Redebeitrag für die Hiroshima / Nagasaki-Gedenkveranstaltung am 6. August 2022 in Kiel

 

- Sperrfrist: 6.8., Redebeginn: 18 Uhr -
- Es gilt das gesprochene Wort –

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

vor genau einem Jahr, als ein plötzlicher Sturm die Kieler Hiroshima-Gedenkfeier buchstäblich vom Platz fegte, wollte ich den Generalstabschef der britischen Armee, General Sir Nicholas Carter, zitieren, der im Januar 2018 vor dem „Royal United Service Institute“ einen Vortrag mit dem Thema „Dynamic Security Threats and the British Army“ gehalten hatte. Seine These: Russland sei „der archetypische Vertreter einer Bedrohung für Großbritannien“ und daraus folge die Notwendigkeit, sich auf die Bedrohung vorzubereiten, „den Krieg zu führen, den wir vielleicht führen müssen“. Seine Worte zeichneten mit ungeschminkter Deutlichkeit ein erschreckendes Feindbild: „Ich will keinesfalls unterstellen, dass Russland in der traditionellen Definition des Begriffs in den Krieg ziehen will, aber es gibt Faktoren, die sich auf die Frage nach ihren Absichten beziehen und man muss die russische Psyche, ihre Kultur und ihre Philosophie der Prävention verstehen. Ich denke, Russland könnte die Feindseligkeiten früher einleiten, als wir erwarten, und viel früher, als wir es unter ähnlichen Umständen tun würden. Höchstwahrscheinlich werden sie schändliche Maßnahmen unterhalb der Schwelle gegenseitigen Beistands von Artikel 5 des NATO-Vertrages nutzen, um die Fähigkeit der NATO zu untergraben und die Struktur zu bedrohen, die unsere eigene Verteidigung und Sicherheit bedrohen (...). Die Parallelen zu 1914 sind überdeutlich. Unsere Generation hat sich seit dem Ende des Kalten Krieges daran gewöhnt, Kriege nicht wirklich führen zu müssen – aber wir haben vielleicht keine Wahl hinsichtlich eines Konflikts mit Russland. Und wir sollten uns an Trotzkis Worte erinnern: ‚Du bist vielleicht nicht an Krieg interessiert, aber der Krieg ist an Dir interessiert‘.“ Die ganze Rede las sich wie eine Aufforderung zur Mobilmachung gegen die Russen: „Als nächstes, denke ich, müssen wir uns darauf vorbereiten, den Krieg zu führen, den wir vielleicht führen müssen“ (1).

Wer konnte sich vor einem Jahr vorstellen, dass dieses furchtbare Scenario in einem dreiviertel Jahr Realität würde? Und wer wollte damit rechnen, dass die Realität eines Atomkrieges die Welt nun so unmittelbar bedroht? Doch nun müssen wir uns eingestehen, die NATO hat mit all dem gerechnet und sich auf diesen Krieg vorbereitet. Und wir sollten uns daran erinnern –trotz aller Völkerrechtsverbrechen Putins und der russischen Armee -, woran unsere kriegstreibende Koalitionsregierung nur ungern erinnert werden mag. Schon 26 Jahre nach dem Beitritt zur UNO brach eine rot-grüne Koalitionsregierung mit all ihren Versprechungen und Verpflichtungen. Am 24. März 1999 überfiel sie mit ihren Verbündeten in der NATO ihr Nachbarland Jugoslawien. Wie Gangster haben sie damals die UNO umgangen und 78 Tage lang Menschen und Land bombardiert. Über 200.000 Tote und mehrere Millionen Flüchtlinge und Vertriebene.

Mit Lügen und falschen Erzählungen versuchten SPD und Grüne ihren Völkerrechtsbruch zu rechtfertigen. Sie wurden nie zur Rechenschaft gezogen. Deutschland zahlte nie Entschädigung. Im Unterschied zu heute blieben allerdings die beiden übergangenen Atommächte Russland und China ruhig und nutzten den Krieg nicht zu einer gefährlichen Konfrontation mit dem Westen. Niemand musste vor der Gefahr eines Atomkrieges warnen.

