Fake News

Zwischen Fehlinformationen und Meinungsfreiheit

von Cristina Orsini
Schwerpunkt
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Es geht in diesem Beitrag darum, wie die Aufregung über Fake News abweichende Meinungen bedrohen kann. Er wurde der Internet-Plattform „Wielding Nonviolence“ entnommen.

2017 wurde der Begriff “Fake News” 365 Prozent häufiger als 2016 verwendet und erhielt die Auszeichnung “Wort des Jahres” vom Collings Dictionary. Doch während er ein populär gewordener hoch politisierter Begriff ist, gibt es wenig Einigkeit darüber, was er wirklich bedeutet. In der Tat wird er oft sowohl für absichtlich erfundene Meldungen wie für nicht zutreffende Informationen benutzt. Damit geht es nicht nur um Inhalte, die illegal im Sinne der Grenzen freier Meinungsäußerung sind – wie Kriegspropaganda oder Aufhetzung zu Feindseligkeit und Gewalt. In der öffentlichen Diskussion ist Fake News oft ein Kampfbegriff, um konträre Meinungen zu diffamieren. Trump beschuldigt etablierte US-Medien wie CNN, dass sie Fake News über ihn publizierten, während seine GegnerInnen seinen Wahlsieg Fake News in den sozialen Medien, möglicherweise von auswärtigen Mächten betrieben, zuschreiben.

Dies mag alles in gewissem Maße zutreffen. Wenn wir Fake News als Fehlinformation verstehen, können wir in der Tat anfangen, sie überall zu sehen. In den sozialen Medien gibt es Plattformen, auf denen sensationelle Fake News fabriziert werden, um politische AnhängerInnen zu finden oder um schlicht Geld zu machen (wie die mazedonischen Teenager, die tausende Dollar mit falschen Artikeln während des US-Wahlkampfes verdienten). Aber sie können auch bei namhaften traditionellen Medien gefunden werden – man denke an die weitverbreiteten Berichte über Massenvernichtungswaffen, die der Invasion in den Irak 2003 vorausgingen.

Die jüngeren Diskussionen über den Begriff konzentrieren sich oft darauf, wie das allen zugängliche Internet und soziale Medien, die schnellen und einfachen Inhalten Vorrang geben, die Verbreitung von falschen Informationen an eine große Zuhörerschaft verstärken. Mit der Entwicklung neuer Technologien und künstlicher Intelligenz mögen da auch neue Gefahren entstehen, wie die Manipulation von Video- und Tonaufnahmen.

Trotzdem ist es falsch und gefährlich, Fake News als neues Phänomen darzustellen. Es ist inkorrekt, weil Fehlinformationen nichts Neues und auch nicht auf soziale Medien beschränkt sind. Es ist gefährlich, weil Regierungen unter der falschen Prämisse eines neuen Problems nach neuen Lösungen rufen, um die Verbreitung von (Fehl-)Informationen zu kontrollieren und Inhalte zu regulieren. Dies verringert den Spielraum für jene, die die Machthabenden kritisieren. Deshalb ist es entscheidend, zu verstehen, welche Auswirkungen die gegenwärtigen Narrative über Fake News und die vorgeschlagenen Lösungen auf  unser Potenzial als aktive und freie BürgerInnen haben. Es gilt, die Möglichkeit abweichender Meinung und eine pluralistische und informative öffentliche Sphäre zu bewahren.

Regulierung von Inhalten als Mechanismus staatliche Kontrolle
Mahsa Alimardani, ein iranischer Wissenschaftler, der sich für das Oxford Internet Institute und Artikel 19 (von was???) mit Technologie und Menschenrechten befasst, stellte fest: „Die Debatte über Fake News … ist das größte Geschenk, das Präsident Trump Regierungen wie der des Irans gemacht hat, … die versuchen, Informationsflüsse in ihrem Land zu kontrollieren und zu manipulieren.“ Fälle von Regierungen, die Fake News als neuesten Vorwand nutzen, um abweichende Stimmen zu verfolgen, sind traurigerweise in allen Kontinenten zu beobachten. So hat China Websites verboten, „von nicht genannten oder Fake News Quellen zu zitieren“. Ägyptens jüngstes Anti-Terrorismus-Gesetz sieht eine Mindeststrafe von 25.000 US-Dollar (genug, um jedes unabhängige Medium zum Schließen zu bringen) für JournalistInnen vor, die „falsch“ über Terrorismus berichten. ...

