Zur Menschenrechtsarbeit der Vereinten Nationen

von Wolfgang S. Heinz
Schwerpunkt
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Neben der Erhaltung des Friedens und der Förderung der Entwicklung gehören heute der Schutz der Menschenrechte zu den wichtigsten Zielen der Vereinten Nationen. Sie genießen aufgrund der Tatsache, dass ihr fast alle Staaten angehören, eine Legitimität wie keine andere internationale Organisationen. Andererseits müssen sie im Rahmen des Völkerrechts agieren, d.h. Menschenrechte können nur durch die Zusammenarbeit zwischen den Staaten, auch menschenrechtsverletzenden Staaten durchgesetzt werden, durch politische Verhandlungen, in denen vor allem Regierungsvertreter aktiv sind. Gleichzeitig haben Nichtregierungsorganisationen, die an den meisten Sitzungen teilnehmen, durch ihre Berichte und Kritik an Bedeutung gewonnen, ebenso wie die Medien und eine Reihe von Regierungen, die sich seit vielen Jahren für die Durchsetzung der Menschenrechte einsetzen.

Da politische Interessen der Staaten besonders auf dem Gebiet der Menschenrechte eine große Rolle spielen, gibt es viele Länder, deren Menschenrechtslage zwar angesprochen wird, aber dann doch nicht angemessen behandelt werden - z.B. Algerien, Indonesien, China, Russland und die USA. Immerhin wird aber in der öffentlichen Diskussion der MRK Kritik geübt, meist von NGOs, vereinzelt auch von den Mitgliedern der MRK, etwa der Europäischen Union.

Der Leiter des Wiener Ludwig-Boltzmann-Instituts, Prof. Manfred Nowak, hat 1998 ein auch heute noch gültiges Bild des VN-Menschenrechtsschutzes gezeichnet:

"Das Hauptproblem bei der Überwachung der Staaten hinsichtlich der Einhaltung ihrer menschenrechtlichen Vertragspflichten liegt ... in fehlenden Folgeaktionen und der mangelnden Durchsetzung seitens der politischen Organe der Vereinten Nationen. Die zuständigen Expertenorgane sind im großen und ganzen politisch unabhängig, kompetent und arbeiten den Umständen entsprechend effektiv. Sie werden von den politische Organen (von der Menschenrechtskommission über den Wirtschafts- und Sozialrat bis zur Generalversammlung und dem Sicherheitsrat) aber so gut wie nicht unterstützt. Es fehlt an Geld, an ausreichender Tagungszeit, an den notwendigsten Ressourcen im Menschenrechtszentrum, vor allem aber am Verantwortungsgefühl der Staaten, die Entscheidungen der Experten im Individualbeschwerdeverfahren und ihre Empfehlungen im Berichtsprüfungs- oder Untersuchungsverfahren durch entsprechenden politischen und diplomatischen Druck in den zuständigen Organen (analog zum Ministerkomitee des Europarats) durchzusetzen." (1) (Nowak 1998, S. 94)
 

Die VN-Menschenrechtskommission (MRK)
Die Menschenrechtskommission ist für das Thema das wichtigste Organ der VN und tagt jedes Jahr sechs Wochen in Genf, um die weltweite Lage der Menschenrechte zu erörtern, Untersuchungen in Auftrag zu geben bzw. ihre Ergebnisse zu diskutieren und neue Normen des Menschenrechtsschutzes zu diskutieren, die dann der Generalversammlung vorgelegt werden. Sie besteht aus 53 VN-Mitgliedsstaaten in der Verteilung Afrika: 15 Länder, Asien-Pazifik: 12, Lateinamerika/Karibik: 11, Osteuropa: 5 und westl. und andere Staaten: 10.

Fortschritte und Schwächen
Zu den wichtigsten Fortschritten der VN-Menschenrechtsarbeit gehören:
 

  •  Der deutlich leichtere Zugang zum UN-Menschenrechtssystem für NGOs durch schriftliche Eingaben, Teilnahme- und Rederecht in allen öffentlichen Sitzungen (ein Zugang, der nicht optimal genutzt wird, weil heute eine große Zahl von NGOs häufig zum gleichen Thema einzeln Stellung zu nehmen glaubt und dadurch die Aufmerksamkeit deutlich zurückgeht und auch die Qualität der Debatte leidet.
     
  •  Der enorme Zuwachs an UN-Überprüfungsmechanismen, so schwach sie institutionell auch sein mögen, um die Lage der Menschenrechte in einem Land oder zu einem Thema genauer zu beobachten - z.Z. rd. 40 sog. besondere Verfahren/special mechanisms. Die ExpertenInnen arbeiten ehrenamtlich, die Zuarbeit vom UN-Hochkommissariat für Menschenrechte ist häufig äußerst beschränkt. Es ist wenig erforscht, welchen konkreten Einfluss Berichte, Resolutionen etc. auf die reale politische Entwicklung in einem Land gehabt haben. Zu vermuten ist, dass sie auf kleine Länder mit eher wenigen Menschenrechtsverletzungen einen positiven Einfluss ausüben können, während bei größeren politisch wichtigen Ländern Menschenrechtsverletzungen stark von den internen Machtverhältnissen und deren Entwicklung abhängt.
     
