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Zum Ausgangspunkt einer Europäischen Debatte
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In den vorgelegten Thesen fehlt mir die Positionierung, der politische Ort, von wo aus wir unsere Europapolitik gestalten und formulieren.
Europapolitik fängt zu Hause an: sprich in den Ländern, in den Parlamenten und Landesregierungen. (...)
Europapolitik findet natürlich auch statt im Europaparlament, wo wir die kleinsten Mitbestimmungs- und Informationsmöglichkeiten detektivisch und akribisch nutzen müssen.
Unser Ansatz muß es aber gerade sein, eine europäische Öffentlichkeit zu schaffen - ein Europa von unten. D.h. Koordination und Information von Antirassismusgruppen, EinwanderInnenorganisationen und Flüchtlingsverbänden über die Grenzen hinweg, um gemeinsame Strategien und Konzepte gegen die gemeinsamen Entscheidungen von oben überhaupt formulieren zu können. Die Zusammenarbeit mit den vielen außerparlamentarischen Organisationen und Initiativen überall in Europa, die sich nicht abfinden mit scheinbar unveränderbarer restriktiver Abschiebungspolitik, die nicht die Festung, sondern das offene Europa wollen und die nicht bereit sind, die Realität, daß die Grenzen dicht, die Innenpolitik blind und die Abschiebebehörden taub sind, einfach hinzunehmen, ist für grüne Politik unverzichtbar.
Die hier vorgelegten Thesen verbleiben aus meiner Sicht total verhaftet in der herrschenden Logik. (...)
Wir stehen nicht am Anfang der Debatte - oder: Die Festung steht
Bei dem vorgelegten Entwurf fallen schon auf den ersten Blick zwei Dinge auf:
1. steckt wohl der ansonsten typisch sozialdemokratische Wunschtraum dahinter, über Europa das erreichen zu wollen, was auf nationaler Ebene verloren oder gar aufgegeben worden ist. Das ist nicht sehr realitätstüchtig, da es ja nun gerade das deutsche Asylabschaffungsmodell ist, das Pate für die europäische Lösung steht.
2. und das ist viel gravierender: scheint das eklatante Informationsdefizit in der Europäischen Union auch die Verfasser der hier zur Debatte stehenden Thesen zu ihren Opfern gemacht haben. Es ist eine Fehleinschätzung, daß wir am Beginn der europäischen Einwanderungs- und Asylpolitik stehen, und daß wir auf diesem Weg den nationalen Festungstendenzen entgegenwirken könnten. Eine Fehleinschätzung, weil nicht nur die Struktur undemokratisch ist, in der dieser Politikbereich stattfindet, sondern vielmehr weil die Inhalte im Bereich Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik konsequent restriktiv sind. (...)Die Festung ist errichtet - die neuen Mauern stehen - der eiserne Vorhang wird heute vom Westen her errichtet. Um nur einige Bausteine zu nennen:
- Das Schengener Abkommen, dessen Hauptsäule die koordinierte Flüchtlingsabwehrpolitik ist - wird schon seit den frühen 80er Jahren erarbeitet.
- Die Dubliner Konvention, die die Möglichkeit eines Asylantrags auf ein Land der Europäischen Union beschränkt und zu einem Wettlauf in der Frage der strengsten Einreisebestimmungen geführt hat, ist schon von 7 Mitgliedsstaaten ratifiziert worden.
- Die Kommission hat die Initiative ergriffen, um die Konvention zum Überschreiten der Außengrenzen baldmöglichst verabschieden zu können.
- Die Restriktion Visapolitik, die Flüchtlinge von vornherein an der Flucht hindern soll, ist de facto schon lange harmonisiert: Aktuell gilt für BürgerInnen aus 123 Staaten in der gesamten Union die Visumspflicht.
- Mit den Nachbarstaaten der Europäischen Union sind Parallelabkommen zu Dublin anvisiert.
- Die Prinzipien der sicheren Drittstaaten, der verfolgungsfreien Herkunftsländer und der offensichtlich unbegründeten Anträge sind innerhalb der Union unumstritten.
- Der "cordon sanitaire", der Schutzwall gegen unliebsame EinwanderInnen ist nach Osten und Süden errichtet
- Das System der bi- und multilateralen Rückübernahme-, Durchschiebe- und Rückschiebeabkommen, die einen Dominoeffekt nach Osten und Süden bewirken und Kettenabschiebungen zur Folge haben, sollen zu EU-Rahmenabkommen gemacht werden.
- All das hat in der Budapester Konferenz im Februar 1992 zu einer genial-maliziösen Umdefinition geführt: Aus Flüchtlingen wurden Illegale, weil es aus sicheren Herkunftsländern per se keinen Fluchtgrund gibt, ergo auch keine Flüchtlinge, ergo nur noch Illegale, die mit allen Mitteln, wie z.B. beweglichen Einheiten zu Wasser/Land Luft zu bekämpfen sind. Und diese Kriminalisierung von Flüchtlingen läutete gleichzeitig die Militarisierung der Flüchtlingspolitik ein. Der Abschottung nach außen folgt nun die Aufrüstung und ethnische Säuberung nach innen, die von Militär und Polizei gemeinsam übernommen werden soll.
Diese Entwicklung findet unverständlicherweise weder in den hier vorgelegten Thesen noch in der Analyse Erwähnung. (...)