Doch nun, keine 25 Jahre später ist wieder Krieg in Europa. Diesmal sind es die Russen. Genauso ein schwerer und unverantwortlicher Bruch mit dem Völkerrecht und den Prinzipien der UNO. Ein Epochenumbruch, eine Zeitenwende? Wieso? Die grauenhaften Bilder von Tot, Zerstörung, Flucht und Leid der Menschen aus der Ukraine kennen wir doch schon aus den Kriegen in Vietnam, Jugoslawien, Afghanistan, Irak, Libyen und Syrien. Haben wir schon vergessen, wer diese Toten zu verantworten hat? Was ist der Unterschied zwischen den Kriegen der USA und ihren Verbündeten und Russland, wenn man die Zerstörungen besichtigt und die Opfer zählt? Die Zeitenwende dauert nun schon über 20 Jahre. Alle Rufe nach dem Völkerrecht, die jetzt plötzlich laut werden, können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die, die jetzt rufen, einen Trümmerhaufen vor sich haben, den sie selbst verantworten müssen.

Wie hat es zu diesem Rückfall in die kriegerische Barbarei kommen können? Ausgerechnet Russland, das uns vom Faschismus befreit und dabei 27 Millionen Tote zu beklagen hat. Niemand fragt nach der Vorgeschichte und stürzt sich auf Putin – ein Wahnsinniger, unzurechnungsfähig, von seinen imperialistischen Träumen nach einem russischen Großreich besessen, offensichtlich unter dem Einfluss dunkler Philosophen.

Das entlastet, nicht nach der eigenen Verantwortung für diesen zweiten Krieg in Europa zu fragen. Aber nur, wenn wir uns darüber Klarheit verschaffen, wie es zu diesem erneuten Bruch mit der Völkerrechtsordnung kommen konnte, haben wir eine Chance, uns vor der Gefahr eines Atomkrieges zu sichern und die Zeit nach dem Krieg friedlich zu ordnen. Denn auch dieser furchtbare Krieg wird einmal beendet, und wir müssen mit Russland in Europa leben.

Dieser Krieg war vermeidbar. Schauen wir nur an den Anfang dieses Jahres zurück. Die Geheimdienste der USA hatten den Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine mit Datum vorausgesagt. Alle Politiker und Militärs der USA und der übrigen Nato- Staaten waren informiert. Das war diesmal keine Falschmeldung. Warum sind sie in diesem Zeitpunkt höchster Gefahr nicht auf die drei Forderungen Putins eingegangen?

  • Keine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine.
  • Keine Angriffswaffen in den NATO-Staaten an den Grenzen Russlands.
  • Und: Rückbildung der militärischen Infrastruktur dieser Staaten auf den Stand der NATO-Russlandakte von 1997.

Die Eroberung der Krim und des Donbas, alles wäre verhandelbar gewesen, um Menschenleben zu retten und die verheereden Zerstörungen zu vermeiden. War das unzumutbar? Sie haben den Krieg vor Augen gehabt und haben offensichtlich nichts unternommen, ihn zu verhindern.

Lassen wir uns nicht täuschen. Dies ist kein Krieg nur zwischen Russland und der Ukraine. Seit Jahrzenten verfolgen die USA ihr Ziel, Russland zu isolieren und als Machtfaktor in der Welt auszuschalten. Der Chef der geostrategischen Denkfabrik Stratfor, George Friedman, sagte im Februar 2015: „Das Hauptinteresse der US-Außenpolitik während des letzten Jahrhunderts, im Ersten und Zweiten Weltkrieg und im Kalten Krieg waren die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland... Sei einem Jahrhundert ist es für die Vereinigten Staaten das Hauptziel, die einzigartige Verbindung zwischen deutschem Kapital, deutscher Technologie und russischen Rohstoff-Ressourcen, russischer Arbeitskraft zu verhindern.“

Machen wir uns nichts vor. „Tatsache ist“, wie es ein nüchterner Berater mehrerer US-Präsidenten, Zbigniew Brzezinski, schon 1997 formulierte: „Tatsache ist schlicht und einfach, dass Westeuropa und zunehmend auch Mitteleuropa weitgehend ein amerikanisches Protektorat bleiben, dessen alliierte Staaten an Vasallen und Tributpflichtige von einst erinnern.“ Das ist kein gesunder Zustand, garantiert aber die Vorherrschaft der USA. Brzezinski propagierte wie alle US-Präsidenten die Ausdehnungder NATO bis nach Georgien und Ukraine, obwohl schon Präsident Jelzin dringend davor gewarnt hat. Wer die Ukraine hat, machte Brzezinski seinen Präsidenten klar, beherrscht Eurasien. Nun ist die arme Ukraine zum Schlachtfeld dieser Auseinandersetzung geworden. Und die Milliarden Dollar, die die USA in die Verwandlung der Ukraine, genannt Demokratisierung, gesteckt haben, zahlen sich jetzt aus. Wolodomir Selenskyi und seine Umgebung sind entschlossen, bis zum Sieg kämpfen zu lassen.

