Redebeitrag für die Hiroshima / Nagasaki-Gedenkveranstaltung am 6. August 2022 in Hamburg

 

- Sperrfrist: 6.8., Redebeginn: 12 Uhr -
- Es gilt das gesprochene Wort –

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

heute schreibe ich einen Liebesbrief an das Völkerrecht und an die Zivilgesellschaft.

Unsere Welt steht auf dem Kopf, wir haben alle Angst.

Erinnert Euch und stellt Euch eine nicht sehr ferne Vergangenheit vor:

Es ist 1945, der zweite Weltkrieg ist gerade zu Ende gegangen.

Die Welt liegt in Trümmern.

Die Menschheit beginnt gerade erst damit, den Horror des Holocausts zu begreifen.

Fest entschlossen, jede Gelegenheit zu nutzen, um eine bessere Zukunft zu schaffen, kommen die Delegierten von 1945 in San Francisco zusammen um neue Regeln zu schreiben.

Regeln, die die nachfolgenden Generationen vor dem Fluch des Krieges bewahren sollen.

Mit der Niederschrift der Charta der Vereinten Nationen leiten sie ein neues Kapitel in den internationalen Beziehungen ein.

In ihrer allerersten Resolution beschließt die UN Generalversammlung Maßnahmen für die Beseitigung von Atomwaffen einzuleiten.

Heute gibt es immer noch etwa 13.000 Atomwaffen auf der Welt, das ist ungefähr das 1000 fache der gesamten im zweiten Weltkrieg verfeuerten Sprengkraft.

Ein Bruchteil davon würde genügen, um alle großen und mittleren Städte der Welt zu zerstören.

Der russische und der amerikanische Präsident haben seit dem kalten Krieg unverändert die Macht, als oberste Befehlshaber über den Einsatz von Atomwaffen zu entscheiden und damit das Leben auf der Erde zu beenden.

Wenn die Frühwarnsysteme einen Angriff mit Atomwaffen melden, bleiben dem Präsidenten und seinen engsten Beratern nur wenige Minuten, um zu entscheiden, ob die eigenen Atomwaffen gestartet werden sollen, bevor sie durch den gegnerischen Angriff zerstört werden. Es gibt viele Beispiele, in denen es durch Missverständnisse oder technische Fehler beinahe zur Katastrophe gekommen wäre.

Experten warnen, dass das Risiko für einen Atomkrieg heute höher ist als im kalten Krieg. Durch das verschwimmen der Grenze zwischen konventioneller und nuklearer Kriegsführung und durch den vermehrten Einsatz von künstlicher Intelligenz.

Die FDP Verteidigungsexpertin Marie Strack Zimmermann fordert, sich von den russischen Drohungen mit Atomwaffen nicht verunsichern zu lassen, dass sei bloß „German Angst“. Annalena Baerbock hat am Montag in New York gesagt, in diesen Zeiten müsse die Staatengemeinschaft für internationales Recht und für nukleare Abschreckung eintreten.

Internationales Recht ist die Grundlage, auf der wir den brutalen russischen Angriffskrieg und die völkerrechtswidrigen russischen Drohungen mit Atomwaffen scharf verurteilen.

Aber Nukleare Abschreckung – das ist nichts anderes als die Drohung mit der unterschiedslosen Tötung von Millionen von Menschen.

Nukleare Abschreckung ist das Gegenteil von internationalem Recht. Der Einsatz von Atomwaffen ist nach dem Genfer Abkommen verboten, weil ihre Wirkung nicht zwischen Zivilisten und Kombattanten unterscheidet. Deutschland ist als Nicht-Atomwaffenstaat Mitglied im Atomwaffensperrvertrag von 1970 und darf keine Atomwaffen stationieren.

Im 2+4 Vertrag, der die rechtliche Vorraussetzung für die Deutsche Einheit war, hat Deutschland auf Massenvernichtungswaffen verzichtet .

Trotzdem werden in Rheinland-Pfalz etwa 20 US amerikanische Atomwaffen gelagert.

Meint Außenministerin Baerbock die, wenn sie von nuklearer Abschreckung spricht? Diese Atomwaffen können nicht abschrecken. Ihr Standort ist bekannt und es dauert Wochen, bis sie Einsatzbereit sind. Im Kriegsfall wären sie erstes Angriffsziel.

Ab 2023 sollen sie durch die aufgerüsteten B61-12 Atombomben ersetzt werden.

Die B61-12 Atomwaffen sind Lenkwaffen, die nach der US amerikanischen Nukleardoktrin für den Ersteinsatz in konventionellen Kriegen vorgesehen sind.

Um die neuen Bomben einsetzen zu können, wurde der Kauf von F-35 Kampfflugzeugen mit elektronischer Ausstattung und Tarnkappenfunktion, die die russische Luftabwehr überwinden können, im Rahmen des 100 Milliarden Pakets beschlossen.

Deutschland kann ein atomares Wettrüsten mit Russland nicht gewinnen. In einem Atomkrieg wären wir das Schlachtfeld.

