Soldatenseelsorge in den neuen Ländern

Zwischen Allen Stühlen

von Udo Becker
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In den alten Ländern betätigen sich rund 150 evangelische Pfarrer als Militärseelsorger. Sie sind für 6 bis 8 Jahre Beamter auf Zeit. Alle Kosten der Dienstleitung werden aus dem Rüstungshaushalt bezahlt. Sogar Gesangbücher und Meßwein. Die katholische Kirche in den neuen Ländern hat die westliche Vereinbarungen übernommen. Die evangelischen Kirchen dort wollen eigene Wege gehen.

Begonnen hat es im Dezember 1990, als sich am Telefon „Bundeswehr Hohenmölsen“ meldete und ein Offizier aus den alten Bundesländern um ein Gespräch mit den Ortspfarrern bat. Solch ein Anruf war etwas völlig Nues. Denn in meinen vergangenen 7 Jahren Hohenmölsen lag der Armeestandort, obwohl nur einen Kilometer entfernt, auf einem anderen Stern. Es gab keinerlei Kontakte außer zu einzelnen christlichen Soldaten, die uns gelegentlich im Pfarrhaus besuchten. Der Herbst 89 brachte unter anderem auch Gespräche mit kritischen Offizieren und baute die völlige Fremdheit ein wenig ab. Aber solch eine offizielle Einladung war erst einmal verblüffend. Bis dahin hatte ich die Diskussion in den DDR-Kirchen um den· Militärseelsorge-Vertrag eher mit vagem Interesse verfolgt, zumal kaum einer damit rechnete, daß ausgerechnet der Standort Hohenmölsen von der Bundeswehr übernommen werden würde. Nun auf einmal war ich zu Gast in der Kaserne, stellte sich eine eher mit Distanz und Mißtrauen betrachtet Institution dar in einzelnen konkreten Menschen. Und bald ergab sich, daß. diese ersten Kontakte·auf den ehrenamtlichen Auftrag als Soldaten-Seelsorger hinausliefen -ausgerechnet für mich.

Dies alles ist noch kein halbes Jahr her. Arbeitsformen bilden sich erst zaghaft aus. Doch eines ist schon jetzt deutlich: Solch ein ehrenamtlicher Auftrag heißt, zwischen allen Stühlen zu sitzen.

Da ist zuerst einmal die Situation innerhalb der Armee. Es gibt die Offiziere aus den alten Bundesländern, die keine Berührungsängste gegenüber Kirche haben, denen ich aber als Ost-Pfarrer suspekt bin, teils wegen Äußerungen der DDR-Kirchen zum Militär, teils wegen meiner persönlichen Vergangenheit als Wehrdienstverweigerer. Es gibt die Berufssoldaten aus der ehemaligen NVA und die Wehrpflichtigen, für die Kirche etwas Seltsames und Fremdes ist. Denn man muß bedenken, daß junge Männer aus kirchlichen Gruppen in der Regel Zivildienst leisten, so daß auch für die Wehrpflichtigen Kirche in ihrem bisherigen Leben nicht vorgekommen ist. Dazu drängt sich angesichts der CDU-Regierungen ohnehin manchem der Verdacht auf; daß Kirchenzugehörigkeit nun das Parteibuch von früher ersetzt - und entsprechend, daß der Pfarrer der neue Politoffizier ist. Dies ist das Spannungsfeld innerhalb der Armee.

Nicht weniger kompliziert ist die Lage in der Kirchengemeinde und im Kollegenkreis. Denn daß sich Soldatenseelsorge in die Arbeit der Ortsgemeinde integrieren läßt, scheint mit illusionär. Kirche macht nun einmal Freizeitangebote. Ihre Freizeit verbringen die Soldaten aber nicht am Standort, sondern zu Hause. Die Bindung zur Kirche muß schon sehr eng sein, wenn ein Soldat in der knappen Zeit am Heimatort seine Kirchengemeinde besucht, d.h. auch dies kommt in der Regel nicht vor. Soldatenseelsorge und die „normale“ Arbeit eines Pfarrers laufen also zwangsläufig nebeneinander her – mehr oder weniger gut vereinbar. Der Kreiskirchenrat hat den ehrenamtlichen Auftrag zur Standortseelsorge probeweise für ein Jahr unter der Bedingung, daß die übrige Gemeindearbeit nicht darunter leidet. Diese Bedingung dürfte unerfüllbar sein, da zu einer sinnvollen Soldatenseelsorge z.B., auch gemeinsame Rüstzeiten gehören, und ich dann eben von meinen Ortsgemeinden abwesend bin, ohne daß ihnen das etwas „bringt“ wie eine Freizeit mit Jugendlichen aus dem eigenen Ort. Außerdem – gerade für die Kollegen und Gemeindeglieder, die intensiv an der Ökumenischen Versammlung für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung mitgearbeitet haben, riecht auch ein ehrenamtlicher Auftrag nach „Militärseelsorge“, nach Opportunismus und Kollaboration.

Nicht zuletzt bringt dieser Auftrag mich mit mir selbst in Zwiespalt. In DDR-Zeiten habe ich ein Feindbild von Armee und Berufssoldaten aufgebaut. Wie immer, wenn man konkrete Menschen persönlich kennenlernt, stimmt dieses Feindbild nicht mehr. Das heißt aber auch, daß im Gespräch meine eigenen ethischen Grundsatzentscheidungen z.B. gegen den Wehrdienst auf dem Prüfstand stehen und ich in mir so mancher als unreflektiertes Klischee entdeckte, was ich früher für eine durchdachte Überzeugung gehalten habe. Ich erlebe an mir, daß es nicht genügt, bessere Argumente für meine alte Meinung zu finden, sondern daß ich mit mir selbst neu ins Reine kommen muß.

Es ist alles andere als einfach, plötzlich ehrenamtlicher Soldatenseelsorge in den neuen Bundesländern zu sein. Ob sich dieses neue Modell von Seelsorge an Soldaten überhaupt als durchführbar erweist, steht noch dahin. Aber mich persönlich reizt gerade, daß diese Aufgabe so widersprüchlich und kompliziert ist. Als ich mich zum Thema „Militärseelsorge“ kundig zu machen versuchte, fand ich in einem Zeitschriftenartikel eine sehr schöne Beschreibung für die Tätigkeit des Soldatenseelsorgers: „Anwalt der menschlichen Schwäche sein in einer Welt der männlichen Stärke“. Wenn dies gelänge – dafür würde es lohnen, zwischen allen Stühlen zu sitzen.

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Udo Becker ist Gemeindepfarrer in Hohenmölsen bei Weissenfeld (Sachsen-Anhalt). Seit dem 13. März 1991 ist er von seinem Kirchenrat beauftragt, seelsorgerliche Aufgaben im Bundeswehr-Standort Hohenmölsen wahrzunehmen.