Redebeitrag für die Hiroshima / Nagasaki-Gedenkveranstaltung am 6. August 2024 in Bremen

 

- Sperrfrist: 6.8., Redebeginn: 12 Uhr -
- Es gilt das gesprochene Wort –

 

Liebe Bremerinnen und Bremer aus dem Friedensforum und liebe Bürgerinnen und Bürger hier aus Bremen,

Herzlichen Dank für die Einladung hier nach Bremen durch das Friedensforum Bremen. Heute am Hiroshima-Tag wollen zunächst der vielen, vielen Opfer gedenken und mahnen. In einem zweiten Schritt schildere ich die aktuelle Gefahr eines Atomkriegs im Rahmen der nuklearen Drohungen durch Russland. In Bezug auf die Friedenslösungen für die Verhütung eines Atomkriegs und für einen Beendigung des Ukrainekrieg werde ich darlegen, dass Waffenstillstand und Frieden in der Ukraine und die Verhütung eines Atomkriegs zusammen -gehören. Der Atomwaffenverbotsvertrag – der Erfolg der weltweiten Friedensbewegung ist ein Stück auf dem Weg dorthin.

Beginnen wir mit den katastrophalen Atombombenabwürfen über Hiroshima und Nagasaki vor79. Jahren. Es dauert nur 10 Sekunden, bis der Feuerball einer Atomwaffenexplosion seinen maximalen Umfang erreicht. Eine Atomwaffe setzt riesige Mengen Energie frei, als Druckwelle, Hitze und Strahlung.

70.000 Menschen ließen ihr Leben am 6. August 1945 innerhalb weniger Stunden durch den Atombombenabwurf über Hiroshima - -durch den Feuerball, durch die Druckwelle und die hohe Strahlung sowie die Feuersbrünste, die durch Hiroshima jagten. Lasst uns dieser Menschen gedenken ebenso wie der 22.000 Menschen, die am 9. August, drei Tage später, das gleiche Schicksal in Nagasaki erlitten.

Wir gedenken der über 100.000 zusätzlichen Menschen, die in den kommenden Wochen und Monate in Nagasaki und Hiroshima starben, weil es keine medizinische Infrastruktur und

keine Möglichkeit gab, ihre Verletzungen, Verbrennungen, die schweren Strahlenschäden zu behandeln.

Wir gedenken der hunderttausenden Menschen in Japan, die mit Verletzungen, Verbrenn-ungen und schweren Traumata die Atombombenabwürfe überlebten. Wir gedenken der Menschen, die bis heute an den Spätfolgen ihrer Verletzungen leiden und die durch die Verstrahlung jener Tage Krebserkrankungen entwickelt haben, daran gestorben sind. Auch Nicht-Krebs-Erkrankungen - Herz-Kreislauferkrankungen, Hormonstörungen, Katarakte und alle Arten von strahleninduzierten Krankheiten lassen diese Menschen bis heute leiden.

Der Abwurf der Atombomben war kein Akt des Krieges, es war ein Akt des Mordes, der Hiroshima und Nagasaki an diesen Tagen zerstörte:

Nicht Soldaten starben, -sondern viele zehntausende unschuldige Menschen, Kinder, Jugendliche, Zivilisten, Frauen, Kriegsgefangene, alte Menschen waren die Opfer.

Doch bis heute hält sich der Mythos, den Präsident Truman, verantwortlicher amerikanische Präsident über den Abwurf der Atombombe auf Hiroshima und Nagasaki verbreitete (Zitat) „Wir haben die Atomwaffen eingesetzt, um den furchtbaren Krieg abzukürzen und das Leben von Abertausenden junger Amerikaner zu retten.“

Doch die Geschichtsforschung widerspricht: Japan hatte bereits mehrfach seine Bereitschaft signalisiert zu kapitulieren – immer vorausgesetzt, es könnte Kaiser Hirohito behalten. Außerdem hatte Stalin für Anfang August 1945 angekündigt, Tokio den Krieg zu erklären, was die japanische Niederlage noch weiter beschleunigt hätte. Der Atombombenabwurf war Mord, Mord an Zahntausenden von Zivilistinnen. Kein Amerikaner wurde dadurch gerettet.