Dieser Krieg wird noch lange dauern. Von Diplomatie und Verhandlungen ist keine Rede, nur von schweren Waffen und der Illusion, Russland militärisch besiegen zu können. Selbst die reale Gefahr, dass schließlich Atomwaffen eingesetzt werden, bewirkt kein Umdenken. Es ist unsere Schwäche, dass wir eine Regierung haben, die sich wie ein Vasall immer tiefer in den Krieg hineintreiben lässt. Sie hat nicht die Kraft, stopp zu sagen, nicht weiter. US-Außenminister Austin hat keine Zweifel daran gelassen, dass es darum geht, Russland zu besiegen und als internationalen Machtfaktor auszuschalten, - und Frau von der Leyen und Frau Baerbock wiederholen das gleiche Ziel bei jeder Gelegenheit. Hier hilft kein Völkerrecht, keine UNO, keine verlogenen Werte einer kriegerischen Außenpolitik. Eine Atommacht darf man nicht testen und bedenkenlos herausfordern, so sehr sie selbst auch im Unrecht ist. Einmal, im Februar diesen Jahres, hat man Putin falsch eingeschätzt. Ein zweites Mal wird es tödlich sein. Die USA sind 6000 km entfernt, wenn in Europa eine Atombombe gezündet wird. Dieser Wahnsinn darf nicht passieren.

Außenpolitik als Machtpolitik führt immer zum Krieg. Waffen und Krieg führen zu Sieg oder Niederlage aber niemals zum Frieden. Bisher ist es nicht gelungen, die Atommächte zur Unterschrift unter den Atomwaffenverbotsvertrag zu bekommen. Deutschland bekundet, dass es als Mitglied der NATO solange dem Atomwaffenverbotsvertrag nicht beitreten werde, solange Atomwaffen existieren. Zudem hat die Bundesregierung erst jüngst mit ihrem 100 Milliarden Rüstungspaket den Kauf von Atomwaffen-tragenden Kampfflugzeugen beschlossen. Sie sichern den Verbleib der erst kürzlich modernisierten Atomwaffen in Büchel ab und machen jede Diskussion über die sog. nukleare Teilhabe der Bundesrepublik für das nächste Jahrzehnt überflüssig. Alle NATO-Staaten bekennen sich zu ihrer Politik der atomaren Abschreckung. Daran hat auch die Konferenz der 86 Unterzeichnerstaaten des UNO-Abkommens zum Verbot nuklearer Waffen nichts ändern können, die Ende Juni in Wien stattfand. Man konnte sich auf die Hilfe etwaiger künftiger Opfer einigen, auch Australien trat dem Vertrag bei, aber zu einem Verbot der Atomwaffen, welches jede Hilfe für künftige Opfer überflüssig machen würde, konnte die Konferenz die Atommächte und ihre atomaren Vasallen nicht bewegen.

Wenn das so ist, müssen wir uns bemühen, dass in der Ukraine so schnell wie möglich ein Waffenstillstand herbeigeführt wird. Und das wird nicht durch immer größere Waffenlieferungen geschehen, auch nicht dadurch, dass die NATO selbst mit eigenen Truppen eingreift, wie es jetzt verschiedene Stimmen in England und Deutschland fordern. Ein solcher Wahnsinn wird nur den Krieg weiter anheizen und die Schwelle zum Atomkrieg senken. Wir müssen auch der deutschen Regierung klarmachen, dass ein Sieg über Russland nicht nur eine Illusion, sondern die vielen Toten, Verletzten und Zerstörungen nicht wert ist. Nur Verhandlungen und Diplomatie können Frieden schaffen und von der atomaren Bedrohung befreien.

Vielen Dank.