Ich frage Sie, Frau Baerbock:

Werden sie als unsere Grüne Außenministerin eine völkerrechtswidrige atomare Aufrüstung in Deutschland zulassen?

Sind sie bereit, den Überlebenden der Atomwaffeneinsätze und Tests gegenüber zu treten? Die meisten von ihnen sind Menschen aus dem globalen Süden uns aus abgelegenen Regionen der Welt. Menschen die vermeintlich keine Stimme haben. Viele von ihnen haben schwere körperlichen Behinderungen und sind traumatisiert vom Verlust ihrer Familienangehörigen.

Nach konservativen Berechnungen sind durch die Atomwaffentests 430.000 Menschen an Krebserkrankungen gestorben.

Können Sie ihnen ins Gesicht sehen und können sie ihnen erklären, warum sie für die von ihnen beschworene „nukleare Abschreckung“ leiden und sterben müssen, wenn es nicht einzigen Beweis dafür gibt, dass Atomwaffen jemals Frieden geschaffen haben sondern nur Beispiele dafür, wie sie uns alle schon mehrfach an den Rand des Untergangs gebracht haben?

Oder werden sie sich für internationales Recht und damit für das sofortige Ende der völkerrechtswidrigen nuklearen Teilhabe Deutschlands und für den Beitritt Deutschlands zum Atomwaffenverbotsvertrag der Vereinten Nationen einsetzen?

Der Atomwaffenverbotsvertrag ist vor 2 Jahren, zum 75. Geburtstag der Vereinten Nationen, in Kraft getreten. Trotz des erbitterten Widerstande der Atommächte wurde er von 122 Staaten beschlossen.

Das ist die große Mehrheit der Welt, die davon überzeugt ist, dass Atomwaffen eine ständige Gefahr für unser globales Überleben sind.

Der Atomwaffenverbotsvertrag ist der Beweis dafür, dass der Stift stärker ist als selbst die stärkste aller Waffen.

Ich war dabei, als ICAN, die Internationale Kampagne zu Abschaffung 2006 gegründet wurde. In nur 10 Jahren hat die Kampagne die Vereinten Nationen erreicht, durch unermüdliche Arbeit von Aktivistinnen, und Diplomatinnen und PolitikerInnen auf der ganzen Welt.

Immer mehr Menschen schließen sich an, von humanitären Organisationen über Umwelt- und Menschenrechtsgruppen, quer durch alle Parteien und Religionen. Sie alle eint das Wissen, dass Atomwaffen alles bedrohen, was wir lieben und schützen wollen.

Denen, die sagen, „aber ohne einen universalen Durchsetzungsmechanismus und ohne die Beteiligung der Mächtigen“ wird das doch niemals funktionieren sage ich:

Wir haben den stärksten Durchsetzungsmechanismus, den es gibt:

Das ist unsere gemeinsame Moral, das ist unsere Leidenschaft und das ist unser Glaube an das Leben und an die Zukunft.

Dass die Mächtigen noch nicht dabei sind verbindet uns mit großen humanitären Bewegungen vor uns, wie dem Kampf gegen die Sklaverei oder der Erkämpfung von Frauenrechten. Sie sind alle nicht ernst genommen worden sind und haben doch das Gesicht der Welt verändert.

Es sind die Menschen der Zivilgesellschaft denen wir es mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zu verdanken haben, dass wir heute noch hier sind. Wenn die Millionen Menschen in den 80er Jahren nicht auf die Straße gegangen wären, wenn die Frauen von Greenham and the Commons und Viele andere nicht Jahrzehnte lang Atomwaffenstützpunkte blockiert hätten, wenn Ärztinnen und Ärzte nicht Radioaktivität in den Milchzähnen von Kindern nachgewiesen hätten, dann wäre das Wettrüsten im kalten Krieg nicht gestoppt worden und es wäre zur Katastrophe gekommen.

Und schon wieder müssen wir die Welt retten.

Schließen möchte ich mit einem Auszug aus der Abschlusserklärung der ersten Staatenkonferenz des Atomwaffenverbotsvertrags, die im Juni in Wien stattgefunden hat:

„Wir machen uns keine Illusionen über die Herausforderungen, die vor uns liegen.

Doch wir gehen voran mit Optimismus und mit Entschlossenheit.

Angesichts der katastrophalen Risiken von Atomwaffen und im Interesse des Überlebens der Menschheit gibt es keinen anderen Weg.

Wir werden jeden Weg beschreiten, der uns offen steht und wir werden unermüdlich dafür arbeiten, die Wege zu öffnen die noch verschlossen sind. Wir werden nicht ruhen, bis alle Länder diesem Vertrag beigetreten sind, bis der letzte Sprengkopf entschärft und zerstört ist und bis alle Atomwaffen vollkommen von der Erde verschwunden sind.

Mit vielem Dank an Maritza Chan.

 

Dr. Inga Blum ist Ärztin und aktiv bei der Regionalgruppe Hamburg der IPPNW und bei ICAN.