Aber Regulierung von Inhalten, um Fake News zu bekämpfen, betrifft auch etablierte Demokratien. Zum Beispiel hat der deutsche Bundestag im Juni 2017 ein Gesetz verabschiedet, das Geldstrafen für soziale Medien vorsieht, die illegale Inhalte nicht innerhalb von 24 Stunden entfernen. Das kann Hass-Sprache und Fake News beinhalten. Dies rief angesichts des kurzen Zeitrahmens Besorgnis über unbeabsichtigte und privatisierte Zensur hervor. ...

Dunja Mijatovic, frühere OSZE-Repräsentantin für Medienfreiheit, ist über diese Trends besorgt. Im Dezember 2017 sagte sie beim jährlichen Treffen des Internet Governance Forums: „Es gibt mehr und mehr Äußerungen von politischen Führern in aller Welt, dass sie Fake News verhindern würden und so die Gesellschaft geschützt sei. Warum sollte ich irgendeiner Behörde oder einer Suchmaschine vertrauen, dass sie mir sagt, was richtig und was falsch ist? Ich will nicht, dass irgendjemand einen Filter für meinen Verstand einbaut.“

Top-Down Ansätze der Bekämpfung von Fake News übersehen die Existenz von Propaganda und die Tatsache, dass Fake News von Regierungen selbst zur Förderung ihrer eigenen Interessen verbreitet werden können. Es Regierungen zu überlassen, Narrative zu kontrollieren, kann zur Homogenisierung verfügbarer Information führen. Das ist für die demokratische Debatte gefährlich, und es ist paradox, wenn dies im Namen des Schutzes von „Wahrheit“  geschieht.

Regelwerke, die von staatlichen Behörden vorgeschlagen werden, gehen einher mit Druck auf die Internet-Plattformen, Initiative zu ergreifen und sich selbst zu regulieren. Vor den französischen Wahlen, die Macron gewann, schlossen sich Google und Facebook mit einer Reihe von Informationsorganisationen zusammen, um Inhalte als falsch oder irreführend zu markieren. Dies war zuvor schon in den USA eingeführt worden, um „zusammenhängende Artikel“ anzuzeigen, die alternative Sichtweisen zu einem Thema darstellen. Ähnliche Maßnahmen wurden auch zu den italienischen Wahlen diskutiert.

Aber soziale Medien – und damit private Unternehmen – damit zu beauftragen, Inhalte zu betreuen, kann ebenfalls extrem problematisch sein. Solche Plattformen sind wegen des Fehlens von Transparenz über die Mechanismen und Algorithmen kritisiert worden, die sie anwenden, um Inhalten Priorität zu geben – etwas, das oft von der Macht des Geldes und einem Geschäftsmodell beeinflusst wird, das die Zahl von Klicks für Werbezwecke maximieren will. Die Willkür solcher Entscheidungen von Plattformen kann weit über Priorisierungen hinausgehen, wie der Fall der Sperrung des Accounts des ägyptischen Menschenrechtsaktivisten und Journalisten Wael Abbas ohne jede öffentliche Erklärung zeigt.

Eine andere Gefahr ist, dass die Plattformen von Regierungen kooptiert werden. So hat Facebook zum Beispiel Inhalte, die von palästinensischen AktivistInnen publiziert wurden, auf Bitten der israelischen Regierung entfernt. Dies führt zu einer asymmetrischen Sphäre der sozialen Medien, in denen Hasssprache und Fehlinformation von einigen entfernt werden, aber nicht die von anderen.