Heute am Hiroshimatag wollen wir ebenso der Hunderttausenden Menschen gedenken, die den mehr als 2000 Atomwaffentests weltweit zum Opfer fielen. Denn nach der Katstrophe von Hiroshima und Nagasaki testeten die Atomwaffenstaaten immer neue Atombomben mit katastrophalen humanitären Auswirkungen, insbesondere in solche Gegenden, wo indigene Völker lebten, in den Testgebieten von Nevada, USA und Semipalatinsk, Kasachstan, über den Marshall-Inseln, in Algerien, in Polynesien, in Südaustralien und in Kiribati, in Lop Nor, China.

Mehr als 2000 Atomtests, eine Machtdemonstration seitens der Atomwaffenstaaten, rücksichtslos gegenüber dem menschlichen Leben und der Natur. Die in der Testregion lebenden Menschen wurden nicht informiert.

Nicht nur das Leid der Atomwaffenüberlebenden wird verdrängt, ihr Schicksal wird von den Medien systematisch ausgeblendet, ebenso wie der mit der Atomwaffentests verbundene Rassismus:

In vielen Fällen galten für die Bevölkerung der betroffenen Gebiete andere Strahlenschutzstandards als für Angehörige des Militärs oder für die an der Durchführung der Tests beteiligten Techniker*innen und Wissenschaftler*innen.

So heißt es beispielsweise in einem britischen Bericht von 1957 über einen Atomwaffentest auf Kiribati; Ozeanien: "Die Strahlendosis ... ist etwa 15-mal höher als es nach der Internationalen Strahlenschutzkommission zulässig wäre ... aber es besteht nur eine sehr geringe Gesundheitsgefahr, und das auch nur für primitive Menschen."

Als die Bevölkerung des Rongelap-Atolls (nach den US Atomtests) auf ihre Insel zurück-gebracht wurde, sagte ein Vertreter der US-Atomenergiekommission: "Diese Insel ist bei weitem der am stärksten radioaktiv verseuchte Ort der Erde, und es wird sehr interessant sein zu sehen, wie die Aufnahme von Radioaktivität ist, wenn Menschen in dieser Umgebung leben." Menschen als Versuchskaninchen zu behandeln, das finden wir ohne Ausnahme bei allen Atomwaffenstaaten.

Lassen Sie uns eine Schweigeminute einlegen.

Doch wir möchten nicht nur bei unserem Gedenken und bei unserer Trauer stehen bleiben. Das tun auch die Atomwaffenüberlebenden nicht. Ihr Motto ist: Leben und Überleben heißt Widerstand leisten.

Widerstand gegen Atomwaffen und langfristig Atomwaffen abschaffen – diese Ziele haben haben uns angetrieben, seit wir uns im Bündnis der weltweiten Friedensbewegung 2007- ICAN- für den Atomverbotsvertrag eingesetzt haben. 2017 war es soweit, der Atomwaffenverbotsvertrag wurde von der Mehrheit der UN-Staaten, nämlich 122 Staaten beschlossen. Und schon 4 Jahre später trat der Verbotsvertrag in Kraft.

Die Tatsache, dass sich das Staatenbündnis des Atomwaffenverbotsvertrags als einzige große UN-Organisation für atomare Abrüstung einsetzt, kann gar nicht hoch genug bewertet werden. Das ist unser aller Erfolg, auch von Euch, von Ihnen die sich seit Jahrzehnten hier versammeln.

Wir haben jetzt 70 Vertragsstaaten und 93 Unterzeichnerstaaten, 20 neue Vertragsstaaten seit Inkrafttreten des Vertrags vor drei Jahren.

