Deutsch-Tschechisches Forum der Frauen

Zukunft und Vergangenheit

von Hana Klimesová

In der dritten Nummer der Zeitschrift "Friedensforum" (Mai/Juni 1997) hatten die Leserinnen und Leser die Möglichkeit, sich mit der Entstehung und der Arbeit des Deutsch-Tschechischen Forums der Frauen bekannt zu machen und Informationen über die ersten beiden Seminare einschließlich einiger wesentlicher Teile des Bonner Abschlußdokumentes zu erhalten. Das dritte Seminar wird für das Jahr 1998 - wie bereits im erwähnten Artikel ausgeführt - in Berlin geplant.

Im Deutsch-Tschechischen Forum der Frauen besteht die Gepflogenheit, daß keine der beiden Parteien etwas ohne eine Konsultation mit der anderen Partei tut, und das, was beide Partner übereinstimmend vereinbaren, vollzieht man dann gemeinsam und möglichst identisch. Wer sich einmal auf diplomatischem Parkett befand - dem tatsächlichen, oder sozusagen "barfuß" auf dem knorrigen "diplomatischen" Boden der Zivilgesellschaft stand - weiß, daß eine solche Vorgehensweise sehr viel Entgegenkommen, Toleranz, Übereinstimmung und sogar persönlicher Freundschaft von beiden Seiten bedarf. So ist heutzutage die Situation im Forum der Frauen: und das ist auch der Grund dafür, weshalb die tschechische Sprecherin des Forums nun diesen Artikel schreibt.

Einer der Schritte, die nach dem gemeinsamen Seminar in Bonn (September 1996) folgten, war die Stellungnahme zur Gemeinsamen Deutsch-Tschechischen Erklärung. Als wir das Abschlußdokument des Forums der Frauen formulierten, kannten wir den Text der Gemeinsamen Erklärung noch nicht. Er wurde erst später veröffentlicht, und für uns ergab sich somit eine weitere Aufgabe: ein Übereinkommen zu erzielen, ob wir der Erklärung beiderseits und öffentlich unsere Unterstützung zum Ausdruck bringen. Es war ganz offenkundig, daß sowohl auf der tschechischen wie auch auf der deutschen Seite Bürger und Bürgerinnen da sein würden, die mit dem kompromißbereiten Text der Erklärung nicht einverstanden sein würden. Gegenüber einem relativ homogenen Teil der Sudetendeutschen Landsmannschaft auf der deutschen Seite waren auf der tschechischen Seite die mißbilligenden Standpunkte quer durch die Bürgergruppierungen und politischen Parteien verstreut, und sie wurden in einer breiten Argumentationsskala von einer harten und blinden nationalistischen Ablehnung bis zu soliden historischen und juristischen Fragestellungen zum Ausdruck gebracht. Ich hatte nun bei der Formulierung der Argumente und Erläuterungen, warum das Deutsch-Tschechische Forum der Frauen überzeugt ist, die Gemeinsame Deutsch-Tschechische Erklärung annehmen und inhaltlich füllen zu wollen, eine vielleicht etwas schwierigere Aufgabe zu meistern.

In der Erklärung wird sinngemäß gesagt, daß das begangene Unrecht der Vergangenheit angehört und daß die Beziehungen in die Zukunft zu richten seien; ferner, daß beide Seiten eine andere juristische Meinung verträten, die Differenzen jedoch akzeptierten und die Beziehungen daher nicht durch politische und juristische, aus der Vergangenheit herrührende Fragen belastet würden. Wenn es sich explizit um den historischen Dialog handelt, wolle man ihn mehr oder minder der Fürsorge professioneller Historiker anvertrauen. Im Abschlußdokument der Bonner Tagung des Forums der Frauen wird zum Ausdruck gebracht, daß "die Aufmerksamkeit sich zwar auf die Zukunft richten sollte, daß es aber einer Fortführung des Dialogs zur Aufarbeitung der Vergangenheit bedarf".

