Redebeitrag für die Hiroshima / Nagasaki-Gedenkveranstaltung am 6. August 2022 in Bremen

 

- Es gilt das gesprochene Wort –

 

Folgen der zivilen und militärischen Nuklearpolitik

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

Durch den Abwurf der Atombomben am 6. und 9. August 1945 auf Hiroshima und Nagasaki wurden sofort etwa 100.000 japanische Zivilisten und Zwangsarbeiter, die von der japanischen Armee verschleppt worden waren, getötet. Bis Ende 1945 starben an den Folgen weitere 130.000 Menschen. Bis 1950 war die Zahl der Spätopfer in beiden Städten noch weiter gestiegen. Die meisten von ihnen waren der direkten Verstrahlung zum Opfer gefallen.

Bis heute noch leiden Menschen an den Folgen der Strahlung und an der Ausgrenzung als Hibakusha. Viele in der japanischen Gesellschaft wollten und wollen mit ihnen und ihren Kindern nichts zu tun haben.

Wenn auch nicht nachgewiesen geht das Bundesamt für Strahlenschutz von Schädigung der Keimdrüsen und von entsprechenden Folgen wie Mutation, vererbbaren Fehlbildungen, Stoffwechselstörungen, Immunschäden etc. aus, die möglicherweise aber erst nach vielen Generationen sichtbar werden.

Leider haben die Folgen von Hiroshima und Nagasaki nicht dazu geführt, keine weiteren Atomwaffen zu entwickeln und zu produzieren. Die Friedensorganisation von Ärzten IPPNW hat allein für die zwischen 1945 und 1980 durchgeführten oberirdischen Nuklearwaffentests Hochrechnungen angestellt. Sie kam zu dem Ergebnis, dass durch diese Tests 2,4 Millionen Menschen an Krebs erkrankten und starben.

Diese Tests hatten insgesamt eine Sprengkraft von 29.000 Hiroshimabomben. Sie wurden an 60 verschiedenen Orten auf der Welt durchgeführt, von den USA, der UdSSR, Frankreich, Großbritannien, China, Indien, Pakistan und Nordkorea.

Weit vorn liegen dabei die USA. Sie führten mit 1032 Tests, über die Hälfte von insgesamt 2058 Tests durch.

Häufig wurden die Tests in Gebieten von indigenen Völkern und Minderheiten durchgeführt, weit weg von denen, die die Tests angeordnet haben, so im Land der australischen ‚first nation‘, sowie über den Köpfen der Bewohnerinnen und Bewohner der Marshallinseln, des Maohi-Volkes in Französisch-Polynesien oder in der Region Semipalatinsk in Kasachstan. Die Menschen dieser Völker wurden im Blick auf die Folgen kräftig belogen, soweit, dass ihre Mitwirkung als positive Arbeitsbeschaffungsmaßnahme ausgewiesen wurde.

Die Franzosen z.B. führten die Atomtests in Polynesien durch, die nach Aussagen der damaligen Regierung ‚saubere Atomtests‘ waren. Eine Begebenheit zeigt, wie es damals in Polynesien zuging:

Die Polynesierin Chantal Aviu berichtete, dass ihr Mann mehrere Jahre als Hafenarbeiter für die Atomtests tätig war. Die Krankheit ihres Mannes brach Anfang April 1988 aus, Sehr schnell wurde er ins Krankenhaus nach Paris ausgeflogen. Vier, fünf Tage später rief man sie an und sagte, dass ihr Mann gestorben sei. Kein Wort der Erklärung. Aber: Sie dürfe nicht darüber reden.

Wesentlich wirkte dabei der französische Geheimdienst mit, der u.a. das Aufklärungsschiff „Rainbow Warrior“ von Greenpeace in Neuseeland auf den Grund sprengte, zusammen mit einem Fotografen.

Am meisten waren bei den Atomtests Menschen betroffen, die sich im direkten Strahlenbereich befanden. Bei der Kernwaffenexplosion entsteht aber radioaktiver Staub, der bei der Explosion in die Luft geschleudert und dann entweder durch Regen oder Wind weitergetragen wird und anderswo niederfällt. Durch solchen radioaktiven Fallout wird ein viel größeres Gebiet verstrahlt.

So ging zum Beispiel in ganz Polynesien, dessen Fläche so groß wie Europa ist, radioaktiver Niederschlag nieder.