Wie haben wir das das geschafft? Was war, was ist unsere Strategie? Der AVV ist entstanden aus einem Bündnis der weltweiten Friedenbewegung und der Nicht Atomwaffen-Staaten. Zusammen mit klugen Diplomaten, vor allem der UN-Botschafter Alexander Kmentt aus Österreich haben wir die Stimme der Nicht Atomwaffenstaaten stark gemacht – gegen die Atomwaffenstaaten, die seit Hiroshima und Nagasaki die Sicherheitspolitik und die Weltpolitik alleine bestimmen, mit ihrem Vetorecht in der UN.

Wir haben den Vertrag gegen ihre systematische Blockade durchgesetzt.

Atomwaffenstaaten reden von der Notwendigkeit der nuklearen Abschreckung, nur Atomwaffen würden Sicherheit und damit Frieden garantieren. Welch ein Trugschluss! Wir argumentieren: Das Vertrauen auf die nukleare Abschreckung ist ein Glückspiel. Dafür gibt es zahlreich historische Beispiele, das schlimmste war die Stationierung der sowjetischen Atomwaffen in Kuba, das hat die Welt an den Rand eines Atomkriegs gebracht. Auch die NATO -Übung „Able Archer“ 1983 hätte fast zum Atomkrieg geführt. Denn die Sowjetunion erkannte dies zunächst nicht als Übung.

Machen wir also den Atomwaffenverbotsvertrag stark: Im Dezember 2017 wurde in Bremen ein Dringlichkeitsantrag der 3 Regierungsfraktionen angenommen, wonach der Senat aufgefordert wird, sich für die deutsche Unterzeichnung und Ratifizierung des AVV einzusetzen. Ob dieser Willenserklärung tatkräftige Aktionen folgten, ist nicht bekannt. Wir müssen und wollen weiter mit unseren Abgeordneten reden, dass die Bundesregierung dem AVV beitritt. Auch als Mitglied in der NATO kann sie den Vertrag unterzeichnen bzw. die notwendigen Schritte vorbereiten. Dazu braucht es unseren Druck, unsere Aktionen, auch für das Ziel, dass die Bundesregierung sich weiterhin im Beobachterstatus für den AVV engagiert. Das kann sie z.B. indem sie Forschungen und Initiativen zur Entschädigung für die Überlebenden der Atomtests unterstützt.

In zweiten Teil meiner Rede werde ich darlegen, dass und wie die Beendigung des Ukrainekriegs und atomare Abrüstung inclusive Rüstungskontrolle zusammengehören.

II. Teil

Die Verhinderung eines Atomkrieges und die Beendigung des Ukrainekriegs sind zwei Seiten ein und derselben Medaille.