  •  Die wachsende Bedeutung der Behandlung von Ländersituationen durch die öffentliche Debatte (TOP 9) und das vertrauliche 1503-Verfahren, das jedoch von Menschenrechts-NGOs und geringer fassbarer Ergebnisse eher kritisch gesehen wird.
     

Wichtige Schwächen sind die stark von der Politik abhängige Behandlung von Menschenrechtssituationen in den verschiedenen Ländern, die geringen zur Verfügung stehenden Ressourcen (rd. 2% des UN-Haushalts) und die weitgehende Unfähigkeit, auf schwere, systematische Menschenrechtsverletzungen zu antworten. Zwar ist die MRK z.B. mit gelegentlichen Sondersitzungen (zu Ex-Jugoslawien, Ruanda und Indonesien) ein wenig flexibler geworden, aber die Hilflosigkeit in solchen Fällen ist unverkennbar.

Als weitere Schwäche der MRK ist das Ungleichgewicht zwischen Überwachungsverfahren zu den politischen und bürgerlichen Rechten zu nennen, die bei weitem zahlenmäßig überwiegen, und zu den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten (WSK-Rechten), zu denen es nur wenige wie zum Recht auf Bildung, Wohnung, Entwicklung, zu den Themen Strukturanpassung und WSK-Rechte sowie Giftmüll gibt (Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Internationale Arbeitsorganisation eine große Zahl von Menschenrechtsstandards verabschiedet hat und ein eigenes, freilich in der Öffentlichkeit wenig bekanntes Überwachungssystem hat). Nur einer der sechs großen Menschenrechtspakte mit einer Überwachungsinstanz - der UN-Pakt zum Schutz der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte von 1966 - widmet sich diesem Bereich.

Kritiker des gegenwärtigen UN-Systems unter den UN-Mitgliedsstaaten sehen im weiteren Ausbau des Monitoring (Länderresolutionen, Länderberichterstatter, u.a.) eine direkte Bedrohung der nationalen staatlichen Souveränität. Sie geißeln eine Entwicklung, die als zunehmende Politisierung, Selektivität und Unausgewogenheit im Verhältnis zwischen politisch-bürgerlichen und WSK-Rechten begriffen wird. Diese Entwicklung soll zurückgedreht werden und gleichzeitig der bisherigen eine neue Richtung gegeben werden: Der Schwerpunkt soll auf WSK-Rechten gelegt werden, verbunden mit einer Kritik an der gegenwärtigen Weltwirtschaft, den internationalen Finanzinstitutionen und der Politik der Industrieländer. An der Diskussion von Hemmfaktoren bei der Verwirklichung der WSK-Rechte innerhalb des eigenen Landes haben diese Regierungsvertreter meist kein Interesse, auch nicht an der Einführung eines Individualbeschwerdeverfahrens für WSK-Rechte.

Schlussfolgerungen
Es sollte deutlich geworden sein, dass die Ausarbeitung von Menschenrechtsnormen, die Beobachtung ihrer Einhaltung und konkrete Beratung von Regierung und Zivilgesellschaft im Mittelpunkt der VN-Menschenrechtsarbeit stehen. In westlichen Auffassung, unterstützt von wichtigen lateinamerikanischen und auch einigen afrikanischen und asiatischen Staaten sind all dies legitime und notwendige Aufgaben der UN - auch wenn sie bei den westl. Staaten mit einer deutlich geringeren Priorität bei den WSK-Rechten und der weitgehende Ablehnung der Einbeziehung internationaler Wirtschafts- und Finanzfragen einhergehen. In der konkreten Arbeit nimmt der Einfluss der Ländergruppen zu, die instinktiv zur Verteidigung von Ländern aus ihrer Region kritisiert werden, neigen. Noch handeln die VN weniger als internationale Organisation, eher als Forum für den Interessenausgleich zwischen (vor allem mächtigeren) Staaten - man denke nur an den Sicherheitsrat, dessen Mitgliedschaft aus der Nachriegszeit "festgefroren" ist.

Anmerkung:
1Nowak, Manfred, Die Entwicklung der Menschenrechte seit der Wiener Weltkonferenz, in: Amnesty International (Hrsg.), Menschenrechte im Umbruch. 50 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Neuwied/Kriftel 1998, S. 87-115
UN Basis Informationen, Menschenrechte und die Vereinten Nationen, Bonn 2001 (Infoblatt)

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Wolfgang S. Heinz, Dipl.-Psych., Dipl.-Pol., Dr. phil. habil, geb. 1953 in Berlin. Privatdozent für polit. Wissenschaft an der Freien Universität Berlin. Wiss. Berater am Deut. Institut für Menschenrechte Berlin.