Die Möglichkeit sozialer Plattformen, „umstrittene“ Inhalte zu markieren (was anders ist als illegale Inhalte, die entfernt werden sollten) kann auch zu weniger kritischem Herangehen an Online-Informationen führen, so als ob es möglich wäre, kritisches Denken an Dritte zu übertragen. ...

Abweichende Meinung und Rechenschaftspflicht bewahren
Wie können wir diesem Trend zu asymmetrischer Kontrolle im Namen der Bekämpfung von Fake News Widerstand entgegenbringen?

Als erstes ist es notwendig, die Debatte zu verändern. Die Besorgnis über Fake News kann echt sein. So sind MenschenrechtsaktivistInnen in Europa und den USA besorgt über die Erfindung von Geschichten, die MigrantInnen und Flüchtlinge als Kriminelle darstellen, um Hass und Angst zu verbreiten. Aber dieselben AktivistInnen müssen auch verstehen, dass der Kampf um Information sowohl ein Kampf gegen Fehlinformationskampagnen aller Seiten ist wie ein Kampf dagegen, dass von oben her entschieden wird, was wahr und was falsch ist. ...

Diese Kritik muss in den öffentlichen Diskurs einfließen. InternetaktivistInnen, die direkt mit Online-Inhalten zu tun haben, sollten Allianzen mit AktivistInnen anderer Anliegen gründen. Zugang zu Information und Meinungsfreiheit sind Basis jeder kollektiven Aktion, online wie offline. Durch eine solche Zusammenarbeit könnte die Ausarbeitung von belastbaren bottom-up Lösungen für Fehlinformation gelingen. ...

Internetplattformen sollten rechenschaftspflichtig gemacht werden. Aber statt ihnen die Filterung von Inhalten anzuvertrauen, muss mehr Transparenz über die Priorisierung oder Löschung von Inhalten verlangt werden, so dass den BürgerInnen bewusst wird, welche Mechanismen entscheiden, welche Nachrichten sie erreichen. Gleichzeitig muss Zensur und Überwachung Widerstand entgegengebracht werden, indem der Kampf um Verschlüsselung und Internet-Anonymität fortgeführt wird, um AktivistInnen gegen repressive Taktiken zu schützen.

Des Weiteren ist es nötig, weiterhin die (staatlichen) Narrative mit vollem Engagement für faktenbasierte Berichterstattung herauszufordern. Nach Robert Trafford, Forscher bei “Forensic Architecture”, gibt die gegenwärtige Polarisierung in der öffentlichen Diskussion über den Wahrheitscharakter von Information eine Chance, “der Gesellschaft als Ganzer zu erklären, warum investigative Berichterstattung wertvoll… ist.”

Das Thema der Produktion, Kontrolle und des Konsums von Information ist extrem komplex. Deshalb  braucht die Sicherung diverser Information und Meinungsfreiheit viele verschiedene Ansätze. Die meisten AktivistInnen scheinen sich einig zu sein, dass, falls es ein Gegenmittel zu Fake News gibt – in einer wahrhaft demokratischen Gesellschaft, in der Meinungsfreiheit respektiert wird – dies durch Bildung erreicht werden kann und auf kritischem Denken basieren müsste. “Statt enorme Geldsummen für die Bekämpfung von Fake News aufzuwenden, sollten Regierungen … Bildungsarbeit und Meinungspluralität stärker fördern, wenn wir in einer Demokratie leben wollen“, so Mijatovic. Da es unwahrscheinlich ist, dass Regierungen dies spontan machen werden, müssen AktivistInnen und BürgerInnen sicherstellen, dass diese Forderung laut und klar gehört wird.

Dieser Artikel wurde von „Waging Nonviolence“ übernommen und leicht gekürzt: https://wagingnonviolence.org/feature/fake-news-frenzy-threatens-dissent/

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Cristina Orsini ist Expertin in Konfliktfragen und Menschenrechten. Derzeit arbeitet sie in Kampala (Uganda). Sie ist Co-Gründering des sozialen Unternehmens Thraedable.