  • (1) Die Gefahr einer nuklearen Eskalation im Ukrainekrieg ist real. Die IPPNW warnt seit dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine vor einer solchen Eskalation. Mit dieser Warnung sind wir nicht allein. Auch Präsident Biden, Bundeskanzler Scholz sehen diese Gefahr. Aber inwiefern handeln sie danach? China hat in seinem 12 Punkte -Plan zur Beendigung des Ukrainekrieges vom 24.02.2023 unmissverständlich gesagt: „Atomwaffen dürfen nicht eingesetzt und Atomkriege dürfen nicht geführt werden.“ Ein Waffenstillstand in der Ukraine ist ohne die Unterstützung Chinas kaum vorstellbar, insbesondere um die russische Führung von einem Atomwaffeneinsatz abzuhalten. Das bedeutet doch, dass China in die Lösung zur Beendigung des Ukrainekriegs einbezogen sein muss! Und dazu müssen die geopolitischen Rivalitäten zwischen China und den USA deutlich zurückgefahren werden. Es bracuht Kompromisse, Kooperation , Abrüstung.
  • (2) Die Gefahr der Eskalation des Ukrainekriegs, das massenhafte Sterben, die Zerstörung und der Ruin der Ukraine zeigen, dass eine Lösung des Konflikts auf dem Schlachtfeld nicht möglich ist. Die Aktionen der Kriegsparteien und ihrer Unterstützer lassen die Gefahr des Atomwaffeneinsatzes immer wahrscheinlicher werden. Die Kriegslogik muss durch Verhandlungen unterbrochen und durch Diplomatie ersetzt werden.
  • (3) Wir brauchen Verhandlungen jetzt: mit Formaten auf den unterschiedlichen Ebenen, auf der Ebene der Großmächte und auf der Ebene Russland/Ukraine.
  • (4) Also - geopolitisch, ein Ausgleich der Interessen und Rivalitäten der Großmächte, allen voran NATO-Staaten einerseits, sowie Russland und China andererseits. Hier ist das Ziel die Verhütung eines Atomkriegs und ein Neuanfang für Rüstungskontrolle und gegen das atomare Wettrüsten.
    Und zwischen Russland und der Ukraine müssen zunächst die Bedingungen für einen Waffenstillstand ausgehandelt werden, anknüpfend an die Gespräche von Istanbul im März/April 2022. Solche diplomatischen Verhandlungen müssen ohne Vorbedingungen begonnen werden, auf beiden Seiten.
  • (5) So wie es zwischen den Staaten Kooperation und Diplomatie braucht, so braucht es auch in der Friedensbewegung ein Aufeinanderzugehen der unterschiedlichen Ideen und Ansätze, Toleranz und Freundlichkeit unter uns selbst. Wir leben in einer Zeit der multiplen Krisen, Atomkriegsgefahr und Klimakrise, weltweite Aufrüstung und zunehmende soziale Not, Armut, systematische Vernachlässigung unserer Infrastruktur – Kindergärten Schulen und Netz des Öffentlichen Verkehrs ebenso wie Sparen im Gesundheitssystem.

Warum erlebt die Friedensbewegung zurzeit noch keinen Aufschwung?

Ich denke, dass viele Menschen immer noch ihre Augen verschließen vor den Folgen herbeigeredeter „Kriegstüchtigkeit“. Seit Wochen hören wir von Verteidigungsminister Pistorius, dass Russland ab 2029 einen Nato-Staat angreifen könne und begründet damit massive Aufrüstungsschritte der Bundeswehr und eine neue Volksmentalität: eben Kriegstüchtigkeit.

Dazu kommt dann Unterstützung von Gesundheitsminister Karl Lauterbach, SPD, der eine „Zeitenwende für das Gesundheitswesen“ einfordert, weil Deutschland im Bündnisfall zur Drehscheibe bei der Versorgung von Verwundeten auch aus anderen Ländern werden könnte.

Machen Sie sich, macht euch alle, hier klar, was das im Klartext heißt.: Zivile Patienten müssten bei der medizinischen Versorgung hinter der Versorgung von verletzten NATO-Soldaten zurückstehen. Krieg führen geht immer vor! Gesundheit, soziale Versorgung, Kitas, Schulen, Klima ist immer nachrangig, das zählt dann nicht mehr.

Ich fordere Euch auf: Geht zu Euren Politikern, zu allen und mahnt Friedenstüchtigkeit ein, das heißt Abrüstung für Soziales, öffentliche Infrastruktur, Gemeinwohl und natürlich die Klimakrise stoppen! Wir Menschen sind wichtig! Unsere Sicherheit lässt sich nicht mit Massenmordwaffen wie Atomwaffen, sowie neuen US-Hyperschallwaffen und die Marschflugkörper des Typs Tomahawk sichern. Dadurch werden wir Menschen zum Kriegsziel gemacht!

Verhandlungen von den USA zu fordern , mit Russland und auch mit China ist weder naiv noch unterwürfig. Auf Protest zu verzichten ist falsch. Setzen wir uns gemeinsam ein für Friedenstüchtigkeit, für die Beendigung des Kriegs in der Ukraine, zwischen Israel und Palästina, worauf ich hier nicht weiter eingegangen bin, für eine lebenswerte Zukunft!

 

Angelika Claußen ist Co-Vorsitzende der IPPNW Deutschland.