In Heidelberg kommt die Diskussion in Gang

Ziviler Friedensdienst

von Renate Wanie
Initiativen
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Aufbauend auf weltweiten Erfahrungen - von Gandhi bis zum gewalt­freien Umbruch in der DDR - sowie auf den Erkenntnissen der Friedens- und Konfliktforschung sollen nach dem Konzept "Ziviler Friedens­dienst" (ZFD) Freiwillige - Frauen und Männer - in einer grundlegenden Ausbildung befähigt werden, planvoll in Krisen und gewaltvollen Kon­flikten einzugreifen.

Zwei Veranstaltungen in Heidelberg, initiiert von der Werkstatt für Gewalt­freie Aktion, Baden, und die damit ver­bundene Öffentlichkeitsarbeit sollen mit dazu beitragen, dieses Konzept auch regional einer breiten Öffentlichkeit be­kanntzumachen und gleichzeitig eine Auseinandersetzung mit Gruppen aus den sozialen Bewegungen, aber auch mit anderen gesellschaftlichen Gruppie­rungen, in Gang zu setzen.

Auf der ersten Veranstaltung im Juli wurden das Konzept, die Zielsetzungen und Ausbildungsmöglichkeiten von Kurt Südmersen vom Bund für Soziale Verteidigung (BSV) vorgestellt. Im Oktober wurde dann von Andreas Buro, Helsinki Citizens' Assembly - Deutsche Sektion, der ZFD im Rahmen der Möglichkeiten europaweiter ziviler Konfliktbearbeitung betrachtet.

Nachfolgend möchte ich einen kurzen Zwischenbericht geben über Kritik­punkte am ZFD, die während der ersten Veranstaltung und in Gesprächen mit Friedensgruppen in Heidelberg geäußert wurden.

Zunächst muß festgestellt werden, daß die Idee eines Zivilen Friedensdienstes noch keine große Verbreitung gefunden hat. Hier stehen wir in puncto Öffent­lichkeitsarbeit noch ganz am Anfang. Wo das Konzept bei Friedensbewegten schon einigermaßen bekannt ist, treten in den stets heftigen Diskussionen vor­rangig große Zweifel an der Umsetzung auf. Die Anfragen richten sich u.a. an die Finanzierung eines ZFD mit staatli­chen Geldern und an die Funktionsweise des Subsidiaritätsprinzips. Dadurch ent­stehe - so ein Hauptargument - eine Ab­hängigkeit vom Staat, wodurch die Ausgestaltung, Zielsetzung und die zu­künftigen Einsätze einseitigen staatli­chen Interessen ausgesetzt seien. Ein Staat wie die BRD, der an zweiter Stelle auf der Liste internationaler Rüstungs­exporte stehe, könne doch nicht zu-gleich gewaltfreien Einsätzen in Krisen­gebieten zustimmen.

Kritik an der Initiative für einen ZFD kommt auch wegen der Kontakte zur Rot-Grün-Koalition in Nord-Rhein-Westfalen. Dort, wie auch innerhalb der CDU um Rainer Eppelmann, wird um Unterstützung für ein Pilotprojekt bzw. für eine parteiübergreifende Initiative für den ZFD im Bundestag geworben. Wo ständig über die Institutionalisierung des Konzepts mit staatlichen Mitteln nachgedacht wird, würden soziale Be­wegungen mit ihren schon heute beste­henden Möglichkeiten, z.B. für Men­schenrechte zu intervenieren, zuneh­mend aus der politischen Praxis ausge­grenzt.

Besonders an die Freiwilligkeit, wie sie auf unterschiedliche Weise in den bei­den Konzepten für einen ZFD von der Berlin-Brandenburgischen Kirche und vom Bund für Soziale Verteidigung (BSV) formuliert ist, werden immer wieder kritische Anfragen gerichtet. So soll nach den Vorstellungen des kirchli­chen Konzeptes auch innerhalb der Wehrpflicht eine Wahl zugelassen wer­den, zwischen dem Dienst in der Bun­deswehr, dem Zivildienst und dem Zi­vilen Friedensdienst. Diese Verknüp­fung des ZFDs mit der Wehrpflicht lehnt der BSV ab, da dies den Anforde­rungen eines ZFD nicht gerecht werde. Allerdings findet sich im Konzept des BSV der Satz: "Solange noch eine Wehrpflicht in der BRD besteht, werden die Freiwilligen des ZFD von dieser be­freit." Für Friedensbewegte, die seit Jah­ren für die Abschaffung der Wehr­pflicht eintreten, muß diese Formulie­rung natürlich eine Provokation dar­stellen. Die angestrebte Möglichkeit, innerhalb der allgemeinen Dienstpflicht zu wählen, wird spöttisch als "Wahl-Pflicht-Zwangs-Dienst" bezeichnet. Zwischen dem zitierten Satz und der oftmals betonten Freiwilligkeit im BSV-Konzept besteht ein Widerspruch, der geklärt werden muß.