Das Deutsch-Tschechische Forum der Frauen hat auf der Liste seiner Aktivitäten eine Reihe gegenwartsbezogener und sehr aktueller Themen. Ihre Aktualität sowie die Nützlichkeit ihrer gemeinsamen Lösungen zeigte bereits das zweite Seminar des Forums in diesem Jahr in Prag auf. Die Frage ist, wieviel Raum an unserer Tätigkeit die historischen Themen einnehmen sollten. Mögen wir jedoch noch so sehr die brandaktuellen Gegenwartsfragen diskutieren, die Geschichte schleicht sich doch stets durch eine Hintertür in die aktuelle Problematik ein, und es scheint, daß sie dort störend wirkt wie ein unartiger Schüler beim Unterricht. Die Geschichte loszuwerden ist natürlich nicht möglich: wir müssen sie jedoch kennenlernen, entweder dadurch, daß wir uns mit den seriös präsentierten Tatsachen bekannt machen oder gegenseitig und ohne Vorurteile die Lebensschicksale der Vertreterinnen der Gegenpartei anhören, was manchmal bedeutet, über den eigenen Schatten zu springen. Das leidenschaftliche Interesse an der Wahrheitsvermittlung eigener Erfahrungen kann man nicht meiden; es ist jedoch notwendig, sich vor Augen zu führen, daß das Erlebnis einer anderen Person die gleiche, einzigartige emotionale Spannung wie das der eigenen in sich trägt.

Was wir aber mit der Geschichte nicht tun dürfen: wir dürfen sie nicht ideologisieren, denn dies wäre ein direkter Weg in die Hölle (wobei die Ideologisierung und die Geschichtsphilosophie natürlich zwei gänzlich unterschiedliche Kategorien sind), und wir dürfen nicht mittels der Geschichte politisch erpressen.

Obwohl wir selbst beruflich meistens keine Historikerinnen sind, sollten wir ebenfalls ein wichtiges historisches Prinzip achten: die Geschichte nicht durch die Sichtweise der Gegenwart betrachten und die historischen Ereignisse nicht mit der Gegenwartsterminologie benennen. Wenn jemandem scheint, daß dieses Prinzip politisch so selbstverständlich wie das kleine Einmaleins ist, sollte er oder sie sich nicht irren: in der politischen Praxis sind wir sehr häufig Zeugen der Verletzung dieser Regel.

Wie sollen wir nun weiter mit unserem Dilemma - Geschichte -Gegenwart - Zukunft - verfahren, und dies noch dazu in einer rein zivilgesellschaftlichen Dimension? Einer der verlockenden Wege wäre, ein aktuelles, wichtiges Thema auf der Basis seiner historischen Wurzeln zu behandeln: man kann dies sicher nicht in allen Fällen tun, aber die ersten Erfahrungen sind positiv. Ich meine, daß wir sogar stolz darauf sein können, den Mut gefunden zu haben (und dies gilt vor allem für die tschechische Seite), auf der Prager Tagung ohne Vorurteile die Positiva sowie die Negativa der Stellung der Frauen in den ehemaligen Regimesystemen der Tschechoslowakei und der Deutschen Demokratischen Republik zu analysieren.

Eine andere Möglichkeit ist, die positiven Züge unserer gemeinsamen Geschichte zu unterstreichen und das hervorzuheben, was uns verbindet. Hat denn etwa die demokratische Vorkriegs-Tschechoslowakei den deutschen Bürgern, die gegen den Hitler-Nazismus protestierten, nicht Asyl gewährt? Und hat etwa die Bundesrepublik Deutschland die tschechischen und slowakischen Exilanten, die sich gegen das totalitäre Regime des Kommunismus stellten, nicht aufgenommen? Wir haben auf beiden Seiten große demokratische Persönlichkeiten - warum sollten wir ihnen nicht gebührend unsere Achtung zollen?

Beide Seiten - die Tschechische Republik sowie die Bundesrepublik - müssen sich mit aktuellen Problemen der ethnischen Intoleranz, des Fremdenhasses und Rassismus, u.a. in den Beziehungen zu Minderheiten, auseinandersetzen. Wir sind der Meinung, daß es Frauen zur Bekämpfung dieser Erscheinungen sehr nahe haben: sie selbst sowie ihre Kinder übertreten am häufigsten im Alltag die Grenzen von engen Gemeinschaften, sie besonders beeinflussen die Erziehung der jungen Generation zum Verständnis für eine multiethnische und multikulturelle Gesellschaft. Wenn wir uns in naher Zukunft entscheiden, über diese Probleme an einem der nächsten Seminare des Deutsch-Tschechischen Forums der Frauen zu diskutieren, warum sollten wir nicht gleichzeitig dem störenden Schüler mit dem Geschichtsbuch über die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts im Schulranzen die Klassentür öffnen?

Ausgabe

Rubrik

Hintergrund
Hana Klimesová ist Sprecherin des tschechischen Teils des Deutsch-Tschechischen Forums der Frauen, Praha.