfskräfte das Tätigkeitsprofil ganzer Berufsgruppen.
  3. Das Zahlenverhältnis 90.000 Zivildienstleistende gegen 430.999 hauptamtlich Tätige verdeutlicht die Abhängigkeit vieler sozialer Einrichtungen von billigen Zwangsarbeitskräften. Von einer arbeitsmarktneutralen Beschäftigung kann keine Rede sein.
  4. Zivildienstleistende werden als Lükkenbüßer zur Verschleierung des Pflegenotstands eingesetzt. Durch ihren Einsatz üben sie einen Lohndruck aus. Die realen Pflegekosten werden verschleiert, insbesondere bei den Mobilen Sozialen Hilfsdiensten und der individuellen Schwerstbehindertenbetreuung.
  5. Der forcierte Ausbau von Zivildienststellen im Umweltschutz muß überdacht werden. Es geht nicht an, daß Zivildienstleistende helfen, die Kosten der Entsorgungsaufgaben der Kommunen niedrig zu halten, anstatt die Verursacher zur Rechenschaft zu ziehen.

Es ist ein Skandal, daß das verantwortliche Ministerium schweigt, daß das Bundesamt für den Zivildienst eigene Politik macht und die Kostenträger der sozialen Arbeit gegenüber Einrichtungen den Zivildienst als Planungsgröße und Druckmittel einsetzen und Arbeitsplätze gefährdet werden. Es ist längst an der Zeit, daß das Wesen des Zivildienstes in einer öffentlichen, aber fachlich orientierten Diskussion neu und anders bestimmt wird. Widersprechen nicht die paramilitärischen Strukturen des Zivildienstes der Grundintention der Kriegsdienstverweigerung? Müssen nicht neue und qualifizierte Einsatzfelder gesucht werden, die nicht den Arbeitsmarkt belasten? Ebenso muß die Belastung oder besser: die vielfache Überlastung sowie die gelegentliche sinn- und inhaltsleere Beschäftigung der Zivildienstleistenden untersucht werden. Es müssen Maßnahmen erdacht werden, wie den Zivildienstleistenden eine begleitende Unterstützung zuteil werden kann, die den fachlichen und persönlichen Anforderungen des Zivildienstleistenden gerecht wird.

Eine politisch gewünschte Wehrgerechtigkeit darf nicht einen Arbeitsdienst zur Folge haben. Die Zielsetzungen des Sozialen Friedensdienstes gaben uns als Zivildienstleistenden die Möglichkeit, an unserem, als Verweigerung formulierten, Friedenswillen anzuknüpfen. Zumindest konnten die Grundsätze des Sozialen Friedensdienstes einigen allgemeinen Tendenzen gegensteuern. Auch wenn das Organisationsmodell des Sozialen Friedensdienstes derzeit nicht leicht zu übertragen ist, kann es doch Anregung sein und Erfahrungen vermitteln, die nutzbringend für politische Forderungen verwendet werden können.

Der Zivildienst darf nicht länger als Anhängsel der Kriegsdienstverweigerung betrachtet werden. Seine Zweckbestimmung muß überprüft und verändert werden. Die Ausgestaltung des Zivildienstes darf nicht Ausführungsorganen und Dienststellen überlassenwerden. Die Zivildienstleistenden machen prägende Erfahrungen mit Leid, Not und Elend. Sie machen auch Erfahrungen, wie die Gesellschaft hiermit - und mit ihnen als Personen - umgeht. Diese Erfahrungen dürfen nicht zu einer Hypothek für eine soziale Zukunft werden!

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Udo Kunkelmann ist Vorsitzender des Förderereins Sozialer Friedensdienst.
Frank Paratsch Praxisbegleiter des Diakonischen Werkes in Hessen und Nassau.