Aber auch in Deutschland gibt es Ablagerungen von Strontium und Caesium von den Atomwaffentests zwischen 1954 und 1966, deren Großteil bis heute vorhanden ist. Und die Ablagerungen von Tschernobyl 1986 weisen fünfmal so viel Caesium auf wie die der Kernwaffentests 30 Jahre davor.

Im Jahr 2003 ging die Europäische Kommission für Strahlenrisiken (ECRR) davon aus, dass aufgrund radioaktiver Einflüsse 61,7 Millionen Menschen an Krebs gestorben sind, sowie 1,5 Millionen Kinder und 1,9 Millionen Babys, die bereits im Mutterleib umkamen.

Diese Kommission kommt zum Schluss, dass der Anstieg der Krebserkrankungen eine Folge des radioaktiven Niederschlags der Atombombentests der Jahre 1957-1963 ist, dem Höhepunkt des atomaren Testens, und fügt hinzu, „dass die Abgabe von Radioisotopen in die Umwelt im Rahmen ziviler (!) Atomkraftnutzung in den letzten Jahren bald für einen weiteren Anstieg von Krebs und anderen Krankheiten sorgen wird.“

Ein ungelöstes Problem von Atomkraft ist die Endlagerung des Atommülls. Ab Anfang der 60er Jahre hat Deutschland 30 Jahre lang seinen Atommüll ähnlich wie andere europäische Länder auf den Meeresboden versenkt, allein Deutschland mehr als 200.000 Fässer aus billigstem Metall. Untersuchungen haben inzwischen festgestellt, dass sich die Konzentrationen von Plutonium, Americium und Kohlenstoff im Atlantik erhöht hat. Der Antrag der SPD von 2010 für kontinuierliche Messungen der radioaktiven Strahlung und deren Veröffentlichung wurde 2013 von der schwarz-gelben Koalition abgelehnt.

Aber nicht nur in Deutschland, sondern weltweit wurde das Entsorgungsproblem nicht gelöst, ist wahrscheinlich auch nicht zu lösen. Es gibt keine garantiert sicheren Plätze dafür.

Aber nicht nur Fässer mit Atommüll wurden ins Meer versenkt, sondern auch Atom-U-Boote liegen auf dem Grund, nachweislich zwei der USA, vier der Sowjetunion bzw. Russlands; ein fünftes russisches wurde gehoben. Aber auch Atomwaffen befinden sich auf dem Meeresgrund, z.T. weiß man gar nicht wo.

Aber besonders erschreckend ist die hohe Anzahl der nuklearen Sprengköpfe. Allein in Europa befinden sich 6.492, davon allein 5.977 in Russland, die anderen in Frankreich und Großbritannien, sowie auf mehrere Länder verteilt 150 US-Sprengköpfe. In den USA werden 5.428 nukleare Sprengköpfe gezählt, dazu 4200 ausgemusterte Atomwaffen. Dagegen befinden sich in Asien „nur“ 785 Atomwaffen. Nur die Kontinente Australien und Lateinamerika sind bisher atomwaffenfreie Zonen.

Heute Morgen wurde bereits in Hiroshima des Atombombenabwurfs gedacht: "Die Menschheit spielt mit einer geladenen Waffe", sagte dabei der UN-Generalsekretär António Guterres. Und beide, der Bürgermeister von Hiroshima Kazumi Matsui und Guterres riefen zur Abschaffung aller Atomwaffen auf.

Und die Wiener Initiative zum Hiroshima-Tag, mit der wir jährlich unsere Botschaften austauschen, schreibt u.a. in ihrem Aufruf: „Die im Juni 2022 in Wien stattgefundene Konferenz der Staaten, die den Vertrag zum Verbot von Atomwaffen unterzeichnet haben, hat an Hand zahlreicher Fakten klar aufgezeigt: die Atomwaffen bedrohen das Überleben der Menschheit.“ - Ich füge hinzu, dass Österreich den Vertrag nicht nur unterzeichnet, sondern inzwischen auch schon ratifiziert hat. Es ist eine Schande, dass die deutsche Regierung bisher ablehnt, beides zu tun.

Ich ende mit einem Zitat von Bernhard Trautvetter, ein Aktivist der Friedensbewegung:

„Ein zerbombtes Krankenhaus ist ein zerbombtes Krankenhaus, ein zerbombtes Atomkraftwerk ist eine Atombombe. Der Ausbau einer Nuklearindustrie und die gleichzeitige Vorbereitung eines Krieges, beides in Kombination, ist eine Infragestellung der Existenz nicht nur der europäischen Zivilisation.“

 

Hartmut Drewes ist aktiv beim Bremer Friedensforum.