Bei vielen Menschen, die das erste Mal von einem Zivilen Friedensdienst hören, fällt immer wieder auf, wie wenig hilfreich der Begriff "Ziviler Friedens­dienst" ist, um für das wirklich Neue an dem Konzept Interesse zu wecken. Ein weitgehendes Umdenken ist erforder­lich, sollen politische Konflikte zukünf­tig nicht mehr mit Mitteln der Gewalt und über militärisches Eingreifen, son­dern mit zivilen und gewaltfreien For­men bearbeitet werden.

Das alles umfassende, häufig gebrauchte sowie missbrauchte Wort "Frieden" ist langweilig geworden, ja ruft Gähnen oder aber auch Misstrauen hervor. Zu­dem wird mit dem Begriff des Dienstes häufig ehrenamtliche (kirchliche) Arbeit verbunden und weckt jedenfalls kaum positive Emotionen oder gar Neugier. Auch der Gedanke an einen Pflicht- und Zwangsdienst wird bei vielen schnell mit dem Wort "Dienst" verknüpft. Ge­dacht wird automatisch an die Wehr- bzw. Dienstpflicht oder auch den Zivil­dienst. Alles Dienste, die wenig mit Freiwilligkeit oder Gewaltfreiheit asso­ziiert werden.

Eine Portion Skepsis zeigt sich in den Diskussionen auch, wenn bekannt wird, daß der Impuls für das jüngste Konzept einer gewaltfreien Eingreif-"Truppe", wie der ZFD auch genannt wird, aus Kirchenkreisen entstammt. Die Idee wurde ja aktuell zunächst innerhalb der Ev. Kirche Berlin-Brandenburg aufge­griffen. Daß die Vorstellung von einer gewaltfreien "Friedensbrigade" histo­risch ihre Wurzeln auch in antimilitari­stischen, anarchistischen Kreisen hat, so z.B. die "World Peace Brigades for Non-Violent Action" (1962), ja die Idee einer "Friedensarmee" letztlich auf Gandhi zurückgeht, ist häufig nicht be­kannt. Die vielfältige Vorgeschichte des ZFD bekannt zu machen, könnte - mei­ner Auffassung nach - zum einen die Ak­zeptanz innerhalb der nicht-kirchlichen Friedensbewegung erhöhen, aber auch Anregungen für das aktuelle Konzept bieten. Das Rad muß ja nicht alle Jahre neu erfunden werden.

Bei Diskussionen innerhalb Friedens­bewegter, die dem Konzept skeptisch gegenüberstehen, wird wiederholt deut­lich, daß nicht klar oder gar selbstver­ständlich ist, daß bei einem potentiellen ZFD-Einsatz in ein Krisengebiet die An­frage der Betroffenen Voraussetzung sein muß! Der ZFD wird nicht von sich aus aktiv, sondern nur auf Anfrage. Die­ser wesentliche Grundsatz ist leider nicht im Konzept des BSV von 1994 festgehalten. Hier Klarheit zu schaffen, würde einige zynische Kommentare über die "neue schnelle, aber gewaltfreie Interventionstruppe der Friedensbewe­gung", die auch gegen den Willen der betroffenen Bevölkerung eingesetzt werde, überflüssig machen

Meiner Meinung nach gehört zu gewalt­freien Einmischungen jeder Art, daß die Form der Einmischungen nicht nur den Zielen und Forderungen entsprechen müssen, sondern auch, daß die betrof­fene Bevölkerung ihre Zustimmung für eine Intervention geben muß. Dieser Punkt sollte als ein wichtiger Unter­schied gegenüber der militärischen In­tervention herausgehoben werden. Al­lerdings ist generell die Einhaltung und Durchsetzung von Menschenrechten ohne Einmischungen von außen in sog. innere Angelegenheiten anderer (Innenpolitik, Staaten...) nicht möglich. Auch darauf sollte bei den Auseinander­setzungen über die Grundgedanken ei­nes ZFD hingewiesen werden.

Um die Idee ZFD in der Gesellschaft bekannt zu machen und eine breite öf­fentliche und kritische Auseinanderset­zung mit dem Konzept und den schwie­rigen Umsetzungsfragen voranzubrin­gen, werden wir jedenfalls noch einige Zeit brauchen. Neben der Forderung, endlich öffentliche Mittel für die Um­setzung ZFD bzw. für (eine an den Fra­gen der sozialen Bewegungen orien­tierte) Friedens- und Konfliktforschung zu erhalten, muß die inhaltliche Wei­terentwicklung des Konzeptes stehen. Auch nach alternativen Finanzierungs­quellen für einen schnellen Start mit de­zentralen Ausbildungszentren und Pilot­projekten sollte, meiner Ansicht nach, verstärkt gesucht werden. Wie der Krieg in Jugoslawien zeigt, braucht die frie­denspolitische Praxis (z.B. Balkan Pe­ace Team) heute schon und nicht erst morgen eine breitere finanzielle Basis. Und letztlich braucht es die Menschen dazu.

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