Es ist einfach falsch, die Vereinheitlichung per se als positiv zu bezeichnen, anstatt die qualitativen Bedingungen zu beschreiben und zu analysieren. (...)
Was heißt das für Bündnis 90/Die Grünen?
Wir haben den Artikel 16 bis zuletzt verteidigt. Wir müssen auch weiterhin für einen historisch verantwortlichen, den Grund- und Menschenrechten verpflichteten und der Realität angepassten Flüchtlingsbegriff eintreten. Wenn wir uns jetzt darauf einlassen, den Flüchtlingsbegriff (wie in These 3) auf den politischen Flüchtling im engeren Sinne zu beschränken, passen wir unsere politischen Vorstellungen dem Resultat der Auseinandersetzung in der Bundesrepublik, der Abschaffung des Grundrechts auf Asyl, an.
Denn Flüchtlinge sind nicht mehr das, was sie vielleicht einmal waren. Das Ineinandergreifen politischer, ökonomischer und ökologischer Gründe ist neu, aber Realität.
Und ob jemand flieht, um nicht massakriert, ob er flieht, um nicht gefoltert zu werden, ob sie flieht, um nicht vergewaltigt zu werden oder um nicht zu verhungern oder zu verdursten - immer ist und bleibt er oder sie Flüchtling. Wir müssen uns lösen vom tragisch-romantischen Fixbild des "echten" Flüchtlings, weil es den "falschen" als Schmarotzer oder Illegalen kriminalisiert und diskreditiert und mit zur Demagogie der Asylkampagne beiträgt.
Daß im vorliegenden Papier diese Logik tendenziell benutzt wird und die Opfer verantwortlich gemacht werden für den Abbau des Grundrechts nach Art. 16, ist zynisch. Flucht entsteht ja wohl nicht, weil es bei uns ein Asylrecht gibt. (...)
These 4 ist für mich schlechterdings nicht nachvollziehbar und ich lehne sie rundweg ab. Die Abschaffung des Artikels 16 als Chance für die gemeinsame europäische Politik zu bezeichnen, ist mir unverständlich. Natürlich ist es gerade unsere Aufgabe, für gesellschaftliche Mehrheiten zu streiten, die die Wiederherstellung des Grundrechts wollen und befürworten und natürlich ist es Aufgabe unserer Partei - nicht nur strategisch, sondern auch aus tiefer inhaltlicher Überzeugung und als Teil unserer politischen Identität, dem Volk nicht populistisch nach dem Maul zu reden und um Wählerstimmen unter Aufgabe wichtiger Positionen zu buhlen. (...)
Anstelle der schwierig zu verwirklichenden Abschottung und Abschreckung müssen wir eintreten für eine nicht minder schwierige, sondern sogar schwieriger zu verwirklichende, aber sinnvolle Politik der Bekämpfung von Fluchtursachen. Eine solche Politik verlangt zunächst einmal das Eingeständnis, daß die Armen am Reichtum der Reichen verhungern.
Diese Politik kostet ungeheuer viel Geld und braucht eine neue Diplomatie. Daß wir einen Stopp der Waffenexporte fordern, ist nicht gerade neu, aber noch immer aktuell, denn immerhin ist Deutschland größter Waffenexporteur in Europa
Eine solche Politik muß erreichen, daß nicht der kurdische Flüchtling das Problem ist, sondern die Tatsache, daß Deutschland Waffen an die Türkei liefert, mit denen die Kurden unterdrückt werden.
Sicher - das ist eine mittel- und langfristige Aufgabe, die Regelung einer quotierten Einwanderung ein kurzfristig erreichbares Ziel. Die Konzentration auf dieses kurzfristige Ziel bringt uns aber dem langfristigen keinen Schritt näher - im Gegenteil. Wenn - wie in den vorgelegten Entwurf ausgeführt - die Anzahl der Flüchtlinge auf die Einwandererzahlen angerechnet wird, wird dies zu Lasten der Flüchtlinge interpretiert werden. Auch wenn ich den Verfassern nicht unterstellen will, Quoten für Flüchtlinge einführen zu wollen, muß man sich klarmachen, auf was es hinausläuft.
Der Entwurf versucht, über den Umweg Europa nationale Forderungen aufzustellen. Allerdings sehe ich in der Politik der Europäischen Union nicht den leisesten Ansatz für diese Debatte.
Eine reale politische Chance hat ein Einwanderungsgesetz erst, wenn die Kosten-Nutzen-Analyse zugunsten des Nutzens umschlagen würde.
Richtig ist, daß wir für das Recht auf Einwanderung, für das Recht auf Freizügigkeit in der EU eintreten und für unmittelbare Maßnahmen zugunsten der sogenannten DrittausländerInnen, gegen jegliche Diskriminierung und gegen den institutionalisierten Rassismus. Wir stehen für die Ausweitung der Unionsbürgerschaft zu einem europäischen Bürgerrecht für die hier Lebenden, für ein neues Staatsbürgerschaftsrecht und für eine liberale Familienzusammenführung. Wir stehen auch für eine Regelung im Bereich Arbeitsmigration. Wir treten ein für eine Sozialcharta und für eine Antidiskriminierungsrichtlinie. Aber das ist ja Gott sei Dank unumstritten.